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Street Food Festival

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Nochmal Street Food Festival. Am zweiten Tag beschlossen wir, zu Fuß in den Nachbarort zu laufen, hin über den Rheindamm und zurück die Landstraße entlang. Auf dem Hinweg studierten wir die Pflanzen und die Vegetation, und ich fügte kulturhistorische Notizen an wie zum Beispiel die Geschichte und den Baustil der Niederkasseler Kirche. Nach der Orientierungslosigkeit am Vortag gelang es uns diesmal besser, eine Struktur hinein zu bekommen, an welchen Ständen wir was in welcher Reihenfolge probieren wollten. Mitsamt Schwager waren wir zu viert, und den Reiz eines Street Food Festivals macht das häppchenweise Austesten an ausgewählten Imbissständen aus. So gingen wir vor und wir vermieden es, uns sogleich mit großen Portionen satt zu essen, sondern wir verteilten die Sättigung unseres Hungergefühls auf mehrere Stände. Als Auftakt wählten wir den schwäbischen Imbissstand mit den Maultaschen, wovon wir uns eine Portion unter uns vier aufteilten. Zwei Portionen für uns vier- so testeten wir uns an Thitas obligatorischen und ausgezeichneten Thailändischen Imbissstand bei Frau Panya Thaifood durch. Curryreis mit Huhn und knusprig gebackene Austerntaschen waren ein Genuss. Weiter ging es von Thailand nach Indonesien – eine kulinarische Reise, bei der sich die ausgezeichnete indonesische Küche mit der ausgezeichneten thailändischen Küche vollkommen auf Augenhöhe befand. Wir aßen Huhn mit einer Saté-Soße, was nur noch meine Frau und ich auskosteten. Zwischendurch gab es einen indonesischen Gemüse-Stau, weil dieses zur Neige gegangen war und neu zurecht geschnitten werden musste, so dass wir auf unsere Saté-Portion eine längere Zeit warten mussten. Ein Augenschmaus, wie unsere Gaumen feststellten, schön wie ein Kunstwerk arrangiert mit dem Reis in der Mitte, dem Gemüse, den Krabbenchips, dem Hähnchenfleisch und der Erdnusssoße am Rand.
Hinweg auf dem Rheindamm (oben links), Begrüßungsschild am Rathaus (oben rechts), thailändischer Imbiss frau panya thaifood (Mitte links), Saté-Teller (Mitte rechts), Maultaschen (unten links), ganz viel Pulled Pork (unten rechts)
Derweil stieß die Befragung des Schwagers, an welchen Ständen er sich gerne verköstigen würde, auf keine nennenswerte Resonanz. Er hatte sich auf eine Krakauer versteift, die allerdings nirgendwo in die Angebotspalette der zahlreich vertretenen Burger- und Pulled-Pork-Stände fiel. Betrachteten wir die Gesamt-Auswahl aller Stände, so waren Burger und Pulled Pork überproportional vertreten, während sich Stände mit einem feineren Gaumenschmaus zurück hielten. Selbst für eine ganz normale Currywurst, die hier als „Pottcurrywurst“ angeboten wurde, vermochte der Schwager sich nicht zu begeistern, weil er auf die Krakauer fixiert war. Schließlich begaben wir uns an einen der Pulled-Pork-Imbissstände, wo eine ganz normale Portion Fritten den Durchschnittsgeschmack von uns vieren am besten bediente. Bereits am Vortag waren wir verzweifelt, dass es unter all diesem Pulled-Pork-Gedönse keinen Stand gab, der Fritten aus frischen Kartoffeln zubereitete- ein innerhalb der Frittengastronomie inzwischen gängiger Qualitätsstandard. So nahmen wir Vorlieb mit dem Industriestandard von Fritten, die einmal schnell in die Fritteuse geschmissen wurden und dann fertig waren. Bereits gesättigt, beobachtete ich, wie Frau und Schwager die langen goldigen Stäbchen in sich hinein stopften. Bevor wir uns bei Thita, unserer thailändischen Freundin, verabschiedeten, wartete noch ein Leckerbissen auf unsere Tochter. Die Krabbenchips, die sie auf dem Saté-Teller bemerkt hatte, gab es bei Frau Panya Thaifood in der Tüte. Die Krabbenchips aus der Tüte vor sich her knabbernd, verließen wir über die Hauptstraße das Street Food Festival. Als wir noch in der Nähe der Bühne gestanden hatten, hatten wir vernommen, dass das dritte Event in dieser Art wohl genau in einem Jahr statt finden wird. Zu Recht, obschon am Tag zuvor ein Stromausfall das Event spätabends glatte drei Stunden lahm gelegt hatte. Wir kommen sicherlich gerne in einem Jahr wieder.

Wiedersehensfreude in Freiburg

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Freiburg im Schnelldurchlauf, ohne Plan, aber mit einem Wiedersehen. Wir hatten uns mit unserer großen Tochter in Freiburg verabredet. Morgens gegen 8 Uhr Abfahrt mit Frau, Sohn, Schwager und der kleinen Tochter, in der Nacht Ankunft zu Hause. Für diesen besonderen Zweck hatten wir eigens einen Leihwagen gemietet bei Europcar, einen geräumigen und sehr elegant zu fahrenden himmelblauen Peugeot 3008, der in die SUV-Kategorie einzuordnen war, obschon ich ansonsten auf all die SUV-Fahrzeuge wegen ihres Angebercharakters schlecht zu sprechen war.
Bis um die Mittagszeit, knapp vor 12 Uhr, sollte es dauern, dass wir mit unserem mit fünf Personen voll besetzten Peugeot 3008 in Freiburg eintrafen. Zunächst machten wir einen Abstecher zu unserer ältesten Tochter im Stadtteil Stühlinger, um ihr einige Leckereien aus unserem Garten mitzugeben. Sie fuhr mit ihrem Fahrrad, wir mit unserem Leihwagen in die Innenstadt, wo wir als Treffpunkt den Bertholdsbrunnen ausgemacht hatten. Da sich unsere Parkhaussuche verzögert hatte, weil wir auf das Parkhaus am Schwabentor ausweichen mussten, kam uns unsere Tochter auf der Salzstraße entgegen, wo wir uns neben den Gleisen der Straßenbahn entlang hangelten.
Nach der Rekordhitze mit über 40 Grad, die bis zum Vortag angedauert hatte, kamen uns die Temperaturen wie eine Erlösung vor. Man konnte es wieder aushalten, und der leise durch die Häuserschluchten säuselnde Luftzug war angenehm. Für 13 Uhr hatte unsere große Tochter einen Tisch in einem indischen Restaurant bestellt, das in einer Ladenpassage am Rand der Gerberau lag, dem früheren Gerberviertel von Freiburg. Dieses Restaurant hatten wir bei unseren anderen Freiburg-Besuchen als ausgezeichnet kennen gelernt – vor allem wegen der feinen und würzigen Soßenzubereitung. Nachdem wir uns gehend neben den Schienen der Straßenbahn zusammen gefunden hatten, folgten warmherzige Umarmungen, herzliche Begrüßungen und eine anhaltende Wiedersehensfreude im Familienkreis, als der Kellner uns die Plätze im Außenbereich des Restaurants zugewiesen hatte. Nie hatten wir in unserer rheinischen Heimat in einem indischen Restaurant gespeist, und nun verwöhnten uns exotisch klingende Speisenamen wie Chicken Tikka Masala, Lamm Karahi oder Nizam Handi. Unsere kleine Tochter begnügte sich mit Fladenbrot, den gelblich schimmernden Basmatireis vermengten wir mit den in Soße getunkten Hähnchenstücken, mein Schwager genoss sein statusgemäßes Weizenbier, das für ihn so zu Essen gehörte wie der Dom zu Köln.
in der Salzgasse (oben), indisches Restaurant "Jaipur" (Mitte), Chicken Tikka Masala (unten)
Als wir unser Mittagessen beendet und das indische Restaurant verlassen hatten, ließ die Wiedersehensfreude nicht nach, und wie wir durch die Stadt spazierten, dem lag kein wirkliches Konzept zugrunde. Mir hatten die losen Eckpunkte vorgeschwebt, die Münsterkirche von innen sehen zu wollen und das Geburtstagsgeschenk unserer Tochter, einen Gutschein für eine Flasche Wein, einlösen zu wollen. Dome, Kathedralen und Münsterkirchen üben eine stetige Faszination aus, eine Faszination für Größe und Schönheit, die sakrale Bauwerke ausstrahlen. Beim Rundgang ließ ich die Motive der gotischen Bogenfenster auf mich wirken, die Höhe des Kirchenschiffs sowie den Altar mit dem Tryptichon, das der oberrheinische Maler Hans Baldung Grien gemalt hatte. Als wir unsere Kirchenbesichtigung abgeschlossen hatten, waren die Marktstände auf dem Wochenmarkt dabei, zusammen zu packen. Am frühen Nachmittag waren die Öffnungszeiten des Wochenmarktes vorbei, und so mussten wir uns damit begnügen, einen Rest von nicht in Transportern verstauter Ware begutachen zu können. An einem Stand, wo noch einige Kisten Wein an der Verkaufstheke ausharrten, wurde ich fündig, was das Geburtstagsgeschenk betraf. Einen Grauburgunder aus einem Weinanbaugebiet rund dreißig Kilometer nördlich von Freiburg wählte ich aus.
Im Anschluss hatten wir bei unserem Rundgang durch Freiburg keinen wirklichen Plan. Der Wunsch nach Shopping beförderte uns in Modegeschäfte, wir machten hier einen Abstecher, dort einen Abstecher, wir kreisten ein wenig ziellos um den Rathausplatz herum, und eingangs trieb uns nicht der Bedarf nach Anziehsachen umher, sondern unsere große Tochter identifizierte unseren Wunsch, in dem Warenangebot von Büchern herum zu schmökern. Dies traf genau meine Interessen, so dass ich bei Thalia die regionale Literatur über Freiburg und Umgebung studierte. „111 Orte in Freiburg, die man gesehen haben muss“ besaß ich bereits, und unter irgend welchen Stadtführern, die Anekdoten und Geschichten erzählten, war die Auswahl außerhalb des 111 Orte-Buches eher dürftig. Erfolgreicher beim Herumstöbern war unsere kleine Tochter. Sie hatte einen Anspitzer mit einem Katzenmotiv lieb gewonnen.
unterwegs im Dreieck Kaiser-Joseph-Straße, Rathausplatz, Bertholdstraße
Danach bummelten die Töchter bei H&M und Hallhuber, wo die Preise, das Warenangebot an Textilien und der Modegeschmack nicht zusammen passten. Unerledigter Dinge schlenderten wir in dem Dreieck Kaiser-Joseph-Straße, Rathausplatz, Bertholdstraße umher. In einem Uhrengeschäft besorgten wir eine Batterie für die stehen gebliebene Uhr des Schwagers. Danach drehten wir zurück auf die Rathausgasse, wo unsere große Tochter bei Orsay dann doch fündig wurde. Gleich mehrere Oberteile und T-Shirts hatten wir gekauft, die wir dann in unseren Rucksäcken und Taschen verstauten, da wir uns umweltbewusst verhalten wollten, um Plastiktüten zu vermeiden.
Unser Bummel schritt fort zu einem weiteren Buchladen. In Freiburg sind es nicht die übergroßen Buchläden wie bei uns in Bonn Thalia oder in Köln die Mayersche Buchhandlung, wo sich das Buchangebot in der Art eines Warenhauses ausgiebig über mehrere Etagen verteilt. Die Buchläden in Freiburg sind einige Dimensionen kleiner, wobei die schiere Größe nichts aussagen muss, wie sortiert, wie anregend und wie inspirierend das Angebot von Büchern und guter Literatur sein kann. In der Buchhandlung Rombach luden jedenfalls viele Ecken mit Sitzmöbeln zum Schmökern in dicken Wälzern und in dünnen Taschenbüchern ein.
Während ich in einer Lektüre über den Schwarzwald eingetaucht war, riß uns ein Ausruf unserer großen Tochter aus den geistigen Tiefen der Regionalliteratur. Ein Anruf war auf ihrem Handy eingegangen, den sie zeitversetzt erst jetzt bemerkt hatte. Es war das indische Restaurant, wo wir um die Mittagszeit gegessen hatten. Sie hatten uns ein Gericht zu viel in Rechnung gestellt, was wir nicht bemerkt hatten. Wir hatten nicht nachgezählt, es hatte ausgezeichnet geschmeckt, und für fünf Personen 115 Euro in einem Restaurant zu bezahlen, erschien uns nicht überhöht. Bis halb drei sei noch jemand in dem Restaurant, diese Nachricht hatte man auf der Mobilbox hinterlassen. Diese Zeit war längst vorbei, so dass wir beschlossen, vor unserer Abfahrt in dem Restaurant vorbei zu schauen.
Tryptichon auf dem Altar der Freiburger Münsterkirche (oben), Modegeschäft vor dem Rathausplatz (Mitte),
unsere Füße auf dem Steinpflaster (unten)
Inzwischen waren wir den ganzen Nachmittag in Freiburg auf den Beinen, so dass wir bei immer noch hochsommerlichen Temperaturen Lust hatten, in einer Eisdiele Eis zu essen. Eine hübsche Eisdiele am Rathausplatz gewährte einen Blick auf das alte Freiburger Rathaus im Stil der Renaissance aus dem 16. Jahrhundert. Doch im Außenbereich waren leider keine Plätze mehr frei, so dass wir im Inneren unser Eis schlecken mussten. Trotz des riesigen Andranges von Eisessern war die Wartezeit kurz. Da sich die Eiskarte an unserem Tisch im wesentlichen auf die verschiedensten Kombinationen von Erdbeereis mit frischen Erdbeeren beschränkte, aßen die meisten unter uns einen Erdbeerbecher.
Für 18 Uhr hatten wir die Rückreise anvisiert, so dass das in Freiburg verbleibende Zeitkontingent allmählich zusammen schrumpfte. Sechs Stunden Freiburg sollten in Windeseile verfliegen. So harrten wir noch eine Zeit lang in der Eisdiele aus. Wir quatschten, quasselten, besprachen uns, tauschten uns aus, wir suchten uns auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren, wir erwähnten Beiläufiges und Nebensächliches. Wir genossen die Zeit miteinander.
Auf dem Weg zum Parkhaus schauten wir in dem Indischen Restaurant vorbei, wo wir vor 18 Uhr zwar mit jemandem hinter der Theke über den zu viel einbehaltenen Rechnungsbetrag reden konnten. Dieser freundliche Mitarbeiter, der wie ein Kellner aussah, aber keiner war, hatte aber keine Befugnis, uns diesen Betrag auszuzahlen. Dies musste dann unsere große Tochter nach unserer Abfahrt erledigen.
Ganz wehleidig mit einer Unsicherheit, wann es das nächste Wiedersehen mit unserer großen Tochter geben würde, verabschiedeten wir uns im Parkhaus am Schwabentor. Die Rückfahrt in unserem gemieteten Peugeot 3008 hielt noch ein paar Überraschungen bereit. Das Ende der Hitzewelle begleiteten Gewitter. Bei Offenburg fuhren wir mitten durch eine Gewitterwolke hindurch, so dass ein Platzregen so sehr schüttete, dass die Scheibenwischer die Wassermassen kaum wegschaffen konnten. Die nächsten Gewitter folgten in Rheinhessen. Weniger heftig, dauerten sie um so länger an. An der Nahe und im Hunsrück kamen wir kaum heraus aus den Gewittern, bis wir an der Ausfahrt der Autobahn A61 bei Waldlaubersheim bei Mc Donald’s eine Pause einlegten. Erst kurz gegen 23 Uhr waren wir mit dem Peugeot 3008 vor unserer Haustüre zurück gekehrt.

Tagebuch Juli 2019

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1. Juli 2019
An meinem 60. Geburtstag war ich froh, dass es ein ganz gewöhnlicher Tag war, der nicht aus der Reihe fiel. Dazu trug maßgeblich mein Arbeitstag bei, der voll gepackt war mit Terminen. Von 13 Uhr bis 16 Uhr war ich durchgängig in Terminen, so dass ich seit dem Morgen damit beschäftigt war, mich einzulesen in Themen, die Termine vorzubereiten und wichtige Sachverhalte heraus zu schreiben. Ich verschwendete keinen Gedanken an diesen bedeutungsschweren Tag, und ähnlich erging es meinen Kollegen. Nur ein Kollege gratulierte. Ein anderer Kollege wollte mich unbedingt während der nahtlos ineinander übergehenden nachmittäglichen Termine sprechen, leider musste ich ihn abwimmeln. Mein Chef dachte erst am nächsten Tag an mich und gratulierte nachträglich. Dass nicht großartig „Happy Birthday“ gesungen wurde oder große Geschenke überreicht wurden, war mir sehr lieb. So mancher mag über die Oberflächlichkeit von sozialen Netzwerken schimpfen, doch in dieser Hinsicht erfüllen sie genau ihren Zweck. Insgesamt 25 Facebook-Freunde hatten mir zum Geburtstag gratuliert, darunter viele, bei denen zuletzt meine eigenen Geburtstagwünsche infolge Zeitmangels untergegangen waren. Gegenüber den übrigen Gratulanten waren diejenigen aus der Facebook-Community am zahlreichsten vertreten. Als ich zu Hause ankam, war es nicht so, dass das Telefon pausenlos bimmelte. Die eigene Familie war dabei, Freunde aus Düsseldorf und Freunde aus dem Saarland. Per SMS kam nichts an, Whatsapp habe ich nicht auf meinem Handy. Etwas komisch, verzerrt und nicht unbedingt erwünscht waren Glückwünsche aus irgendwelchen Kundendatenbanken. So gratulierte mir etwa die Raiffeisenbank, obschon ich gar kein Konto bei der Raiffeisenbank habe. Andere Kundendatenbanken hatten mir Knauber als Gratulanten beschert, die mir einen Einkaufsgutschein über einen einstelligen Betrag zukommen ließen.
2. Juli 2019
Der Tag danach war derjenige Tag, an dem wir feiern wollten, zumindest ein bißchen. Dass wir vor unserem eigenen Herde stehen und kochen würden, danach war mir nicht zumute. So fiel die Abfrage, in welchem Restaurant wir essen gehen wollten, auf die Siegfähre. Montags war das Lokal geschlossen, so dass wir unseren Restaurantbesuch auf den Folgetag verschoben. Da die Speisekarte im wesentlichen die Schnitzel-Küche im Angebot hatte, gehörte dieses Restaurant nicht unbedingt zu meinen Lieblings-Restaurants. Dafür war aber die Lage nicht zu überbieten. Ein Biergarten direkt an den Ufern der Sieg, ein Fährhaus mit einem großen Lokal, dessen Außengastronomie unter einem alten Baumbestand reichlich Plätze bereit hielt. Weil dieser Biergarten ein Alleinstellungsmerkmal besaß, da es nichts vergleichbares in der näheren Umgebung gab, war es dementsprechend voll. Draußen erwischten wir eine der letzten unbesetzten Tische, doch nachdem die Kellnerin unsere Bestellung aufgenommen hatte, wechselten wir in den Innenraum. Ohne Jacke war es meiner Frau zu kalt. Beim Wechseln in den Innenraum hörte ich von einem Tisch … „die kenne ich doch aus der Grundschule“. Es war die Mutter einer Klassenkameradin, die in derselben Klasse war wie unsere Tochter. Gelegentlich traf ich sie während der spät abendlichen Einkäufe im Supermarkt. Da sie ein ganzes Stück entfernt saß, winkten wir ihr zu und führten kein Gespräch. Kurz bevor wir unseren Tisch wechselten, hatte ein irres Hundegebell einen Höllenlärm erzeugt, weil der eine Hund beim Verlassen des Biergartens mit einem anderen Hund aneinander geriet, wie wild kläfften sie sich gegenseitig an, wobei beide Hunde sich einfach nicht beruhigen ließen. Als wir drinnen an einem Ecktisch Platz genommen hatten, taten wir uns schwer mit der Speiseauswahl für unsere Tochter, die wegen Durchfall krankgeschrieben war und seit einer Woche die Schule nicht besucht hatte. Die Tomatensuppe war uns zu unsicher, genauso die Folienkartoffeln. Schließlich war es ein Korb mit ganz normalem Baguettebrot, das uns auf der Rechnung nicht berechnet wurde und welches unsere Tochter in größeren Mengen verspeiste. Unser Sohn wählte Medaillons aus, meine Frau aß einen Salatteller, mein Schwager aß Wiener und ich selbst Jägerschnitzel. Da das Fleisch nicht wirklich zart war, hatte ich mit dem Restbestand meiner Zähne, von denen einige ausgefallen waren, meine Probleme. Alles in allem schmeckte das Schnitzel mit der Soße voller Pilzen und den weichen und gleichzeitig beißfesten Fritten durchaus lecker, wobei ich effektiv wegen der weniger vorhandenen Zähne langsamer aß als die anderen. Während des Essens hatten wir Gelegenheit, auf den gemütlichen Flusslauf der Sieg zu schauen und darauf, was die Menschen am anderen Ufer der Sieg so umtrieb. Ein Hund hatte sich weit in das Flussbett hinein getraut und es bereitete ihm offensichtlich Spaß, seinen großen Körper in den Wassern der Sieg zu baden. Andere lagen der Länge nach faul im Gras und ließen sich von der Abendsonne bescheinen. Unsere Tochter bezeichnete dieses Nichtstun als „Yoga“, wobei sie hinterfragte, was man im Sinne von Meditationstechniken eigentlich unter „Yoga“ verstehe. Die genaue Begrifflichkeit von „Yoga“ konnten wir unter uns nicht klären. Indes lag das Pärchen weiterhin untätig faul im Gras herum, während sich nichts um sie herum regte. Nachdem wir aufgegessen hatten, bestellte meine Frau noch einen Portugieser Weißherbst, der einen feinherben Geschmack hatte. Nachdem sie diesen ausgetrunken hatte, machten wir uns auf den Nachhauseweg, und am anderen Siegufer praktizierte das Pärchen weiterhin ihr Yoga-Nichtstun.
3. Juli 2019
Dass man wie bei Restaurants auch Auszeichnungen für Eiscafés vergeben kann, das klingt vom Prinzip her logisch. Sind es bei Restaurants Sterne, womit sie sich bei einer ausgezeichneten Qualität des Essens zieren können, so ist es bei Eiscafés eine Hitliste. Eisprofis werden den Geschmack von Speiseeis bewerten können, wie erfrischend und wie lecker es ist. Per Zufall, als es draußen heiß war und mein Körper nach etwas Kühlem und Erfrischenden von innen verlangte, stoppte mein Fahrrad auf dem Rückweg vom Büro an einer roten Ampel in Bonn-Beuel. Dort beobachtete ich, wie eine Familie mit zwei Kindern aus einem Eiscafé kam und, Eis schleckend, vor dem Rotlicht der Ampel warteten. Die Hitze brannte, und so bewegte ich mich augenblicklich in das Eiscafé. Der Name „Eislabor“ klang außergewöhnlich und hatte nichts mit Chemie zu tun. Die Kugeln Malaga- und Pistazien-Eis schmeckten wirklich lecker, der Geschmack drang intensiv durch und brachten mein Inneres auf ein angenehm gekühltes Niveau. Auf die Fensterscheibe aufgeklebt, erblickte ich die Hitliste. Was war anderes zu erwarten ? Den ersten Platz belegte ein Eiscafé in Italien, es folgten Eiscafés in Irland, England und den USA. Dann aber, auf dem fünften Platz, erschien genau dieses Eislabor, wo ich mich gerade befand. Ein erlesener Fleck also, mit dem fünftbesten Eis auf der ganzen Welt.
4. Juli 2019
Alles in allem, war das eine feine Sache. Das Angenehme konnte ich mit dem Nützlichen verbinden, auf der Fahrt mit meinem Rennrad vom Büro aus nach Bornheim. Bornheim, ein unentdeckter Flecken in einer ziemlich direkten näheren Umgebung. Die Fahrt führte mich in einer relativ wüsten Anordnung über Nebenwege und Seitenstraßen vorbei an der Rheinischen Landesklinik, vorbei am Verteilerkreis, durch die Gewerbegebiete von Tannenbusch und Dransdorf, schließlich geradeaus über die Landstraße von Roisdorf nach Bornheim. Linksrheinisch und abseits von unserem Wohnort gelegen, sind die Fahrradfahrten in der Bornheimer Umgebung äußerst selten. Es ging zur Fußpflege nach Bornheim. Nachdem die Fußpflegerin ihre Praxis in unserem Wohnort aufgegeben hatte, hatte sie diese nach Bornheim verlegt. Einzelne Rennradtouren hatten mich durch Bornheim geführt, und nun sollte ich die Stadt, ein Konglomerat von 14 Orten zwischen Köln und Bonn, die hier ihren Sitz der Stadtverwaltung hatte, aus Sicht der Fußpflege kennen lernen. Es war das zweite Mal Fußpflege, die eine höchst sinnstiftende Prozedur für meine in die Jahre gekommenen Füße war. Das Schneiden und die Massage taten gut, nur zum Schluß kitzelte und kribbelte es bei der Behandlung unter den Füßen. Danach fühlten sich meine Füße wie neu geboren, so ungefähr wie meine Zähne nach einer professionellen Zahnreinigung. Anschließend drehte ich mit dem Rennrad eine Runde durch den Stadtkern von Bornheim, wo ich im Brauhaus hängen blieb und ein Weizenbier trank. Ein Brauhaus in Bornheim: großspurig nannte es sich „Kaiserhalle“, in zentraler Lage gegenüber der Stadtverwaltung, der Sitzbereich draußen gestaltete sich in Zweierreihen großzügig. Am Tisch gegenüber schüttete eine Schar von Rentnern ein Bier nach dem anderen herunter, wobei ich die Verbindung nicht hinbekam, wieso gerade ein Kaiser dem Brauhaus den Namen geliehen hatte. Merkwürdigerweise lag das Brauhaus auf der Königstraße, und darüber hinaus gab es Kaiser zuhauf, das konnten römisch-deutsche Kaiser gewesen sein bis hin zur Kaiser-Wilhelm-Dynastie. Nachdem ich mich wieder auf mein Rennrad geschwungen hatte, lernte ich, dass Bornheim ein Verkehrsknotenpunkt von Pilgerrouten war. Viele Wege führen auf Pilgerwegen nach Rom oder nach Santiago de Compostella. Einer dieser Pilgerrouten führt von Walberberg nach Bornheim und dann nach Euskirchen. Wie die Pilgerwege durch Bornheim verlaufen, das konnte man an einer Säule studieren, die an dem nächsten Kreisverkehr aufgestellt war. Über den Apostelpfad, der sicherlich seine eigene Bedeutung hatte, verließ ich Bornheim.
5. Juli 2019
Die Kalkulation steht, die Angebote sind eingeholt, die Handwerksfirmen sind in Lauerstellung. Der Business-Plan liegt in den letzten Zügen, die Bank hat ein Hypothekendarlehen zugesagt. Die Umbaumaßnahme im Haus des verstorbenen Schwiegervaters zu drei Behinderten-WGs nimmt Formen an. Und wie so oft bei solchen rosigen und sinnstiftenden Plänen, sind es die Behörden, die einem in die Suppe spucken wollen. Wir haben ein Schreiben des Landschaftsverbandes erhalten, der die Gelder bereitstellt, womit die Kosten für die Unterbringung des Schwagers im Behindertenwohnheim bestritten werden. Der Landschaftsverband gewährt diese Gelder ab Mai nur noch als Darlehen, weil der Schwager nach der Vererbung Vermögen im Form eines Hauses besitzt. Der Landschaftsverband verzichtet erst dann auf die Rückforderung, wenn der Schwager tatsächlich die Immobilie selbst nutzt und bewohnt. Ab Mai werden erst einmal zehntausend Euro für die Monate bis Juli fällig. Dieses Schreiben traf uns wie ein Schlag, da der Sachbearbeiter des Landschaftsverbandes fernmündlich gegenüber meiner Frau genau die gegenteilige Auskunft erteilt hatte. Am Tag danach hatten wir einen Termin beim Amtsgericht, in dem ein Ersatzbetreuer zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und Verträgen bestellt wurde. Dem Ersatzbetreuer, der Rechtsanwalt war, erzählten wir von den Rückforderungen des Landschaftsverbandes. Wir hatten einen Anhörungsbogen erhalten, in dem wir uns innerhalb von einer Woche äußern sollten. Er kopierte sich das Schreiben des Landschaftsverbandes, er wollte um Fristverlängerung bitten, uns in dieser Angelegenheit behilflich sein und schlug einen gemeinsamen Termin mit dem Landschaftsverband vor. Er sah die Sache allerdings skeptisch, da der Landschaftsverband ansonsten gerne auf den Buchstaben des Gesetzes beharren würde.
6. Juli 2019
Nach längerer Zeit sind wir heute wieder bei der Tierärztin gelandet. Dass unser Kater Jumbo heute Morgen nicht gefressen hat, haben wir als Alarmzeichen gewertet, denn ansonsten strotzt er stets vor Gefräßigkeit, Ausgehungertheit und Gier nach Fressen. Stets beugt er sich über die Küchenanrichte, bevor er sein Fressen bekommt, und er frißt ständig den beiden anderen Katern ihr Fressen aus dessen Schale weg. Folglich musste etwas mit ihm nicht stimmen, zumal er am Vortag hechelnd in der Küche saß, nachdem unsere Tochter mit ihm im Garten gespielt hatte. Kurz darauf hatte er gewürgt, ohne sich zu erbrechen, dazu war sein Stuhlgang weich bis flüssig. Die Tierärztin diagnostizierte eine Halsentzündung, wobei er fest mit seinen beiden Schneidezähnen zubiss und sich nicht in den Hals hinein schauen lassen wollte. Eine Katze, die vor Jumbo an der Reihe war, hatte genau dieselben Symptome, und daraus schlussfolgerte sie die Halsentzündung, da sich diese Katze in den Rachenbereich hinein schauen ließ. Die Tierärztin verpasste Jumbo eine Spritze, so dass Jumbo bei der abendlichen Mahlzeit wieder unser gefräßiger, ausgehungerter, gieriger Kater war, so wie wir ihn kannten. Nachmittags erledigten wir unsere Wocheneinkäufe bei real, wobei wir auch wegen Anziehsachen für unsere Tochter bei TKMaxx und bei H&M hinein schauten. Frau und Tochter wurden fündig mit mehreren Hosen und T-Shirts.
7. Juli 2019
Was alles so herum steht. Das Haus des verstorbenen Schwiegervaters steht immer noch voll mit allerhand Hausrat, Kleinkram, Alltagsgegenständen, und was wir irgend wie verwerten oder auch entsorgen, läßt sich ungefähr an einer Hand abzählen. Immerhin, diese Eule wird einen neuen Liebhaber finden. Ein Bewohner des Behindertenwohnheims, der in das betreute Wohnen ausgelagert ist, sammelt Eulen aller Art. Diese Eule wird nun seine Sammlung bereichern. In unserer Küche, wo die Unordnung erneut Überhand genommen hat, haben wir die Eule nun gespült und sauber gemacht. Damit sie bald ihren Besitzer wechselt.
8. Juli 2019
Wie Bauvorhaben unsere Gesellschaft spalten in Arm und Reich. Der ganze Bereich des Wohnungsbaus passt in seinem Gefüge nicht zur Einkommensverteilung und ist in seinen Wohnlagen nach oben offen. Unser System der Marktwirtschaft regelt einen bedarfsgerechten Wohnungsbau nicht aus. Es gibt nicht genügend preisgünstigen Wohnraum, während hochpreisige Wohnlagen in viel zu großem Umfang vermarktet werden. Wie in anderen Bereichen, zieht sich das System der Marktwirtschaft an seinen Provisionen hoch. Diese befördern die Gier und das Gewinnstreben, um schnelles Geld zu verdienen. Direkt am Rhein entsteht Wohnraum für Reiche und Superreiche, während die Immobilienpreise allgemein stärker steigen als das Lohnniveau. Arme werden so immer ärmer, während Reiche und Superreiche durch Geschäftsmodelle und Gewinnspannen dazu verdienen. Das System der Verteilung auf Arm und Reich kollabiert.
9. Juli 2019
Ein Kugelschreiber, ein nützliches Instrument. Gestern hatte ich die Ehre, in einem funkelnagelneuen RRX-Zug der Deutschen Bahn fahren zu dürfen. Das Fahrgefühl war angenehm in dem RRX, der auf der Bahnlinie von Bonn nach Koblenz verkehrt. Der RRX war sogar pünktlich, so dass das angenehme Fahrgefühl in keinster Weise getrübt wurde. Mit ihrem silbrig-metallenen Outfit sind die RRX-Züge schon von außen ein Hingucker, und auch von innen war das Sitzgefühl angenehm auf den grau gepolsterten Sitzen, die gut zu dem Design des Personenzuges passten. Vor dem Aussteigen am Bonner Hauptbahnhof ließ sich die Deutsche Bahn etwas besonderes einfallen, um ihre Kunden zu verwöhnen. Eine freundliche und hübsche Dame zückte aus ihrer orangen Umhängetasche einen Kugelschreiber heraus. Ob sie mir einen Kugelschreiber als Dankeschön überreichen könne, weil ich als Bahnkunde den RRX benutzt hatte. Dankend nahm ich den Kugelschreiber an, zumal wir zu Hause und auch im Büro einen allgemeinen Mangel an Kugelschreiber haben. Die Minen an vielen Kugelschreibern sind leer. Wir sind zu faul, neue Minen zu kaufen, und wenn wir welche kaufen, dann stecken in den Kugelschreibern irgend welche komischen Minenformate, so dass sie nicht hineinpassen. Ich bin mir sicher, dass ich mit dem RRX-Kugelschreiber wichtige Notizen, wichtige Texte und allerhand wichtige Kritzeleien abfassen werde.
10. Juli 2019
Zwei Anstiege auf dem Rennrad waren vorüber, davon ein anstrengender über die Margarethenhöhe und der zweite von Oberpleis nach Westerhausen. Es war so selbstverständlich und auch so schön, dass nach der munteren Abfahrt von Söven nach Hennef mein Körper nach etwas Flüssigem verlangte. Die Kehle war trocken und ausgebrannt, der Durst äußerte sein dringendes Verlangen. Bei dieser Tour über die Margarethenhöhe nach Hennef war das Hennefer Wirtshaus mein Stammlokal für eine Pause, und obschon die Anzeichen der Ermüdung kaum ausgeprägt waren, genoss ich die Pause, das Innehalten und das Verweilen. Die Umgebung des Hennefer Wirtshauses bestach zwar nicht durch ihre Schönheit, aber es war ständig etwas in Bewegung. Hinter dem Hennfer Wirtshaus, das früher der Bahnhof war, versammelten sich die Züge, die hielten und abfuhren. Busse kamen und gingen in dem nahen Busbahnhof, Menschen spazierten unsortiert daher. Am Nachbartisch lamentierten drei Rentner darüber, wie sehr bei den Jüngeren die Welt zusammenbrach, wenn die Internetverbindung lahm gelegt war. „Kein Internet“ war ein Schimpfwort, in dem sich Regungslosigkeit und Verzweiflung entladen konnte. Ein ganzes Weltbild konnte in sich zusammen stürzen. Während ich das Stiftungsbräu aus Erding trank, beobachtete ich das Treiben und hörte den Gesprächen zu. Dem Stiftungsbräu gelang es bestens, meinen Durst nachhaltig zu löschen und neue Energie zu sammeln für die Rückfahrt nach Hause.
11. Juli 2019
Welcher Aufwand in den Feldern bei Troisdorf betrieben wird, um diese zu bewässern, ist irrsinnig. Schon alleine der Düsenwagen auf dem Anhänger ist groß, und die Leitungen, um das Wasser der Beregnung zuzuführen, queren die ganze Breite der Felder. Der Aufwand wird unüberschaubar, wenn man sich vorstellen muss, von wo das Wasser herkommt, welche Quellen angezapft werden müssen, um an diese Wassermengen heranzukommen, und auf welchen Wegen das Wasser in die Felder geleitet wird. Noch ist das Ausmaß des letzten Dürresommers nicht erreicht, doch die Vorzeichen weisen in dieselbe Richtung. Ich erinnere mich an Gespräche, denen ich gelauscht hatte, über fünf aufeinander folgende Dürresommer in Kalifornien. In den letzten Dürrejahren waren die Städte und Gemeinden per Dekret angewiesen worden, vierzig Prozent Wasser während der Hitzewellen des Sommers einsparen zu müssen, da die Wasserreserven effektiv nicht vorhanden waren. Drohen solche Szenarien auch auf den hiesigen Feldern ? Man wird es nicht gänzlich ausschließen können. In Dürrephasen übersteigt der Wasserbedarf der Landwirtschaft denjenigen der privaten Haushalte bei weitem, da Bewässerungen und Beregnungen einen großflächigen und extensiven Charakter haben. Einstweilen flößen einem diese Anlagen zur Bewässerung der Felder Respekt ein, als Zeichen des Klimawandels.
12. Juli 2019
Nun haben wir den Zustand erreicht, den wir aus den Wintermonaten allzu gut kennen. Ein erster Tierarztbesuch mit unserem Kater Jumbo letzten Samstag, und nun sind all unsere drei Katzen mit unterschiedlichen Krankheitssymptomen krank. Oskar plagt wieder der Herpesvirus, so dass wir ihm Augentropfen geben müssen. Unseren Kater Jumbo, der zuletzt eine Spritze gegen seine Halsentzündung bekommen hatte, hätten wir nachbehandeln müssen, das meinte die Tierärztin bei unserem heutigen Tierarztbesuch, wohin wir außer Jumbo unseren Kater Rambo mitgenommen hatten. Beide Kater, Jumbo und Rambo, fraßen nicht, dazu lag Jumbo den ganzen Tag apathisch im Haus herum. Bei Rambo klappten weder Fressen noch Verdauung. Wenn er denn fraß, erbrach er sich und breitete das heraus gewürgte Essen auf dem Fußboden herum. Die Tierärztin hörte bei beiden Katern die Herztöne ab, sie ertastete die Bauchgegend, sie maß Fieber und schaute in die Rachen hinein, wobei es ihr bei Jumbo diesmal gelang, seine zubeißenden Schneidezähne weit genug auseinander zu spreizen, so dass sie seinem energischen Biß entkommen konnte. Kein Fieber, die Rachen entzündet, Rambos Bauch zeigte Blähungen. Zwei Spritzen bekamen die Kater verpasst, Jumbo gegen die Rachenentzündung, Rambo gegen das Erbrechen, wobei Rambo überraschend ruhig und gelassen blieb, als die Nadel der Spritze in sein Fell einstach, denn das Medikament, das er eingespritzt bekam, musste wie verrückt brennen, das meinte die Tierärztin. Am Folgetag sollten wir beobachten, wie ihr allgemeiner Zustand sei, und uns telefonisch melden. Am darauf folgenden Tag entweder Tabletten verabreichen oder jeweils eine weitere Spritze in der Tierarztpraxis geben. Die Tierarztpraxis würde ich vorziehen, da war ich mir sicher. Tabletten in Rambo hinein zu bekommen, war ein Kraftakt sondergleichen. Gegen ein mehr als sehr Kilogramm schweres sich wehrendes Kraftpaket durchzusetzen, das war eine äußerste schwierige Prozedur.
13. Juli 2019
Obschon der Tag vollgeladen war mit Arbeit und mit Problemen, war er etwas besonderes. Es war der letzte Arbeitstag vor den Sommerferien, und wir freuten uns, dass wir mehr Zeit haben würden, dass wir ausschlafen könnten und die Zeit großzügiger verplanen könnten. Doch in diesem Jahr waren die Vorzeichen komplett anders. Spät kam ich nach Hause, nachdem ich an meinem Arbeitsplatz alles richtig sortiert und hinterlassen hatte. Mein Schwager saß bei uns zu Hause auf der Couch, nachdem er mit seinem Behindertentreff Minigolf gespielt und Eis gegessen hatte. Unsere Tochter hatte ihr Schulzeugnis erhalten, sie war versetzt worden. Allerdings war bei ihren Schulnoten einige Luft nach oben. Meine Frau erwartete mich, indem sie mir die Neuigkeiten erzählte zu dem Sachstand, dass der Landschaftsverband die Zahlungen an das Behindertenwohnheim nur noch in Form eines Darlehens gewährt wollte, was für die ersten drei Monate einen Betrag von rund zehntausend Euro ausmachte oder einen Jahresbetrag von vierzigtausend Euro. Im Endeffekt ging es um unser Umbauvorhaben, im Haus des verstorbenen Schwiegervaters drei Behinderten WGs einzurichten. Solange der Schwager dort nicht wohnte, wollte der Landschaftsverband die Zahlungen zurückfordern. Meine Frau hatte mit einem Mitarbeiter des Behindertenwohnheims in Königswinter-Itttenbach telefoniert, der ihr weiter helfen wollte, indem er seine Argumente aufgelistet hatte und ein Schreiben entworfen hatte. Gleichzeitig war ein Schreiben des Rechtsanwaltes mit der Post angekommen, den das Amtsgericht zum Ersatzbetreuer bestimmt hatte. Bei dem Termin im Amtsgericht hatte er den Sachverhalt eher skeptisch betrachtet. Unter diesen Begleitumständen und dennoch froh, in den nächsten drei Wochen nichts von der Arbeit um die Ohren zu haben, großzügiger mit der Zeit umgehen zu können und vielleicht sogar Zeit für schöne Dinge zu haben, fuhr ich Getränke einkaufen, während meine Frau das Abendessen – Nudeln mit Gehacktessoße – zubereitete. Schön während des Einkaufs waren düstere Wolken aufgezogen, die den ersehnten Regen brachten. Später, als es bereits dunkel war, zog sich der Himmel nochmals zu, indem es donnerte und blitzte. Beim Betrachten der düsteren Wolken kam ich nicht umhin, ein Unbehagen zu verspüren angesichts der Begleitumstände, um welche Größenordnungen es bei dem Umbauvorhaben ging und welche Risiken dieses Vorhaben in sich barg.
14. Juli 2019
War es vor ziemlich genau einem Jahr noch irre heiß, so fand in diesem Jahr das Street Food Festival in unserer Nachbarstadt bei angenehm abgekühlten Temperaturen statt. Dieses Street Food Festival bewies allerdings in diesem Jahr, dass Menge nicht unbedingt Qualität bedeuten muss. Die Anzahl der Stände hatte sich vergrößert und reichte bis vor das Rathaus. Wie bei anderen Street Food Festivals, waren die Stände mit Burgern und Pulled Pork überproportional vertreten. Da Burger nicht unbedingt zu unseren Lieblingsspeisen gehörten, waren wir bisweilen etwas orientierungslos. Zunächst suchten wir Thitas Imbissstand mit thailändischer Küche auf, wo wir ein Reis-Curry-Gericht verspeisten und zwei andere, dessen thailändische Bezeichnungen ich mir nicht merken konnte. Ich probierte von allen drei Gerichten, die allesamt ausgezeichnet schmeckten. Dabei plauderten wir mit Thita, die wir seit dem Street Food Festival vor einem Jahr nicht mehr gesehen hatten. Beim Bummeln über das übrige Street Food Festival begann die Orientierungslosigkeit, da wir das, was wir suchten, nicht fanden. Vor einem Jahr gab es einen Stand, der Pancakes verkaufte, den wir diesmal vermissten, ebenso ein Stand, an dem es Fritten aus frischen Kartoffeln gab, der fehlte. Mein suchender Blick verlor sich zwischen Friteusen an Pulled-Pork- oder Burger-Imbissständen, wo ich die Zubereitung von Fritten nur als Fertigprodukt entdecken konnte. Schließlich nahmen wir Fritten an einer mexikanischen Burger-Imbissbude, die nicht wirklich lecker schmeckten. Die Fritten waren gerade lauwarm, sie schmeckten geringfügig mehr nach frischen Kartoffeln als in der Frittenbude in unserem Ort und meiner Frau waren sie viel zu krümelig. Danach verschlug es meine Frau an einen Stand, wo es Maultaschen mit geschmelzten Zwiebeln gab, worauf ich allerdings keinen Hunger mehr hatte, weil ich zuvor die Portion Fritten meiner Frau mitessen durfte, weil sie ihr nicht geschmeckt hatten. Die wenigen Bisse, die ich probierte, schmeckten köstlich. Bei soviel vergeblichem Suchen kam schließlich ein Black-Out dazu. Die Veranstalter hatten sich offensichtlich bei der Stromversorgung verkalkuliert. Die Anzahl der Stromaggregate passte nicht mehr zu der erweiterten Anzahl der Stände, so dass an einigen Ständen der Strom ausfiel. Derweil positionierte die Musikgruppe „die Rockgören“ ihre Instrumente auf der Bühne. Würde sie überhaupt spielen können ? Ohne Strom eine Herausforderung. Ohne Mikrofon und ohne E-Gitarre wäre die Musik nur noch halb so viel Wert.
15. Juli 2019
Nochmal Street Food Festival. Am zweiten Tag beschlossen wir, zu Fuß in den Nachbarort zu laufen, hin über den Rheindamm und zurück die Landstraße entlang. Auf dem Hinweg studierten wir die Pflanzen und die Vegetation, und ich fügte kulturhistorische Notizen an wie zum Beispiel die Geschichte und den Baustil der Niederkasseler Kirche. Nach der Orientierungslosigkeit am Vortag gelang es uns diesmal besser, eine Struktur hinein zu bekommen, an welchen Ständen wir was in welcher Reihenfolge probieren wollten. Mitsamt Schwager waren wir zu viert, und den Reiz eines Street Food Festivals macht das häppchenweise Austesten an ausgewählten Imbissständen aus. So gingen wir vor und wir vermieden es, uns sogleich mit großen Portionen satt zu essen, sondern wir verteilten die Sättigung unseres Hungergefühls auf mehrere Stände. Als Auftakt wählten wir den schwäbischen Imbissstand mit den Maultaschen, wovon wir uns eine Portion unter uns vier aufteilten. Zwei Portionen für uns vier- so testeten wir uns an Thitas obligatorischen und ausgezeichneten Thailändischen Imbissstand bei Frau Panya Thaifood durch. Curryreis mit Huhn und knusprig gebackene Austerntaschen waren ein Genuss. Weiter ging es von Thailand nach Indonesien – eine kulinarische Reise, bei der sich die ausgezeichnete indonesische Küche mit der ausgezeichneten thailändischen Küche vollkommen auf Augenhöhe befand. Wir aßen Huhn mit einer Saté-Soße, was nur noch meine Frau und ich auskosteten. Zwischendurch gab es einen indonesischen Gemüse-Stau, weil dieses zur Neige gegangen war und neu zurecht geschnitten werden musste, so dass wir auf unsere Saté-Portion eine längere Zeit warten mussten. Ein Augenschmaus, wie unsere Gaumen feststellten, schön wie ein Kunstwerk arrangiert mit dem Reis in der Mitte, dem Gemüse, den Krabbenchips, dem Hähnchenfleisch und der Erdnusssoße am Rand. Derweil stieß die Befragung des Schwagers, an welchen Ständen er sich gerne verköstigen würde, auf keine nennenswerte Resonanz. Er hatte sich auf eine Krakauer versteift, die allerdings nirgendwo in die Angebotspalette der zahlreich vertretenen Burger- und Pulled-Pork-Stände fiel. Betrachteten wir die Gesamt-Auswahl aller Stände, so waren Burger und Pulled Pork überproportional vertreten, während sich Stände mit einem feineren Gaumenschmaus zurück hielten. Selbst für eine ganz normale Currywurst, die hier als „Pottcurrywurst“ angeboten wurde, vermochte der Schwager sich nicht zu begeistern, weil er auf die Krakauer fixiert war. Schließlich begaben wir uns an einen der Pulled-Pork-Imbissstände, wo eine ganz normale Portion Fritten den Durchschnittsgeschmack von uns vieren am besten bediente. Bereits am Vortag waren wir verzweifelt, dass es unter all diesem Pulled-Pork-Gedönse keinen Stand gab, der Fritten aus frischen Kartoffeln zubereitete- ein innerhalb der Frittengastronomie inzwischen gängiger Qualitätsstandard. So nahmen wir Vorlieb mit dem Industriestandard von Fritten, die einmal schnell in die Fritteuse geschmissen wurden und dann fertig waren. Bereits gesättigt, beobachtete ich, wie Frau und Schwager die langen goldigen Stäbchen in sich hinein stopften. Bevor wir uns bei Thita, unserer thailändischen Freundin, verabschiedeten, wartete noch ein Leckerbissen auf unsere Tochter. Die Krabbenchips, die sie auf dem Saté-Teller bemerkt hatte, gab es bei Frau Panya Thaifood in der Tüte. Die Krabbenchips aus der Tüte vor sich her knabbernd, verließen wir über die Hauptstraße das Street Food Festival. Als wir noch in der Nähe der Bühne gestanden hatten, hatten wir vernommen, dass das dritte Event in dieser Art wohl genau in einem Jahr statt finden wird. Zu Recht, obschon am Tag zuvor ein Stromausfall das Event spätabends glatte drei Stunden lahm gelegt hatte. Wir kommen sicherlich gerne in einem Jahr wieder.
16. Juli 2019
Bisweilen lassen sich die Dinge bei uns außergewöhnlich viel Zeit. Nicht zum letzten Weihnachtsfest, sondern zum Weihnachtsfest vor anderthalb Jahren hatten wir unserer Tochter einen Smoothie-Maker geschenkt. Ein Gerät, das alsbald auf der Küchenanrichte herum stand. Ein Gerät, das in der allgemeinen Unordnung zwischen dem Wasserkocher, wechselnden zu nehmenden Medikamenten, meiner eigenen Zettelwirtschaft und der Ablagestelle für Geldbörse, Autoschlüssel, Brille, Schlüssel für das Fahrradschloß unterging. Ein Gerät, das schnell in Vergessenheit geriet, und wir dachten auch gar nicht daran, uns mit Smoothies zu befassen. Smoothies ? Seiner Zeit, vor mehr als anderthalb Jahren hatte unsere Tochter Neugierde und Interesse geäußert, was man sich an Smoothies und Drinks zusammen mixen kann. Ganz viel Obst, exotische Säfte mit einem Hauch der Tropen, herzerfrischend in der heißen Jahreszeit. Drinks, die in der kalten Jahreszeit im wohl temperierten Wohnzimmer auf der Couch auf der Zunge zergehen sollten. Phantasie und Einfälle waren groß, doch wir brachten keinerlei Smoothies auf die Reihe. Mir kam all die Mixerei zu abgehoben vor, während der Rest der Familie im Internet effektiv nicht fündig wurde. Nichts, was so interessant wie unsere Vorstellungen klang, war dabei. Stückwerk in Google, Stückwerk in Youtube. Die zündenden Rezepte fehlten. Das blieb auch so, so dass ich nach einem Jahr, in dem das Smoothie-Gerät einfach nur herum stand, dieses in das oberste Fach unseres Küchenhochschrankes abschob. Die Abschiebepraxis beförderte das Gerät in immer tiefere Schichten der Vergessenheit. Es verstaubte auf dem Dachboden unserer Erinnerung, doch dies änderte sich heute mit einer Idee. Natürlich hatte meine Frau diese Idee. Wie lecker man die Zutaten miteinander kombinieren kann, was zusammen am besten schmeckt, welche leckeren Ideen man zusammenbringen kann, ohne sich an sture Rezepte zu halten, darin ist meine Frau ein Genie. Nicht nur im Behindertenwohnheim, wo sie in der Küche steht, sondern auch zu Hause besticht sie mit ihren Ideen. Ursprünglich waren es die Bananen, die wir wegwerfen wollten, weil sie niemand gegessen hatte. Die Schale hatte braune Stellen, doch man konnte sie noch essen, so dass sie zum Wegwerfen zu schaden waren. Dann, wie aus dem Nichts, besann sich meine Frau auf den Smoothie-Maker und zauberte ein Rezept aus dem Hut, womit sie all den Google-Suchergebnissen kilometerweit überlegen war.
17. Juli 2019
Warum steht das bei den Viechern nicht dran, meinte meine Frau. Wir beide waren fassungslos, wie viel organisches Leben wir womöglich vernichtet hatten. Weiße längliche Larven von bestimmt zwei Zentimetern Länge waren uns in unserem Komposthaufen und auch in unseren Hochbeeten, als wir diese abgeschichtet und geleert hatten, aufgefallen. Diese hatten wir als Schädlinge vermutet und so weit es ging, vernichtet. Doch die Welt sah nun mit einem Mal anders aus. Meine Frau hatte einen stämmigen und dicken Käfer gesichtet, der vor den Ziegelsteinen unseres höher gelegten Beetes umher krabbelte. Ein stattliches Exemplar, mehr als fünf Zentimeter lang, sehr hübsch anzusehen. Die Maikäfer, die ich als Kind im Garten meiner Eltern beobachtet hatte, waren in demgegenüber in ihrer Größe geradezu lächerlich. In Google recherchierten wir, dass es sich bei diesem übergroßen Exemplar eines Käfers um einen Nashornkäfer handeln musste. Von der Verwandlung von der Larve über die Puppe bis zum Käfer lag ein übermäßig langer Zeitraum, wobei unsere Hochbeete den idealen Lebensraum für die Verpuppung darstellen. Dort legt das Weibchen kleine gelbliche Eier ab, dessen weiße Larven zu einer Länge von ein bis drei Zentimeter wuchsen. Das Stadium von Larven und Verpuppung dauert extrem lange über zwei bis fünf Jahre, während die eigentliche Lebenszeit des Nashornkäfers sehr kurz war, nämlich gerade einmal zwei bis drei Monate. Genau dieses Glück wurde uns beschert, als wir dieses krabbelnde Etwas als einen Nashornkäfer identifizieren konnten. Ein Nützling und kein Schädling, worüber uns Google aufklärte. Wir staunten nicht schlecht über den Nashornkäfer, aber wir waren entsetzt, welche Menge von Larven wir beseitigt hatten. Künftig werden wir die Larven des Nashornkäfers in unseren Hochbeeten fleißig in Ruhe lassen. So dass sie sich demnächst in unserem Garten super-wohl fühlen werden und in einer noch größeren Anzahl umher krabbeln werden.
18. Juli 2019
So wenig Stress beim Packen hatte ich selten miterlebt, als wir dem Legoland unseren alljährlichen Besuch abstatteten. Vier Tage waren wir diesmal weg von zu Hause, wobei sich die Packerei dadurch erleichterte, dass wir nur zu dritt waren. Schwager, Tochter, meine Wenigkeit, wegen Katzen und so weiter hütete meine Frau das Haus. Mit einem Mal wurde die Packerei, die uns in der Vergangenheit bisweilen an den Rand der Verzweiflung gebracht hatte, weil die wichtigsten und notwendigsten Dinge in der Ferienwohnung gefehlt hatten, zu einer selbstverständlichen und unkomplizierten Angelegenheit. Das Prinzip war ganz einfach: wir packten fast nichts am Vortag, sondern alles am Abreisetag. Sollte etwas fehlen, sollte es in der Stadt des Legolandes in Günzburg eingekauft werden, da die Infrastruktur von Supermärkten dort nicht schlechter war als sonstwo. Um seinen Koffer hatte sich der Schwager gekümmert, unsere Tochter um ihre Kulturtasche. Wurst, Käse und Verpflegung für die Autofahrt hatte ich in die Kühltasche gesteckt, Mineralwasser in die Kofferraum geladen, die Box mit etwas Kleinkram genauso. Um die Anziehsachen der Tochter kümmerte sich meine Frau, für die Autofahrt hatte die Tochter DVDs, das Abspielgerät, diverse Zeichenblocks und Buntstifte eingepackt, wobei sie sich später im Auto die meiste Zeit mit ihrem Smartphone beschäftigte. Alles also ganz einfach, und als mir kurz darauf einfiel, dass ich keinen Fahrzeugschein dabei hatte und dass wir die dreibeinigen Sitzstühle nicht mitgenommen hatten, verschwendete ich keinen Gedanken mehr daran. Es war so denkbar unkompliziert, in der geänderten Umgebung mit dem Familienererlebnis des Legolands sich neu sortieren und neu sammeln zu können. Irgendwann konnte der Alltag zur Last werden, und diese Last galt es nun abzustreifen. Ohne Stau ging es natürlich nicht. Nummer 1 lag im Hunsrück hinter Boppard, der zweite Stau bei Pforzheim, als sich der Spuren der Autobahn auf zwei Spuren verengten, Nummer 3 auf der Autobahn A8 bei Stuttgart vor der Ausfahrt Wendlingen. Dieser Stau war besonders nervig, weil ich die Autobahn verlassen hatte und in Nürtingen ein Desaster erlebt hatte. Die Stadtmitte war Baustelle, so dass der Verkehr über irgendwelche Seitenstraßen umgeleitet wurde, wo es sich extrem staute. Als ich über die Bundesstraße auf die Autobahn fahren wollte, ging nichts mehr, weil sie genau zu derjenigen Ölspur an der Autobahnausfahrt führte, die Ursache für den Stau war, dem ich auszuweichen gesucht hatte. Dadurch musste ich noch einen weiteren Schlenker über einen Stadtteil von Nürtingen drehen. Bis ich an der gegenüberliegenden Fahrspur der Ölspur auf die Autobahn fuhr, hatte mich dies rund eine Stunde gekostet. Eine Stunde, die ich genauso im Stau gestanden hätte, wenn ich auf der Autobahn geblieben wäre, das hatten danach die Verkehrsnachrichten gemeldet. In der Ferienwohnung genoss ich es, irgendwo anders angekommen zu sein, wo so vieles vertraut war und dennoch so verschieden, dass ich mich auf diese Tage des Ausspannens unendlich freute.
19. Juli 2019
… Impressionen aus dem Legoland Günzburg. Unsere Tochter meinte, ich sollte mich meiner Angst stellen, womit sie meine Höhenangst auf Achterbahnen und ähnlichen waghalsigen Fahrgeschäften meinte. Am ersten Tag unseres Legolandbesuchs arbeitete ich an der Überwindung meiner Angstgefühle auf der X-Treme-Achterbahn, allerdings mit mäßigem Erfolg. Das erste Mal verschloss ich während der kompletten Fahrt meine Augen, das zweite Mal verschlugen mir mit geöffneten Augen die Fliehkräfte in den Kurven in luftiger Höhe ohne festen Boden unter den Füßen den Atem, weil ich dachte, ich würde jeden Moment aus dem Gefährt heraus geschleudert. Doch am Schluss der Fahrt kam ich heil an, und so ganz konnte ich nicht begreifen, wie solch ein Nervenkitzel vollkommen abgehoben über dem Erdboden andere begeistern konnte. Egal. Wie gewohnt, war es am ersten Tag im Legoland das harmonische Familienerlebnis inmitten der Steine, die die Welt bedeuten, wie wir es kannten. Wir staunten über all die schönen Dinge, die man mit den Legoklötzen bauen konnte. Wir stiegen ein in die Fahrgeschäfte, stürzten auf der Wildwasserbahn hinab in die Tiefe, wir lernten die neue Attraktion von nachgebauten Heißluftballons kennen. Wir fuhren mit der Eisenbahn und dem Bötchen, wir tauchten in die Unterwasserwelten der versunkenen Stadt Atlantis ein. Wir schlugen die Schlachten auf der Piratenbahn und wurden von allen Seiten nassgespritzt, wobei die feindlichen Piraten eine ähnliche Menge Wasser abbekamen. Den Nervenkitzel des Power Builder, des Flying Ninjago und der Drachenachterbahn meisterte unsere Tochter alleine. Von oben, von unten, in rasender Geschwindigkeit und still beobachtend wechselten unsere Blickwinkel ständig. Sonne und Wolken im Wechsel, nicht zu heiß und begleitet von ein paar sich verirrenden Regentropfen, war das Wetter ideal temperiert. Dennoch war der Besucherandrang überschaubar, so dass die Wartezeiten überraschend kurz waren. So gelangten wir auf ganz viele Fahrgeschäfte, wahnsinnig viel rannten wir kreuz und quer von einer Ecke in die andere auf dem Gelände des Freizeitparks. Dementsprechend müde und voller Eindrücke waren wir, als die Fahrgeschäfte um 19 Uhr schlossen und der Freizeitpark um 20 Uhr schloss.
20. Juli 2019
Am zweiten Tag unseres Legolandbesuches war der Besucherandrang weitaus reger, und man konnte sogar behaupten, dass es regelrecht voll war im Legoland. So stellte sich die Situation komplett anders dar, da wir an den Fahrgeschäften dementsprechend lange warten mussten. Schließlich hatten wir Samstag, und am Werktag zuvor spürte man, dass in Bayern und Baden-Württemberg die Kinder noch in der Schule waren, weil die Sommerferien noch nicht begonnen hatten. In Kombination damit, dass das Wetter wärmer war, geradezu heiß, beeinflusste dies die Auswahl der Fahrgeschäfte. Da unserer Tochter nicht danach zumute war, in prallem Sonnenschein in langen Warteschlangen stehen zu müssen, schränkte dies die Auswahl der Fahrgeschäfte ein. Nicht in Frage kamen die X-Treme-Racer-Achterbahn sowie die Wildwasserbahn wegen der zu langen Warteschlangen, außerdem brodelte die Warteschlange vor dem Flying Ninjago in der prallen Sonne. So mussten wir unsere Aktivitäten verlagern. Im wesentlichen dorthin, wo die Warteschlangen sich in Innenräumen zusammen reihten. So entwickelte unsere Tochter eine ungeahnte Leidenschaft für den Power Builder, dessen Zusammenspiel, wie sehr der Mensch in den Fängen der Technik gefangen war, ich skeptisch betrachtete. In diesem Zusammenspiel zwischen Mensch und Industrieroboter kettete sich der Mensch auf eine spielerische Art an den Roboter an, wobei er wählen konnte, auf welchen Levels ihn wie der Industrieroboter durch die Luft wirbeln konnte. Das erinnerte mich an den Stummfilm „Modern Times“ mit Charlie Chaplin, in dem der Mensch in das Zahnrad einer Maschine hinein geriet und all seine Physiognomie an dieses Räderwerk anpassen musste. Andere Attraktionen, wo sich die Warteschlangen in Innenräumen formierten, waren der Ninjago-Ride oder die Tempel-X-Pedition. Gleich mehrfach hintereinander schlugen wir große Schlachten in der Piratenschlacht, die wir klatschnass und mit allen Wassern vollgespritzt verließen. Das war genau die richtige Abkühlung bei den heißer gewordenen Temperaturen. Den höheren Temperaturen entkamen wir ebenso im 4D-Kino, wo ein Ninjago-Film abgespielt wurde. Als Wolken am frühen Nachmittag am Himmel aufmarschierten und sogar ein paar Spritzer Regen für Abkühlung sorgten, normalisierten sich die von uns ausgewählten Fahrgeschäfte. Mit dem Normalmaß der Warteschlange war die X-Treme-Racer-Achterbahn nicht mehr zu verhindern. Wir fuhren mit der Eisenbahn, zum Schluss klappte es mit der Wildwasserbahn und zwischendurch genossen wir den Blick von ganz oben. Ein majestätischer Blick von ganz oben vom Legoturm aus. Ein Blick, der auch nzeigte, wie das Leogland gewachsen war mit immer mehr Attraktionen, die wir seit unserem allerersten Besuch im Jahr 2003 kontinuierlich mit verfolgen konnten.
21. Juli 2019
Der Stau war ärgerlich, doch ohne Staus geht anscheinend auf den Autobahnen in unserem Lande nichts. Zehn Kilometer Stau waren auf der Autobahn A7 zwischen Aalen/Oberkochen und Dinkelsbühl/Fichtenau gemeldet, so dass ich bei Aalen/Oberkochen die Autobahn verließ und den Stau zu umfahren versuchte. Dass dies vollkommen misslungen war, bemerkte ich an der nächsten Auffahrt auf die Autobahn A7 bei Ellwangen, wo ich prompt genau in denjenigen Stau hinein geriet, den ich eigentlich umfahren wollte. Dort stand ich mehr als eine halbe Stunde, weil sich der Autoverkehr über eine einspurige Verkehrsführung durch den zu sanierenden Tunnel quälte. Diese Verzögerung hatte massive Auswirkungen auf den Zwischenstopp, den ich in Rothenburg ob der Tauber einlegen wollte. Das Zeitfenster schrumpfte so sehr, dass wir nicht einmal eine Stunde Zeit hatten. Unser führte auf direktem Weg zum Rathausplatz, wo ich ein paar Fotos machte, und dann direkt in den Ratskeller, wo wir bei früheren Abstechern gegessen hatten. Die Kellner waren schnell mit dem Servieren des Essens. Den Rundgang durch den Weihnachtsladen von Käthe Wohlfahrt sparten wir uns, zurück ging es mit einem direkten Marsch zum Parkplatz vor dem nördlichen Stadttor, wo wir unser Auto geparkt hatten.
22. Juli 2019
Schwerstarbeit bei 35 Grad Hitze. Dass wir die Kartoffeln ausmachen, ist überfällig. Die Tätigkeiten sind in der Hitze nicht organisierbar, da die Zeitfenster am frühen Morgen und am späten Abend sehr schmal sind. So bleibt nichts anderes übrig, dass Gartenarbeit auch in der unerträglichen Hitze des Nachmittags zu erledigen ist. Dementsprechend langsam sind die Bewegungen, die Mineralwasserflasche steht bereit, Flüssigkeit wird in großen Mengen getrunken. Ohne Schatten, denke ich an Sklavenarbeit auf Zuckerrohrplantagen in den USA, wo Sklaven bis in das 20. Jahrhundert unter ähnlichen Bedingungen arbeiten mussten. Während ich allerdings nach zwei Reihen Kartoffeln nach einer Stunde kapituliere, mussten Sklaven in der Affenhitze tage- und wochenlang schuften. Nach meiner Flucht ins Innere unseres Hauses durfte ich mich mit leichteren und weniger anstrengenden Tätigkeiten beschäftigen.
23. Juli 2019
Das war eine Art von Kick-off im Haus des verstorbenen Schwiegervaters. Wir haben losgelegt mit denjenigen Arbeiten, die wir selbst machen können. Und dies bei unerträglichen Temperaturen draußen, die sich im Haus ein wenig gemäßigt haben. Mit dem Tapete-Abreißen haben wir losgelegt. Viel viel Wasser, jede Menge Wasser und immer wieder Wasser auf die Tapete, das hat meine Frau gepredigt. Obschon wir beinahe eine Überschwemmung zustande gebracht haben, gestaltete sich das Abreißen mühselig. Alles Stückwerk, nie ließ sich die Tapete in ganzen Bahnen abreißen, der Spachtel musste sich Stück für Stück vorarbeiten. In zwei Tagen haben wir den Flur im Obergeschoss geschafft. Jede Menge weitere Arbeiten in Form von Abbruch, Demontage und Tapete-Abreißen warten auf uns.
24. Juli 2019
In diesen Tagen der Hitze bleibe ich meinen Grundsätzen des Trinkens wenig treu. Verbreitete 40 Grad meldet der Wetterbericht für Morgen, wobei St. Augustin mit 40,2 Grad den heutigen Spitzenwert in NRW erreicht hat. Natürlich muss man sich von innen ordentlich abkühlen, damit man die Hitze ertragen kann. Da Mineralwasser nur zeitweilig effektiv den Durst löscht, müssen andere Getränke her. Auf Rot- oder Weißwein, den ich gerne in den angenehmeren Jahreszeiten trinke, verzichte ich, da große Mengen Flüssigkeit den Alkoholpegel rasch durcheinander bringen. Bei solchen Hitzewellen bevorzuge ich Bier, das zu den übrigen Jahreszeiten nahezu unangetastet im Keller herum steht, weil ich viel Fassbrause, wenig Wein und nahezu kein Bier trinke. In der Tat, kühlt ein Bier aus dem Kühlschrank optimal gegen die Rekord-Sommerhitze. Dabei liebe ich es, die Biersorten aus der reichen Auswahl deutscher Biere zu variieren. Normalerweise stehe ich auf Biersorten mit vielen Bitterstoffen – wie zum Beispiel Bitburger – doch so manches andere Bier befindet sich mindestens auf Augenhöhe mit meinem Lieblings-Bier aus der Eifel. So habe ich in den vergangenen Hitzewochen etwa das Schwarzbier von Köstritzer genossen, das vollmundig herbe Jever aus Ostfriesland oder ein klar schmeckendes Krombacher aus dem Sauerland. Ich habe es sogar gewagt, mich in die seichteren Gefilden des Bierbrauens nach Bayern zu begeben. Bayrisches Bier ist mir stets zu weich, zu geschmacksneutral, zu sehr dem Mainstream folgend gewesen. Einen Kasten Mönchshof-Kellerbier habe ich heute im Getränkemarkt im Angebot gekauft. Schmeckt nicht schlecht, haut mich aber nicht unbedingt vom Hocker. Abwechselnd mit Bitburger getrunken, ist es vielleicht genau die richtige Kombination mit einem durchdringenden und intensiven sowie einem leichten Geschmack. Gegen die Abendhitze genau die richtige Abkühlung.
25. Juli 2019
So ganz richtig war ich gestern nicht unterwegs. Die Fakten stimmten nicht, denn Geilenkirchen war mit 40,5 Grad der heißeste Ort in NRW und nicht St. Augustin. Damit es heute mit den Fakten seine Richtigkeit hat, habe ich aus dem Wetterbericht in der Aktuellen Stunde einen Screenshot gemacht. Rekordwerte wurden mit 41.8 Grad in Marl gemessen, Neuss war mit 41,6 Grad dabei, die Messwerte von Köln, Bonn und Umgebung erschienen nicht ganz oben auf der Hitliste. Ich hasse solche Hitzewellen, da die normalen Tagesabläufe maßgeblich beeinträchtigt sind. Draußen erschlägt einen die Hitze, und jede Bewegung fällt schwer. Die Tageszeiten, in denen man die Tätigkeiten in einem gewohnten Pensum erledigen kann, schrumpfen auf ein Minimum. Ab der frühen Nachmittagszeit geht kaum noch etwas. Wir flüchteten in unseren klimatisierten VW Golf, der halbwegs Schutz bot. Die Fahrt zur Entsorgungsanlage der RSAG in Troisdorf hin und zurück war erträglich. Am späten Abend, kurz vor zehn Uhr, der Gang zum Supermarkt ein paar Straßen weiter. Es war nahezu nicht abgekühlt. Ganz schwer stapften meine Schritte daher. Die Hitze drückte unverändert wie eine Last. Jede Bewegung fiel schwer, und ich war froh, als ich das kühlere Innere des Supermarktes erreichte.
26. Juli 2019
Die Idee war genial, dem Höhepunkt der Hitzewelle durch unsere Wocheneinkäufe zu entkommen. So fuhren wir ins HUMA-Einkaufszentrum, wo das ganze Innere der Einkaufsmeile klimatisiert war. Wir stöberten in aller Ruhe, schauten nach Schuhen bei Deichmann, nach Hosen bei TKMaxx und nach Anziehsachen für unsere Tochter bei Orsay. Die Mayersche Buchhandlung ließen wir nicht aus, wir aßen beim Thailändischen Imbiss und wir dehnten unsere Wocheneinkäufe bei real in die Länge. An die vier Stunden verbrachten wir bei auszuhaltenden Temperaturen im HUMA-Einkaufszentrum, um danach zu Hause von der Hitze wieder erschlagen zu werden.
27. Juli 2019
Freiburg im Schnelldurchlauf mit einem Wiedersehen. Wir hatten uns mit unserer großen Tochter in Freiburg verabredet. Nach der Rekordhitze mit über 40 Grad, die bis zum Vortag angedauert hatte, kamen uns die Temperaturen wie eine Erlösung vor. Man konnte es wieder aushalten, und der leise durch die Häuserschluchten säuselnde Luftzug war angenehm. Für 13 Uhr hatte unsere große Tochter einen Tisch in einem indischen Restaurant bestellt, das in einer Ladenpassage am Rand der Gerberau lag, dem früheren Gerberviertel von Freiburg. Dieses Restaurant hatten wir bei unseren anderen Freiburg-Besuchen als ausgezeichnet kennen gelernt – vor allem wegen der feinen und würzigen Soßenzubereitung. Nachdem wir uns gehend neben den Schienen der Straßenbahn zusammen gefunden hatten, folgten warmherzige Umarmungen, herzliche Begrüßungen und eine anhaltende Wiedersehensfreude im Familienkreis, als der Kellner uns die Plätze im Außenbereich des Restaurants zugewiesen hatte. Nie hatten wir in unserer rheinischen Heimat in einem indischen Restaurant gespeist, und nun verwöhnten uns exotisch klingende Speisenamen wie Chicken Tikka Masala, Lamm Karahi oder Nizam Handi. Unsere kleine Tochter begnügte sich mit Fladenbrot, den gelblich schimmernden Basmatireis vermengten wir mit den in Soße getunkten Hähnchenstücken, mein Schwager genoss sein statusgemäßes Weizenbier, das für ihn so zu Essen gehörte wie der Dom zu Köln. Nach dem Mittagessen bummelten wir ausgiebig durch die Stadt.
28. Juli 2019
Der Blöff gelang mit dem Leihwagen bestens. Am späten Nachmittag fuhr ich mit dem für das Wochenende geliehenen Peugeot 3008 zu meiner Mutter, wo mein Bruder anwesend war. Er hatte beobachtet, wie ich mit dem großen geräumigen Gefährt rückwärts in die Zufahrt vor dem Anbau gefahren war. Der Peugeot 3008 war kaum kleiner als sein SUV von BMW. Ob ich unseren Vento eingetauscht hätte, fragte er mich. Ich war auf die Frage irritiert, weil seit drei Jahren keinen Vento, sondern einen Golf fahren. Ob er den Golf meinte, fragte ich zurück. Jaja, ob wir den Golf eingetauscht hätten und uns ein großes Fahrzeug zugelegt hätten, so präzisierte er seine Fragestellung. Schließlich erzählte ich, wie es war. Dass es ein Leihwagen war und dass der ursprüngliche Anlass war, mit einem geräumigen Fahrzeug unsere Tochter in Freiburg besuchen zu wollen. Der Peugeot 3008 war in der Tat ein Traumauto, das butterweich auf der Straße lag, jede Menge Platz bot und ein Fahrgefühl vermittelte, als würde man über allen Wolken schweben.
29. Juli 2019
Am Ende des Tages war ich emotional platt. Es begann mit einem Paukenschlag, als ich unser gemietetes Traum-Auto, einen Peugeot 3008, bei Europcar zurückgab. Wie es dazu kommen konnte, dass der Stoßfänger direkt unter dem linken Scheinwerfer klar und deutlich sichtbar eingedrückt war, dafür hatte ich keinerlei Erklärung. Die Situation war mehr als merkwürdig. Unterhalb dieser Stelle lag ein Kratzer, der mit dem Übergabeprotokoll dokumentiert war. Darüber lag die eingedrückte Stelle, die nur durch einen Unfall oder eine Kollosion entstanden sein konnte. Einen Unfall oder dergleichen hatte ich definitiv nicht mit dem Leihwagen gehabt. Die einzige Erklärung hatte ich, dass dieser Schaden während der Parkzeit im Parkhaus am Schwabentor in Freiburg von 12 Uhr bis 18 Uhr von einem unbekannten Dritten verursacht gewesen sein könnte. Ich hatte die Vollkaskoversicherung mit einer Schadensbeteiligung von 450 Euro abgeschlossen, so dass ich diese Schadenshöhe im Nachhinein auf mich zukommen sah. Dieses Gemengelage zu klären und auseinander zu dividieren, wenn bereits ein Vorschaden knapp an derselben Stelle vorhanden war, sah ich als Chance, was die Verleihfirma Europcar auszuregeln hatte. Den Tagesablauf bestimmten insgesamt vier Termine, wovon wir den nächsten in der Sparda Bank in Köln wahrnahmen. Am Nachmittag wollten uns Freunde bei unserer Renovierungsaktion im Haus des verstorbenen Schwiegervaters helfen, am Abend wollten wir an unserem Haus Sperrmüll an die Straße stellen. Der Termin bei der Bank zur Aufnahme einer Hypothek verlief glatt und problemlos, wonach wir anschließend im Lokal Schweinske im Kölner Hauptbahnhof zu Mittag aßen. Die Welt war mit einem Mal wieder in Ordnung, als wir aus der Speisekarte Putenschnitzel mit Fritten sowie Käsespätzle für wenige Geld auswählten. Unsere Diskussionen kamen in geregelte Bahnen, weil das Finanzierungskonzept mit aller Umsicht und Vorsicht bedacht war. Es war gelungen, all die komplizierten Fallstricke auf einfache Vorgehensweisen zurück zu führen. Beim Mittagessen genossen wir diese entspannte Phase des Tages, als die Dinge bei einem Glas Cola und einem tiefen Blick in die Augen in einem klaren Licht erschienen. Später, nachdem der Energieberater mit uns Kontakt aufgenommen hatte, stellten wir allerdings fest, dass wir alle Möglichkeiten, Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln zu erhalten, nicht vollständig durchdacht hatten, so dass wir die Kostenschätzung überarbeiten mussten. Am späten Nachmittag halfen uns Freunde, im Laufe des Abends vervollständigte sich der Sperrmüll vor unserem Haus. Ganz spät, geriet ich mit meiner Frau sogar aneinander, weil wir den Schreibtisch, den unser Sohn erhalten sollte, zerlegt hatten und in die Garage gestellt hatten. Es würde zu lange dauern, bis der Schreibtisch im Zimmer unseres Sohnes wieder aufgebaut würde, so dass die Gefahr bestand, dass der Schreibtisch in der Garage vergammeln könnte.
30. Juli 2019
Alles schaut auf das Datum des 7. September, wann sich dieses Chaos des herum stehenden Hausrats lichten soll. An diesem Datum findet der erste Dorftrödelmarkt in unserem Ort statt, an dem sich insgesamt 35 Haushalte beteiligen wollen. Die Resonanz ist groß bis übergroß, wer welche Menge an lieb gewordenem Hausrat loszuwerden sucht. Ich betrachte derweil skeptisch, was sich in dem Hause alles angesammelt hat und ob solche Mengen an neue Besitzer gebracht werden können. Auf dem Taperziertisch stapelt es sich, und ich bin gespannt, welcher Käuferkreis sich von den 35 Flohmarktständen angezogen fühlt und genau das benötigt, was wir im Haus des verstorbenen Schwiegervaters übrig haben.
31. Juli 2019
Was so alles zusätzlich an Dokumenten, Schreiben und Papierkram zum Vorschein kommen kann, womit kein Mensch gerechnet hat. Massen an Papierkram hatten wir im Haus des verstorbenen Schwiegervaters gesichtet, sortiert, abgeheftet oder weggeschmissen, doch nun tauchten aus den Urgründen des Chaos neue Papierberge auf. Wir hatten nicht mehr damit gerechnet, dass wir höchst aufwändig Schriftstück für Schriftstück uns ansehen müssten. Im großen und ganzen kam derselbe Mischmasch hinzu, durch den wir uns vor mehreren Monaten hindurch gekämpft hatten. Manche Unterlagen waren geradezu historische Dokumentationen – wie etwa die Gehaltsabrechnungen oder die Krankengeschichte der 1996 verstorbenen Schwiegermutter. Gründlich war der Schwiegervater auch in der Aufbewahrung von Urlaubskarten. Aus so ziemlich allen Urlaubsorten hatten wir ihm Karten geschickt, so dass wir zahlreiche Urlaubsorte verorten konnten, zumindest diejenigen, die wir alleine ohne den Schwiegervater verbracht hatten. Davon einer von fünf Urlauben auf Mallorca. Gewissermaßen war Mallorca eine Trauminsel gewesen, trotz der zum Teil häßlichen Hotelarchitektur und der zum Teil alles verschlingenden Bebauung. Die schönen Ecken der Insel hatten wir schätzen gelernt, das mediterrane Lebensgefühl hatte uns beflügelt. In dieser Unordnung von zu sortierendem Papierkram wurden die Urlaubserinnerungen mit einem Schlag wieder präsent. Das Vorhaben war äußerst mühselig, uns themenweise durch diese Berge von Papier hindurch zu wursteln.

die Scorpions live auf dem KUNST!RASEN in Bonn

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Mehrere Wochen hatte ich diesem großartigen Ereignis entgegen gefiebert, und meine hoch gesteckten Erwartungen sollten vollends erfüllt werden. Die Scorpions, dreimal hatte ich sie in den 1980er Jahren in der Kölner Sporthalle live erlebt, ein viertes Mal 2010 in Dortmund. Nun sollten sich zum fünften Male auf dem Kunstrasen in der Bonner Rheinaue meine Wiedersehenswünsche nach fetziger, bodenständiger Rockmusik erfüllen.
Ich hatte noch nie einem Konzert auf dem Bonner Kunstrasen beigewohnt, und schon beim Gang durch die Rheinaue war nicht zu übersehen, was für ein Großereignis seinen Lauf nehmen würde. Den Posttower in Sichtweite, verdichteten sich der Besucherandrang über Wege, Trampelpfade und auf Rasenflächen. Ein totales Verkehrschaos herrschte vor der Zufahrt zur Tiefgarage des Posttowers, die als Parkmöglichkeit genutzt wurde. Verkehrsstau allenthalben, und auf dem Weg zum Konzert konnte ich nicht ein einziges Mal beobachten, dass die Zufahrtsschranke ein Fahrzeug in die Tiefgarage hinein ließ.
Dass Rucksäcke in einem Zelt abzugeben waren, darauf hatte ich mich nicht unbedingt eingestellt, so dass ich mich ohne Portemonnaie, aber mit Digitalkamera und Smartphone auf das Konzertgelände begab. Mit einer Ausnahme hatte ich Live-Konzerte stets nur in Hallen erlebt, und ich stellte fest, dass die Atmosphäre vor einem Open-Air-Konzert auf dem weitläufigen Rasen vor der Bühne etwas besonderes war. Eine Dreiviertelstunde vor Konzertbeginn gab es jede Menge zu beobachten. Die Besuchermassen vereinigten sich zu einer innigen Fangemeinde. Alle hatten eine Gemeinsamkeit, wie man es ansonsten von Hobbys kannte. Obschon ich Reportagen und Filme nur aus Radio und Fernsehen gesehen habe, verbreitete die Atmosphäre ein kleines Stückchen Woodstock, in viel kleinerem Format mit rund 5.000 Konzertbesuchern auf einem Rasen, der nicht ganz so matschig war wie derjenige von Woodstock.
die Bühne einige Tage vorher (oben links), die Bühne kurz vor dem Konzert (oben rechts),
die Bühne während des Konzertes (unten links), Stehen im Matsch (unten rechts)
Die ganze Nacht über bis in die Mittagszeit hatte es geregnet, und der Matsch hatte größere Stellen aufgeweicht und Pfützen hinterlassen. Die Besucher störte das kaum, als sie sich wie bei einem Volksfest um Getränkestände scharten, sich an Imbissen mit Fritten und einer Currywurst verpflegten oder an der Cocktailbar ihre Vorfreude auf dieses große Ereignis mit ihren musikalischen Artgenossen teilten.
Die Schar der Fans war in meinem Alter, um die sechzig, einige noch älter, bis in die siebzig, manche jünger um die fünfzig, während die junge Generation unterdurchschnittlich vertreten war. Viele dokumentierten ihre persönliche Konzertgeschichte auf ihren T-Shirts. Dabei bedauerte ich, dass mir meine eigene persönliche Konzertgeschichte verloren gegangen war, als sich über den Rücken eines mindestens 60-jährigen ein T-Shirt von der Blackout-Tour im Jahr 1982 spannte. Genau dieses Konzert hatte ich damals in der Kölner Sporthalle besucht – ohne jegliche Merchandise-Artikel käuflich zu erwerben, weil mir diese schlichtweg zu teuer war. Nun trauerte ich dem nach, wobei etliche Konzertbesucher Fans artverwandter Musikgruppen in der Kategorie des Hard Rock waren. Sie trugen T-Shirts vergangener Rockkonzerte von Metallica, Guns’n’Roses, Saxon, Motörhead oder Iron Maiden.
Viele Besucher schworen auf Wacken, das stellte ich fest, als ich meinen Stehplatz im Front-of-Stage-Bereich einnahm. Ich hatte mich neben einem Paar in Stellung gebracht, wovon das Alter des Mannes schwierig einzuschätzen war. Betrachtete man sein tief in Falten zerfurchtes Gesicht und seine erstarrten Gesichtszüge neben seiner um einen Kopf kleineren Frau, so mochte er mit seinem schulterlangen dunkelblonden Haar um die siebzig sein. Einen weiten Aktionsradius und reichlich Beweglichkeit konnte man hingegen aus seinem Wacken-T-Shirt ablesen. Vom 1. bis zum 3. August war er in Wacken dabei gewesen, und das Konglomerat des Hard Rock-Musikfestivals hatte sich mit Rockgrößen wie Slayer, Accept, Judas Priest, Megadeath und wie sie alle hießen, auf dem Rücken seines T-Shirts verewigt.
Nachdem die Vorgruppe „The Roses“ mit scharfen Gitarrensoli das Publikum eingeheizt hatte, kam nach einer Pause des Aufbaus der große Moment. Die wartenden Zuhörer umstanden die Bühne, und nicht einmal zehn Meter entfernt, war mein Blickfeld nahezu optimal. Bereiche von Pfützen und Matsch beeinträchtigten niemanden, und selbst Frauen mit hohen Stöckelschuhen standen mitten im Matsch.
The Zoo: banaler Text und geniales Gitarrenriff
Der Vorhang fiel, ein Hubschrauber wirbelte auf einer Multivisionsleinwand durch die Luft, er kurvte in einer Einflugschneise zwischen den Hochhausschluchten einer virtuellen Stadt, wo er das Symbol der Tour „Crazy World“, eine auf einem Hochhaus aufgesteckte roboterähnliche Gestalt mit einer Weltkugel, überflog. Als die fünf Musiker die Bühne betraten, ging sogleich die Post ab. In „Going out with a bang“ schlugen die harten Gitarrenrhythmen ein, die durchdringende Stimme des Sängers Klaus Meine legte sich mächtig ins Zeug, der Drummer Mickey Dee ließ die Fetzen fliegen. Das Eröffnungsstück führte mitten hinein in die unverwechselbaren Stilelemente des Rock, wodurch die Scorpions mit ihrem Powersound zu wahren Meistern in ihrer Kategorie der Rockmusik geworden waren. Die Refrains waren knackig und zum Mitsingen, die Gitarrensoli waren hart und bisweilen exzessiv, die Gitarrenriffs waren eingängig und trieben die Melodie voran. Und sie suchten die Verbindung mit dem Publikum, indem sie auf dem Laufsteg bis ganz dicht an das Publikum herantraten. Blicke vereinigten sich mit den Zuhörern, Gesten bezogen das Publikum ein, zum Mitsingen hielt der Sänger Klaus Meine das Mikrofon ins Publikum.
Mit dem Eröffnungsstück war die Begeisterung wiedergekehrt, die ich bei den vier anderen Konzerten erlebt hatte. In den vergangenen Woche hatte ich in Youtube alles mögliche von den Scorpions rauf und runter gehört, und immer wenn ich den Text kannte, was häufig der Fall war, sang ich mit.
"The Zoo" aus Youtube
Vom Prinzip her gefiel mir alles von den Scorpions, weil ihre Alben so homogen waren, dass man alle Stücke mit ihrem unverwechselbaren Stil vom Anfang bis zum Ende durch hören konnte. Es gab keine schlechten oder langweiligen Stücke, und meine Lieblingsstücke kehrten stets zu den Alben „Love Drive“ und „Animal Magnetism“ zurück, als meine musikalischen Vorlieben Anfang der 1980er Jahre mit den Scorpions groß geworden waren.
Genau diese Hammer-Stücke aus diesen Alben folgten, zuerst „Make it Real“, dann „The Zoo“, dann „Is there Anybody there“, danach „Coast to Coast“. „The Zoo“ ist einer der absolut genialen Scorpions-Stücke, dessen Gitarrenriff nicht mehr aus dem Ohren verschwinden will. Wie in solch einen banalen Text solch ein überwältigender Powersound hinein hauen kann, da schwang bei jedem Ton der ganze Körper mit. Der Tag und die Arbeit sind langweilig, abends trifft man sich mit der Freundin, gemeinsam zieht man durch die Straßen, man tut dies, man tut das, und der Zoo steht als Synonym für die Straße. So bedeutungslos der gesungene Text in „The Zoo“ war, schärfer könnte der Gegensatz nicht sein zu dem stehenden und die Melodie zerschneidenden Gitarrenriff des Sologitarristen Rudolf Schenker. Bei dem Instrumentalstück „Coast to Coast“ erreichte meine Welle der Begeisterung den nächsten Höhepunkt, als sich selbst der Sänger Klaus Meine der Gitarre bediente. Das Stück war so genial, weil sich die Melodie um wenige Akkorde aufbaute, deren Sequenzen sich mehrfach wiederholten, während die Gitarrensoli mit ihrer Vielzahl von Soloeinlagen wahnsinnig facettenreich waren. Zum Ende des Stückes stand die Einheit der vier Gitarristen in einer Reihe vor dem Publikum.
Top of the Bill: die Anfangszeiten in Clubs und Kneipen
Klaus Meine kramte in seinen Erinnerungen herum, als er über Bonn erzählte. Die Anfangszeiten, unvorstellbar heute, als die Scorpions noch in irgend welchen Clubs und Kneipen gespielt hatten, hatten die Musiker Anfang der 1970er Jahre nach Bonn geführt. Manchmal wussten sie nicht, wie sie ihren Sprit bezahlen sollten, und die Fahrt über die Autobahn war ätzend. Von Hannover aus erst über die Autobahn A2. Die Strecke dehnte sich schier endlos über die Einöde Westfalens in die Länge. Am Kamener Kreuz, mitten in NRW, dachten die Scorpions, sie seien bald am Ziel. Doch Bonn war weit, in der anderen Ecke von NRW, so dass sie noch einmal dieselbe Strecke zu bewältigen hatten. Es folgte das Stück „Top of the Bill“, womit sie eines der wenigen Stücke erwischt hatten, das ich nicht kannte. Die Klasse, die Qualität und der Sound stimmte, so dass es sich mit den anderen bekannten Stücken vollkommen auf Augenhöhe bewegte. „Speedy’s coming“, „Steamrock Fever“ und „Pictured Life“ aus ihrer Anfangszeit reihten sich in einem Medley aneinander.
Der Übergang war fließend in Stücke der neueren Zeit, wobei dieser Zeitraum der neueren Zeit sich sehr dehnbar gestaltete. Die Stücke waren weithin bekannt, sie waren Kernbestandteil eines jeden Scorpions-Konzertes, davon stammten mehrere von ihrem Crazy World-Album, auf dem ihr Hit „Winds of Change“ weltweit bekannt wurde. Nach dem Mauerfall 1989 war der Titel „Crazy World“ auch politisch motiviert, der auf einem Zitat des damaligen amerikanischen Präsidenten George W. Bush „you have to realize, we live in a crazy world“ beruhte. Das Symbol der Weltkugel mit der Überschrift „Crazy World“ hatten sie in dieser Tour wieder aufleben lassen.
der Sänger Klaus Meine (oben links), der Bassist Pawel Macidowa und die Solo-Gitarristen Matthias Jabs/Rudolf Schenker (oben rechts), "we built this house on a rock" (unten links), Schlagzeuger Mikkey Dee (unten rechts)
Die zentrale Bedeutung der Zeit nach dem Mauerfall unterstrich das Stück „Wind of Change“, womit sie eine weltweite Bekanntheit erlangt hatten. Stets war es den Scorpions verwehrt worden, in der damaligen DDR auftreten zu dürfen. 1988 gaben sie dann zehn Konzerte in St. Petersburg in der damaligen UdSSR, im August 1989 gaben sie vor 300.000 begeisterten Zuschauern in Moskau ein Konzert. Mit der Aufbruchstimmung hinter dem eisernen Vorhang entstand in Moskau die Inspiration zu „Wind of Change“. Wie der Lauf der Weltgeschichte zeigen sollte, wurde die Inspiration drei Monate später zur deutschen Wahrheit. Nach dem Mauerfall komponierte Klaus Meine das Stück, das 1991 auf ihrer LP „Crazy World“ erschien.
In allen europäischen Hitparaden rauf- und runtergespielt, ist „Winds of Change“ ein zwingender Bestandteil eines jeden Scorpions-Konzerts. Da so oft gehört und da die Tonart ziemlich weich geraten war, war „Winds of Change“ nie mein Ding. Dennoch war berauschend, wie intensiv das Publikum mitsang. Bei langen Passagen schwieg Klaus Meine, er übergab den Gesang mit seinem langstieligen Mikrofon an das Publikum. Dieses kannte den Text in- und auswendig und sang in einfühlsamer Lautstärke mit. Obschon „Winds of Change“ nicht zu meinen Lieblingsstücken gehörte, war die Verschmelzung des Publikums mit der Band über den Gesang ein bewegendes Erlebnis.
„We build this house on a rock” von dem 2015er-Album “Return forever” gefiel mir hingegen als langsames Stück, weil es auch ein Stück Lebensphilosophie verkörperte. Die Scorpions hatten ihren unverwechselbaren Stil des Rock künstlerisch umgesetzt, den sie konsequent weiter verfolgten. Klein hatten sie in Clubs und Kneipen angefangen, und die Konzerte in den 1980er Jahren zu ihren LPs „Love Drive“, „Animal Magnetism“ und „Blackout“ hatten eine solche Ausgewogenheit und Qualität, dass die Kombination von fetzigen Gitarrensoli und eingängigen Refrains zum Mitsingen geradezu genial war.
Blackout: mit einem Düsenantrieb hebt die Gitarre ab
Alsbald wurden die Töne wieder rockiger, wobei man in keiner Phase des Konzertes den Senioren ihr Alter anmerkte. Schon bei ihrem Konzert im Jahr 2010, das ich mit unserem Sohn gemeinsam in der Dortmunder Westfalenhalle besucht hatte, hatten die Musiker ihre Tour als Abschiedstour bezeichnet. Das Gründerduo, Klaus Meine und Rudolf Schenker, damals Anfang 60, hatten wohl an den Ruhestand gedacht. Doch dieser Abschiedstour folgten viele weitere Abschiede. In einem Interview hatte Klaus Meine geäußert, dass sie sich ständig vornehmen würden, kürzer zu treten und irgendwann auszusteigen. Doch daraus wurde nie etwas, im Gegenteil. Es gäbe nichts schöneres als vor ihren Fans zu spielen und von ihnen umjubelt zu werden. So gaben sie bis heute rund um die Welt ihre Konzerte und könnten sich kaum etwas schöneres vorstellen. Klaus Meine und Rudolf Schenker, beide heute 71 Jahre alt, Matthias Jabs, 64 Jahre alt, flitzten über die Bühne, als habe das Alter keinerlei Spuren hinterlassen. Dabei machte Rudolf Schenker mit der Gitarre seine Luftsprünge, als sei nichts gewesen. Klaus Meines hohe Stimme klang klarer, heller und rockiger denn je. Der Schlagzeuger Mikkey Dee und der Bassist Pawel Macidowa waren mit 56 bzw. 52 Jahren einiges jünger als die gestandenen Herren.
Bei Stücken wie „Tease me, please me“, „Bad Boys running Wild” oder “Big City Nights” drehten die Gitarristen das Spieltempo auf ihren Sologitarren wieder auf, wobei das Publikum mitsang und mitklatschte. Bei „Blackout“ drehte Rudolf Schenker seine Gitarre auf eine ungewöhnliche Art auf. Zu den harten Schlägen auf die Saiten besaß die Gitarre eine Art von Düsenantrieb. Zwei zylinderartige Körper, die wie die Triebwerke eines Flugzeugs aussahen, versprühten Rauch, und Rudolf Schenker fetzte über die Bühne, als könne die Gitarre in jedem Moment in die Luft abheben. Das Spektakel jagte von einem Höhepunkt zum nächsten. Am Schluss von Mikkey Dees Soloeinlage auf dem Schlagzeug fügten sich auf einer Leinwand alle Covers ihrer LPs zusammen, angefangen von ihrem 1972er-Album „Lonesome Crow“ bis zu ihrem 2015er-Album „Return to forever“. Und derzeit haben sie angekündigt, dass sie im nächsten wieder in die Studios gehen möchten und ein neues Album aufnehmen möchten.
Schriftzug der Scorpions (oben links), Friedensbotschaft mit dem Stück "Send me an Angel" (oben rechts), Gitarre mit Düsenantrieb bei dem Stück "Blackout" (unten links), Verabschiedung der fünf Musiker (unten rechts)
Wie bei diesem Scorpions-Konzert gibt es Momente, da würde man am liebsten die Zeit anhalten. Augenblicke sollten bis in alle Ewigkeit andauern, das begrenzte Zeitkontingent sollte nie enden. Nach dem Stück „Big City Nights“ war es dann soweit, dass die fünf Musiker hinter der Bühne verschwanden. Einer reichen Auswahl ihrer besten Stücke hatte das Publikum zugehört, wobei es den Scorpions sicherlich unmöglich war, aus all ihren super-tollen Stücken die aller-aller-besten für solch ein Konzert auszuwählen.
Nachdem sie die Bühne wieder betraten, spielten sie die obligatorische Zugabe, von denen die eine seicht war und die andere rockig. Bei „Still loving you“ durfte das Publikum zum Schluss noch einmal kräftig mitsingen, bei dem allerletzten Stück „Rock you like a Hurricane“ ging in einem fulminanten Finale ordentlich die Post ab. Matthias Jabs jagte die Akkorde hintereinander, bis ein Schlußakkord den Schlußpunkt auf dieses gewaltige Rockkonzert setzte. Als die fünf Musiker auf die Bühne traten, sich in den Armen lagen und sich von der begeisterten Menge verabschiedeten, hatte dies beinahe etwas Wehleidiges. Das Konzert war ein für allemal vorbei, die rockigen Klänge hallten in den Ohren nach. All die Hymnen des Rock summte ich vor mich hin. Fast anderthalb Stunden Rockmusik von feinsten waren vorbei, und frühzeitig werde ich die Tourdaten durchstöbern, inwieweit es 2020 ein Wiedersehen geben wird.

Anka Zink im Senftöpfchen-Theater Köln

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Anka Zink, ein nachträgliches Geburtstagsevent mit einer besonderen Note. Sehr lange hatte ich hin- und herüberlegt, wie ich meinen runden Geburtstag gestalten wollte. Die Feier wollte ich nicht ausfallen lassen, aber wie feiern ? Die Idee einer Stadtführung durch Linz hatte meine Frau abgelehnt, aber was alternativ ? Meiner Frau schwebte die Filmdose in Köln vor, was auch meinen Vorstellungen entsprach, doch das Programm der Filmdose endete abrupt am 30. Juni. Wir überlegten die Springmaus, ich studierte das Programm des Kölner Senftöpfchens, wo ich im letzten Jahr Jürgen Becker gesehen hatte. Bei Anka Zink passten die Fakten. In Bonn hatte sie uns in der Springmaus mit einem pointenreichen Programm überzeugt, und ihr Auftritt im Senftöpfchen fiel auf einen Freitagabend, so dass man im Anschluss in der Kölner Altstadt in einem Brauhaus gemeinsam noch einige Gläser Kölsch trinken konnte. 14 Karten hatte ich besorgt, die Straßenbahnlinie 7 beförderte uns in die Kölner Altstadt, und vor dem Eingang der Springmaus erwarteten uns übrigen nachträglichen Gratulanten. Vor lauter Weinflaschen, die ich geschenkt bekam, wurde mein Rucksack entsetzlich schwer. Eine Flasche Whisky war dabei, da zu unseren Freunden aus der Aachener Gegend nicht vorgedrungen war, dass ich Hochprozentiges überhaupt nicht trank und anstatt dessen Bier oder Wein bevorzugte. Bei einer Freundin war es der Deutschen Bahn gelungen, ihr rechtzeitiges Erscheinen zu vermasseln. Von Bonn nach Köln ging nichts mehr – wegen eines Polizeieinsatzes. Wir hinterlegten ihre Eintrittskarte an der Theke, und rund eine Viertelstunde nach Beginn trudelte sie ein und fand irgendwo im unteren Bereich Platz, während wir im oberen Bereich auf dem sogenannten Balkon mit einer direkten Blick über das Geländer zum Bühnenbereich saßen, wo Anka Zink ganz subtil in die Ausprägungen der Bescheidenheit eingetaucht war, denn ihr Programm trug die Überschrift „das Ende der Bescheidenheit“. Bescheidene Züge hatte ihr Programm bereits mit ihrem Auftritt auf die Bühne genommen, da sie bereits jede Menge Applaus erhalten hatte, ohne nur ein Wort zu sagen. Anka Zink leitete die Wortbedeutung von „bescheiden“ aus dem Mittelalter ab. Rechtsinstanzen und Gerichte erteilten einen Bescheid, und das Verb „bescheiden“ reduzierte das Handlungsfeld der Betroffenen, da sie ihr Tun und Unterlassen wenigen Dingen unterordnen mussten. Das Ende der Bescheidenheit hatte hingegen ganz viel mit Bedeutung zu tun, eine Bedeutung, dessen Indikator war, dass manche Personen und Charaktere nie Zeit hatten. Stets kamen sie dringend von irgendwo hin nach irgendwo her, sie waren nie verfügbar und hatten nie Zeit. Sie betraten ein Café, klappten ihren Laptop auf oder kommunizierten mit ihrem Smartphone, sie durften eigentlich gar nicht da sein in dem Café, weil sie irgendwo anders dringender zu tun hätten. Ihr Statussymbol äußerte sich in ihrer Verhinderung. Ging es um Problemstellungen, arbeiteten solche Menschen nicht daran, Probleme zu lösen, sondern diese vergrößern, um sich mit diesem Konglomerat von Problemen befassen zu müssen. In diesem Zusammenhang nannte Anka Zink ihre gealterte Tante Angela, die es liebte, dass sich andere mit ihr als Bestandteil des Problems befassten. Stets stand sie mit ihrem Rollator anderen im Wege herum, was dann ihre Bedeutung steigerte. WhatsApp-Gruppen trugen ebenso ihren Anteil bei, dass Aktivitäten, die in der Welt der analogen Kommunikation einfach und schnell zustande kamen, zu verkomplizieren. Wollte man sich etwa zum Wandern verabreden, konnte in einer WhatsApp-Gruppe jeder mitreden. Jeder konnte seine eigenen Befindlichkeiten einbringen, so dass sich die WhatsApp-Gruppe zunächst aufplusterte auf ganz viele Mitglieder, worunter dann einige beleidigt ausschieden aus der WhatsApp-Gruppe, wenn ihnen irgendwelche Details zur Wanderung nicht gefielen. Da der Pingpong über Posts in WhatsApp bedeutungsschwerer war als der direkte telefonische Draht, waren WhatsApp-Gruppen häufig eine schwierige Herausforderung zwischenmenschlicher Kommunikation. Mit all ihren spitzen Anspielungen und Pointen waren alle Freunde begeistert von Anka Zink.
Senftöpfchen-Theater (oben), Anka Zink (Mitte; Quelle: www.anka-zink.de), Brauhaus Sion Köln (unten)
Als die Vorstellung vorbei war, gab sich Anka Zink hautnah gegenüber ihren Zuschauern. Im Eingangsbereich konnte man ihr letztes Taschenbuch käuflich erwerben und signieren lassen. Zu meinem runden Geburtstag legte sie eine extra signierte Karte hinein. So wie ich meine nachträglichen Geburtstagsgäste eingeladen hatte, trotteten wir im Anschluss in ein Brauhaus in der Kölner Altstadt. Dabei verabschiedeten sich zwei Pärchen, weil die Uhrzeit zu sehr vorangeschritten war. Bei den Freunden aus der Aachener Gegend musste die Frau bereits um 4 Uhr morgens wieder aufstehen, da sie in der Frühschicht arbeiten musste, zumal bis in die Aachener Gegend noch ein ganzes Stück zu fahren war. Bei Freunden aus St. Augustin musste sie ebenso Samstags früh arbeiten. So blieben wir mit zehn Personen übrig, als wir uns beim Brauhaus Sion in der zweiten Seitenstraße niederließen. Wir mussten allerdings beharrlichen Widerstand überwinden, um bei einer lauen Spätsommernacht draußen sitzen zu können. Das Brauhaus war unglaublich stur, was die Laufwege der Kellner betraf. Draußen standen jeweils Vierertische, und wir hatten bereits begonnen, diese zusammen zu stellen, damit wir mit zehn Personen vereinigt zusammensitzen konnten. Dagegen hatten die Kellner etwas einzuwenden. Am Ende des außengastronomischen Bereichs befand sich ein Holzstand mit Speisekarten, Besteck und Servietten, womit sie ihre Gäste bedienten. Durch den Mittelgang zwischen den Vierertischen gelangten sie zu diesem Stand. Dazwischen stehende Tische versperrten dann diesen Laufweg der Kellner, den sie je nach Uhrzeit dementsprechend häufig zurückzulegen hätten. Wir verständigten uns schließlich, die Vierertische unangetastet stehen zu lassen, während sie unsere Zehn-Personen-Gruppe um die isoliert voneinander stehenden Tische gruppierte. Dem Geschmack des Kölschs und der Gemütlichkeit tat dies keinen Abbruch. Ich trinke fast nie Kölsch, doch die Ausnahme fand genau an diesem Abend statt. Frisch gezapft, war der erfrischende Geschmack in Kölner Brauhäusern nicht zu schlagen. Und dies in dieser lauen Sommernacht Ende August, wo die Hitze des Tages verklungen war. Die Wärme des Abends war in ein erträgliches Niveau übergegangen, so dass es Spaß machte, in dieser Runde draußen zusammen sitzen zu können. Entsprechend der Kölner Brauhaustradition, hatte das Kölsch in den langen Stangen ein Alleinstellungsmerkmal. An Bieren wurde nichts anderes als Kölsch angeboten, so dass der Wunsch in unserer Runde, dass jemand ein Pils trinken wollte, rigoros abgelehnt wurde. Bei erfrischen Gläsern Kölsch quasselten wir über dieses und jenes, und unsere Gesellschaft im Freien war vor dem Brauhaus einfach genial. Unsere frühere Nachbarin, die aus Berlin kam, lernte, dass der Kellner gleichzeitig der Köbes ist. Bis zum Schluss hatte sie Probleme mit der Aussprache. Ständig hörte sie „Kürbis“ heraus, bis wir ihr erklärten, dass die Bezeichnung „Köbes“ ursprünglich mit Pilgerpfaden im Mittelalter zu tun hatte. Brauhäuser, die als Herberge dienten, lagen gerne an den mittelalterlichen Pilgerwegen. Diese führten gerne über den Jakobsweg nach Santiago de Compostella. Aus Jakob wurde „Köbes“ abgeleitet, und viele Kölner Brauhäuser existierten bereits seit dem Mittelalter. Wir lachten ganz viel, wir tranken Kölsch in größeren Mengen, während einzelne Autofahrer sich mit Mineralwasser und Cola begnügen mussten. Gegen zwanzig nach 12 lösten wir die Runde auf, weil wir um 0:25 Uhr die Straßenbahnlinie 7 am Heumarkt nehmen mussten. Ein wunderschöner Abend war zu Ende gegangen, als wir um viertel nach eins zu Hause ankamen.

Tagebuch August 2019

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1. August 2019
Unsere Katzen in unserem Garten. Kuschelecken gibt es allenthalben, wo sie es sich gemütlich machen können, wo sie sich ausruhen können von all ihren Aktivitäten und Streifzügen, wo sie in aller Seelenruhe die Zeit vorbei streichen lassen können und wo sie nicht gestört werden. Eine solche Kuschelecke findet sich in der Kompostmiete, wo über dem Kleingehäckselten eine Grasschicht ein weiches Polster bereit hält. Dort kann unser Kater Rambo es gut aushalten. Die Augen verschlossen, hält er dort bereitwillig seinen Nachmittagsschlaf.
2. August 2019
Ein Abend, an dem wir uns die Köpfe heiß geredet haben vor so viel Dummheit, Unkenntnis und Ignoranz. Was das Umbauvorhaben im Haus des verstorbenen Schwiegervaters betrifft, scheinen beim Landschaftsverband und auch beim Amtsgericht nur ahnungslose Bürokraten zu sitzen, die die Zusammenhänge nicht durchschauen und dumme Fragen stellen. Sie wissen nicht, was sie wollen, und sie sind mit ihren Befugnissen in der Lage, das Umbauvorhaben zum Platzen zu bringen. Heute haben wir ein Schreiben des Rechtsanwaltes erhalten, dass das Amtsgericht ein schlüssiges Gesamtkonzept nicht erkennen kann. Allenthalben sind wir irritiert, weil nicht miteinander geredet wird, sondern Schreiben durch die Gegend geschickt werden, die der Wirklichkeit entbehren. Bei einigen Flaschen Bier haben wir uns bis weit nach Mitternacht die Köpfe heiß geredet, Formulierungen für ein Antwortschreiben entworfen und vor so viel bürokratischer Ignoranz die Köpfe geschüttelt.
3. August 2019
Winnetou tot ? In den mittlerweile achtzehn Jahren, in denen wir die Karl-May-Festspiele in Elspe besuchen, ist diese Unmöglichkeit nie eingetreten. Doch in diesem Jahr sollten sich die Festspielmacher an diese Unmöglichkeit heran trauen, die Überfigur Winnetou sterben zu lassen. Das Finale, das ansonsten vollgestopft war mit Action-Szenen und Explosionen, sollte diesmal den Tod des Helden inszenieren. Als Winnetou die Mörder des Apachen-Häuptlings entlarvte, fielen gleichzeitig Schüsse. Einer davon traf Winnetou, der vor dem Felsmassiv in sich zusammen sank und starb. Aber keine Angst, dass ohne den getöteten Winnetou die Karl-May-Festspiele künftig nicht mehr statt finden können. Der Tod Winnetous in dem in diesem Jahr aufgeführten Stück „Winnetou III“ war gleichzeitig die letzte Szene, und danach zeigte sich Winnetou mit den übrigen Schauspielern in seiner leibhaftigen Gestalt, lebendiger denn je, um sich unter Jubel und Applaus vom Publikum zu verabschieden. Nächstes Jahr wird es weiter gehen mit den Karl-May-Festspielen – und mit Winnetou.
4. August 2019
Oftmals geplant, ständig kamen andere Dinge dazwischen, heute endlich realisiert: zum SWB-Jazz im Biergarten in der Bonner Rheinaue haben wir es heute geschafft. „… ein Groove, dem sich niemand entziehen kann, der jeden Fuß in Hörweite zum Mitwippen bringt und der weit und breit keinen Vergleich zu scheuen braucht …“, genauso wie im Prospekt beschrieben klang die Musik des Jörg Hegemann, der den heutigen Nachmittag im Biergarten im Musikstil der 1930er und 1940er Jahre gestaltete. Wir waren überwältigt, wie authentisch das Trio um Jörg Hegemann den Musikstil des Boogie und Woogie auf dem Kontrabass, dem Schlagzeug und dem Piano spielte. Weit zurück liegende Zeiten der Musikgeschichte wurden angereichert durch Klänge von Blues, die der Schlagzeuger mit seiner rauchigen Stimme inhalierte und an das Publikum zurückgab. Mitreißende drei Stunden gipfelten in dem Höhepunkt, als Jörg Hegemann mit dem Siegburger Stefan Ulbricht, der das alljährliche Boogie- und Jazz-Night-Festival in der Kreisstadt organisierte, gemeinsam auf dem Piano spielte. Ein Nachmittag im Biergarten in der Bonner Rheinaue, der noch lange in Erinnerung blieben wird. Wir freuen uns auf die nächste Gelegenheit, dem SWB-Jazz im Biergarten beiwohnen zu können.
5. August 2019
Es war einer derjenigen Tage, an dem sich die Dinge maßlos nach hinten verschoben. Nachdem wir alle unsere Füße bei der Fußpflege in Bornheim auf Vordermann gebracht hatten, waren wir gegen viertel vor sieben zu Hause zurück gekehrt, und unsere Überlegungen, was wir kochen sollten, stießen ins Leere. Salat oder Gemüse aus unserem Garten zuzubereiten, hätte viel zu lange gedauert, so dass nur die Varianten von Miracoli oder Eierravioli aus unserem Vorratsraum zur Disposition standen. So war die Entscheidung, uns aus der Frittenbude zu beköstigen, rasch gefallen. Die Essensplanung hatte allerdings einen Haken: es war Montag, und montags hatten viele Imbisse und Restaurants geschlossen. Dabei hatten drei Essenswünsche eine Pizza ausgewählt. Entsprechend meinen Vorahnungen gestaltete sich die Suche nach Imbissen oder Pizzerien äußerst kompliziert. Vier Imbisse gab es in unserem Ort, davon waren zwei montags geschlossen. Die Frittenbude, die ansonsten montags geöffnet hatte, war diesmal wegen Urlaubs geschlossen. Die vierte Frittenbude, ein türkischer Imbiss, entsprach nicht wirklich unserem Geschmack. In unserem Nachbarort gab es einen Frittenbude, deren Öffnungstage ich nicht kannte und die wir auch nie ausgetestet hatten. Insgesamt kam nur eine Variante in Frage: eine Pizzeria am Rhein, die montags geöffnet hatte, und wozu ich aber nicht wusste, ob man die Pizza dort auch mitnehmen konnte. Lieber hätte ich mich dort mit der Familie gemütlich hingesetzt anstelle dort eine Pizza zu holen. Bei einem Blick auf den Rhein hätten in diesem Restaurant wahre Urlaubsgefühle aufkommen können. Als ich dort ankam, waren draußen keine Plätze mehr zu haben und auch der Innenbereich war gut gefüllt. Entsprechend der Landesherkunft von Pizza, Pasta und Co flogen italienische Wortschwalle zwischen Kellnern und Theke hin und her. Mit den zarten Farbtönen der Fliesen machte der Innenbereich einen behaglichen Eindruck. Als ich an der Bedientheke nachfragte, erhielt ich augenblicklich die Auskunft, dass es selbstverständlich sei, Pizza mitnehmen zu können. Die Zubereitung dauert, mit der Lage direkt am Rhein war das Preisniveau etwas höher als normal, aber kurz nach 20 Uhr war ich schließlich mit den 4 Pizzen zu Hause. Der Aufwand, sie zu besorgen, hatte sich gelohnt, denn sie schmeckten vorzüglich.
6. August 2019
Helle Vorfreude auf ein großes Ereignis. Die Scorpions, eine Legende der Rockgeschichte, die Rockgruppe aus Hannover, die ich bereits viermal live erlebt habe, kommt in die Bonner Rheinaue ! Dieses Event möchte ich mir nicht entgehen lassen. Zuletzt habe ich die Scorpions im November 2010 in der Dortmunder Westfallenhalle mit unserem Sohn live erlebt, ein grandioses Konzert ist in meiner Erinnerung haften geblieben. Am besten gefallen die Stücke im Stil der 1980er Jahre: The Zoo, Coast to Coast, Holiday, Is there Anybody there und vieles mehr hauen einen vom Hocker. Gestern ist die Eintrittskarte für das Konzert auf dem Bonner Kunstrasen mit der Post in den Briefkasten geflattert. Die Vorfreude ist groß, wie Klaus Meine, Rudolf Schenker & Co am 18. August mit ihren über 70 Jahren, die sie zählen, das Publikum begeistern werden. Momentan wächst die Vorfreude Tag für Tag, und in Youtube läuft nichts anderes als die Scorpions.
7. August 2019
Welches Ereignis, das die jüngere Stadtgeschichte maßgeblich gestaltete, könnte diese besser umreißen als der Mauerfall ? Als 1989 in Berlin die Mauer fiel, konnte in Bonn noch niemand erahnen, welchen Lauf die Dinge in der Zukunft machen sollten. Die Umwälzungen, die statt finden sollten, sollten gravierend sein. 1991 sollte der Beschluss gefasst werden, dass Berlin die neue Bundeshauptstadt werden sollte. Große Maßnahmenpakete wurden danach geschnürt, um die einstige Bundeshauptstadt zu entschädigen. Ministerien wurden gedoppelt, Behörden verlagert, UN-Institutionen aufgebaut. Es regnete ganz viel Geld in Form von Ausgleichsmaßnahmen, die aber dann durch naive Gutgläubigkeit und fehlende Kontrollmechanismen in einer der größten Skandale in der Baugeschichte rund um das WCCB verschwanden. Im Gedenken an eine Zeit, als der eiserne Vorhang den Osten vom Westen getrennt hatte, und im Gedenken, dass durch den Schießbefehl Menschen getötet wurden, hat man aus der neuen Bundeshauptstadt ein Stück Mauer in die alte Bundeshauptstadt geschafft. Dieses Relikt aus der Zeit des Kalten Krieges, umgeben von fünfzehn Europa-Bäumen gegen Krieg und Gewalt, steht nun auf dem freien Platz vor dem Funkhaus der Deutschen Welle. Dass das Mauerstück an seinem Platz steht, ist diesmal keine Gemeinschaftsaktion zwischen Bonn und Berlin, sondern beruht auf einer Privatinitiative. Es waren zwei Bonner Wirte, die von der alten in die neue Bundeshauptstadt ausgewandert waren, die dieses Mauerstück käuflich erworben hatten. Seiner Zeit, lange Zeit nach dem Mauerfall, waren Stücke der Berliner Mauer frei im Handel oder auch im Internet erhältlich. Auf diese Art und Weise hatten die beiden Wirte vier Mauerstücke gekauft, die jeweils 3,8 Tonnen schwer und 3,60 Meter hoch waren. Aus Verbundenheit mit der alten Heimat schenkten sie im Jahr 2009 eines der Mauerstücke der Stadt Bonn. Die drei übrigen Mauerstücke befinden sich in Bremen, Wittlich (Eifel) und in Berlin. Der Berliner Aktionskünstler Ben Wagin gestaltete das Mauerstück als Stele, er brachte eine Eisenkette an und versah das Mauerstück mit der dreizeiligen Aufschrift „Wende Mauer endet“, deren Worte sich von links nach rechts sowie von oben nach unten jeweils in einer anderen Reihenfolge lesen. Der eingravierte Text auf der steinernen Platte unter dem Mauerstück ist selbst sprechend: Berliner Mauer 1961-1989. Nach dem Mauerfall entwickelte die neuere Geschichte der einstigen Bundeshauptstadt eine solche Eigendynamik, dass man an manchen Stellen die Stadt vor dem Mauerfall nicht mehr wiedererkennen kann.
8. August 2019
Ganze 3,20 Meter misst die Sonnenblume in unserem Garten, die in diesem Jahr hoch und höher in den Himmel gewachsen ist wie nie zuvor. Auch in den vergangenen Jahren haben sich die Sonnenblumen ordentlich Mühe gegeben, in die Höhe zu wachsen. Stets hatten sie eine ansehnliche Höhe geschafft, nicht ganz so hoch wie diese Sonnenblume, aber es waren prächtige Exemplare. Doch dann, mit einem Mal, stimmte die Statik nicht mehr und sie knickten auf den Boden. Bei dieser Sonnenblume mit ihrer rekordverdächtigen Höhe passt alles. Immer höher hinaus strebt sie, und mit ihrer Pracht des gelben Blütenkegels kann nichts ihr Wachstum bremsen.
9. August 2019
Ein ungeahntes Gefühl, das wir seit langer Zeit nicht mehr hatten. Nach Wochen von Hitze und andauernder Trockenheit war die heutige Entscheidung richtig, nicht mit dem Fahrrad ins Büro zu fahren, sondern öffentliche Verkehrsmittel zu nehmen. Schon als ich das Büro verließ, verdichtete sich der Regen, und, im Bus sitzend, schüttete es auf dem Konrad-Adenauer-Platz so sehr, dass ich auf dem Fahrrad klatschnass geworden wäre. Der Regen begleitete die Busfahrt und nahm einen erlösenden Charakter an, als er am späten Nachmittag in einen Dauerregen überging. Es schüttete ohne Ende und hörte erst dann auf, als es längst dunkel geworden war. Die beiden Regentonnen in unserem Garten waren dicke voll geworden, und mit den zarten Regenschauern der vergangenen Woche, könnten die Natur etwas Normalität zurück gewinnen.
10. August 2019
Eine Begegnung im REWE-Supermarkt, die uns bewegt hat. Es war unsere frühere Nachbarin aus dem gegenüberliegenden Mietshaus, die selbst an multipler Sklerose leidet. Ihre Mutter hat Bauchspeicheldrüsenkrebs, der Metastasen gebildet hat. Nur noch mit irgendwelchen Hammer-Medikamente lassen sich die Schmerzen aushalten. Eine Chemo-Therapie hatte sie mit der Diagnose abgelehnt. Unsere frühere Nachbarin kommt nicht so einfach zu ihrer Mutter, weil sie an der Ostsee wohnt. Wenn, dann fährt sie mit ihrem Bruder mit. An einigen Wochenenden hatten die beiden dies zuletzt geschafft. Die beiden haben fünf weitere Geschwister, zu denen sie keinerlei Kontakt haben. Die Mutter hat ihnen verboten, den übrigen Geschwistern von ihrer Krankheit zu erzählen. Die Mutter ist stur und läßt nur schwer mit sich reden. Sie haben sie regelrecht beknien müssen, damit sie eine Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung unterschreibt. Ein Testament zur Regelung des Nachlasses gibt es nicht. Ohnehin wird das spätere Erbe zu Problemen führen, da die Mutter hohe Schulden hat. Die Uneinigkeit mit den Geschwistern wird absehbar sein. Wo es nichts gibt, wird dann auch nichts zu verteilen sein.
11. August 2019
Rheinische Geselligkeit, üppiges Essen und Kritzeleien. Gemütlichkeit, Geselligkeit, nettes Beisammensein wird man im holzvertäfelten Inneren an blankgewetzten Biertischen sicherlich vorfinden, wenn man bei einem frisch gezapften Kölsch seinen Durst löschen kann und die gepflegte Atmosphäre auf sich wirken lassen kann. Wirtshaus ist nicht gleich Brauhaus, doch das Aussehen und die Ausstattung nähern sich dem Stil von Brauhäusern an, wie man sie in Hülle und Fülle etwa in Köln vorfindet. „Kotelett so dick wie ein Daumen“, das entspricht nicht unbedingt meinem eigenen Verständnis von Esskultur. Viel und reichlich, das mag sicher dem Hungergefühl des stets schaffenden und arbeitenden Rheinländer entsprechen, aber gehört dies zur rheinischen Lebensart ? Ein Leben im Übermaß, dafür mag es Beispiele geben, dass viel und reichlich bis zu Exzessen rheinische Biografien geprägt haben. Eine Trude Herr zum Beispiel, aber viele andere rheinische Originale wie etwa ein Willi Millowitsch, ein Wolfgang Niedecken, ein Hans Süper und viele andere, so haben sie sich stets in einem gesunden Mittelmaß bewegt. Übermäßiges Essen würde ich mit diesen Persönlichkeiten nicht verbinden. Und dann dieses Gekritzele, was kein Ausdruck rheinischer Lebensart ist, sondern Ausdruck einer allgemeinen Unkultur, alles mögliche mit Kritzeleien und Schmierereien versehen zu wollen. Ein subversives Aufbegehren, ein Austrieb des Bösen, eine Geburt des Teufels, den eigenen Aggressionstrieb an dem Eigentum des anderen abzureagieren. Menschen haben Kriege geführt, die Zerstörungskraft kann sich aber auch im Kleinen und im Kleinsten zeigen.
12. August 2019
Beim diesjährigen Besuch des Antikmarktes in Linz war die Parkplatzsuche ein Drama. Gegen 15 Uhr kurvten wir von allen Seiten um den Stadtkern herum – ohne Erfolg. Aller verfügbarer Parkraum stand pickepackevoll. Nach einer gefühlten Endloszeit des Suchens wurden wir direkt am Rhein fündig, auf dem Stück eines Parkplatzes, das für Wohnmobile reserviert war, wo die Parktasche eines freien Parkplatzes aber für ein Wohnmobil viel zu klein war. Unsere Perspektive auf all den angebotenen Trödel war in diesem Jahr etwas anders, weil wir selbst den Haushalt des verstorbenen Schwiegervaters aufzulösen hatten. Unter den Freiflächen zwischen den Betonpfeilern der Eisenbahnlinie sich ausbreitend, bot der Linzer Antikmarkt genau die richtige Atmosphäre zum zwanglosen Herumstöbern. Wir bummelten die Bahntrasse einmal auf und ab, wobei der Flohmarkt sogar eine Wendung bis zum Marktplatz machte. Bei der Sichtung der Verkaufspreise stellten wir fest, dass mitnichten wertloser Hausrat in dem aufzulösenden Haushalt herum stand. So musste man für so manches Gedeck oder so manche Kristallvase etliche Euros berappen. Voller Staunen, was der menschliche Sammeltrieb alles zusammen sammeln konnte und zum Verkauf anbieten konnte, fuhren wir nach unserem ungefähr zweistündigen Rundgang nach Hause zurück.
13. August 2019
Bisweilen muss man alle Augen zudrücken, um die Kilmadebatte zu ignorieren. Ein Dank gilt an Greta Thunberg und alle anderen Umweltaktivistien, die die Menschheit wach rütteln wollen, dass darauf gehandelt werden soll. Jedenfalls kann man in den Wäldern des Kottenforstes die Folgen des Klimawandels nicht übersehen. Es ist nicht nur die Borkenkäferplage, wodurch 140.000 Fichten gefällt werden mussten. Die letzten Wochen und Monate von Hitze und Trockenheit haben den Fichtenbeständen genauso zugesetzt. In der Talsenke des Godesbachs ist der Zustand der Fichten besorgniserregend. Es ist unübersehbar, wie sehr diese Reihen von Fichten unter der Trockenheit gelitten haben, so sehr, dass sich die Nadeln brauen färben, dass die Fichten absterben und gefällt werden müssen. Die Schneisen der Leere werden wie im übrigen Kottenforst groß sein. Betrachtet man weltweit die schwindenden Wälder infolge Abholzung, Waldbränden, Insektenplagen oder Trockenheit, so kann der Impact auf das Klima auf unserer Erde nicht vernachlässigt werden. Die Klimadebatte ist in vollem Gange.
14. August 2019
So richtig rund läuft es in diesem Jahr nicht mit den Rennradtouren. Allzu viel kommt dazwischen, und die besonders schönen Touren nach Altenahr (über das Ahrgebirge) oder nach Bad Münstereifel habe ich bislang nicht auf die Reihe gekriegt. Nachdem ich seit dem 10. Juli keine Tour mehr gefahren war, ging es nun über Ahrweiler und Dernau durch das Ahrtal und bei Dernau über den mächtigen Anstieg aus dem Ahrtal heraus. Gerne wäre ich eine noch etwas längere Tour gefahren, doch ein dienstlicher Termin hatte länger gedauert als geplant. Alles in allem, war das Gefühl erhaben, den Körper auf eine sportliche Betriebstemperatur zu bringen.
15. August 2019
An den großen französischen Kathedralen wie Notre-Dame, Amiens oder Reims findet man sie und auf Französisch heißen sie „guignoles“. Als wir an einer Führung durch die Freiburger Münsterkirche teilgenommen hatten, hatte uns die Führerin jede Menge über diese kuriosen Figuren erzählt, die als Wasserspeier fungieren. In Freiburg zählt man 90 dieser kuriosen Figuren an der Fassade der Münsterkirche, die spucken, die die Zunge herausstrecken, die vorne Hund und hinten Fisch sind. Figuren, die in einem Totengerippe erstarrt sind, Figuren, aus dessen Gesichtern Augen heraus quellen oder die zu Monstern geworden sind. Wenn es regnet, wird nebenher das Regenwasser abgeleitet und läuft an den Gesichtern und Fratzen vorbei. Diese Kirchenbauten des Mittelalters repräsentieren das Weltbild, welches man im Mittelalter hatte. Es galt, dem Menschen das Böse und die Abgründe des Lebens vorzuhalten. Man führte sich die Konsequenzen eines lasterhaften Lebens vor Augen. Dies drückte sich in den dämonischen Wesen der Wasserspeier aus, durch die Schmutz und unreines Regenwasser floß. Die monsterhaften Wesen sollten eine Aufforderung sein, ein tugendhaftes Leben zu führen. Die Pfarrkirche St. Laurentius in Ahrweiler, deren Grundsteinlegung 1269 erfolgte, verkörpert mit ihren vier Wasserspeiern an der Südfassade genau dieses mittelalterliche Weltbild. Schaut man genau hin, so kann man unter einer der vier Figuren einen Löwen erkennen, der mit seinem aufgerissenen Mund Furcht einflößt.
16. August 2019
Dass das Ensemble von Sonnenblumen in unserem Garten steigerungsfähig ist, hätte ich nicht für möglich gehalten. Die einige Beete vor unserer rekordverdächtigen 3,20 Meter hohen Sonnenblume stehenden Artgenossen haben sich Mühe gegeben, dem Rekord nachzueifern. Zumindest die mittlere Sonnenblume hat inzwischen dieses Maß erreicht. Bemerkenswert ist auch die Anzahl der Blütenkelche, die in der vorderen Reihe an einem Stängel ausgetrieben sind. So hat sich die rechte Sonnenblume auf 15 einzelne Sonnenblumen vermehrt, von denen einige ziemlich klein sind, die in heller Freude eine wunderschöne Einheit bilden. Solche Prachtexemplare von Sonnenblumen waren noch nie in unserem Garten in solch einem Umfang in die Höhe geschossen.
17. August 2019
Street Food Festival, diesmal asiatisch. Um Thitas thailändische Küche auskosten zu können, sind wir extra nach Oberhausen gefahren. Weil ich nicht ausgedruckt hatte, wo das Asian Street Food Festival in der Nähe des Aquapark genau statt fand, mussten wir suchen. Als wir das Parkhaus im Centro verließen, war nichts zu einem Aquapark beschildert. Anstatt dessen schauten wir auf das Gasometer und auf die König-Pilsener-Arena, und die vielen Schilder wiesen lediglich auf ein großes Kino, auf das Lego Discovery Center und auf das Sea Life Center. So suchten wir schließlich mit dem Handy meiner Frau über Google Maps, bis wir spätestens, nachdem wir eine Bahnunterführung unterquert hatten, die gläserne Kuppel des Aquaparks erblickten. Ganz nahe waren wir am Kanal, vor uns lag das Hafenbecken eines Yachthafens, und auf der Landzunge zwischen dem Yachthafen und dem Kanal erstreckte sich das Asia Street Food Festival. Außer einem chinesischen Imbiss war uns die übrige fernöstliche Küche zu fremd. Indonesisch, Malaisisch, Vietnamesisch, an einem Stand konnte man sogar Heuschrecken verspeisen. So genossen wir ausschließlich die Vorzüge der thailändischen Küche, und wir aßen thailändische Teigtaschen, thailändische Frikadellen, thailändische Fritten aus Tofu und Giau Tordt, das waren Bandnudeln mit Koriander, Putenfleisch und anderen exotischen Zutaten, die bei uns normalerweise nicht zu haben sind. Die unmittelbare Lage am Rhein-Herne-Kanal war nicht schlecht, wenn Lastkähne in aller Langsamkeit auf dem Wasser vorbei schlitterten. Das vermittelte ein unendliches Gefühl der Ruhe beim Essen, indem wir in einer gebotenen Langsamkeit kleine Portionen zu uns nahmen. Das Zeitfenster war etwas gedrängt, da ich abends zum Scorpions-Konzert in die Bonner Rheinaue wollte. Gegen viertel nach vier mussten wir weg – wegen des Konzertes. Das bedauerte unsere Tochter sehr, weil sie gerne einmal zum Grab ihrer vor vier Jahren verstorbenen Großtante wollte. Das müssen wir ein anderes Mal realisieren, vielleicht, wenn am 6. Oktober das Centro zum verkaufsoffenen Sonntag einlädt.
18. August 2019
Gestern kam das große Ereignis auf dem Bonner Kunstrasen, als die Scorpions live auftraten. Nachdem ich Wochen dem Konzert entgegen gefiebert hatte, erfüllt das Konzert die hoch gesteckten Erwartungen vollends, wenngleich die anderthalb Stunden Live-Auftritt gerne noch etwas länger hätten dauern können. Vom Stehplatz im FOS (Front of Stage)-Bereich konnte ich die Band live, hautnah und gut sichtbar miterleben. Die bedeutendste deutsche und weltweit tourende Rockgruppe um Klaus Meine, Rudolf Schenker, Matthias Jabs, Pawel Maciwoda und Mikkey Dee begeisterte ihre Fans, indem sie von der Bühne aus die Tuchfühlung suchten und das Publikum ganz viel mitsingen ließen. Bei Stücken wie „Rock you like a Hurricane“, „Big City Lights“ oder „Coast to Coast” pulsierte das Blut in meinen Adern. Bei “The Zoo” geriet ich vollends aus dem Häuschen, was man aus einem ganz banalen Text, mit einem ganz banalen Zoobesuch, für ein rockiges Stück komponieren kann.
19. August 2019
Gefahrenstellen zolle ich beim Fahrradfahren Respekt. Es gibt neuralgische Stellen, wo Autofahrer gerne Fahrradfahrer übersehen, und dementsprechend vorsichtig passiere ich diese Stellen, die schnell lebensgefährlich werden können. Eine dieser Stellen ist die Abbiegespur vor der Ampel in Troisdorf-Bergheim, wo diesmal die Gefahr vollkommen anders und unkalkulierbar lauerte. Es war genau die Situation, dass ein Autofahrer abbiegen wollte. Vor mir fuhr eine ältere Fahrradfahrerin in langsamem Tempo, und dementsprechend langsam näherte ich mich der Abbiegespur, wobei ich wegen des abbiegenden Autofahrers meinen Blick ständig zurück richtete. Dabei übersah ich, dass die Gefahr diesmal von vorne kam. Mit einem Mal schoss ein Fahrrad, verdeckt durch die ältere Fahrradfahrerin vor mir, in einem Affenzahn in meine Richtung, während ich nach links auf die Fahrradspur weiterfahren wollte. Die Lücke, die der Fahrradfahrer zwischen mir und der Leitplanke fand, war klein, so klein, dass wir auf unseren Fahrrädern aneinander gerieten und er auf die Leitplanke stürzte. Außer dem Schrecken war mir fast nichts passiert, nur eine Abschürfung am Ellbogen, wahrscheinlich vom Lenker seines Fahrrades. Er stürzte hingegen auf die Leitplanke und hatte einen dicken blauen Flecken auf dem Rücken. Die ältere Fahrradfahrerin, die augenblicklich anhielt, schimpfte. Von Bergheim aus kommend, hatte er nicht den vorgeschriebenen Fahrweg über die rechte Fahrspur genommen und war dann an der Ampel nach links über den Fahrradweg abgebogen, sondern er hatte die linke Fahrspur geschnitten und war gegen die Fahrtrichtung auf direktem Weg auf den Radweg abgebogen, und dies in einem daher schießenden Tempo. Beide schimpften weiter, der ungefähr in meinem Alter befindliche Mann mit einer kräftigen Statur, weil es die erste Fahrt mit seinem E-Bike war und er gleich einen Unfall verursacht hatte, und die ältere Frau wegen der rüpelhaften Fahrweise des Mannes. Ich ließ die beiden schimpfen, weil ich und mein Fahrrad wohlauf waren. Wir verzichteten darauf, die Personalien auszutauschen oder gar die Polizei zu holen. Es war der Fall, der in Unfallstatistiken explosionsartig steigt. Fahrradfahrer unterschätzen das Tempo von E-Bikes. Die Reaktionszeiten verkürzen sich, Bremswege werden länger. Ich stellte fest, dass man beim Fahrradfahren nicht nur höllisch auf Autofahrer aufpassen muss, sondern dass auch E-Bikes zu gefährlichen Geschossen werden können.
20. August 2019
Zunächst konnte ich es nicht glauben, was im Nachlass des verstorbenen Schwiegervaters alles auftauchte. Als wir alte Fotos heraus kramten, wurden die Erinnerungen persönlich bis sehr persönlich. Die Fotos wurden zu Zeitzeugen, wenn sie sehr weit in die Vergangenheit zurück blickten und einen Zeitbezug herstellten, der in diesem Fall historische Züge annahm. Ein Foto des Kaisers ? Des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. ? Mit dem allseits bekannten Bild des Kaisers mit seinem Zwirbelbart hatte das Foto wenig Ähnlichkeit, und doch: hoch betagt, hatte man den Kaiser im Alter von 81 Jahren fotografiert, und Soldaten in Uniformen umstanden den alten Mann. Die Rückseite des Fotos brachte Klarheit und Gewissheit. Das Foto war im ersten Kriegsjahr 1940 gemacht worden, und als Ort nannte der Urheber des Fotos Haus Doorn. Die Fakten passten. 1918 war der deutsche Kaiser Wilhelm II. in das Exil in die Niederlande gegangen, 1940 waren deutsche Truppen in die Niederlande einmarschiert. Im Jahr 1940 war Kaiser Wilhelm II. tatsächlich 81 Jahre alt, ein Jahr später verstarb er. Wer hatte das Foto gemacht ? Dieses Rätsel konnten wir nicht lösen, denn der Großvater meiner Frau war in einem Troisdorfer Rüstungsbetrieb tätig und war nie als Soldat eingezogen worden.
21. August 2019
Diese Mauer und dieses Verbotsschild drücken aus, wie gefühlskalt unsere Gesellschaft ist. Wir ziehen uns zurück, hinter Mauern. Wir grenzen uns ab zu anderen, hinter Mauern. Unsere Kommunikation ist gestört, weil wir Mauern aufbauen. Ob Bretterzaun oder Betonmauer: ähnlich einfallslos wie dieser Mauerverschlag aus einem Metallgestell und Steinen verbarrikadiert sich die Gesellschaft, es mangelt an Offenheit, die Gesellschaft zerlegt sich in Gruppen und Grüppchen, von denen jeder hinter Mauern nur seine eigenen Interessen verfolgt. So wie diese nackte und glatte Oberfläche der Steine, schützen wir uns mit einem Panzer, um niemanden an uns heran zu lassen. Die Gesellschaft ist so, wie das Wort Individuum es beschreibt. Wir sind teilbar, wir sind zersplittert in kleinste Einheiten, so wie man die Massen von Kunden in Kundensegmente zersplittert. Diese sind dann wie ihre Produkte, die man nutzt und benutzt. Es ist ein emotionsloser Vorgang der Produktnutzung, der gefühlskalt wie diese Mauer aufbaut. Mit Geboten und Verboten werden wir gelenkt. In der Masse der Käufer sagen uns andere, was wir zu tun und zu lassen haben. In der Gesellschaft sind wir leicht manipulierbar, wenn unser Denken und unser Verstand die Mauern nicht überwinden kann, die uns umgeben. Viele sind gefangen in sich selbst, oder in einem kleinen Kreis von menschlichen Beziehungen, in einem eng abgegrenzten Bereich zwischenmenschlicher Kommunikation. Diese Mauer und dieses Verbotsschild verkörpern eine pessimistische Weltsicht auf eine Gesellschaft, die sich dem Sog des Zeitgeistes nicht entziehen kann. Sie strebt einen Stillstand hinter Mauern an, um anderen mit deren Geboten und Verboten nicht hinterher rennen zu müssen.
22. August 2019
Zehn Tage des Regens haben ausgereicht, um das Gras auf dem Rheindamm wieder in einem üppigen Grün erscheinen zu lassen. So ist es erstaunlich, wie schnell sich die Natur vom Stress durch Hitze und Trockenheit erholen kann – zumindest an dieser Stelle in Rheinnähe. Grün und in vielen Farben blühen Kräuter und Blumen vor sich hin. Und die Wiesen-Witwenblume vermehrt fleißig ihre Blüten, gesellt sich zu anderen blühenden Kräutern und wiegt ihre Stängel in der Sonne.
23. August 2019
Die 60er-Altersgrenze habe ich in diesem Jahr überschritten, und die Anzeichen der Ermüdung sind gering, zumindest, was die Rennradtouren betrifft. Nachdem ich in der letzten Woche die Tour durch das Ahrtal über Dernau nacch Hause zurück gefahren bin, habe ich mich heute an Maria Laach heran gewagt. Maria Laach ist so etwas wie die schwierigste Tour – wegen des Streckenabschnitts, der mitten durch die Eifel führt. Und auch eine der schönsten Touren, weil ich auf keiner anderen Tour so viel Schönheiten im Herzen der Vulkaneifel zu sehen bekomme. Mit all den Steigungen ist die Tour ambitioniert. Wenn ich sie durchzähle, komme ich auf fünf dicke Anstiege zwischen Bad Neuenahr und Maria Laach, die allesamt schwierig zu treten waren, wobei mir nie die Puste ausging. Stetiges Treten bewältigte die Anstiege, bei manchen heftete ich stur meinen Blick auf den Asphalt, wenn sie nervend waren und immer nur eintönig geradeaus führten. Entschädigt wurde ich durch rasante Abfahrten, bei denen ich alle Schönheiten der Landschaft in mich aufsaugen konnte. Pause in Bad Neuenahr, Pause im Biergarten von Maria Laach, Pause im Brauhaus Remagen. Live genieße ich ein großes Brauhausbier, während ich diesen Tagebucheintrag schreibe.
24. August 2019
Welch ein jähes Ende ein Waffenschrank auf dem Sperrmüll nehmen kann. Ein echter Waffenschrank, das hatte mir meine Frau versichert, der mindestens einhundert Jahre alt ist, mit schönen Ornamenten auf der Abschlussleiste und an der Glastüre. Ornamente, wie man sie auf Möbeln heute fast gar nicht mehr fertigt. In der 1920er Jahren hatte eine Großtante meiner Frau bei der Maschinenbaufirma Reifenhäuser in Troisdorf als Sekretärin gearbeitet. Diese besaß einen Waffenschrank, den sie der Großtante meiner Frau überließ. Zu Hause nutzte sie ihn nicht als Waffen-, sondern als Wäscheschrank. Mitte der 1980er Jahre benötigte sie diesen nicht mehr und überließ ihn meinem Schwiegervater, wo er im Keller stand. Verstaut mit Spielsachen, hatte man dem alten Waffenschrank, genauso wie den übrigen im Keller herumstehenden Sachen, lange Zeit keine Beachtung mehr geschenkt. Der Zahn der Zeit hatte so sehr an dem Schrank genagt, dass sich die Holzwürmer hindurch gefressen hatten, besonders intensiv mit frischen Fraßspuren im Bereich der Sockelleiste. Nichts wie heraus aus dem Haus, hatten wir entschieden, um weiteren Schädlingsbefall an anderen Möbeln auszuschließen. So sahen wir keine andere Lösung als den Sperrmüll – zerlegt in die Einzelteile und den schönen Ornamenten nachtrauernd.
25. August 2019
Den Nachmittag habe ich genutzt, um Dinge zu unternehmen, die ich immer mal gemacht haben wollte, die aber der allgemeinen Zeitknappheit stets zum Opfer gefallen waren. Bei dem heißen Wetter hatte zum Eisessen niemand Lust, so dass ich mich alleine auf den Weg machte. Kein Eisessen, sondern ich verspürte den Drang, in einem hübschen Café zu verweilen. Auf der Spicher Straße im Nachbarort gelegen, war ich gefühlte tausende Male an dem Café Alexandra vorbei gefahren, wo der Blick sich durch die großen Fensterscheiben hindurch tasten konnte und eine gemütliche Café-Atmosphäre erahnen konnte. In der Tat, das Café hielt, was es versprach, das stellte ich heute fest. Gegen meine sonstigen Gewohnheiten aß ich Kuchen – Schwarzwälder Kirsch-Torte – bei der Tasse Kaffee. Die creme-weißen Stühle, die dunkelbraunen Holztische und die beigen Fliesen harmonierten gut zusammen. Die Kuchentheke hielt ein reichhaltiges Kuchenangebot bereit. Den Thekenbereich, über dem das Schild „coffee bar“ hing, lockerten Regalbretter mit Tassen und Gläsern auf. Aus der Kommunikation mit den Café-Gästen schloss ich, dass die Anzahl der Stammgäste groß war. Mäßig gefüllt, wurde viel geredet und gequatscht. Der Blickfang des Cafés verinnerlichte die Nähe zu Köln. Unter einem schweren Spiegel mit einem metallenen Rahmen stand ein Schwibbogen mit der Kölner Altstadt. Eine gemütliche Atmosphäre, und bestimmt werde ich wieder kehren.
26. August 2019
Stets habe ich mich davor gedrückt, eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen. Das ist dann lästig und auch kompliziert, wenn wir uns ab und an mit juristischen Themen befassen müssen, die unter Umständen voller Tücken und Fallstricke stecken können. So flatterte zuletzt die Abmahnung einer Rechtsanwaltskanzlei in unseren Briefkasten. Der Sachverhalt einer Urheberrechtsverletzung war in unserem Hause zweifellos unangenehm, und einen Tag Recherche musste ich aufwenden, um mich über www.openjur.de schlau zu machen. Die Internetseite ist wirklich toll ! Es ist eine Datenbank mit jede Menge Gerichtsurteilen, die mit einer Suchfunktion ausgestattet ist. Sie spuckt genau die richtigen Gerichtsurteile aus, die man braucht. Anschließend glaubt man selbst so fit zu sein, dass man mit geringem juristischem Vorwissen eine Rechtsanwaltskanzlei eröffnen könnte, um Gott und die Welt anzumahnen. Was wir als Rückantwort an die Rechtsanwaltskanzlei formuliert haben und wie wir gedenken vorzugehen, dürfte zielführender und schneller sein, als einen Rechtsanwalt einzuschalten.
27. August 2019
Ein wiederholtes Aufräumen und Ausräumen für den Sperrmülltermin. Noch mehr Müll kam aus Ecken hervor, die wir nie ins Auge gefasst hatten. Es war abstoßend, wie sich unter der Kellertreppe ein Müllberg sondergleichen befand. Eine alte (noch volle) Bierflasche, ein unbeschrifteter Kanister mit einer Flüssigkeit, die mit einem Gefahrensymbol gekennzeichnet war, ein verstaubter Eimer voller Fliesen und noch mehr Gerümpel. Mittendrin dann eine wertvolle Erinnerung, in einer klebrigen Tüte. Es war die LEGO-Familie meiner Frau, als sie noch Kind war. Hübsch anzusehen, wie die putzigen Figuren in der Gruppe zusammenstehen.
28. August 2019
Die zu kurz geratene Rennradtour bereitete dennoch Spaß. Im Büro hatte ich einiges aufzuarbeiten, ich wollte nicht allzu spät am Haus des verstorbenen Schwiegervaters vorbei fahren, so dass das Zeitfenster etwas weniger als vier Stunden betrug. Hinaus aufs Rennrad, dazu kam das Gewitterrisiko, denn in Bonn hatte es gestern einen Gewitterschauer gegeben (während es zu Hause bei uns zwar donnerte und blitzte, aber trocken blieb). Die Tour über die Margarethenhöhe nach Oberpleis und Hennef war dennoch anspruchsvoll, weil es keine andere Strecke gab, wo auf solch kurzer Strecke soviel Höhenmeter zu bewältigen waren. Landschaftlich wunderschön durch das Siebengebirge, aber pickpackevoll mit Autoverkehr. Obschon die Umgebung nicht gerade anziehend war, genoss ich die Pause am Hennefer Wirtshaus, wo ich ein Pils und ein Weizenbier trank. Wenige Wolken gingen in einer milchigen Himmelstrübung unter, worunter keine Gewitterwolke in die Höhe schoß. Die Pause dominierten die Wespen. Das Pils und das Weizenbier musste ich mit einem Bierdeckel abdecken, denn sonst hätten sich die Wespen der Flüssigkeit bemächtigt. Nebenan saß eine ältere Frau mit ihrer Enkeltochter im Kindergartenalter, die nicht aufhörte zu reden. Pausenlos redete sie darüber, was man alles zusammen matschen kann, um Flammkuchen zu backen. Eier kommen in den Teig hinein, Cola kann man hinzufügen, Grauburgunder, Schwarzburgunder, Apfelschorle. Basilikum, das man in Wasser mit jede Menge Blätter vermengen kann. 20 Minuten im Backofen, und dann ist der Flammkuchen fertig. Derweil aß die ältere Frau einen Sahnehering mit Kartoffelspalten und kämpfe dabei gegen den Andrang von Wespen. Irgendwie gelang es ihr, den Sahnehering aufzuessen. Die zurück gebliebenen wenigen Essensreste deckte sie mit mehreren Servietten ab, damit sich keine Wespen herum tummelten. Sie war froh, wenn das Mundwerk ihrer Enkelin irgendwann stillstand, und wenn sie ihre Aufmerksamkeit nicht vollständig auf ihre Enkeltochter lenken musste.
29. August 2019
Ein monolithischer Felsblock im Siebengebirge, der jegliche Dimensionen sprengt. Ist es heutzutage eine Finca auf Mallorca oder eine Segelyacht an der Côte d’azur, so gaben sich vor etwas mehr als einhundert Jahren Reiche und Superreiche bodenständiger. Nicht ab und weg auf mediterrane Sonneninseln, sondern das mediterrane Lebensgefühl wurde vor der eigenen Haustüre gesucht. So entdeckte die Kölner Unternehmerdynastie Mülhens, die mit der Marke 4711, ihren Parfums und ihren Duftwassern ein großes Firmenimperium schuf, die Schönheiten des Siebengebirges für sich. Sie erwanderte all die bizarren und schroffen Felsformationen, die durch den Vulkanismus vor 25 Millionen Jahren entstanden waren. Nachdem 1873 sein Vater starb, wurde Ferdinand Mülhens zum Alleinerben des 4711-Imperiums. Er verwirklichte all seinen Reichtum als Firmen-Alleininhaber vom Firmensitz in Köln im nahen Siebengebirge, indem er den dortigen Wintermühlenhof kaufte und das Hotel auf dem Petersberg bauen ließ. Nebenher befasste er sich mit den vulkanischen Aktivitäten und den Gesteinsformationen im Siebengebirge. 1911 ließ er in den nach ihm benannten Mülhensschen Anlagen diese riesige Steinstele aufstellen. Ihr Weg weist in die dichte Bewaldung und ist – entsprechend der Zeit um 1911 – „gestattet auf Widerruf für Fußgänger, Reiter und Personenfuhrwerke“, das besagt die Aufschrift im unteren Bereich des gewaltigen Steinklotzes.
30. August 2019
Anka Zink, ein nachträgliches Geburtstagsevent im Kölner Senftöpfchen-Theater mit einer besonderen Note. Unter der Überschrift „das Ende der Bescheidenheit“ tauchte Anka Zink ganz subtil in die Ausprägungen der Bescheidenheit ein, oder vielmehr, was genau das Gegenteil davon war. Bescheidene Züge hatte ihr Programm bereits mit ihrem Auftritt auf die Bühne genommen, da sie bereits jede Menge Applaus erhalten hatte, ohne nur ein Wort zu sagen. Anka Zink leitete die Wortbedeutung von „bescheiden“ aus dem Mittelalter ab. Rechtsinstanzen und Gerichte erteilten einen Bescheid, und das Verb „bescheiden“ reduzierte das Handlungsfeld der Betroffenen, da sie ihr Tun und Unterlassen wenigen Dingen aus dem Bescheid unterordnen mussten. Das Ende der Bescheidenheit hatte hingegen ganz viel mit Bedeutung zu tun, eine Bedeutung, dessen Indikator war, dass manche Personen und Charaktere nie Zeit hatten. Stets kamen sie dringend von irgendwo hin nach irgendwo her, sie waren nie verfügbar und hatten nie Zeit. Sie betraten ein Café, klappten ihren Laptop auf oder kommunizierten mit ihrem Smartphone, sie durften eigentlich gar nicht da sein in dem Café, weil sie irgendwo anders dringender zu tun hätten. Ihr Statussymbol äußerte sich in ihrer Verhinderung. Ging es um Problemstellungen, arbeiteten solche Menschen nicht daran, Probleme zu lösen, sondern diese vergrößern, um sich mit diesem Konglomerat von Problemen befassen zu müssen. In diesem Zusammenhang nannte Anka Zink ihre gealterte Tante Angela, die es liebte, dass sich andere mit ihr als Bestandteil des Problems befassten. Stets stand sie mit ihrem Rollator anderen im Wege herum, was dann ihre Bedeutung steigerte. WhatsApp-Gruppen trugen ebenso ihren Anteil bei, dass Aktivitäten, die in der Welt der analogen Kommunikation einfach und schnell zustande kamen, zu verkomplizieren. Wollte man sich etwa zum Wandern verabreden, konnte in einer WhatsApp-Gruppe jeder mitreden. Jeder konnte seine eigenen Befindlichkeiten einbringen, so dass sich die WhatsApp-Gruppe zunächst aufplusterte auf ganz viele Mitglieder, worunter dann einige beleidigt ausschieden aus der WhatsApp-Gruppe, wenn ihnen irgendwelche Details zur Wanderung nicht gefielen. Da der Pingpong über Posts in WhatsApp bedeutungsschwerer war als der direkte telefonische Draht, waren WhatsApp-Gruppen häufig eine schwierige Herausforderung zwischenmenschlicher Kommunikation. Mit all ihren spitzen Anspielungen und Pointen waren alle Freunde begeistert von Anka Zink. Im Anschluss nach der Vorstellung tranken wir am Brauhaus Sion noch einige Gläser Kölsch.
31. August 2019
Nachdem wir am Vortag bis tief in die Nacht am Brauhaus Sion Kölsch getrunken hatten, sortierten wir uns am nachfolgenden Samstag in gebotener Langsamkeit. Wir schliefen aus, verzichteten darauf, den Wecker klingeln zu lassen. Gegen halb 9, mühsam aus dem Bett gekrochen, versorgte ich unsere Katzen und begab mich in den Garten. Unser Gemüse, das am Vorabend nicht gegossen worden war, verlangte nach Wasser. Tomaten und Kohlgemüse, Gurken und Sellerie, Bohnen und Endiviensalat, einzeln prüfte ich Pflanze für Pflanze und goß mal mehr und mal weniger. Anschließend fuhr ich zum Bäcker, und derweil war unsere Tochter aufgestanden. In der Nacht war ihr so übel gewesen, dass sie drohte zu erbrechen, so dass meine Frau die Krankheitssymptome bewertete und wir abwägten, während ich ein Croissant aß, inwieweit wir die Notfallpraxis aufsuchten mussten. Dies schoben wir vorläufig nach hinten, so dass wir uns an unsere Wocheneinkäufe heran machten, die wir diesmal bei real in St. Augustin erledigten. Nachdem wir real verlassen hatten, bedeutete für uns das Mittagessen beim thailändischen Imbiss ein großes Stück Ruhe inmitten aller Aufgaben, Terminen, To do’s, Erledigungen und Abarbeitungen. Froh darüber, uns nicht an den eigenen Herd stellen zu müssen, schlemmerte ich das knusprig-kross gebratene Fischfilet mit Gemüse in mich hinein, während meine Frau Huhn mit derselben Gemüsesoße aß. Bissen für Bissen genossen wir die reichliche Portion, und derweil brachten wir all das, was wir als nächstes abzuarbeiten hatten, in eine sinnvolle Reihenfolge. Unseren Durst löschten wir mit einer gut gekühlten Cola, und am frühen Nachmittag kehrten mit unserer Einkaufs-, unseren zwei Kühlboxen und jede Menge Katzenfutter nach Hause zurück. Da ich zusätzlich Mineralwasserkästen bei REWE einkaufte, wurde es reichlich spät, als wir im Haus des verstorbenen Schwiegervaters tätig wurden. Fieberhaft waren wir mit den Vorbereitungen zum ersten Dorftrödel in unserem Ort beschäftigt. Ganz viel räumten wir auf und hin und weg, ganz viel spülten wir, und die Art und Weise, wie wir den geerbten Hausrat auf dem Dorftrödel anbieten wollten, nahm langsam Formen an.

1ter Rheidter Dorftrödel

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Wir diskutierten heiß, unsere Runde schwoll an. Das Ereignis, das solch einen ungeahnten Verlauf genommen hatte, zerlegten und analysierten wir, so wie Fußball-Experten aus den Ergebnissen der Fußball-Bundesliga die Potenziale im Hinblick auf die kommenden Spieltage abschätzen. Gerne nutzten wir die Gelegenheit, uns im Keller dazuzusetzen. Die Rolläden hatten wir im Haus des verstorbenen Schwiegervaters herunter gelassen, die Luftballons und die Schilder zum 1ten Rheidter Dorftrödel hatten wir hängen lassen. Die Geschenkebänder, mit denen wir in Klarsichthüllen unsere Aufschriften des 1ten Rheidter Dorftrödels befestigt hatten, baumelten in der Thujahecke.
Nun hatten wir in die Kellerräume der Martinstraße, wo der Organisator des 1ten Rheidter Dorftrödels wohnte, jede Menge Hunger und Durst mitgebracht. Den ganzen Tag, von 10 bis 17 Uhr hatten wir gestanden und Hausrat verkauft. Das Organisationstalent Ingo Demmer hatte alle, die bei der Trödelaktion mitgemacht hatten, zum Grillen und zu einem Abschlussumtrunk eingeladen. Die weiß gestrichenen Wände mit dem provisorisch anmutenden Flair im Keller waren nicht unähnlich zu unserem Baustellen-Feeling, das unsere Besucher inmitten nackter Bimssteine im Wohnzimmer umgaben, da wir mit den ersten Abrissarbeiten vor der bevorstehenden Umbaumaßnahme begonnen hatten.
Als wir eintrudelten, mussten noch drei Stühle dazu geholt werden, da der Keller vollgestopft war vor lauter unbekannten Gesichtern. Diese scharten sich, mit Grillwürstchen und Getränken gut versorgt, um eine lange Spanholzplatte, die, auf Eisenböcke gelegt, als Tisch diente.
Luftballons zur Begrüßung
Mit Würstchen vom Grill, der vor dem Eingang des Mehrfamilienhauses stand, und einigen Flaschen Bier betrieben wir eine Nachschau. 175 lautete das amtliche Endergebnis, wie viele Haushalte sich an dem 1ten Rheidter Dorftrödel beteiligt hatten. Ingo, der die Aktion ins Leben gerufen hatte, hatte nie und nimmer damit gerechnet, dass die Aktion sich zum solch einem Selbstläufer entwickeln würde. In der Community der Nachbarschaft hatte er im Juni seine Idee eines Dorftrödels gepostet, wo jedermann in unserem Ort mitmachen konnte. Die Resonanz war so groß, dass die Teilnehmerzahl von Tag zu Tag rasant stieg. Offensichtlich hatten viele Haushalte so viel Hausrat herumstehen, dass sie sich nicht trauten ihn zu entsorgen und sich lieber an ihre Straße stellten, um die gut erhaltenen und voll funktionsfähigen Stücke an einen neuen Besitzer zu übergeben. Da wir den Haushalt des verstorbenen Schwiegervaters aufzulösen hatten, konnten wir den Dorftrödel mehr als gut gebrauchen.
Ihre Häuser hatten die teilnehmenden Haushalte mit Luftballons gekennzeichnet, und so begleiteten bunte Luftballons die Straßenzüge, wo sich Pavillons aufspannten. Tapeziertische breiteten ihr Angebot von gebrauchtem Hausrat aus, in Innenhöfen sammelte sich allerlei Trödel zusammen, in Garagenzufahrten wurden längst vergessene Schätzchen zu neuem Leben erweckt. Das Treiben war bunt, und in manchen Straßen pilgerten die Passanten regelrecht von einem Trödelhaushalt zum nächsten.
viele kauften nichts, aber einzelne kauften ganz schön viel
Allententhalben zog man im Keller das Fazit, dass sich die Aktion gelohnt hatte. Schaute man allerdings auf die Umsätze derjenigen, die teilgenommen hatten, gab es beträchtliche Unterschiede. Ja nach Lage, ob abgelegene Straße am Ortsrand oder Hauptdurchgangsstraße, schwankten die Besucher erheblich. Proportional dazu schwankten die Einnahmen, deren Spitzenwerte einiges über einhundert Euro lagen, während man sich in Randlagen um die zehn Euro begnügen musste. Dabei hatten wir mit unserer Lage gegenüber dem Pfarrheim sicherlich Glück. In der Nähe der Kirche lag das Haus des verstorbenen Schwiegervaters zentral, zudem gab es am Pfarrheim ausreichend Parkplätze.
Dabei hatten sich die ersten Interessenten ziemlich einsilbig in unser Haus gewagt. Armbanduhren oder Schmuck – darauf hatten sie es abgesehen, diese Gegenstände suchten gleich mehrere Besucher hintereinander. Das waren professionelle Händler, die mit ihren Autokennzeichen aus AC oder AW von weiter angereist waren. Dies konnte man aber auch positiv sehen. Weil sich 175 private Anbieter vor ihre Häuser gestellt hatten, entstand eine Art von Sogeffekt. Mit deren Anzahl vervielfachten sich die Besucher, wenngleich wir deren Nachfrage nach Armbanduhren, Schmuck, alten Postkarten oder militärischen Orden nicht bedienen konnten. Den professionellen Händlern folgten die Privatleute, von denen viele sich nur umschauten und später dann doch größere Mengen oder größere Stücke kauften.
Ein professioneller Händler, der sich auf Möbelankäufe spezialisiert hatte und der später das Schlafzimmer der verstorbenen Schwiegereltern kaufen wollte, brachte eine Haushaltsauflösung treffend auf den Punkt. Erfahrungsgemäß gäbe es ein 90:10-Verhältnis. 90%, zu denen Porzellan, Gläser, Vasen, Blumentöpfe, Taschen oder Unterhaltungselektronik gehörten, seien entweder nicht oder nur mit hohem Aufwand verkäuflich. Bei einer professionellen Haushaltsauflösung landeten sie rasch in einem Container oder im Restmüll, wobei der Kunde draufzahlen müsse. Die restlichen 10% seien verwertbar, weil sie selten wären, wirklich sehr alt oder weil sie häufig gebraucht würden.
das Organisationstalent Ingo Demmer beim Beisammensein im Keller (unten rechts),
Verkauf von Hausrat in und vor dem Haus (übrige Fotos)
Wir verzichteten lieber darauf, dass die 90% im Endeffekt auf den Restmüll oder in einem Container auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Genau genommen, lag das Verhältnis bei uns rund 80/20, was unter anderem daran lag, dass gelegentliche Erfolgserlebnisse den Verkaufstag beflügelt hatten. Darunter gehörte, dass wir zwei hohe Stapel von Puzzles, die bis zur Decke reichten, verkauft bekamen. Für zehn Euro an den Mann gebracht, hatten wir dieser Unmasse von Puzzlespielen im allgemeinen Trend des Zeitvertreibs an Smartphones und an Computerspielen keinerlei Chancen eingeräumt.
In Stoßzeiten war das Wohnzimmer mit seiner Baustellenatmosphäre rappelvoll. Viele Besucher kauften nichts, aber umgekehrt kauften einzelne Besucher ganz schön viel. Ein rund 30-teiliges Disney-Geschirr wechselte den Besitzer, eine Puppenwiege, eine Milchkanne, eine Perrücke, ein alter Schulranzen und auch zwei wuchtige Bilder mit einem runden Rahmen und religiösen Motiven von Jesus und der Muttergottes. Für zehn Euro wurde ich eine Sammlung von Sonderpostwertzeichen der Deutschen Bundespost los, und die Zeit, die die Besucher die 60-70 Stück Vinylplatten durchstöberten, war sehr lang. Bei der Ansammlung von Volksmusik, deutschen Schlagern und Stimmungsmusik waren es allerdings nur Einzelexemplare, die gekauft wurden. Am Ende des Tages konnte man dann doch erkennen, dass die Masse an Hausrat sich verkleinert hatte, wenngleich das Volumen einen immer noch erschlug.
Das Meinungsbild unter den Versammelten im Keller, dass Ortsansässige nicht trödeln, konnten wir nur bedingt teilen. Mehr als dreißig Jahre in unserem Ort beheimatet, zählte sich meine Frau zu den Ortsansässigen. Auf der Straße, wo wir wohnten, hatten Ortsansässige ihre Stände aufgebaut, ebenso Freunde und Bekannte, die seit Ewigkeiten im Ort wohnten.
Im Keller floß das Bier und spülte all den Stress der vergangenen Tage herunter. Wild zusammen gewürfelt, suchte die traute Runde ihre Verbindungen. Irgendwann und irgendwie bei irgendeiner Gelegenheit hatte man sich gesehen. Aber wo ? Die ungefähre Siebzigerin, die neben mir saß, aus einer Seitenstraße zu unserer Straße, hatte früher Tupperware verkauft. Es war eine Tupperparty, von woher sie ihre Sitznachbarin kannte. Jahrzehnte später, saß man nun zusammen und hatte sich mit den liebgewonnenen Schätzen und Schätzchen im eigenen Haushalt befasst, die einen Tag lang einen Hauch von Flohmarktatmosphäre verbreitet hatten.
Dieser Stress ging am Folgetag noch in eine weitere Runde, denn gleichzeitig zum im Pfarrheim statt findenden Kindersachenbasar wollten wir all unseren Hausrat erneut anbieten.

Treffen mit Freunden in Bonn

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Im Freien draußen auf dem Friedensplatz sitzend, suchten wir die Wortklauberei auseinander zu nehmen. Bevor ich mich von unseren Freunden verabschieden sollte, hatten wir uns im Außenbereich des Restaurants „Zum Sudhaus“ an einen Tisch gesellt. Wolken hatten sich in der Wärme des Spätsommertags zugezogen, und, nicht unter dem schützenden Dach eines Marktschirms sitzend, warnte uns der Kellner. Seine App hatte in einer Minute Regen vorhergesagt, doch wir verspürten keine Lust, unseren Platz zu wechseln. Das wir richtig so, denn ohne einen Tropfen Regen vom bewölkten Himmel sollten wir unser Essen genießen.
Bei den Speisen, die wir ausgewählt hatten, gelang es uns schlecht, die Speisenbezeichnungen auseinander zu tüfteln. Ich aß Rinderleber nach Berliner Art, unser Freund Hackbraten nach Bonner Art, seine Frau Fisch. Sein Hackbraten war gespickt mit ganzen Champignons in einer Soße, die an Jägerschnitzel erinnerte, meine Rinderleber bedeckten Röstzwiebeln und Ringe von Apfelscheiben. Was war nun typisch Bonn oder Berlin an diesen Speisenzutaten ? Wir bekamen uns keinen Reim darauf gemacht. Dass in Bonn besonders viele Champignons gezüchtet würden oder in Berlin besonders viele Zwiebel wachsen würden, dafür hatten wir keinerlei Indikation. Genauso wenig über die Vorlieben der Ex- und Neu-Hauptstädte über Champignons, Zwiebeln und Äpfel. Egal. Das Essen im Sudhaus war reichlich, es schmeckte ausgezeichnet und bei 11,90 Euro für die Leber nach Berliner Art konnte man nicht meckern.
das Sudhaus auf dem Friedensplatz
Zuvor hatte ich versucht, gegenüber den Freunden aus der Aachener Gegend, ihnen einiges über Bonn zu erzählen, da sie nur sporadisch die Stadt kennen gelernt hatten. Wir hatten uns am Beethoven-Denkmal getroffen, und rasch hatten wir festgestellt, dass wir mit klassischer Musik und Beethoven wenig gemein hatten. Im Musikunterricht in der Schule war Beethoven unvermeidbar gewesen, aber weder Beethoven, noch Mozart, Bach oder Haydn waren bei uns angekommen. Dabei gab es diese Symbiose von Beethoven und Mozart, da sein Vater, der Hofkapellmeister am Hof des Kurfürsten Max Friedrich war, seinen Sohn Ludwig als 16-jährigern nach Wien auf eine Studienreise nach Wien geschickt hatte, um von Mozart unterrichtet zu werden. Da er aber nur drei Monate am Hof in Wien verblieb, ist unsicher, ob er Mozart überhaupt begegnet war. Nach ein paar Jahren Aufenthalt in Bonn verzog es ihn als 22-jährigen dauerhaft nach Wien, wo Mozart inzwischen verstorben war. Obschon Ludwig van Beethoven nach seinem 22. Lebensjahr praktisch nie mehr Bonn gesehen hatte, konnten wir all den ganzen Rummel um seine Person nur als plumpe Marketing-Aktion erklären. Auch so manche andere Stadt trieben suchte Verbindungen, die es eigentlich gar nicht gab – wie zum Beispiel Düsseldorf und Heinrich Heine.
Indes waren wir uns im Musikgeschmack einig. Die klassische Musik war nicht unser Metier, wir bevorzugten härtere Töne wie zum Beispiel die Scorpions, deren fulminantes Konzert ich in im Bonner KUNST!RASEN erlebt hatte. Er sei allerdings nicht gewillt, den Preis von 83 Euro für eine Karte, den ich im Front of Stage-Bereich bezahlen musste, auszugeben. In einer Location in Übach-Palenberg spielten oft Coverbands für wenig Eintrittsgeld, die unser Freund gerne besuchte.
Die Stadtgeschichte hangelten wir uns mit Hilfe eines Bronzemodells auf dem Münsterplatz entlang, welches die Stadt zum Ende des 18. Jahrhunderts zeigte. Eine Stadtbefestigung umgab das Modell, wuchtige Kirchenbauten ragten heraus, von denen zwei während der napoleonischen Besatzungszeit abgerissen wurden. Das Stadtmodell grenzten das kurfürstliche Schloss und der Rhein ein. Eine abgerissene Kirche, die Martinskirche mit ihrem Ursprung aus dem 8. Jahrhundert, wurde auf einer Fotomontage auf dem Bauzaun der zurzeit renovierten Münsterkirche wieder zu neuem Leben erweckt.
Sonntags Nachmittags unterwegs, spazierten wir über die Remigiusstraße, um zum Universitätshauptgebäude zu gelangen, da der Durchgang, von der Fürstenstraße kommend, sonntags verschlossen war. So trotteten wir über den Marktplatz, wo jede Menge los war. Stände der Caritas, von Sportvereinen oder Jugendorganisationen tummelten sich auf dem Marktplatz. Die Maus von der Sendung mit der Maus tanzte auf der Bühne vor dem Rathaus, und der Anlass des Festes, dass heute der Weltkindertag war, blieb uns nicht verborgen. Auch ein Stand mit Masken und Schnitzereien aus Afrika war präsent. Die Ehefrau unseres Freundes aus Madagaskar hatte auf dem Stand eine Holzschnitzerei mit der Inselform von Madagaskar entdeckt, und am liebsten hätte sie das Stück mitgenommen.
Stadtmodell in Bronze (oben links), Beethoven-Denkmal (oben rechts), Zeichnung der Martinskirche auf dem Bauzaun (Mitte links), Zeppelin (Mitte rechts), Denkmal Ernst Moritz Arndt (unten links), Blick auf das Siebengebirge vom Alten Zoll (unten rechts)
Wir schlenderten am Rathaus vorbei, passierten die Durchfahrt unter dem Universitätshauptgebäude. Ich erzählte über den Werdegang des Wittelsbacher Adelsgeschlechtes und wie dieses Adelsgeschlecht insgesamt sechs Kölner Kurfürsten hervor brachte, die in Personalunion die gleichzeitige Funktion des Kölner Erzbischofs wahrnahmen. Speziell der Kurfürst Clemens August verschlang Unsummen an Geld, indem er im Stil eines absolutistischen Herrschers ein Prachtschloss nach dem anderen beauftragte, von denen es das Brühler Schloss zum Weltkulturerbe gebracht hatte. 1705 wurde die Schloßanlage im Bonner Stadtzentrum fertiggestellt, ab 1815 gründeten die Preußen, denen nach dem Wiener Kongreß das Rheinland zugeschlagen wurde, in dem Schloß die Bonner Universität. Dabei ordneten sie die Universitäten in ihrer Rheinprovinz grundlegend neu, indem sie die Duisburger und Kölner Universität schlossen, während die Bedeutung der Bonner Universität dementsprechend zunahm.
Wir schritten zum Alten Zoll, wo der phänomenale Ausblick auf den Rhein und das Siebengebirge von einem Zeppelin begleitet wurde, der mit seiner Aufschrift anscheinend von SWR3 gesponsert wurde. Vom Flugplatz in Hangelar kommend, orientierte er sich mit seiner Flugperspektive, genauso wie wir mit unserem Ausblick, an dem langen Band des Rheins, der an dieser Stelle die sehr heterogenen Stadtgebilde von Bonn und Beuel trennte. Ich erzählte unseren Freunden vom Bröckemännche und Bröckeweibche auf der Beueler Rheinseite, welche den Dissens zwischen den beiden Stadtteilen verkörperte, die in ihrer Entstehungsgeschichte wenig gemein hatten. Ich erzählte ihnen von der Festung als Bastion aus dem 17. Jahrhundert, wovon der Alte Zoll als einziger und mächtiger Rest übrig geblieben war, von Ernst Moritz Arndt auf seinem Denkmal, der 1848 als Abgeordneter der preußischen Rheinprovinz in die Nationalversammlung in die Frankfurter Paulskirche entsandt wurde. Ich erzählte von der neuen Anatomie Friedrich Schinkels, der derselbe Architekt war, der den Elisenbrunnen in Aachen entworfen hatte. Wir besichtigten die römischen Badeanlagen im Collegium Albertinum, und nachdem ich über die Bekanntheit des Hofgartens über die Friedensdemonstrationen in den 1980er Jahren erzählt hatte, war es Zeit für eine Pause bei einer Tasse Kaffee, die wir am Kaiserplatz einlegten.
Wir aßen eine Waffel mit heißen Kirschen, schlürften unseren Kaffee und Cappuccino herunter, wir trödelten hier, trödelten da. An der Dauerbaustelle des Hauptbahnhofs konnten wir immerhin feststellen, dass die Geschäftshausbebauung und die unterirdische Einkaufspassage inzwischen fertiggestellt worden war. Etwas ziellos bummelten wir weiter durch die Fußgängerzone, und hinter der Münsterkirche hatte ich die entscheidenden Momente verpasst. Mir fiel ein, dass ich unseren Freunden an der rückwärtigen Seite der Münsterkirche gerne den mittelalterlichen Kreuzgang gezeigt hätte. Er war ein Juwel, gleichzeitig eine Oase der Ruhe mitten in der Stadt, und suchte mit seinem vollständig erhaltenen Zustand aus dem 13. Jahrhundert seinesgleichen in Deutschland und darüber hinaus. Doch er hatte nur bis 16.30 Uhr geöffnet, und die Uhrzeit war längst bis weit nach 17 Uhr fortgeschritten.
So beschlossen wir, den Tag allmählich ausklingen zu lassen. Unser Freund musste am nächsten Tag gegen 5 Uhr morgens aufstehen, so dass das Zeitfenster einigermaßen eng war. Gegen 19 Uhr wollte er Bonn verlassen, um in die Aachener Gegend zurück zu kehren. So suchten wir gezielt das Sudhaus am Friedensplatz auf, wo es mir stets gut geschmeckt hatte. Über den Friedensplatz hatte ich nichts besonderes zu erzählen, außer dass man sich bei ihm – im Gegensatz zu anderen Orten in der Innenstadt – wenig Mühe gegeben hatte, ihn nach den Kriegszerstörungen stilgerecht wieder aufzubauen. Er funktionierte ausschließlich – im wesentlichen als überdmensionierte Bushaltestelle. Dass die Nationalsozialisten ihn in den Adolf-Hitler-Platz umbenannt hatten, verschwieg ich lieber.
Rinderleber nach Berliner Art und Bonner Hackbraten im Sudhaus
Nachdem wir gegessen hatten, zeigte mir Marie-Thérèse, die Ehefrau aus Madagaskar, Strandfotos aus Madagaskar. Ein unberührter Sandstrand, der vom Tourismus nicht erschlossen war. Keinerlei Hotels und nicht zugebaut, nur die Einheimischen hatten in Strandnähe niedrige Häuser gebaut, von denen eines ihren Geschwistern gehörte. 6-8 Wochen im Jahr schaffte sie es zumeist, bei ihren Geschwistern in Madagaskar zu verweilen, und unser Freund begleitete sie gerne dorthin, wenngleich nicht über die gesamte Dauer. Die Fotos auf ihrem Smartphone waren wunderschön, und sie wünschte es sich, dass es unsere Familie irgendwann auch einmal nach Madagaskar schaffen würde. Der Flug dorthin war allerdings umständllich und nicht gerade günstig. Direktflüge gab es keine, und in der Vergangenheit waren sie von den Startflughäfen in Frankfurt, Paris oder Brüssel geflogen. Beim diesjährigen Flug von Brüssel mussten sie in Addis Abeba in Äthiopien umsteigen.
Bis zum Bertha-von-Suttner-Platz, wo wir uns trennten, verquasselten wir uns noch etwas. Ich zeigte in die Richtung des Beethoven-Hauses, worin ich nie hinein gefunden hatte. Die Stände des Weltkindertages waren auf dem Markplatz in der Auflösung begriffen. Der Blick auf den vom Kurfürsten Max Friedrich beauftragten Obelisken auf dem Marktplatz war nun frei. Ich erwähnte, dass in der Seitenstraße der Brüdergasse die Remigiuskirche lag. 1806 war die Kirche vom Heiligen Ludwig in den Heiligen Remigius umbenannt worden, nachdem die Remigiuskirche, die auf halbem Weg zur Münsterkirche gelegen hatte, abgerissen worden war. Am Bertha-von-Suttner-Platz war es dann soweit, dass wir uns trennen mussten. Die Wege unserer Freunde führten in das Parkhaus der Stadtwerke Bonn, während ich auf den Schnellbus wartete.

Besuch von Freunden mit ihren Kindern und Katzenstreicheln

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Nach Tagen des Schaffens im Haus des verstorbenen Schwiegervaters verlief der Sonntag nunmehr anders. Heute ließen wir uns dort nicht blicken. Anstatt dessen besuchten uns Freunde, die wir über unsere große Tochter kennen gelernt hatten. In Bonn wohnend, hatten sie im Westerwald über den Wochenfeiertag ein verlängertes Wochenende verbracht und sie schauten auf ihrem Rückweg bei uns vorbei. Unser Chaos des herum stehenden Hausrats störte sie nicht, und bei Kaffee und Kuchen beschäftigte sich ihr dreijähriger Sohn mit einer Kiste von Spielzeugautos in unserem Wohnzimmer, während ihre sechsjährige Tochter mit unserer Tochter ihren Spaß mit unseren Katzen hatten. Unsere Freunde hatten in ihrer Mietwohnung keine Haustiere, nur ihre Nachbarskatze hatte es gelegentlich in ihre Wohnung geschafft, wenn sie aus der Nachbarswohnung ausgebüxt war und auf dem Flur herumlief. Insbesondere unser Kater Rambo genoss es, verwöhnt und ausgiebig gestreichelt zu werden. Auf dem Schreibtisch im Zimmer unserer Tochter ließ er sich nieder, wo er seine Streicheleinheiten von den beiden Mädchen erhielt. Er lief die Treppen rauf und runter, und die beiden Mädchen folgten ihm. Die beiden klebten so sehr an den Katzen, dass sie den Kuchen vergaßen. Für unsere Tochter hatte ich Pflaumenkuchen besorgt, darüber hinaus gab es Riemchen-Apfelkuchen, Schwarzwälder-Kirschtorte, Himbeer-Cremetorte und gedeckten Apfelkuchen. Ich hatte also keine Mühen gescheut, um allen Geschmacksnoten von Kuchen zu genügen und den Nachmittag in gemütliche Bahnen zu lenken. Der Kaffee dampfte in unseren Tassen, der Sohn unserer Freunde hatte mit seinen drei Jahren ein paar Brocken des Riemchen-Apfelkuchens auseinandergepflückt. Einzelne Bissen hatte er gegessen, bis er seinen Kuchenteller beiseiteschob. Derweil war nichts von den beiden Mädchen zu sehen, und sogar unser Kater Jumbo hatte sich in unserem Kleiderschrank verkrochen, weil ihm so viel Wirbel um unsere Katzen zu viel geworden war. Ab und zu ließ sich unser dritter Kater Oskar im Wohnzimmer blicken, wo er prompt die Aufmerksamkeit des kleinen Sohnemanns erweckte. Nachdem er die Hand beschnuppert hatte und ein paar Streicheleinheiten auf sein Fell abbekommen hatte, zog er es vor, auf der Kellertreppe in Sitzstellung zu gehen. In direktem Blickkontakt schauten sich die beiden an, wobei der Junge vergeblich darauf wartete, dass unser Kater sich von der Stelle bewegte.
die beiden Mädchen streicheln unseren Kater Rambo (oben), Kaffee und Kuchen (Mitte), unser Kater Rambo auf der Kellertreppe (unten)
Währenddessen fiel es meiner Frau nicht schwer, unsere lange Geschichte von der Umbauaktion zu erzählen, die noch nicht wirklich begonnen hatte, wenn man die Aktivitäten der Handwerksfirmen betrachtete. Unserem Ärger mit dem Landschaftsverband und dem Amtsgericht standen die Sorgen unserer Freundin um ihren Sohn gegenüber, der im Kindergarten verhaltensauffällig war. Man hatte ihr bereits zu einem sonderpädagogischen Kindergarten geraten, doch im Alter von dreieinhalb Jahren hielt sie die Kontaktaufnahme für verfrüht, da Verzögerungen in der Entwicklung immer noch aufzuholen waren. Nachdem wir ganz viel gequasselt und unsere Katzen auf Trab gehalten hatten, hatten wir das Ziel des Besuchs beinahe aus den Augen verloren. Viele Anziehsachen, aus denen unsere Tochter herausgewachsen war, hatten wir übrig. Davon passte einiges ihrer sechsjährigen Tochter. In 4-5 dicke Plastiktüten verstaut, blähten sich all die Anziehsachen auf zu unhandlichen Paketen. Schwierig wurde der Vorgang des Verstauens, als es hieß, nach Hause zurück zu fahren. Dabei fiel den Kindern der Abschied von unseren drei Katzen schwer. Diskussionen waren nicht auszuschließen, dass man sich auch eine Katze in der Mietwohnung zulegen sollte. Da reichlich Gepäck aus dem verlängerten Wochenende den Kofferraum ihres Skoda Octavia belagerte, bekamen wir nur mit Mühe die Plastiktüten auf die Ablage gequetscht. Das Blickfeld durch die Heckscheibe war verstellt, und weitere Anziehsachen mussten unsere Freunde zwischen die Sitze stellen. Die Rückfahrt klappte dennoch, trotz der nur über die beiden Außenspiegel möglichen Beobachtung des Autoverkehrs. Abends hatten unsere Freunde ihren Kindern aus dem Märchenbuch vorgelesen, das wir ihnen geschenkt hatten. Es war ein dickes Buch mit vielen Märchen der Gebrüder Grimm – aber auch von Hans Christian Andersen – woraus wir an vielen Abenden unseren eigenen Kindern vorgelesen hatten, als sie noch klein waren.

Tagebuch September 2019

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1. September 2019
Ein Termin bei der Bank, der diesmal – wie ein vorheriger Termin – sehr entspannt verlief. Daraus haben wir gelernt, dass der Engpass bei unserem Umbauvorhaben nicht die Banken sind, weil ihnen die Finanzierung zu risikobehaftet erscheint. Ärger und Querelen bereiten vielmehr die Behörden und der Landschaftsverband, die nicht zeitnah reagieren. Sie geben falsche Versprechungen, die sie nicht einhalten. Man weiß nie, wo man dran ist und muss mit schlimmen Überraschungen rechnen. Solche Termine mit der Bank sind hingegen kalkulierbar. Man kann überschlagen, welche Belastung am Ende heraus kommt, und man bekommt im Detail die Vertragsmodalitäten erläutert. Man sitzt hier auf Augenhöhe von Mensch zu Mensch, wobei man als Kunde als gleichberechtigter Vertragspartner behandelt wird. Nachdem wir unseren Bankberater verlassen haben, haben wir ein gutes Gefühl. Wir denken, dass die finanzielle Plattform für unser Umbauvorhaben gelegt worden ist.
2. September 2019
Obschon keinerlei europäische Institutionen in Bonn angesiedelt sind, betont die Stadt ihre Verbindung mit Europa. Die Stadt Bonn vertritt im Städtenetzwerk Eurocities, dem 140 europäische Großstädte angehören, die kommunalen Positionen in den Bereichen Kultur, Mobilität, Soziales, Umwelt, Wirtschaft und bringt diese den europapolitischen Diskurs ein. Ähnliche Beiträge formuliert die Stadt Bonn als Mitglied im Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) regelmäßig in der Arbeitsgemeinschaft der EU- und Förderreferenten. Dabei erhält sie Informationen zu EU-Fördermitteln und EU-Projekten, die sie in größerem Umfang für die Universität erhält, ebenso für andere Institute der Forschung und Wissenschaft. Besonders stolz ist die Stadt darauf, dass 1989 die Vollversammlung der europäischen Hauptstädte in Bonn abgehalten wurde. Diese europäischen Hauptstädte vereinigen sich in den Buchstabenkürzeln „UCCE“, was für „union des capitales des communautés Européens“ steht. Ganz stolz auf dieses Ereignis, wurde im Jahr 1989 eine in Stein gemeißelte Sonnenuhr auf der Rheinpromenade aufgestellt. Auf einem achteckigen Sockel aufgestellt, steht die Sonnenuhr auf einer Säule, abgeschlossen von einer Windrose. Zwölf Sterne zieren die Säule mit zwölf europäischen Hauptstädten und den Buchstabenkürzeln „UCCE“.
3. September 2019
An dieser Stelle, am Ortsrand von Fritzdorf in der Gemeinde Wachtberg, befinden wir uns auf geschichtsträchtigem Boden. Die Felder auf der Anhöhe des Scheidt sind der Fundort des sogenannten „Fritzdorfer Bechers“, der im Rheinischen Landesmuseum Bonn ausgestellt ist. Obschon der Fundort weit außerhalb des Ortskerns liegt, muss es hier eine Grabstätte gegeben haben. Das ist außergewöhnlich, denn 1600 bis 1800 vor Christus, das ist das Alter des Bechers, war die Anhöhe mit Wald bedeckt und mit Sicherheit nicht bewohnt. Im gesamten Gemeindegebiet Wachtberg hätten damals höchstens 50 bis 100 Menschen gewohnt. Der 1954 auf einem Rübenfeld gefundene Becher ist wegen seiner Vergoldung eine archäologische Sensation. Aus 80 Prozent Gold und 20 Prozent Silber/Kupfer bestehend, gehört er zu den ältesten Goldgefäßen in Europa. Als Trinkbecher, der genau einen Liter füllen kann, könnte der Goldbecher bei einem Totenritual verwendet worden sein, das für die ältere Bronzezeit typisch war. Inwieweit aus dem Becher Bier, Wein oder Met getrunken worden ist, dass hat man aber nie nachweisen können.
4. September 2019
Die Renovierungsarbeiten ruhen, unsere Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, es wird ausgeräumt, aufgeräumt, sortiert, aussortiert, zusammengestellt. Was wir an Schätzen und Schätzchen aus dem Hausrat anzubieten haben, haben wir aufgebaut. Auf Tapeziertischen, Schränkchen und Tischen ist so manches schöne Stück auf der Pastor-Ibach-Straße 22 zu haben. Zusammen mit den anderen 160 Teilnehmern freuen wir uns auf den 1ten Rheidter Dorftrödel, der am nächsten Samstag, den 07.09.2019, von 10 bis 17 Uhr stattfindet. Wir freuen uns auf ganz viele Besucher, die bei uns herum stöbern wollen und so manches Schätzchen mitnehmen wollen. Wer es am Samstag nicht zu uns schafft, der kann uns gerne am Sonntag, den 08.09.2019, aufsuchen, wenn im gegenüber liegenden Pfarrheim der Kindersachen-Basar statt findet.
5. September 2019
Septembertage, Nebeltage. Die Schwaden von Nebel verhüllten sich allerdings überraschend, als ich die Friedrich-Ebert-Brücke am frühen Morgen mit dem Fahrrad befuhr. Die ganze Strecke bis zur Ampel an der Autobahnauffahrt Bonn-Beuel war nichts mit Nebel. Freie Sicht, klare Luft, ein blauer Himmel, der einen wunderschönen Tag versprach. Über den Wassern des Rheins marschierten nun die Nebelschwaden massiver hervor und tasteten sich über Felder und Wiesen nachdrücklich vorwärts. Die Wolken aus Wasserdampf waren unstrukturiert, deren Formen sich bildeten und gleichzeitig wieder auflösten. Ich fuhr entschieden hinein in dieses nebulöse Gebilde und schaute, was auf mich zukam. Erst auf der Brücke erkannte ich die tolle Morgenstimmung, in der sich die Sonne und die Nebelschwaden im Gleichgewicht befanden. Die ausgewogene Stimmung war wie gemalt, die Flecken von Nebel wurden von der aufgegangenen Sonne im Zaum gehalten. Als ich die Graurheindorfer Straße auf der anderen Rheinseite überquert hatte, herrschte wieder klare Sicht unter einem klaren blauen Himmel.
6. September 2019
Totale Ermattung am Ende des Tages. Es ist höchst anstrengend, wie ständig neuer Hausrat aus irgend welchen Ecken auftaucht und wie all die ganzen Ecken und Nischen nie vollständig gesichtet sind. Keller, Stauraum unter der Kellertreppe, Speicher. Solche Ecken und Nischen bringen alles wieder in Unordnung, was wir sauber sortiert haben, auf Tischen zum morgigen Verkauf auf dem 1ten Dorftrödel in unserem Ort her gerichtet haben und was wir an feinen und schönen Stücken anzubieten haben. Die Masse des Hausrats, was sich zu Lebzeiten der verstorbenen Schwiegereltern angesammelt hat, strengt an. Die Aufmerksamkeit wird erschlagen, die Fülle des Hausrats erschwert den Überblick. Was kommt da noch ? In der griechischen Mythologie wären es die Köpfe der Medusa. Einen Kopf von Medusa, der Schlange, hatte man abgeschlagen. Den Hausrat hatte man an den Mann gebracht, Übersichtlichkeit und Fortschritte waren erkennbar. Doch dann wuchsen die Köpfe nach. Viel mehr Hausrat aus anderen Ecken kamen zum Vorschein, die die Mengen vervielfachten und zum Chaos führten. Genauso kommen wir uns nun vor. Wir erwarten den morgigen Tag, inwieweit die Verkäufe die Köpfe der Schlange wieder im Zaum halten können.
7. September 2019
In den 1ten Rheidter Dorftrödel steckten wir große Hoffnungen, die Unmasse an Hausrat aus dem Haus des verstorbenen Schwiegervaters an neue Besitzer bringen zu können. 175 Haushalte beteiligten sich in unserem Ort offiziell an dem Dorftrödel, was dem Ort an diesem Tag mit den gekennzeichneten Luftballons und den aufgebauten Ständen eine ungewohnte Atmosphäre des Bummelns und Trödelns verlieh. Die ersten Interessenten hatten sich ziemlich einsilbig in unser Haus gewagt. Das waren professionelle Händler, die es auf Armbanduhren oder Schmuck abgesehen hatten. Deren Wünsche konnten wir nicht bedienen, da wir weder Armbanduhren, noch Schmuck, alte Postkarten oder militärische Orden vorrätig hatten. Den professionellen Händlern folgten die Privatleute, von denen viele sich nur umschauten und später dann doch größere Mengen oder größere Stücke kauften. Ein professioneller Händler, der sich auf Möbelankäufe spezialisiert hatte und der später das Schlafzimmer der verstorbenen Schwiegereltern kaufen wollte, brachte eine Haushaltsauflösung treffend auf den Punkt. Erfahrungsgemäß gäbe es ein 90:10-Verhältnis. 90%, zu denen Porzellan, Gläser, Vasen, Blumentöpfe, Taschen oder Unterhaltungselektronik gehörten, seien entweder nicht oder nur mit hohem Aufwand verkäuflich. Bei einer professionellen Haushaltsauflösung landeten sie rasch in einem Container oder im Restmüll, wobei der Kunde draufzahlen müsse. Die restlichen 10% seien verwertbar, weil sie selten wären, wirklich sehr alt oder weil sie häufig gebraucht würden. Wir verzichteten lieber darauf, dass die 90% im Endeffekt auf den Restmüll oder in einem Container auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Genau genommen, lag das Verhältnis bei uns rund 80/20, was unter anderem daran lag, dass gelegentliche Erfolgserlebnisse den Verkaufstag beflügelt hatten. Darunter gehörte, dass wir zwei hohe Stapel von Puzzles, die bis zur Decke reichten, verkauft bekamen. Für zehn Euro an den Mann gebracht, hatten wir dieser Unmasse von Puzzlespielen im allgemeinen Trend des Zeitvertreibs an Smartphones und an Computerspielen keinerlei Chancen eingeräumt. In Stoßzeiten war das Wohnzimmer mit seiner Baustellenatmosphäre rappelvoll. Viele Besucher kauften nichts, aber umgekehrt kauften einzelne Besucher ganz schön viel. Ein rund 30-teiliges Disney-Geschirr wechselte den Besitzer, eine Puppenwiege, eine Milchkanne, eine Perrücke, ein alter Schulranzen und auch zwei wuchtige Bilder mit einem runden Rahmen und religiösen Motiven von Jesus und der Muttergottes. Für zehn Euro wurde ich eine Sammlung von Sonderpostwertzeichen der Deutschen Bundespost los, und die Zeit, die die Besucher die 60-70 Stück Vinylplatten durchstöberten, war sehr lang. Bei der Ansammlung von Volksmusik, deutschen Schlagern und Stimmungsmusik waren es allerdings nur Einzelexemplare, die gekauft wurden. Am Ende des Tages konnte man dann doch erkennen, dass die Masse an Hausrat sich verkleinert hatte, wenngleich das Volumen einen immer noch erschlug.
8. September 2019
Im Gegensatz zu den anderen Trödelständen vom Vortag setzten wir unseren Hauströdel fort. Im Pfarrheim gegenüber fand ein Kindersachen-Basar statt, und ergänzend dazu konnten die Interessenten das Haus unseres verstorbenen Schwiegervaters besichtigen mit dem dort angebotenen Hausrat. Im Vergleich zum Vortag war die Anzahl der Besucher deutlich niedriger, wenngleich die Erfahrung des Vortages zutraf, dass etliche Besucher nichts kauften, aber umgekehrt einzelnen Besucher ganz schön viel kauften. Darunter waren an diesem Tag zum Beispiel Eltern aus Bonn-Oberkassel mit ihren Kindern, die in der Zeitung von einem Kinderflohmarkt in unserem Ort gelesen hatten. Diesen gab es aber nicht in unserem Ort, sondern nur den Kindersachen-Basar im Pfarrheim. Bei uns fand das junge Ehepaar mit ihren Kindern genau das, was sie suchten: Flohmarktatmosphäre inmitten einer Baustelle. Sie kauften einiges, darunter mehrere Playmobil-Sachen. Am Ende des Tages hatten wir bei weitem nicht so viel wie am Vortag verkauft, aber das Volumen des übrig gebliebenen Hausrats war dennoch ein kleines Stückchen kleiner geworden.
9. September 2019
Im Speckgürtel von Köln kennt die Liebe zum 1. FC Köln keine Grenzen. Kaum irgendwo in Deutschland identifiziert sich eine Stadt so sehr mit ihrem Fußballverein wie in Köln, das sagen Trainer und Spieler, die ihre Fans im Stadion erlebt haben. Trotz Misserfolgen, trotz mehrerer Abstiege, sind die Fans ihrem Verein in guten und in schlechten Zeiten stets treu geblieben. Auch ich selbst kann meine Leidenschaft für den FC nicht verleugnen. Am Rande des Mondorfer Hafens hat diese Leidenschaft die Ideen beflügelt. In seiner rot-weiß gestrichenen Karrosserie, zeigt der Trabi stolz die Vereinsfarben des FC. „Mer stonn zosamme wie de FC un de Dom“, mit diesem Spruch bekennt sich der Geißbock zum FC.
10. September 2019
Sucht man nach einem Motto dieser Rennradtour, war dies – ehrlich gesagt – WLAN in Bad Münstereifel. Zuvor hatte ich mehrere Berge abklabastert, davon waren es bis zu diesem Punkt, mit dem Ausblick in das Ahrgebirge, vier. Drei Anstiege waren etwas nervig, da man, oben angekommen, wieder ins Tal hinunter fuhr, um dann wieder den Berg hoch klettern zu müssen. Der vierte Anstieg kurz vor diesem Ausblick hatte es in sich, weil er steil war und gelichzeitig lang anhaltend. Dieser Ausblick entschädigte allerdings vollkommen für die voran gegangenen Strapazen. Nach anderthalb Stunden Treterei mit Höhen und Tiefen dazwischen hätte ich mir WLAN in Bad Münstereifel gewünscht, um ins Netz zu kommen, als ich meinen Laptop ausgepackt hatte. Es gab jede Menge WLAN über all die Outlet Center-Geschäfte. „Outlet“ nannten sich dementsprechend die WLAN-Hotspots. Doch bei der Einwahl hängte sich die verlinkte Internetseite auf, so dass ein Einloggen nicht möglich war. Dasselbe im Bitburger Bierhaus, wo die Lokalität, in der ich aß und drei Bitburger trank, einen eigenen Hotspot besaß. Also offline arbeiten, aber der Schönheit dieses Eifelstädtchens tat dies keinen Abbruch.
11. September 2019
Pausen kann ich in diesen ereignisreichen Zeiten gut gebrauchen. Ständig unter Strom stehend, ist bei unserem Renovierungsvorhaben dauernd etwas zu erledigen.Tagsüber sind wir ungebremst in Bewegung, abends schieben sich die Dinge nach hinten, und bis mitten in die Nacht lesen wir Mails, erledigen Papierkram und setzen den Hausrat zur Versteigerung ins Internet. Da kommt es mir gerade Recht, wenn die Fähre abgefahren ist, über den Rhein tuckert und am gegenüberliegenden Ufer anlegt. Eine Sitzbank als Insel der Ruhe. Der breite Strom des Rheins fließt träge vor sich hin, Schiffe stechen in schlafwandlerischer Langsamkeit vorwärts, wenige Fahrradfahrer huschen über den Radweg vorbei. Es ist Zeit zum entschleunigen. Den Stecker ziehen, nicht mehr vorwärts getrieben werden, den Körper in sich ruhen lassen, das träge Tempo der Fähre über den Rhein beobachten, einfach mal die Beine baumeln lassen, bis die Fähre an der Uferböschung angelegt hat. Solche Momente könnten bis in alle Ewigkeit andauern, bis uns all die To do’s wieder einholen, was in welchen Taktungen abzuarbeiten ist.
12. September 2019
Informationsveranstaltung des Behindertenwohnheims zum Bundesteilhabegesetz. In einem Versammlungsraum der benachbarten evangelischen Kirche knubbelten sich die Zuhörer, die über die massiven Änderungen informiert wurden. Wie bei so manchen anderen Gesetzen, beschrieb des Bundesteilhabegesetz einen Dissens, dass der Gesetzgeber Vorteile und Fortschritte in dem Gesetz sah, während die Betroffenen über Nachteile klagten. Dem Gesetzgeber ging es um eine Neuordnung der Finanzen bei Behinderten, die bislang aus einer Hand der Landschaftsverband bei einer Wohnheimunterbringung regelte. Die Vereinnahmung von Geldern durch den Landschaftsverband sollte wegfallen, anstatt dessen mussten die Angehörigen – sofern sie gesetzliche Betreuer waren – selbst die Beantragung der benötigten Gelder durchführen. Dies war vor allem die Grundsicherung, wozu ein Antrag beim Sozialamt zu stellen war. Im Detail war dies durchaus kompliziert, wenn es etwa um Zuständigkeiten ging, oder wenn für Einzelpositionen wie das Essen die Grundsicherung beantragt werden musste. Diese Grundsicherung war dann wiederum alternativ zu betrachten, dass die Sozialämter entweder die Grundsicherung oder Wohngeld zahlten. Aus den zur Verfügung stehenden Einnahmequellen wie Rente, Werkstattlohn der Behindertenwerkstatt, Pflegegeld der Krankenkasse waren dann die Kosten für das Behindertenwohnheim zu zahlen. Da diese Einnahmequellen niemals die vollen Kosten und auch die Miete des Behindertenwohnheims deckten, gewährte der Landschaftsverband weiterhin die Eingliederungsbeihilfe. Alles in allem, mithin eine nicht unkomplizierte Einnahme- und Ausgabenrechnung. Ob das wirklich alles kostendeckend war oder ob irgendwo Euros für die Betroffenen hängen blieben, darüber wurde nicht diskutiert. Dass diese Diskussion ausblieb, daraus schloss ich, dass die Gesamtfinanzierung in Summe ein Nullsummenspiel sein würde. Einen Effekt würde die Verlagerung von Antragsformalitäten zu den Angehörigen und gesetzlichen Betreuern in jedem Fall haben: Posten beim Landschaftsverband würden obsolet werden, der sich dann über einen Personalabbau Gedanken machen müsste.
13. September 2019
Nachwirkungen vom letzten Wochenende, ein „Berufs-Trödler“ meldete sich heute noch mal. Wir haben schon überall nachgeschaut, denkste.😉 Wie der Fachmann in die letzten Ecken und Winkel schaut, findet er immer noch Sachen. Sachen die für ihn interessant sind.🙃 Sachen die für uns eine Bedeutung haben.😄 Den großen Schatz haben wir immer noch nicht gefunden, werden wir wohl auch nicht mehr.💸 Aber ein Schätzchen holte der Mensch aus der Handtasche meiner Mama. Ein 10 Mark Schein.😂
14. September 2019
Was wir im Haus des verstorbenen Schwiegervaters schaffen, geht zu Lasten unseres Gartens. Was an Unkraut wächst, was zu ernten und sonst wie zu beackern ist, kriegen wir nicht aufgearbeitet. So bedauern wir sehr, dass wir unsere Stangenbohnen nicht rechtzeitig gepflückt haben. Zwei Körbe gepflückte Bohnen stehen nun in unserem Keller. Doch die Bohnen sind zu groß und überreif. Wir werden Sie auf den Kompost entsorgen müssen.
15. September 2019
Was die Klimadebatte so für Blüten austreibt. Es rumort in der Bevölkerung, man sorgt sich um den Planeten Erde, und dies zu Recht. Nicht nur eine Greta Thunberg, ebenso stehen viele andere auf und erneuern die grünen Bewegungen aus den 1980er Jahren, indem sie gegen Braunkohle, gegen die Dominanz des Autoverkehrs und für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs aufbegehren. Wehe, den Bäumen und dem Wald wird zu Leibe gerückt. Während im Amazonas Regenwald großflächig abgeholzt wird, um etwa die Rohstoffe für Bio-Sprit bereitzustellen, oder während großflächige Waldbrände die sibirische Taiga verwüstet haben, haben hierzulande Umweltaktivisten eine Anzahl von 43.000 Bäumen ermittelt, die infolge unserer Konsumgewohnheiten, Getränke aus Einwegbechern zu trinken, in einem Jahr gefällt werden müssen. Aber wie kann man unsere Konsumgewohnheiten ändern ? Das Problem ist, dass jeder bei sich selbst anfangen muss. Änderungen in der Verhaltenspsychologie herbei zu führen, dies ist keine triviale Übung, da jeder Mensch in seinem eigenen Selbst mit seinen Gewohnheiten, Werten, Sichtweisen und Verhaltensweisen gefangen ist. Somit wird sich unsere Gewohnheit, etwa einen Kaffee unterwegs in einem Einwegbecher zu trinken, nicht so einfach vom Tisch wischen lassen. Die Ursache-Wirkungs-Kette, dass Umweltbewegungen ins Leere laufen, ist häufig dieselbe. Der Verbraucher ist die entscheidende Stellschraube. Entweder er adaptiert die geänderten umweltbewussten Konsumgewohnheiten – wozu er häufig zu bequem oder erst gar nicht gewillt ist – oder der Gesetzgeber muss eingreifen – der sich dann wiederum gegen die beinharten Argumente von Lobbyisten durchsetzen muss. Es ist zu vermuten, dass sich die Jahreszahl von 43.000 Bäumen nur sehr langsam verringern wird, wenn sie nicht sogar konstant bleiben wird.
16. September 2019
Was für ein herrlicher Biergarten. In Koblenz, im Schatten des Kaiser-Wilhelm-Denkmals am Deutschen Eck, mit dem Blick auf die Mosel, kommen Wohlfühl-Gefühle der feinsten Art auf. Spähe ich rechterhand am Kaiser-Wilhelm-Denkmal vorbei, erhasche ich sogar ein Stück des Blickes auf den Rhein, so dass der Zusammenfluss der beiden Flüsse gerade durch das Denkmal und ein paar Platanen auf der Parzelle des Biergartens verdeckt wird. Der Biergarten hat solch einen Umfang, dass man unwillkürlich an Bayern denkt. An diese Art der Kultur des Beisammenseins in Biergärten, an diese Weitläufigkeit, wo man den Gedanken freien Lauf lassen kann. Biergärten in Bonn – zum Beispiel – sind begrenzt, auf einem kleinen Areal. Das mediterrane Lebensgefühl im Freien hat zwar das Rheinland erreicht, in Brauhäusern, in Cafés und der Kneipenlandschaft. Weniger in Biergärten unter freiem Himmel und inmitten alter Baumbestände und mit freiem Blick in alle Richtungen. Wenn man von diesem Biergarten in Koblenz unweit vom Deutschen Eck absieht.
17. September 2019
Es war Klassenpflegschaftssitzung, und in dem Trott der Gewohnheit trotteten die Eltern in der einmal jährlich statt findenden Sitzung samt Klassenleiterin vor sich her. An mir blieb hängen, das Protokoll zu führen, was auch bei mir zu einer Gewohnheit im Jahresturnus geworden war. Gleich zu Beginn der Klassenpflegschaftssitzung hielt die Vorsitzende eine kleine Überraschung für die anwesenden Eltern bereit. Ihr war die Lust vergangen, und sie stellte die Sinnfrage, was man in solch einer Position bewegen könne. Meetings, zu denen man eingeladen wurde, waren selten, und mehr als eine Zuhörerfunktion verblieb nicht. Der Kontakt zu den anderen Eltern ging gegen Null. Sie hätte sich eine gewisse Gemeinschaft mit den anderen Eltern gewünscht, doch nichts käme von den anderen Eltern zurück. Alle vereinzelten sich und gingen ihren eigenen Weg, und nichts verband sie mit den Eltern der Klassenkameraden und Klassenkameradinnen, womit unsere Kinder gemeinsam zur Schule gingen. So erging es auch unserer Tochter, dass es eine Art von Klassengemeinschaft nicht gab. Die Klassenlehrerin wusste nicht viel auf die Einwände zu antworten, so zum Beispiel, dass es auch noch Fachkonferenzen gäbe, Elternarbeitskreise oder auch die einmal jährlich statt findende Schulpflegschaftssitzung. Diese Antworten stellten aber die Klassenpflegschaftsvorsitzende nicht zufrieden, so dass sie ihre Tätigkeit als Klassenpflegschaftsvorsitzende beenden wollte, worauf sich niemand bereit erklärte, dieses Amt zu übernehmen. Die Klassenlehrerin ging dann den gewohnten Gang der Dinge, wie weiter vorzugehen sei, indem sie erläuterte, dass, wenn sich niemand finden würde, man sich innerhalb einer Woche erneut zur Findung eines Klassenpflegschaftsvorsitzenden zusammen setzen müsse. Da dies niemand wollte und niemand einen anderen Ausweg sah, ließ sich die derzeitige Klassenpflegschaftsvorsitzende beknien, ihre Tätigkeit fortzuführen. Zumal sie ohnehin nichts bewegen konnte und ihre Anwesenheit nur in seltenen Ausnahmefällen gefragt war. In der Folge dieser Diskussion stellt sich dann weiter die Sinnfrage, welchen Zweck eine solche Klassenpflegschaftssitzung erfüllt, wenn diese Diskussion einen enormen Zeitraum der Sitzung ausgefüllt hat. Okay, es gab auch ein paar organisatorische Themen, die wichtig waren. Potenzialanalyse, Berufsfelderkundung, Praktikum, Lernstandserhebung, Epochalunterricht, Projektwoche, Tagesausflüge, Selbstbehauptungstraining. In der gelangweilten Runde machte ich mir so meine Notizen, schrieb ein paar Punkte in das Protokoll, die mir wichtig erschienen. In einem Satz fasste ich zusammen, das die bisherige Klassenpflegschaftsvorsitzende mit ihrer Vertreterin ihre Tätigkeit fortführt. Wohlwollend nahm zum Schluss der Veranstaltung die Klassenlehrerin das Protokoll entgegen.
18. September 2019
Vom Prinzip her war es eine derbe Niederlage, die ich einstecken musste. Weit hatte ich mich hinaus gewagt und musste dementsprechend wieder zurück stecken. Noch nie hatte ich meinen behinderten Schwager in einem solchen desolaten und verzweifelten Zustand erlebt, wozu ich dem Behindertenwohnheim die Schuld gab. Ich hatte daher an die Leiterin des Behindertenwohnheims eine bitterböse E-Mail verfasst, in der ich Vorwürfe der Freiheitsberaubung, der Nötigung und der Misshandlung nicht explizit genannt hatte, sie waren aber deutlich heraus zu interpretieren. In einem gemeinsamen Termin, bei dem auch die beiden verantwortlichen Betreuerinnen anwesend waren, stellte die Leiterin die Vorwürfe klar. Mein Schwager hatte auch Pflichten, zu denen außer der zuletzt strittigen Mitarbeit beim Wäschewaschen auch das Einkaufen oder die Mundpflege gehörten. Eine Mitarbeit sei zuletzt nicht mehr gegeben, so dass die Betreuer Mittel und Möglichkeiten haben müssten, ihn zur Einhaltung seiner Verpflichtungen zu bringen. Dass er das Wohnheim am letzten Sonntag nicht verlassen sollte, sei ein Extremfall, wozu er aber aufgrund seiner hohen Rückstände auch selbst beigetragen habe. Die Zurechtweisungen und die Umgangsformen der beiden Betreuerinnen stellten sich als eine Art von Black Box dar, die wir nicht auf ihre Angemessenheit überprüfen konnten. Einstweilen bleibt uns nichts anderes übrig, als unseren Schwager laufend zu überprüfen, inwieweit er seine Pflichten auch einhält.
19. September 2019
Ein seltener Wechsel der Ebenen, von virtuell nach real. Wim de Vries zählt zu den wenigen virtuellen Facebook-Freundschaften, die wir in reale Begegnungen überführt haben. Gestern hatte Wim die tolle Idee, zwei Coupons, deren Ablaufdatum heute war, einzulösen. So hatte er mich zu einer Reibekuchenplatte, wofür die Coupons galten, im Dom im Stapelhaus in der Kölner Altstadt einzuladen. Das Stapelhaus, wodurch Köln im Mittelalter steinreich geworden war, weil die Schiffe auf dem Rhein dort ihre Ware zum Verkauf anbieten mussten, kann ich nur von außen. Nun lernten wir es von innen kennen und gesellten uns an einen Tisch am Fenster, wo unser Blick direkt über die Rheinpromenade und den Rhein auf die Deutzer Rheinseite schwenken konnte. Zu der Reibekuchenplatte, die mit Lachs und Tatar zubereitet war, tranken wir mehrere Stangen Dom-Kölsch, zu denen wir uns angeregt unterhielten und vieles von dem anderen kennen lernten.
20. September 2019
Die Demonstration war vorbei, der Menschenauflauf hatte sich verteilt, und manche Lokalitäten quollen in der Innenstadt vor Menschen über. Betrachtete man den Verkehrsstau, der sich vor dem Universitätshauptgebäude nicht von der Stelle bewegte, musste die Teilnehmerzahl der Fridays-for-Future-Demonstration immens gewesen sein. So manche Eltern versuchten, ihre innere Einstellung, dass sich in den Köpfen etwas ändern muss, in Form von freier Meinungsäußerung und Protest ihren Kindern zu vermitteln. Nicht nur Schüler, sondern auch Familien mit kleineren Kindern protestierten in Verbund einer Familienaktion. Da die Kinder, die vielleicht im Kindergartenalter waren, den Fahrradanhänger nicht mehr benötigten, wurde dieser für die Demonstration zweckentfremdet. Seine Verwendung hatte sich genauso gewandelt wie die Feindbilder der Energiegewinnung, wogegen sie demonstrierten. War es vor gerade ein paar Jahren die Kernenergie, die Wellen von Protesten entfachte, so ist es nun die Kohle. Die wunderbare Vision einer Energieversorgung ohne Kernenergie und ohne Kohle, aber dafür mit ganz viel Ökostrom aus Solarenergie, Biomasse, Wasserkraftwerken und Windenergie, wogegen an anderen Ecken unserer Republik allerdings auch protestiert wurde. Aber dies war eine andere Geschichte. Einstweilen verließ der Fahrradanhänger mit der Botschaft, dass die Kohle unsere Zukunft zerstört, die Innenstadt. Zwei Mädchen mit langen geflochtenen Zöpfen trotteten ihren Eltern hinterher, und es herrschte eine Harmonie im Familienverband, dass man für gerechte Ziele und für die Bewahrung des Planeten Erde demonstriert hatte.
21. September 2019
Ein Ausflug an einem denkwürdigen Datum. Eigentlich hätte meine Frau an diesem Datum, dem 21. September, arbeiten müssen, doch bei dem Datum stockte sie. Genau vor einem Jahr war ihr Vater gestorben. Drei Ereignisse überlagerten sich: der Todestag, der Ausflug der Behindertengruppe nach Maria Laach und der Dienstplan, dass sie arbeiten musste. Das war zu viel und emotional nicht zu verkraften. Mental war meine Frau nicht in der Lage zu arbeiten und ließ sich krankschreiben. Sie begleitete die Behinderten nach Maria Laach, auf der Goldenen Meile machten sie bei Remagen ein Picknick. Nachmittags kamen sie dann zurück, als meine Frau erst einmal zu sich selbst zurück finden musste.
22. September 2019
Wie schade, dass Beethoven mit seinem Denkmal in Bonn so dominant ist. Andere bedeutende Persönlichkeiten, die über Bonn hinaus die deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert gestaltet haben, treten dadurch in den Hintergrund. Solche Persönlichkeiten wie zum Beispiel Ernst Moritz Arndt werden kaum beachtet, obschon sein Denkmal vor dem Alten Zoll an einer nicht weniger exponierten Stelle aufgestellt ist. 1769 auf Rügen geboren, hatte er sechs Jahre lang eine Professur an der Universität Greifswald inne, bevor die Napoleonischen Befreiungskriege nachhaltig seine politischen Ambitionen veränderten. 1806 hatte Ernst Moritz Arndt als Soldat gegen die Napoleonischen Truppen gekämpft, im Zuge der Kämpfe war er nach Schweden geflohen. 1812 wechselte er in das Exil nach Russland, wo er die Schrift „Der Rhein – Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze“ verfasste. Eine Koalition aus russischen und preußischen Truppen sollte Mitteleuropa von Napoleon befreien – und hinter den Rhein zurückdrängen, das war die Vision des Ernst Moritz Arndt. Dies geschah schließlich am 2. Januar 1814, als 200 Füsiliere aus Brandenburg am Mittelrhein bei Kaub auf einer Pontonbrücke über den Rhein übersetzten. Ein Jahr später beendeten russische, preußische und englische Truppen das Napoleonische Imperium. 1818 berief ihn die Universität Bonn als Professor, und danach gehörte er zu den Verfechtern eines deutschen Nationalstaates, der seine Grenzen nicht am Rhein haben sollte, sondern sich ein weites Stück in den französischen Nationalstaat hinein verlagern sollte. Die deutsche Reichsgründung sollte er mit seinem Tod im Jahr 1860 nicht mehr erleben, aber er gehörte 1848 zu den herausragenden Persönlichkeiten der ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Kurzum, eine Persönlichkeit, die seiner Zeit weit voraus war. Obschon die Erscheinungsformen der Demokratie nicht miteinander vergleichbar waren, war er der erste demokratisch gewählte Abgeordnete der preußischen Rheinprovinz. In der Paulskirche, wo ein Parlament des fiktiven Gebildes des Deutschen Reiches mit 600 Abgeordneten tagte, nahm er dann die Interessen der Rheinprovinz wahr. Auf dem Weg zur deutschen Reichsgründung kommt ihm mindestens dieselbe Bedeutung zu wie die Kompositionen von Beethoven in der klassischen Musik. Dennoch wird jedermann das Beethoven-Denkmal kennen, während vielleicht gerade ein paar Historiker den Weg zu seinem Denkmal vor dem Alten Zoll finden werden.
23. September 2019
Was ein Bauzaun so alles veranschaulichen kann. Dieser Bauzaun umgibt die Bonner Münsterkirche, die zurzeit renoviert wird und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Der Bauzaun erzählt von der Geschichte der Münsterkirche, dessen maßgeblichen Umbau des Langhauses der Stiftsprobst Gerhard von Are im 12. Jahrhundert umgesetzt hat. Es war aber nicht die einzige sakrale Umbaumaßnahme, die in seiner Regie stand. Rückseitig zur Münsterkirche, hinter dessen Chorbereich, befand sich eine viel kleiner geratene Kirche, deren Ursprünge die Historiker ungefähr gleichzeitig, um 800, mit der Münsterkirche einschätzen. Diese Kirche war dem Heiligen Martin geweiht worden und nannte sich demnach Martinskirche. Während unter der Leitung von Gerhard von Are die Münsterkirche mit einem langen Kirchenschiff im Baustil romanischer Kirchenbauten erweitert wurde, beließ er die Martinskirche in ihrer kleinen Gestalt und fügte einen Kuppelbau als Zentralbau im Chorbereich hinzu, der dem frühchristlichen Kirchenbau in Ravenna sehr ähnelt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Schicksal der St. Martins-Kirche allerdings nicht gut gesonnen. Der Kirchenbau verfiel zunehmend, und 1794 annektierte Frankreich das Rheinland. Im Zuge der Säkularisation zweckentfremdeten und zerstörten sie auch einige Kirchen. Zu dieser Zeit beantragten Bonner Bürger, die Kirche abreißen zu dürfen, um einen freien Blick auf den Ostchor des Münsters zu bekommen. Doch dies lehnte der französische Stadtpräfekt entgegen den Bestrebungen der Säkularisation ab, da die Martinskirche als Wiege der Religion und ältestes Bauwerk der Stadt große Bedeutung hätte. Stattdessen überwies er der Stadt 300 Francs für die dringendsten Renovierungsarbeiten. Am Karfreitag des Jahres 1812 waren Unbekannte zu Werke gegangen, indem sie beim Einsturz der Kuppel mitgeholfen hatten. Wer im Endeffekt den Einsturz bewirkt hatte, in dessen Folge der monumentale Kirchenbau doch abgerissen wurde, konnte nie ermittelt werden. Heute erinnert nur noch eine Zeichnung aus dem Jahr 1810 daran, wie die Martinskirche einst ausgesehen hat. Diese Zeichnung ist auf dem Bauzaun vor der Münsterkirche zu sehen. Außerdem markieren Steine im Straßenpflaster und auf der Verkehrskreuzung den Grundriss der Martinskirche.
24. September 2019
Oberhausen, eine Stadt, die sich erst beim zweiten, dritten und mehrfachen Hinsehen erschließt. Eine Stadt, dessen Werdegang letztlich stark mit der Gutehoffnungshütte verknüpft ist. 1997 wurde die Stahlerzeugung in dem Hüttenbetrieb eingestellt, was sich in dem Schicksal der Stadt wieder findet. Das Stahlwerk wurde platt gemacht, alles wurde abgerissen, wobei das Gasometer übrig geblieben ist und am Standort des Stahlwerkes das überdimensionierte Centro gebaut wurde, dessen „Neue Mitte“ sich zum neuen Stadtzentrum von Oberhausen entwickelt hat. Die Promenade mit einer Vielzahl von Restaurants ist wirklich hübsch, und als vor einigen Wochen unsere thailändische Freundin Thita mit ihrem Imbissstand beim Asia Street Food Festival vertreten war, führte unser Weg genau über diese Promenade mit all den Restaurants zu Thita, wo das Street Food Festival am Hafen am Rhein-Herne-Kanal statt fand. Beim heutigen Kurztrip nach Oberhausen spürte ich die Gegensätze innerhalb der Stadt: die schöne neue Konsumwelt rund um den Einkaufstempel des Centro, lauter Billigläden in der Fußgängerzone in der Nähe des Hauptbahnhofes. Die Architektur in der Fußgängerzone beeindruckte dann doch. Oberhausen ist keine historische Stadt mit Bauten aus dem Mittelalter oder noch früher. Als Stadt entstand Oberhausen erst mit der Industrialisierung ab dem 18. Jahrhundert. Ich musste ein paar mal hinsehen, um die Architekturform des Backstein-Expressionismus aus den 1920er Jahren in der Fußgängerzone wahrzunehmen. Es gab sogar ein Äquivalent zum Hansa-Hochhaus in Köln und zum Wilhelm-Marx-Haus in Düsseldorf. Zeitgleich, um 1920, entstand in Oberhausen ein ähnliches Hochhaus, das nach der Instandsetzung im Jahr 2010 in „Bertolt-Brecht-Haus“ umbenannt wurde. Ein wagemutiger Hochhausbau, der Stil und Schönheit verkörperte, an einer Straßenecke, wo die Fassade fast in Form eines Dreieckes aufeinander zulief.
25. September 2019
Es war eine gewisse dienstliche Tradition aus der Vergangenheit, die fortgeschrieben wurde. Vom Prinzip her war es eine angenehme Tradition, einmal – oder vielleicht auch zweimal – im Jahr zusammen zu kommen. Dabei referierte unser Abteilungsleiter über anstehende Themen, über die Herausforderungen in der Zukunft, und aus der ganzen Republik redete man miteinander und tauschte sich aus. Unter unserem alten Chef fuhren wir ein- bis zweimal pro Jahr nach Darmstadt, wobei ich bei diesen Tagungen die Stadt ganz gut verinnerlicht hatte. Seit vielen Jahren treffen wir uns nunmehr in Bonn. Die Anzahl der Kollegen aus dem Rest der Republik sind weniger geworden, doch der Reiz ist geblieben, die Kollegen in den Außenstandorten kennen zu lernen, deren Anzahl zunehmend ausgedünnt worden ist. In unserem Team haben wir solche Außenstandorte in Hamburg, Leipzig, Hannover. Bei unserem abendlichen Essen in der Pizzeria Tuscolo saß ich neben einem Kollegen aus einem anderen Team aus dem Standort Hannover. Die Zeiten haben sich sichtlich gewandelt. Waren es früher noch größere Gruppen eines Teams in einem Außenstandort, so vereinzeln die Kollegen in unseren Zeiten von Standortkonzentrationen, längerer Anfahrtswege zum Arbeitsplatz und Home Office immer mehr. Der Kollege, der neben mir saß, musste vor anderthalb Jahren vom Standort Braunschweig, der geschlossen wurde, zum Standort Hannover umziehen. Beheimatet am Rande des Harzes, betrug seine Fahrzeit nach Braunschweig rund zwanzig Minuten mit der Bahn. Nach Hannover, das 80 Kilometer entfernt liegt, benötigt er nun bis zum Arbeitsplatz in der Stadtmitte anderthalb Stunden einfache Fahrt, egal, ob mit der Bahn oder mit dem PKW. In Ferienzeiten, an Brückentagen oder außerhalb der Rush-Hour kann es auch etwas schneller mit dem PKW klappen. Wenn er denn seinen Arbeitsplatz aufsucht, sind nur wenige Kollegen an ihren Arbeitsplätzen anwesend, da viele – so wie er – auf das Home Office ausweichen, um solche Leerzeiten in Form von Fahrzeiten zu vermeiden. Insgesamt zehn Kollegen sind aus dem Controlling-Bereich in Hannover tätig, davon stammt allerdings kein Kollege aus seinem Team und nur ein Kollege ist in seinem übergeordneten Bereich tätig. Die Kommunikation untereinander geschieht praktisch nur telefonisch, persönliche Gespräche von Gesicht zu Gesicht gibt es nahezu ausschließlich bei solchen Tagungen. Die Heimarbeit kann als Chance begriffen werden, unter anderem im Kontext der Klimadebatte, sie schneidet aber die gewohnten Wege persönlicher Kontakte ab.
26. September 2019
Wie großzügig der Arbeitgeber mit den Vorlieben am Arbeitsplatz umgeht. Internet war früher tabu gewesen, dann habe ich betriebswirtschaftliche Themen in Google recherchiert, später hat mich Youtube in seinen Bann gezogen. Wenn ich Youtube an meinem Arbeitsplatz aufrufe, höre ich zu 95% Musik, die ich bei bestimmten Themen regelrecht brauche, damit die Gedanken richtig fließen und ich komplexe Problemstellungen lösen kann. Andere sollten vom Musikhören auf Youtube möglichst wenig mitbekommen, so dass ich im Großraumbüro darauf achte, dass andere Dateien geöffnet sind, wenn Sequenzen von Youtube über den Bildschirm flackern. Genau dieses Erlebnis hatte ich zuletzt, und zwar in einer prominenten Form. Gerne höre ich in Youtube die Scorpions, insbesondere Live-Konzerte, die mich mit ihrem Sound zum Mitsingen mitreißen. Die Musik hievt mich auf höhere Ebenen, so dass ich Problemstellungen einiges effizienter lösen kann. Genau in einem solchen Modus befand ich mich, als ich unseren Abteilungsleiter nicht bemerkte, der sich zwischen unseren Büroarbeitsplätzen in unserem Großraumbüro bewegte. Irgendwie schritt er an meinem Büroarbeitsplatz vorbei, und irgendwie musste er auf meinen Bildschirm das Live-Konzert des Scorpions geschaut haben. Der Sänger Klaus Meine, der Gitarrist Rudolf Schenker oder das wirbelnde Schlagzeug von Kottak schienen ihm nicht entgangen zu sein. Augenblicklich hatte ich die Scorpions weggeklickt, und dennoch bewegte sich unser Abteilungsleiter zurück. „Zeige noch mal“ meinte mein Abteilungsleiter und bewog mich, die Zurück-Funktion anzuklicken. Das tat ich gerne. Klaus Meine, Rudolf Schenker und Co. waren in voller Aktion, was er wohlwollend zur Kenntnis nahm. In den 1980er Jahren habe er die Scorpions Live erlebt – und sie schätzen gelernt, das erzählte er mir. Wir lagen auf einer kompletten Wellenlänge, das stellten wir fest, und wir hätten uns verbünden können. Ich registrierte, dass es auf solch einem liberalen Arbeitsplatz in beiderseitigem Interesse war, ein optimales Ergebnis zu erzielen. Der Arbeitgeber ließ es zu, dass die Scorpions eine Art von gemeinschaftlichem Verständnis bildeten. Man war liberal und gestand seinen Mitarbeitern einiges zu, wenn sich dies dementsprechend auf die Arbeitsergebnisse auswirkte.
27. September 2019
Typische Wesenszüge eines Rheinländers ? Auf dem Alten Markt in Köln treten diese Wesenszüge deutlich hervor. An der Hausnummer 24, einer blassgrau verkachelten Hausfassade inmitten stolzer Bürgerhäuser, muss man mächtig in die Höhe schauen, um die klare Ansage zu erkennen, was der Kölner von den Dingen hält. Ein schütter bebartes Kerlchen hockt freihändig in luftiger Höhe, mit herunter gezogener Hose und streckt sein Hinterteil aus. Bereits im Mittelalter nannte man diese Artgenossen „Kallendresser“, weil sie ihre Notdurft in der Dachrinne verrichteten. Fünf solcher Exemplare fanden sich seit dem Mittelalter am Kölner Rathausturm wieder, wobei diese im Verlauf der Jahrhunderte entweder verloren gingen oder durch Kriegseinwirkung zerstört wurden. Da die Kölner Bevölkerung diesen Wesenszug aus stadthistorischer Sicht für typisch hielt, erweckte man eine solche Skulptur zu neuem Leben. Viele zerstörte Häuser wurden auf dem Alten Markt in der Nachkriegszeit wieder aufgebaut, und der renommierte Künstler Ewald Mataré schuf an der Fassade der Hausnummer 24 eine neue Skulptur, die man heutzutage bestaunen kann. Obschon der historische Ursprung nicht geklärt ist, ist sich die herrschende Meinung einig in der Interpretation. Der Kallendresser hat seinen Standort auf dem Alten Markt genau gegenüber dem Rathaus, und was die Bevölkerung davon hält, was die Stadt und die öffentliche Verwaltung so umtreibt, ist mehr als suspekt. Genervt von unsinnigen Vorschriften, Bauskandalen und Klüngel in der Stadtpolitik, stehen die Kölner dem oftmals ohnmächtig gegenüber. Ohne etwas ändern und bewegen zu können, sprechen sie in aller Deutlichkeit aus, was sie von den Dingen halten. Der Allerwerteste als vernichtendes Urteil über Dummheit, Fehleinschätzungen und Dilettantismus in der Stadtpolitik.
28. September 2019
Der Abschied zog sich in die Länge, die vierte Zugabe war in der Dortmunder Westfalenhalle vorüber, das Stück „Lieblingslied“ hatte den Höhepunkt des Konzerts gekrönt, und es kostete den beiden Lochner-Zwillingen Überwindung, nach ihrem aller-aller-letzten Stück von der Bühne zu treten. Was bei Bühnenstars selten geschieht, schritten die Lochis mitten durchs Publikum, die Masse knubbelte sich mit ihrem Erscheinen und ich musste aufpassen, dass ich unsere Tochter nicht aus den Augen verlor. Mit dem Namen ihrer Abschlusstour „Kapitel X“ würde es weitergehen, das hatten sie auf der Bühne versprochen. Ein neues Kapitel X würden sie aufschlagen, neue Projekte würden sie in Angriff nehmen. Aber welche Projekte es sein würden und was in der Zukunft genau machen würden, das ließen sie offen. Felsenhaft und unumstößlich stand hingegen die Tatsache, dass dies ihr letztes Konzert sein würde. Und das heutige Konzert in Dortmund war das allerletzte Konzert ihrer Abschlusstour durch sieben Städte. Nachdem die beiden Zwillings-Stars auf die Bühne zurück gekehrt waren, verlief der Abschied in Trippel-Schritten, in gegenseitigen Umarmungen, in Jubelstürmen und sicherlich auch mit so mancher Träne. Zuvor hatten sie in dem Konzert ein letztes Mal gezeigt, was sie so drauf haben und wie sie all die Teenager und auch Eltern und Erwachsene begeistern können. In ihren Sound hatte ich mich hinein gehört, und ihre Musik war nicht ausschließlich etwas für kreischende bis schreiende Teenager, die in- und auswendig viele Stück mitsingen konnten. Dabei war unsere Tochter so richtig in ihrem Element, sie hatte fleißig mitgesungen, ihre Hände waren in der Höhe und hatten mitgeklatscht. Sie war hingerissen und wie verzaubert. Nun der Abschied auf der Bühne. Es war ein Vor und Zurück, ein Hin und Her, wie sich die beiden zur hinteren Wand der Bühne bewegten. Wahrscheinlich hätten sie noch stundenlang auf demselben Fleck, indem sie ihren Fans zuwinkten, vor ihrem Verschwinden verharren können. Sichtlich suchten sie den Moment in die Länge zu dehnen, doch dann war alles aus und vorbei. Sie schritten ins Dunkle, das sie mit ihrem neuen Kapitel X erhellen würde. Über zwei Stunden eines beeindruckenden Konzertes war vorbei. Und ich teilte die Überzeugung, dass die beiden Lochner-Zwillinge nach acht Jahren Musik – mit 12 hatte ihre Karriere auf Youtube begonnen – in ihrem Leben noch viele Projekte auf die Beine stellen würden.
29. September 2019
Am frühen Morgen war es spät geworden, das Lochis-Konzert hatte in den Ohren noch nachgeschwungen. Die Rückfahrt vom Dortmunder Hauptbahnhof war nach Plan verlaufen, der Intercity war um 22:40 Uhr pünktlich, am Kölner Hauptbahnhof stiegen wir in die S-Bahn um, und am S-Bahnhof Porz-Wahn nahmen wir so ungefähr den letzten Bus um 0:35 Uhr, bis wir ziemlich genau um 1:00 Uhr zu Hause eintrödelten. Bleischwer, kam ich am nächsten Morgen nicht aus dem Bett, nachdem ich mir am frühen Morgen noch ein kühles Bier und einen leckeren Rotwein genehmigt hatte und vor dem Fernseher eingeschlafen war. Um 10 Uhr waren wir mit einem Freund verabredet, der uns beim Wegräumen der Möbel im Haus des verstorbenen Schwiegervaters helfen wollte. Da ich erst gegen 9.15 Uhr aus dem Bett kroch, verschoben wir den Termin um eine Stunde. Danach wurden wir endlich tätig. Vieles bekamen wir weggeräumt, den Buffetschrank in der Essecke, einen Hochschrank aus der Küche, die Garderobe aus dem Flur, einen Spiegel- und zwei Beistellschränke aus dem Wohnzimmer. Den größten Kraftakt mussten wir im alten Kinderzimmer meiner Frau bewältigen. Die Couch über die Treppenhäuser in den Keller zu stemmen, war noch zu schaffen. Kapitulieren musste ich hingegen vor der Marmorplatte, die den Wohnzimmertisch bedeckte. Sie war so schwer, dass ich es als aussichtslos betrachtete, sie mit unserem Freund quer durch das Haus über zwei Treppenhäuser in den Keller zu tragen. Als Möbelpacker mit Kräften eines Herkules ausgestattet, nahm er sie kurzerhand alleine. Im Flur im Erdgeschoss stellte er sie ab, um Luft zu holen, und dann hievte er sie aus Leibeskräften in den Keller hinunter. Der Kellerraum hat sich nun gut gefüllt, nicht nur mit einigen Möbeln aus verschiedenen Räumen im Haus, sondern auch mit vielerlei Hausrat aus dem ganzen Haus, den meine Frau gut in Umzugskartons verstaut hat. Hier wartet die nächste Herkules-Aufgabe auf aus: all diese Masse von Hausrat einer sinnvollen Verwertung zuzuführen und ihn nicht bis in alle Ewigkeit herum stehen zu lassen.
30. September 2019
Eine unheilvolle Überraschung mit einer Wendung, die wir so nicht vermutet hatten. Zum Amtsgericht waren wir geladen worden. Dort teilte uns das Betreuungsgericht mit dem anwesenden Ergänzungsbetreuer, einem Rechtsanwalt, mit, dass wir die Planungen in unserer gewünschten Form nicht umsetzen können. Dies liegt am Gesetzgeber, der eine Miteigentümerschaft von geistig Behinderten in Form einer Erbengemeinschaft nicht vorsieht, da der Rahmen der beschränkten Geschäftsfähigkeit überschritten wird. Bei unseren umfangreichen Investitionen, die in einen sechsstelligen Euro-Betrag gehen, ist dieser Rahmen bei weitem überschritten. Demnach verbleiben nur die beiden Varianten der Auszahlung an den Schwager oder des Verkaufs der Immobilie. Zur Wertermittlung müssen wir noch ein Gutachten eines öffentlich bestellten Gutachters einholen, was uns besonders ärgert, da wir bereits ein Gutachten der Sparkasse eingeholt hatten. Dieses Gutachten müssen wir bezahlen. Da die zweite Variante praktisch ausscheidet, müssen wir also das Gutachten einholen und mit der Bank über die Aufstockung des Darlehensbetrages reden. Rechtlich kennen wir uns nicht in allen Verästelungen aus, insgesamt halten wir die Begründung über die beschränkte Geschäftsfähigkeit aber für nachvollziehbar. Das war heute eine bittere Pille, die wir schlucken mussten. Wenn man mit Behörden zu tun hat, muss man mit schlimmsten Szenarien rechnen.

Tagebuch Oktober 2019

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1. Oktober 2019
Bedrohliche Kulissen vor unserer Haustüre. Dunkle Wolkenpakete bauschen sich auf, der Himmel tunkt sich hinter der untergegangenen Sonne in ein düsteres Licht. Eine Szenerie, die die dunkle Jahreszeit anzukündigen scheint, die von den hellen Tagesstunden derzeit noch überlagert wird. Nimmt man den ersten Oktober als Herbstbeginn, so passt die Stimmung haargenau. Ein deutlicher Wetterwechsel mit Wind, Regen und Temperaturen steht bevor, die noch die Wärme des Sommers konserviert haben, aber in die launischen Seiten des Herbstes übergehen wird.
2. Oktober 2019
Normalerweise meide ich gewisse Themen in meinem Tagebuch. Das sind Themen, zu denen ich nicht allzu viel zu sagen habe oder mich effektiv nicht auskenne – wie zum Beispiel Politik. Fußball meide ich genauso, obschon das Spielgeschehen, die Ergebnisse und die Tabelle interessiert verfolge. Ich platziere dennoch dieses Thema, weil sich all die Leidensszenarien, die Unruhe hinter den Kulissen und eine Boulevardpresse, die schlagzeilenträchtig drauf los haut, aus den Vorjahren wieder ankündigen. Vor der Saison hätte ich Wetten abschließen können, ab welchem Zeitpunkt die Trainerfrage beim 1. FC Köln hoch kocht. Als Fan kommt man von dem Verein effektiv nicht weg, egal, wie schlecht die Ergebnisse aussehen. Das 0:4 gegen Hertha BSC Berlin ist nun die Initialzündung, dass der Trainer Achim Beierlorzer angezählt wird. Und dabei bestimmt die Boulevardpresse die Trainerfrage. Sie zieht den Trainer und die Mannschaft in einen Teufelskreislauf, in dem nicht mehr das Engagement, der Kampf und die Leidenschaft zählen, die die Mannschaft bislang gezeigt hat, sondern nur noch Ergebnisse.
3. Oktober 2019
Welcher Aufwand betrieben wird, um auf der Autobahn A565 zwei Kilometer Standstreifen als dritte Fahrspur für einen dreispurigen Ausbau zu nutzen, das ist der helle Wahnsinn. Über ein Jahr wird bereits gebaut, nach links wird der Autoverkehr über die Gegenspur umgeleitet, über die Mitte fließt der Verkehr über die bisherige Autobahntrasse, die Abbiegespur nach rechts auf die Autobahnausfahrt ist verlegt worden. Der Dauerstau, der dadurch verursacht wird, bringt die Autofahrer zur Verzweiflung. In den Verkehrsnachrichten wird die Autobahn A565 an dieser Stelle regelmäßig gemeldet. Ein Ende der Baustelle ist noch nicht ganz in Sicht, man redet von Ende November. Zusätzliche Arbeiten wurden notwendig, die irgend etwas mit Entwässerung zu tun haben. Um zwei Kilometer Autobahn auszubauen, geben allerdings die 8,5 Millionen Euro Baukosten zu denken. Was den Straßenbau betrifft, spielen die Kosten anscheinend keine Rolle. Dem Steuerzahler ist es egal, nur die Autofahrer sind ungeduldig. Wenn der Verkehr wieder fließen kann, sehen die Autofahrer über manches hinweg.
4. Oktober 2019
Es war eine der seltenen eBay-Kleinanzeigen, die einschlug wie eine Bombe. Gegen 22 Uhr setzte ich die Einbauküche im Haus des verstorbenen Schwiegervaters zum Verschenken in eBay-Kleinanzeigen, und die Reaktion kam prompt. 3 Anfragen in 13 Minuten, was bewies, dass die Reaktionen unvorhersehbar waren. Einerseits konnte man verschenken, was man wollte, und blieb darauf sitzen. Andererseits riss man sich um den Hausrat, wovon wir viel zu viel anzubieten hatten. Auf den Schlafzimmerschrank aus Vollholz Eiche hatte zum Verschenken niemand Interesse, während Einbauküchen viel dringender benötigt wurden. Zusätzlich zu den 3 Anfragen in 13 Minuten ging ein Anruf auf dem Handy ein, worauf sich ein Interessent aus Bottrop im Ruhrgebiet meldete, der mit seinen 5 Kindern ohne Küche in einer Mietwohnung hauste. Eine Küche wollte er abgeholt haben, doch kurzfristig sei ihm die Küche dann doch wieder abgesagt worden. Wir sagten zu, da er eine Mitnahme bis am nächsten Tag zwischen 10 und 11 Uhr versprach. Ein wenig überschlugen sich die Ereignisse. Gegen 11 Uhr traf der Interessent aus Bottrop ein, der die Küche mitnahm und nach weiteren Gegenständen aus dem Hausrat nachfragte. Eine Nähmaschine, eine alt-eingediente Waschmaschine und Stapeln von alten Handtüchern nahm er mit. Alles kostenlos, und wenn wir irgendwelche Euros für unseren Hausrat verlangten, dann lehnte er strikt ab. Die Begegnung empfand meine Frau insgesamt als unangenehm, weil der Interessent, der vom Spracheinschlag ungefähr aus dem Balkan kam, eine Mentalität verkörperte, dass alles für Null und Nichts zu haben sei. Das passte zu unserem Hausrat, dass vieles schwer weiter zu vermitteln war, doch die Selbstbedienungsmentalität machte zum Beispielen bei den alten Lego-Steinen, womit meine Frau und ihr Bruder gespielt hatten, ihre Grenzen. Die Küche war im Windumdrehen abmontiert, und genauso konnten wir im Windumdrehen die Holzpaneele an der Decke abreißen. Der Küchenraum war nun schlagartig leer, in einem Tempo, wie wir es nicht vorhergesagt hätten. Dafür ärgerten wir uns um all den Hausrat aus der Küche, den wir nirgendwo bei uns zu Hause unterbringen konnten.
5. Oktober 2019
Es sieht so aus, dass sich die Tätigkeit unserer Tochter als Messdienerin ihrem Ende entgegen neigt. Seit Mai diesen Jahres hat sie nicht mehr in der Messe gedient, und die letzten Male, als sie zum Messdienen eingeteilt war, klagte sie entweder über Bauchweh oder sie weigerte sich sonstwie, in der Messe zu dienen. Nun hatten wir sie angehalten, sich offiziell beim Pastor abzumelden. Dies misslang allerdings, weil den Pastor im Pfarrbüro nicht antrafen, da dieses sich im Umbau befand und eine Baustelle war. Relativ kurz vor der Messe in der Sakristei aufzukreuzen und sich in der Anwesenheit der übrigen Messdiener abzumelden, danach war unserer Tochter nicht zumute. Wir werden in den nächsten Woche einen Weg suchen, dass sich unsere Tochter abmeldet – möglichst ohne E-Mail in persönlichem Kontakt.
6. Oktober 2019
Nach Tagen des Schaffens im Haus des verstorbenen Schwiegervaters verlief der Sonntag nunmehr anders. Heute ließen wir uns dort nicht blicken. Anstatt dessen besuchten uns Freunde, die wir über unsere große Tochter kennen gelernt hatten. In Bonn wohnend, hatten sie im Westerwald über den Wochenfeiertag ein verlängertes Wochenende verbracht und sie schauten auf ihrem Rückweg bei uns vorbei. Bei Kaffee und Kuchen beschäftigte sich ihr dreijähriger Sohn mit einer Kiste von Spielzeugautos in unserem Wohnzimmer, während ihre sechsjährige Tochter mit unserer Tochter ihren Spaß mit unseren Katzen hatten. Unsere Freunde hatten in ihrer Mietwohnung keine Haustiere, nur ihre Nachbarskatze hatte es gelegentlich in ihre Wohnung geschafft, wenn sie aus der Nachbarswohnung ausgebüxt war und auf dem Flur herumlief. Insbesondere unser Kater Rambo genoss es, verwöhnt und ausgiebig gestreichelt zu werden. Auf dem Schreibtisch im Zimmer unserer Tochter ließ er sich nieder, wo er seine Streicheleinheiten von den beiden Mädchen erhielt. Er lief die Treppen rauf und runter, und die beiden Mädchen folgten ihm. Die beiden klebten so sehr an den Katzen, dass sie den Kuchen vergaßen. Für unsere Tochter hatte ich Pflaumenkuchen besorgt, darüber hinaus gab es Riemchen-Apfelkuchen, Schwarzwälder-Kirschtorte, Himbeer-Cremetorte und gedeckten Apfelkuchen. Angeregt plauderten wir den ganzen Nachmittag, wobei wir unsere lange Geschichte von der Umbauaktion im Haus des verstorbenen Schwiegervaters erzählten, die noch nicht wirklich begonnen hatte, wenn man die Aktivitäten der Handwerksfirmen betrachtete. Unserem Ärger mit dem Landschaftsverband und dem Amtsgericht standen die Sorgen unserer Freundin um ihren Sohn gegenüber, der im Kindergarten verhaltensauffällig war. Spät verließen uns unsere Freunden mit vielen vollgestopften Plastiktüten, die Anziehsachen für ihre Tochter enthielten, die unserer Tochter zu klein waren.
7. Oktober 2019
Das Rheinland, die Chemieregion Europas. So zeigen es jedenfalls die Symbole aneinandergefügter sechseckiger Benzolringe, die die Standorte der Chemie auf der Autobahn A555 vor Wesseling ankündigen. Es ist aber nicht nur Wesseling. Betrachtet man die Umsätze und die Marktkapitalisierung im Aktienindex des DAX, so liegt das Schwergewicht in Leverkusen. Mit seinen deutschen Chemie-Standorten in Leverkusen, Dormagen, Krefeld, Wuppertal ist der Bayer-Konzern ein wahrer Elefant, darüber hinaus produziert der Chemie-Konzern weltweit an Standorten in den USA, in Lateinamerika, in Asien und im Pazifik. Trotz des Skandals um den Pflanzenschutzhersteller Glyphosat, kann der Bayer-Konzern locker mit anderen Dax-Konzernen wie Dow Chemical, Akzo Nobel oder BASF konkurrieren. So steht Leverkusen ganz im Sog des Bayer-Konzerns, was sich durch das Bayer-Kreuz ausdrückt, das aus den rauchenden Säulen der Chemie herausragt. Das Rheinland, die Chemieregion Europas. An Stahlmasten hängend, droht das Bayer-Kreuz im Dunstkreis der verregneten Tages zu verschwinden. Tagsüber, zeigen sich die Buchstaben des Konzerns im runden Kreis vor den Werkstoren nur schüchtern, während diese im Dunkeln ihre volle Leuchtkraft entfalten werden. Das Bayer-Kreuz, das Markenzeichen eines Chemie-Konzerns, der vor mehr als 150 Jahre von dem Farbstoffhändler Friedrich Bayer gegründet worden war. Das Kerngeschäft war in seinem Ursprung die Farbenherstellung, weltweit hat sich das Geschäft längst auf Bereiche wie Pflanzenschutzmittel, Medikamente, Saatgut oder Biotechnologien ausgedehnt. Die Chemie spürt man im Umkreis von Leverkusen allgegenwärtig.
8. Oktober 2019
Cafébesuche gehören ja zu meinen Leidenschaften. Sie führen mitten hinein in das Alltagsleben. Cafés sind ein Zentrum der Kommunikation, menschliche Charaktere aller Facetten gehen ein und aus. Man erzählt, redet miteinander, und mitunter hat sich die Unsitte eingeschlichen, dass man mehr dem Smartphone zuredet als dem menschlichen Antlitz gegenüber. Cafés laden zum Beobachten ein, die Wahrnehmungen schärfen sich. Früher, auf meinen Reisen durch Frankreich, habe ich genau diesen lebhaften Charakter der Cafés noch Erinnerung. Aber die Zeiten haben sich geändert. Während man heutzutage die Nachrichten auf dem Smartphone herauf- und herunterscrolled, so habe ich die Franzosen als ein Zeitung lesendes Volk in Erinnerung. Aufgeblätterte Zeitungen verdeckten die Gesichter, die Texte und Inhalte in sich hinein sogen. Nichts um sie herum störte sie beim Studium der einzelnen Rubriken, die die Spannungsfelder der Gegenwart umrissen. Der Name des Cafés „Extrablatt“ lehnt sich nicht unbedingt an Frankreich an, aber an Zeitungsausschnitte, die sich im Layout und auf Speisekarten wieder finden. Das Café Extrablatt, das ich bereits in Aachen, Köln und Koblenz kennen gelernt hatte, habe ich nun in Leverkusen besucht. Ein anregender Besuch, bei dem ich in Anlehnung an die Welt der Zeitungen so manches interessante beobachten konnte.
9. Oktober 2019
Stadtpatrone, eine Ämterhäufung großer Heiliger ? Heilige versprachen Schutz, sie waren Vorbilde, und für neu erbaute Kirchen wurden gerne Heilige mit einer Schutzfunktion über den Kirchenraum hinaus als Schutzpatrone ausgewählt. Was lag in der mittelalterlichen Größe des Heiligen Kölns näher als die Heiligen Drei Könige ? Die Gebeine der Heiligen Drei Könige, die 1164 nach Köln überführt wurden, begründeten maßgeblich die Bedeutung und die Größe des Heiligen Kölns, wie es der Gelehrte Aegidius Gelenius, Stiftsherr von St. Andreas, 1645 auf Lateinisch formulierte: „De admiranda, sacra, et civili magnitudine Coloniae … „. Auf Deutsch beschrieb er die bewundernswerte Größe Kölns. Noch bevor der Dom begonnen wurde, begründeten Stadtpatrone diese bewundernswerte Größe, die sie aus Legenden bezogen, deren Überlieferung Jahrtausende von Jahren überdauerten. Genau diese Zusammenschau, Heilige plus Stadtpatrone, finden sich in einer der Kölner Meisterwerke der Malerei wieder. Die Technik der Ölmalerei hatte erst im 15. Jahrhundert begonnen, als in Köln Ateliers mit dieser neuen Technik wie Pilze aus dem Boden schossen. Einer dieser Meisterwerkstätten wurde Stefan Lochner zugeschrieben, ein Maler von europäischem Rang, der sich genau mit diesen Stadtpatronen befasste. Gemäß der Bedeutung des Heiligen Köln, waren es die Heiligen Drei Könige, und ihnen folgten zwei weitere Heilige aus der historischen Bedeutung Kölns in den Ursprüngen des Christentums, das waren die Heilige Ursula und der Heilige Gereon. Genau diese Anordnung fasst der Altar der Stadtpatrone zusammen, dessen Gemälde um 1445 in der Werkstatt des Stefan Lochner gemalt wurde. In einem Seitentrakt vor dem Chorraum des Kölner Doms kann jedermann dieses Highlight mittelalterlicher Malerei, aufgesetzt auf einem Altar, bestaunen. Die Mitteltafel zeigt wie selbstverständlich die Anbetung der Heiligen Drei Könige, die der thronenden Muttergottes huldigen. Auf der linke Seite des Altars offenbart die Heilige Ursula einen Teil ihrer mitgereisten elftausend Jungfrauen, den rechten Altarflügel nimmt kämpferisch der Heiilige Gereon ein, der die geharnischte Schar der thebäischen Legion im Schlepptau führt. Alle drei Tafeln verbindet ein Masterplan auf einer Wiese, auf dem lauter Frühlingsblumen sprießen. Dabei halten die Stadtpatrone die Fahne hoch, die Heilige Ursula mit der Fahne ihrer Jungfrauenschar und der Heilige Gereon mit der Mohrenfahne derjenigen Afrikaner, die seiner aus Ägypten stammenden Thebäischen Legion angehörten.
10. Oktober 2019
Was wir in Zeiten des Terrorismus an Scheußlichkeiten so ertragen müssen. Man kann hier kaum erkennen, dass in vier bis fünf Stunden auf dieser Straße unsere Dorfkirmes los sein wird. Und wenn unsere Dorfkirmes beginnt, sind die Kirmesattraktionen, die sich auf dem Marktplatz und dem Parkplatz vor dem Netto knubbeln, Jahr für Jahr weniger geworden. In Stoßzeiten schart sich das Menschengedrängele um die Bierbuden, die zahlreicher vertreten sind als die eigentlichen Fahrgeschäfte für die Kinder, und in Stoßzeiten kommt man auf der Hauptstraße kaum noch durch. Betrachtet man die Leere der Straße vor unserem Marktplatz, wo die Kirmes beginnt, so mutet es absurd an, dass die Verantwortlichen Terroranschläge in ihr Kalkül einbezogen haben. Ringe aus Beton, als Barrieren an der Bushaltestelle aufgestellt, verengen an dieser Stelle die Straße. Ja, es kann sich natürlich irgendein Verrückter in sein Auto setzen und draufhalten in die Menschenmenge. Und er mag in seiner Absicht zu töten von einer Gesinnung getrieben worden sein, eine richtige Entscheidung im Kampf gegen die Ungläubigen getroffen zu haben. Die Betonbarrieren muten wie ein leichtes Hindernis an, welches lediglich große LKWs vor Probleme stellen wird. Die übrig bleibenden Fahrzeugtypen können die Schikanen locker umkurven und einige hundert Meter später auf dem Marktplatz ein Massaker anrichten. Wer denkt an ein solches Szenario ? Diese Handvoll von Islamisten, Terroristen und anderen Geisteskranken wird in unseren Zeiten niemand wegdenken können. Traurig, dass die Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlags auf einer Dorfkirmes nicht gleich Null sein kann, und traurig, dass man solche häßlichen Betonklötze benötigt, um einen gewissen Modus der Abschreckung zu erzeugen – selbst wenn dieser im Life-Test nichts taugt.
11. Oktober 2019
Keine Rennradtour an einem Freitag, der nach Tagen des Regens einen zumindest trockenen, wenn nicht sogar sonnigen Tag versprach. Zum einen waren am letzten Tag vor der einen Woche Urlaub in den Herbstferien noch zu viele Dinge am Arbeitsplatz zu erledigen. Zum anderen gab es einen Vorfall im Englischunterricht, bei dem nichts direkt schreckliches passiert war, der mich aber dennoch veranlasste, mich bei der Schulleiterin in der Realschule vorzutasten. So liegt die letzte Rennradtour, bei der das Ziel Bad Münstereifel war, nunmehr am 10. September zurück. Mit dem fortgeschrittenen Oktober erscheint eine weitere oder letzte Rennradtour in diesem Jahr nunmehr fraglich. Bei dem Vorfall in der Realschule ging es um eine Gruppenarbeit. Niemand wollte in der Gruppe mit unserer Tochter zusammen arbeiten. Als sie untätig neben der Gruppe daneben stand, ermahnte sie der Englischlehrer, sie solle sich beteiligen. Solche Vorfälle der Ausgrenzung unserer Tochter erstrecken sich mittlerweile über mehrere Jahre. Der letzte schlimme Vorfall geschah während der Klassenfahrt im Mai diesen Jahres, als unsere Tochter krank war und nicht an der Klassenfahrt teilnehmen konnte. Zu Hause bombardierte sie eine Mitschülerin in einem äußerst pöbelhaften Tonfall mit Sprachnachrichten, sie sei nicht krank und wolle sich vor der Klassenfahrt drücken. eine Mitschülerin sie mehrfach per Sprachnachricht anpöbelte. Damit wir alle darüber reden können, wie wir weiter vorgehen wollen, habe ich mir einen Termin mit der Schulleiterin geben lassen.
12. Oktober 2019
Bei unseren Wocheneinkäufen packt mich der Schrecken, wie sehr Weihnachten in den Supermärkten in den Startlöchern steckt. So zum Beispiel bei REWE. Niemand denkt in unserer Familie daran, wer wem was zu Weihnachten schenkt. Niemand von uns schert sich um all die Schokoladenweihnachtsmänner in den Regalen, die niemand auf dem Einkaufszettel stehen hat und die doch soweit in der Ferne liegen, als würde das Weihnachtsfest niemals statt finden. Der Oktober ist noch entspannt ohne Allüren an das Weihnachtsfest. T-Shirt-Wetter und Sonnenschein lassen das Weihnachtsfest wirklichkeitsfremd erscheinen, als etwas Ungreifbares, das irgendwo zwischen den Sternen steht. Dennoch ist es eine beklemmende Gewissheit: in rund sechs Wochen werden sich die Zeichen der Zeit drehen, mit den ersten Black Friday-Angeboten und all den Weihnachtsmärkten werden wir alle von dieser Realität eingeholt werden. Mit den Vorlaufzeiten für die Regalbestückung kündigen Supermärkte das an, was uns mittelfristig bevor steht. Schokoladenweihnachtsmänner können bei all diesem Zeitraffer, wie schnell die Wochen- und Monatszyklen vorbei gehen, sehr deutlich werden.
13. Oktober 2019
Zwei nachträgliche Geburtstagsgeschenke, die wir uns gegenseitig bei Kaffee und Kuchen überreichten. Freunde von uns wollten zum Geburtstag gegrillt haben, das Grillen fiel dann aber aus, wir hatten aber bereits ein Geburtstagsgeschenk besorgt. Bei meinem Geburtstag lag der Fall anders. Die Lieferung ihres Geburtstagsgeschenkes an mich hatte sich verzögert, und ich war gespannt, was sie sich ausgefallenes hatten einfallen lassen, wenn es Komplikationen bei der Lieferung gab. Kaffee und Kuchen standen bereit, als wir ankamen. Der Kaffeetisch war fein gedeckt und dekoriert, und unser Freund durfte sich über belgisches Trappistenbier freuen mit den passenden, zu der Marke von LEFFE dazugehörigen Biergläsern, die sich in Belgien je nach Trappistenbiermarke in ihrer kelchförmigen und geschwungenen Gestalt unterscheiden. Über mein nachträgliches Geburtstagsgeschenk freute ich mich sehr. Es waren zwei Kugelschreiber mit meiner persönlichen Namensgravur. Geschwungene Buchstaben in Schreibschrift zierten den Schaft des Kugelschreibers, die Mine glitt mit ihrer Probeschrift geschmeidig über das Papier dahin. Ein schöner Einfall, der abseits von gewohnten Geschenken wie Weinpräsente oder Gutscheinen lag. Als Kuchen aßen wir Donauwellen und Bienenstich zum Kaffee, und unsere Tochter hatte ihren Spaß mit den beiden Hunden, die faul herum lagen und sich quasi beliebig streicheln ließen.
14. Oktober 2019
Der erste Tag, an dem eine Firma sich im Haus so richtig austoben konnte. Und dies gleich als ein Ausbruch einer Kraft eines Herkules, der den Vorschlaghammer schwang und die Zwischenwand zum Einsturz brachte. Stein für Stein fiel, mit der donnernden Wucht hämmerte er drauf los, aber alles geregelt und kontrolliert, dass zwei kleine Einzelräume zu einem großen und hellen Raum für eine Wohnküche vereinigt wurden. Stück für Stück, Brocken für Brocken fiel die Wand. Eine Staubwolke schwoll an, Bauschutt türmte sich, ein anderer Arbeiter schaffte mit einem Baueimer den Schutt auf einen Transporter. Nach ein paar Stunden war das Werk erledigt. Die Wand war raus, aus der einstigen Küche und der Essecke war ein einheitlicher, großer Raum geworden. Die Enden der fehlenden Wand gingen nahtlos in den beiden gegenüberliegenden Seitenwänden ineinander über. Saubere Arbeit, die erste Handwerksfirma für das Gewerk der Rohbau- und Maurerarbeiten hatte ihre Arbeiten begonnen.
15. Oktober 2019
Momente, die uns schwerfielen, sie in einem positiven Licht zu betrachten. Die Immobilienexpertin Stefanie Schäfer sollte uns helfen, als öffentlich bestellte Gutachterin ein Gutachten für das Haus des verstorbenen Schwiegervaters zu erstellen. Prompt erklärte sie sich telefonisch dazu bereit, ihre helle Stimme klang freundlich. Ihr Internet-Auftritt konnte auf eine langjährige Erfahrung im Immobilienbereich verweisen. Wir waren erleichtert, sie dafür zu gewinnen, da die vollkommen neurotische, cholerische und auch aggressive Verhaltensweise des Ergänzungsbetreuers, der gleichzeitig Rechtsanwalt war, den bereits beauftragten Gutachter vor den Kopf stieß. Das Amtsgericht hatte ein Gutachten für die Immobilie eingefordert, das auch vor Gericht vorgelegt werden konnte. In dem dazugehörigen Vermerk des Amtsgerichtes stands nichts von der nötigen öffentlichen Bestellung. Nachdem wir einen Gutachter beauftragt hatten, trudelte das Schreiben eines anderen Gutachters ein, den der Ergänzungsbetreuer = Rechtsanwalt ausfindig gemacht hatte. Daraufhin entfachte eine hitzige und neurotische Diskussion, dass es sich um einen öffentlich bestellten Gutachter handeln müsse. Der von uns beauftragte Gutachter erstellte zwar massenhaft Gutachten für Gerichte, er war aber nicht von der Industrie- und Handelskammer öffentlich bestellt. Im telefonischen Gesprächsverlauf mit dem von uns beauftragten Gutachter schrie der Rechtsanwalt diesen an, weil er ihm nur die Zeit stehlen würde, schließlich beendete der Rechtsanwalt einseitig das Gespräch, indem er den Telefonhörer auflegte. Zum Wochenbeginn lenkten wir ein, indem wir die öffentlich bestellte Gutachterin Stefanie Schäfer mit der Gutachtenerstellung beauftragten.
16. Oktober 2019
Noch mehr Zeugs, Krempel, Hausrat. Gerade der Dachboden bot ein unerschöpfliches Reservoir an immer neuen Gegenständen, Kartons und Überraschungen, die zum Vorschein kamen. Im Kellerraum, wo früher Geburtstage gefeiert wurden, stand relativ wenig – zumindest war er ungefähr bis zur Hälfte leer. Alles lagerte und stapelte sich somit auf dem Dachboden und sammelte Hausrat von mehreren Jahrzehnten an. So langsam rückt das Ende der Fahnenstange in Sicht, dass wir geräumt haben werden auf dem Dachboden. Ein olles Bett, das niemand mehr haben will, ein Spülbecken, ganz wenige Kartons, die nicht mehr die Masse an Überraschungen bereit halten können, was sich darin verbirgt. Dieses ständige Kleinklein, dass wir Stückchen für Stückchen alles sichten müssen, wird bald ein Ende haben. Der Dachboden – alles Angestaubte und Verstaubte wird hier bald verschwunden sein.
17. Oktober 2019
Currywurst ohne Currysoße ? Meine Mama schien einen außergewöhnlichen Geschmack zu haben. Seit langer Zeit hatte ich es wieder zu ihr geschafft. Den Umständen entsprechend, sahen die Dinge vom Prinzip her nicht schlecht aus. Mit ihrem Rollator bewegte sie sich regelmäßig – mindestens einmal am Tag – die Wohnstraße auf und ab. Obschon der Rollator ebenso ihr täglicher Begleiter im Haus war, war sie mit diesem Gefährt mobil. Wenngleich langsam, schaffte sie sicher die Treppen im Haus rauf und runter. Wesentliches Hilfsmittel war wiederum der Rollator, um in den Garten zu gelangen. Dreimal pro Woche bekam sie ihr Essen über einen Cateringdienst geliefert, die übrigen Tage kochte sie selbst. Mit meinem heutigen Erscheinen hatte ich zwei Stücke Kuchen mitgebracht, wovon sie ihr Stück allerdings unangetastet ließ, weil sie zuvor ein Brot gegessen hatte, was wiederum daran lag, dass ich spät war und rund um den Kölner Autobahnring lange im Stau gestanden hatte. Nachdem sie ihr Stück Kuchen beiseite geschoben hatte und nachdem die Abendzeit voran geschritten war, verspürte sie dennoch Hunger. Ich hatte davon geredet, wenn ich zu Hause angekommen wäre, dass ich dann eine große Portion Fritten mit Currysoße verspeisen würde. „Curry“ war das Stichwort, das den Hunger meiner Mutter aufleben ließ. Im Ort gab es eine Frittenbude, und wenn ich Lust auf Fritten mit Currysoße hätte, dann habe sie Lust auf eine Currywurst. Allerdings nicht auf die Currysoße, was ich befremdet zur Kenntnis nahm. Gerne würde ich in der Frittenbude unser Abendessen besorgen, aber eine Currywurst ohne Currysoße ? In der Frittenbude hakte ich bei der ungewöhnlichen Bestellung nach: eine Currywurst und Currysoße war kein Problem, die Currysoße würde man halt einfach weglassen. Wenn ich dies persönlich nehmen würde, wäre dies eine Beleidigung der Currywurst. Ohne Currysoße wäre die Wurst wie amputiert. Zu Hause mampften wir fleißig drauflos, wobei ich mir anstelle der Fritten mit Currysoße eine Bratrolle spezial – oder in der Machart der niederländischen Küche eine „Frikandel speciaal“ – genehmigte. Der Clou kam, als meine Mama die Currywurst ohne Currysoße nicht vollständig verspeiste. Ob ich den Rest aufessen wollte. Ich tat es widerwillig, da ich der Currywurst die fehlende Currysoße ansah. Das war viel zu trocken und schmeckte überhaupt nicht. Mit großen Mengen Mineralwasser musste ich sie in meine Speiseröhre hinunter spülen, weil sie mir drohte im Hals stecken zu bleiben.
18. Oktober 2019
Einfallsreiche Werbekampagnen sind selten. Allzu oft dröhnt die Werbung einen voll mit Informationen, die kein Mensch braucht, und wir suchen vor der Berieselung durch Werbung zu fliehen, indem wir das Fernsehprogramm wegzappen. Nicht so bei den Müllwagen der RSAG, der Abfallentsorgungsgesellschaft im Rhein-Sieg-Kreis. Deren Werbung ist griffig, hat Inhalt und vermittelt eine Botschaft. Sie appelliert an das Bewusstsein und liegt im Trend all der ganzen Umweltbewegungen, die aufstehen und die Menschen mit all ihren subtilen Ängsten um unseren Planeten Erde auf die Straßen treibt. „Haben sie mal 400 Jahre Zeit ? So lange dauert es, bis eine Plastiktüte kompostiert ist“, diese Botschaft hat sich der Müllwagen der RSAG auf seine Fahnen geschrieben. Daneben unterstreicht das Skelett, dass 400 Jahre Verwesung eines menschlichen Körpers gerade ein paar Knochen mit einem Schädel übrig lassen. Plastik stellt mit seinem Prozess des Zerfalls hingegen ein Bedrohungsszenario und einen Ausdruck unserer Wegwerfgesellschaft dar. Die Werbung sensibilisiert, dass die Rohstoffkreisläufe unterbrochen sind und sich nicht schließen. Da wenig Forschung investiert worden ist, stößt die Herausfilterung und die Wiederverwertung von Plastik an ihre Grenzen. Wir machen uns die Sache ganz einfach, da sich die Entsorgungsunternehmen um Plastik kümmern. Die Müllwagen der RSAG machen darauf aufmerksam, dass die Zeitenrechnung bei Plastik ganz anders aussieht. Plastik ist langlebig, ganz anders als all die Werbekampagnen, die Produkte mit immer kürzeren Produktlebenszyklen bewerben, die dann weggeworfen werden, im Hausmüll landen und mit Verpackungen aufgebläht sind, die dann nochmals unsere Müllberge vergrößern.
19. Oktober 2019
Ein Baustellenchaos, in dem wir unseren eigenen Beitrag geleistet haben, dieses Chaos zu vergrößern. Auf der Terrasse türmt sich der Schuttberg, nachdem die Wand zwischen den beiden Kinderzimmern im Obergeschoss abgerissen worden ist. Daneben Glaswolle, Eisenschrott, Holzreste, Restmüll. Freunde haben uns geholfen, die Glasbausteine abzureißen. Einige waren brüchig, die viereckigen Klötze standen unter Spannung, wenige Glasbausteine waren lose und waren zur Gefahr geworden, weil sie hätten herunter fallen können. Freunde haben uns nun geholfen, die Wand mit Glasbausteinen abzureißen. Die Aktion war nicht so aufwändig und dauerte zwei bis drei Stunden. Nun haben sich zu diesem Baustellenchaos Glasbausteine gesellt, die wir in Fünferreihen bis zur Höhe der Terrassenmauer aufgeschichtet haben.
20. Oktober 2019
Ein verregneter Herbsttag, an dem der Gang zum Komposthaufen wenige Momente der Abwechslung bot. Bereits am frühen Morgen hatte es sich eingeregnet, und der Dauerregen hielt uns im Haus, zumal wir in unseren Plänen darauf fixiert waren, dass Freunde uns beim Wegräumen im Kellers des Hauses des verstorbenen Schwiegervaters helfen wollten. Am frühen Nachmittag kam die Absage, und wir verschoben auf Montag. Spülen und der Gang zum Komposthaufen. Unserem Garten sah man es an, dass er infolge unserer Renovierungsaktivitäten vernachlässigt wurde. Seit Wochen und Monaten waren wir nicht mehr dazu gekommen, den Rasen zu mähen. Noch behielten die Tomaten, welke Zucchinis und Bohnen in den Beeten die Oberhand über das Unkraut. Ein paar Tomaten strahlten ihr reifes Rot dem trübsinnigen Himmel entgegen. Beinahe hätte man den herbstlichen Zustand unseres Gartens als normal betrachten können. Ein farbenfroher Kontrast zu Regen und Grau, zu denen der Himmel endlos seine Schleusen öffnete.
21. Oktober 2019
Ein Hahn, eine Henne und ein Käfig – was für ein ausgefallenes Symbol über dem Eingang einer Gaststätte in Troisdorf-Sieglar. Ein Ort der Geselligkeit mit einem Hühnerstall im Hinterhof ? Mitnichten. Wo die Namensgebung „Zur Küz“ herkommt, dazu muss man ein wenig suchen, da die rheinischen Dialekte schnell variieren können – von Ort zu Ort. „Küz“ bedeutet in unserem Landstrich im Dialekt „Kiepe“, und so wie die Kiepenkerle im Münsterland, waren auch hierzulande bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts fliegende Händler mit ihrer Kiepe von Haus zu Haus unterwegs. Diese Händler, die sich nicht alleine auf Westfalen beschränkten, trugen die aus Holz und Korbgeflecht bestehende Rückentrage, die man sehr schön über dem Eingang der Gaststätte „Zur Küz“ erkennen kann. Die Händler verkauften Waren für den täglichen Bedarf, als man an Institutionen wie Supermärkte noch nicht zu denken wagte. Da es noch keine Handelsinstitutionen wie Supermärkte gab, konnte man Gegenstände des täglichen Bedarfs wie zum Beispiel Eier nicht so einfach an der nächsten Straßenecke kaufen. Also mussten Hühner ran, die in einem Hühnerstall gut aufgehoben waren. Für die Gastwirte, die die Gaststätte von 1902 bis 1905 in Troisdorf-Sieglar erbauten, bedeutete die „Küz“ oder die „Kiepe“ in erster Linie Gemütlichkeit. Ihre Gäste sollten sich gut aufgehoben fühlen und Geselligkeit pflegen an diesem Ort des Beisammenseins in der Dorfgemeinschaft.
22. Oktober 2019
Heute Abend haben wir uns eine kleine Auszeit gegönnt. Zum Geburtstag hatte ich einen Essensgutschein geschenkt bekommen, den wir im Restaurant „Zur Alten Post" einlösten. Die Dekoration war passend zu diesem Anlass, das Essen war sehr gut. Ob das Jägerschnitzel, das Hirtensteak oder das Pfeffersteak, auch die Cevapcici, alles hat sehr lecker geschmeckt. Wir unterhielten uns mit der Inhabern, wobei ich die Idee aufgreifen wollte, in meinem Blog etwas über das Restaurant zu schreiben. Die Inhaberin erzählte von einer ehemaligen Poststation, der Pferdeställe angegliedert waren. Sie erzählte aber auch etwas über die Unsitte einzelner Gäste, die glaubten, sie über Google-Bewertungen erpressen zu können. So hatten Gäste am Ende ihres Aufenthaltes eine Rechnung von 210 Euro zu bezahlen. Bereits nach zwei Tagen hatten sie zu meckern begonnen, dass ihr Zimmer nicht in Ordnung sei. Als sie ihre Schlussrechnung bezahlen sollten, wollte sie nur 150 Euro bezahlen mit dem Hinweis, dass sie ansonsten wegen des schlechten Zustandes ihres Zimmers schlechte Bewertungen in Google und in Tripadvisor hinterlegen würden. Die Inhaberin forderte unverändert die 210 Euro, die die Gäste auch bezahlten, wobei sie an die Verhaltensebene der Gäste appellierte. Sollte es ihr Gewissen erleichtern, könnten sie ihren Frust in Google und Tripadvisor herunterschreiben. Erpressbar sei die Inhaberin nicht.
23. Oktober 2019
An diesem Tag trafen die Bauernproteste einen mit voller Wucht. Eine ganze Kolonie von Traktoren bevölkerte die Stadt. Die Traktoren parkten auf den Feldern vor Schwarz-Rheindorf. Erst um die Mittagszeit war ich auf dem Weg ins Büro, und ich konnte mich glücklich schätzen, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Denn genau um diese Tageszeit setzte sich diese Masse von Traktoren in Bewegung und steuerte in die Innenstadt. Als ich die Kennedybrücke befuhr, konnte ich in Augenschein nehmen, was los war. Traktoren blockierten die Brücke, und zwar in beide Richtungen. Nichts ging mehr, der Verkehr stand still, das totale Chaos war perfekt. Demonstrationen ja, in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist ein solches Grundrecht nicht hoch genug zu schätzen. Aber inhaltlich tue ich mich mit den Beweggründen schwer. Noch im Frühjahr hatte ich ein Foto mit jede Menge Kunstdünger auf dem Wirtschaftsweg gepostet. Gleichzeitig wurden über zu hohe Nitratwerte im Grundwasser quer durch alle Medien berichtet. Verschärfte Bestimmungen hat der Gesetzgeber in dem Agrarpaket nun auf den Weg gebracht, und genau dagegen protestieren nun die Landwirte. Gleiches gilt etwa für Pflanzenschutzmittel oder für Grünstreifen für Insekten und andere Kleintiere. Protest der Landwirte allenthalben, weil die Landwirtschaft grüner werden soll, der Einsatz von Chemie zurück gefahren werden soll. Monotone Agrarsteppen sollen weichen, Massentierhaltungen sollen artengerechter gestaltet werden. Die Bauern stecken in einem Dilemma, der Produktionsfaktor Boden gibt in einer kapitalistischen Marktwirtschaft ein Zerrbild ab. Manche Bauern kämpfen ums Überleben, und Einzelfälle werden nicht wegzudiskutieren sein, dass die grünen Bewegungen Bauern in den Ruin treiben werden. Die Bauern machen ihrem Unmut Luft – und mit dem Prozess der Billigung des Agrarpaketes durch die Bundesregierung werden diese Proteste weitergehen.
24. Oktober 2019
… solch ein Datum mit solch einer Fülle von Terminen verhieß bedeutungsschwere Vorahnungen und hing für mich wie ein dickes Brett im Raum, das es beiseite zu schieben galt. Dieses dicke Brett umfasste für mich eine zahnärztliche Behandlung, bei der die Löcher und die Verschraubungen für zwei Implantate in den Oberkiefer gesetzt wurden. Etwas höchst Unangenehmes also. Und bei diesen Unannehmlichkeiten vertraute ich auf die Erfahrung und das Können meines Zahnarztes, den ich bei anderen Behandlungen schätzen gelernt hatte. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Termin auf mich zukommen zu lassen und darauf zu hoffen, dass mit dem Endzustand einer telekospierenden Brücke für meinen Oberkiefer alles besser würde. Genau um 15 Uhr war der bedeutungsschwere Termin, doch an diesem Tag fanden weitere wichtige Termine statt. Während ich die Zahnarztleiden noch vor mir auf der Brust hatte, arbeitete meine Frau gleich drei Termine im Haus des verstorbenen Schwiegervaters nacheinander ab. Morgens um 10 Uhr war sie mit der öffentlich bestellten Gutachterin verabredet. Um 13 Uhr kamen gleichzeitig der Elektriker und der Lüftungsbauer, wobei sie mit dem Elektriker die Feinplanung der elektrotechnischen Versorgung abstimmte. Beide Gewerke sollten in Kürze mit ihren Arbeiten beginnen. Am Ende des Tages war ich mächtig lädiert, was zu erwarten gewesen war. Mit den Vergleichen, was schlimmer war – die Entfernung eines Wurzelrestes mit anschließender Vernähung, einen Zahn ziehen oder das Setzen von zwei Implantaten – tat ich mich schwer. Wegen des schlechten Zustandes meiner Zähne kam ich nicht umhin, einiges über mich ergehen lassen zu müssen.
25. Oktober 2019
Ein Tag, an dem mir der Zahnarzt nach dem gestrigen Eingriff Ruhe verordnet hatte. Wegen der Zähne sollte ich keinen Kaffee trinken und keinen Alkohol. Dreimal täglich sollte ich Schmerzmittel nehmen, Milchprodukte waren verboten, und im Laufe des Tages gewann das Gefühl der Prothese eine gewisse Normalität anzunehmen. Die Prothese saß auf dem Oberkiefer über den vernähten Stellen der beiden gesetzten Bohrungen. Beim Essen musste ich vorsichtig sein, dass nichts drückte auf die Stellen der Implantate, nichts durfte sich entzünden, der Zahnarzt hatte zu Vorsicht angeraten, und am nächsten Donnerstag hatte ich den nächsten Zahnarzttermin zur Nachsicht und zum Fädenziehen. Tagsüber mäßigte ich mich mit meinen Aktivitäten. Ich spülte, hockte vor dem Fernseher, las die Tageszeitung und quasselte jede Menge. Der Schmerz über dem Oberkiefer hatte sich zurückgezogen, das Abendessen, Mettwürstchen mit Porree, Nudeln und Schinkenwürfeln, zerkaute die Prothese über den verloren gegangen Zähnen des Oberkiefers halbwegs unkritisch. Am späten Nachmittag fühlte ich mich bereits so, als sei ein Normalzustand meines gesundheitlichen Wohlbefindens wieder erreicht. Ich brachte meinen Schwager samt Ehefrau zur Behindertengruppenstunde, währenddessen erledigte ich unsere Wocheneinkäufe. Danach, im Haus des verstorbenen Schwiegervaters, ereilte uns ein kollektiver Tatendrang. Meine Frau hatte bereits am frühen Nachmittag Fliesen in der Wohnküche mit Hammer und Meißel abgestemmt. In der früheren Essecke war das Abstemmen leicht von der Hand gegangen, in der früheren Küche hingegen waren die Fliesen hartnäckig. Der Fliesenkleber löste sich gut vom Estrich, die Fliesen hingegen schlecht. Also stemmten wir Kleber mit Fliesen zusammen weg, und damit betätigten wir uns zu Dritt, bis die Dunkelheit uns einholte. Diese brach uns ab in unserem Tatendrang, und danach wendeten wir uns dem Abendessen zu. Betrachtete ich die zahnärztliche Behandlung am Vortag, war der Tagesablauf höchst viel versprechend. Beim Essen musste ich noch aufpassen, aber das Aktivitätsniveau hatte ein Normalmaß wieder erreicht.
26. Oktober 2019
Ein verhängnisvoller Fehlgriff bei all unseren Aufräum- und Entsorgungsaktionen. Bei diesem alten Puppenwagen hatte ich angenommen, dass er ein Erbstück von meiner Oma gewesen sei. Dieses Erbstück war allerdings eine Etagere, die wir längst zum Sperrmüll gestellt hatten. Dieser alte Puppenwagen gehörte meiner Frau, wobei die Decke im Puppenwagen meine verstorbene Schwiegermutter selbst genäht hatte. Als Sperrmüll war, hatte ich den Puppenwagen einem Händler mitgegeben, der bei der Sichtung des Sperrmülls bei mir nachgefragt hatte. Ein paar Euros hatte er mir dafür gegeben. Der Fehlgriff schmerzte, als meine Frau mich über die richtige Zugehörigkeit aufklärte.
27. Oktober 2019
Es geht doch nichts über ein lebendiges Spielzeug. Diese Maus, die zunächst unser Kater Oskar gefangen hatte, ist keine Attrappe. Seine Beute im Mund, war er in unseren Wintergarten spaziert. Seine Nase auf unsere Wohnzimmertüre gedrückt, drängte er mit seiner Beute hinein, doch wir lehnten eine tote Maus in unserem Wohnzimmer dankend ab. Nun stießen unsere beiden anderen Kater Jumbo und Rambo im Wintergarten hinzu, während Oskar das totgebissene Tier aus seinem Mund auf den Boden fallen ließ. Zu dritt umstanden sie die tote Maus, indem sie sich beratschlagten, wie damit umzugehen sei. Zuerst ergriff Rambo die Initiative. Er biß zu, sein Mund mit seinen scharfen Zähnen hoben das Objekt von den Bodenfliesen auf, und Rambo kaute ein paar Male auf dem toten Mausekörper herum. Anscheinend war es nicht seine Geschmacksrichtung, denn lustlos purzelte die Maus aus seinem Mund wieder zurück auf den Boden. Danach zog es Rambo vor, sich aufregenderen Dingen im Garten zuzuwenden und verließ den Wintergarten. Ihm folgte Oskar, der anscheinend auch keine Lust auf den soeben gefangenen Mäusebraten hatte. Alleine und zurückgelassen, gehörte die tote Maus nun einzig und alleine unserem schwarzbehaarten Kater Jumbo. Und der hatte seinen Spaß mit dem leblosen Objekt. Von allen Seiten sprang er auf die Maus zu, wirbelte mit seinen Pfoten um sie herum. Die tote Maus flog von einer Ecke des Wintergartens in die andere, sie flog in die Luft. Danach umkreisten sie Jumbos Pfoten von allen Seiten, seine weit geöffneten Augen begutachteten die Maus aus unterschiedlichen Perspektiven. Sein Spieltrieb tobte sich an der Maus aus, ohne dass er ein einziges Mal in diese Delikatesse für seinen unstillbaren Hunger hinein biss.
28. Oktober 2019
Es waren die Wortspielereien, die mich bei unseren Einkäufen bei Pflanzen Breuer beeindruckten. Die Einkäufe bei Pflanzen Breuer gehören zum Jahresablauf wie Karneval, die Schulferien oder Weihnachten; sie sind Allerheiligen vorgelagert für den Grabschmuck auf dem Friedhof. Meine Augen schauten gleich ein paar Mal hin, als sie die Verbindung einer Pflanzenbezeichnung mit progressiver Rockmusik, wie man den Musikstil Anfang der 1970er Jahre bezeichnete, entdeckten. Deep Purple – so hieß tatsächlich ein Federbusch mit kegelförmigen Blüten in tiefem purpurnem Lila. Das tiefe purpurne Gewächs war unscheinbar und ging in dem übergroßen Angebot von herbstlichen Pflanzen, Blumen, Gewächsen und Gehölzen unter. Was die Farben des Herbstes zu bieten hatten, war nicht schlecht, und weil wir genug Stress um die Ohren hatten, entschieden wir uns in diesem Jahr, die Schalen für das Grab nicht selbst zu bepflanzen. Wir kauften zwei fertige Gestecke, und damit waren unsere Einkäufe ungefähr erledigt. Wir ließen noch auf uns wirken, was man alles schönes im Herbst noch einpflanzen konnte, wenn die eigentliche Vegetationszeit sich im Jahresablauf dem Ende zuneigte. Nachdem wir die beiden Schalen mit ein bißchen Kleinkram an der Kasse bezahlt hatten, ging es wieder ab nach Hause. Dass man Pflanzen auch nach deftiger Rockmusik benennen kann, das hatte ich zu Hause wieder vergessen.
29. Oktober 2019
Die Uhren sind umgestellt, die Zeiten haben sich von der Sommer- in die Winterzeit verschoben. Während öffentlich diskutiert wird, wie man EU-weit jedem Land mit der Abschaffung der Sommerzeit gerecht werden kann, bestimmt die Umstellung die Phasen von Hell und Dunkel. Die eine Stunde Zeitverschiebung vom frühen Abend auf die Morgenstunden bedeutet, dass sich ab dieser Jahreszeit die Schönheit der Sonnenuntergänge über dem Rhein entfaltet. Zumindest, wenn ich mit dem Fahrrad zum Büro unterwegs bin. Vom Büro aus nach Hause radelnd, nehme ich gerne die Strecke über die Konrad-Adenauer-Brücke über die rechte Rheinseite durch die Rheinaue, wo ich all die Facetten der sich über dem Wellenspiel des Rheins absenkenden Sonnenscheibe genießen kann. Vom Prinzip her ist es eine wunderschöne Jahreszeit, begleitet von dem eingefärbten Herbstlaub, das die Blätter in vielerlei Rot-,Gelb- oder Orangetönen herab rieseln läßt. Die viel zu hoch hinaus geschossene Architektur des Posttowers mag ich nicht unbedingt, aber er verleiht der Komposition des Stadtbildes einen festen Ankerpunkt. Die zerlaufende Sonnenscheibe schmiegt sich an die Hänge des Kottenforsts und setzt auf Baumgruppen auf, deren fallendes Laub man aus der Entfernung nur vermuten kann. Die Lastkähne auf dem Rhein vermitteln eine innere Ruhe zwischen zerfaserten und unentschlossenen Streifen von Wolken, die den Sonnenuntergang intensiv aufleuchten lassen. So manche Sonnenuntergänge über dem Rhein werde ich in den nächsten Wochen genießen können.
30. Oktober 2019
Gegenüber von unserer Baustelle findet das Gemeindeleben im katholischen Pfarrheim statt. Vor ein paar Wochen, während der Öffnungszeiten der Bücherei stand dort: KRIMILESUNG. Heute stand das Blaulicht vor dem Eingang des Pfarrheims. Dirk Breitenbach, Polizeihauptkommissar im Ruhestand, hat einem zahlreich interessierten Publikum seine Krimi-Geschichten vorgelesen. Spannend lebhaft und nahe der Realität, seine Erlebnisse haben die Zuhörer gepackt. Wir werden die Bücher „KÖRPER-TEILE“ und „WOLFs-MORD“ mit kriminalistischer Freude lesen.
31. Oktober 2019
Wie sehr die Utopie einer besseren Welt und die Wirklichkeit auseinanderklaffen, das erfahren wir momentan am eigenen Leib. All die Umweltbewegungen, die im Zeitgeist der Klimadebatte mächtig Auftrieb erhalten haben, prangern – zu Recht – einen schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen an. Schonend kann etwa mit diesen Ressourcen umgangen werden, wenn gegen den Trend unserer Wegwerfgesellschaft Gegenstände wieder verwendet oder wieder verwertet werden. Bei Möbeln müssen wir derzeit feststellen, dass der Verbraucher es vorzieht, dass irgendwo in der Taiga, in den Karpaten oder in Kanada ein Stück Wald abgeholzt wird, um flammneue Möbel direkt aus der Fabrik bei Porta, IKEA & Co zu kaufen anstelle sich mit gebrauchten Möbeln zu begnügen, die – wie bei unserem Kleiderschrank -, nicht viel weniger hübsch und nicht viel weniger flammneu aussehen. Obschon das abgeholzte Stückchen Wald die CO2-Bilanz verschlechtern wird, geht das Interesse an diesem gebrauchten Kleiderschrank gegen Null. Selbst geschenkt will niemand diesen tadellosen Kleiderschrank haben, den wir in eBay-Kleinanzeigen inseriert haben und der fast – aber nicht zu 100% - aus Eichenholz besteht. Damit die Elektriker arbeiten können, müssen wir das Zimmer vollständig räumen, und dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als dieses kostbare Stück zu zerlegen und an den Sperrmüll zu stellen. Das ist jammerschade, denn wir würden uns einen Abnehmer wünschen, der diesen hochwertigen Kleiderschrank gebrauchen kann. In all diesen Friday for Future-Demonstrationen begehren die Menschen auf, dass es keinen Plan B für unseren Planeten Erde gibt. Aber wenn es darum geht zu handeln, dann nimmt so mancher Verbraucher mit seinem Konsumentenverhalten fahrlässig – so würde man es im juristischen Jargon ausdrücken – die Folgen des Klimawandels in Kauf.

Ben Zucker in der Lanxess-Arena in Köln

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Dieser Tag war ein Beispiel dafür, dass wir uns von Widrigkeiten nicht abschrecken ließen und unseren Weg so gehen, wie wir es geplant haben. Der Anlass dieses Tages war höchst angenehm, denn ich hatte meinen Schwager zu seinem Geburtstag zum Konzert von Ben Zucker in die Lanxess-Arena nach Köln eingeladen. Die Zeit war gut getaktet, ich war früh genug zu Hause, und im Behindertenwohnheim wartete der Schwager, den ich mit unserem Auto abholen wollte, um mit ihm nach Köln weiterzufahren. Als ich den Motor unseres VW Golf vor unserem Haus startete, hörte ich ein merkwürdiges Geräusch heraus, das sich am Behindertenwohnheim konkretisierte. Nachdem ich den Schwager aus dem Wohnheim in unser Auto eingestiegen war, murkste der Anlasser herum, bis sich gar nichts mehr tat. Die Batterie war leer. Was tun ? In dieser schwierigen Situation hatte meine Frau die entscheidende Idee. Ein Vater wohnte gerade um die Ecke, dessen Tochter gemeinsam mit unserer Tochter in eine Art von Vor-Kindergarten gegangen war. Eine Zeitlang spielten seine und unsere Tochter gemeinsam in derselben Mädchen-Fußballmannschaft. Ich klingelte und er half uns mit dem Fremdstartkabel seines VW-Busses.
Nachdem meine Frau uns zur S-Bahn gefahren hatte, kamen wir ziemlich punktgenau in der Lanxess-Arena an. Das Konzert war mitreißend, und wir hatten wahnsinniges Glück mit den Plätzen. Von den wenigen freien Plätzen hatte wir zwei Karten ergattert, die ganz hoch oben auf den obersten Reihen lagen, so hoch, dass wir die Bühne so ungefähr nur als Punkt erkennen konnten. Aber genau unsere Plätze waren gesperrt. Wir mussten vom Innenbereich der Arena wieder heraus und bekamen Restkarten von anderen Plätzen, die nicht verkauft worden waren. Mit diesen Restkarten mussten wir den hohen Treppenaufgang wieder herunter in den unteren Innenbereich bis dicht an die Bühne. So saßen wir vielleicht in vierzigsten oder fünfzigsten Reihe mit ungehindertem und direkten Blick auf die Bühne. Als wir Platz nahmen, war der Innenbereich bereits eingedunkelt und eine Vorsängerin sang Solo auf ihrer Gitarre ihre Stücke, die sich ein wenig an den Stil von Ami Mc Donald anlehnten.
Ben Zucker noch in die Schlagerecke einsortierend, mutmaßte ich, dass mir die durchweg schönen Stücke dieser Sängerin einiges besser gefallen würden als Ben Zucker selbst. Mit ihrer eloquenten und ausdrucksstarken Stimme spielte sie sechs bis sieben Songs herunter, bis sie voller Vorfreude Ben Zucker ankündigte. Gleich das erste Stück, das Ben Zucker sang, hatte ganz und gar nichts mit deutschen Schlagern zu tun. Das Gitarrenspiel, das zwei Sologitarristen und ein Bassist erzeugte, wogte scharf hin und her. Mit seiner einhämmernden Stimme war dies reine Rockmusik, die bebte.
Eintrittskarten (oben links), Rückfahrt mit dem Bus um Mitternacht (unten rechts), Konzert in der Lanxess-Arena (übrige Fotos)
Überhaupt tummelten sich viele Musiker auf der Bühne, die neben dem Schlagzeuger auch von einer weiteren Sängerin und einem Sänger belebt wurde. Im Verlauf des Konzertes schlug Ben Zucker auch weichere Töne an, die stets von seiner harten und rauchenden Stimme übertönt wurde. Seine Stücke bewegten sich aber niemals in Gesangsrichtungen, die mit Helene Fischer verband. Helene Fischer war es gewesen, womit sich der Name von Ben Zucker verband, als ich diesen zum ersten Mal gehört hatte. Mit Helene Fischer hatte er gemeinsame Konzerte gegeben, was ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dazu war der Stil der beiden viel zu gegensätzlich.
Ben Zucker verwandelte sich vom harten Rock in samtweiche Balladen, wovon das Publikum vieles auswendig kannte und mitsang. Mir gefiel alles, was er sang, wenngleich ich nichts davon kannte, und seinen Gesang prägte diese derbe, rauchige Stimme, die Köln so richtig abrocken ließ und einen geilen Abend bescherte. So hatten es seine Worte jedenfalls nach dem ersten Stück versprochen. In seinen Stücken erinnerte er an seine Mutter, die einiges mit ihm als Kind mitgemacht haben musste. In einem anderen Stück trat seine Schwester gemeinsam mit ihm auf. Wohnsilos in Form von Hochhäusern flackerten auf der Großleinwand auf, als er sein Berlin besang. Das waren Eindrücke von Ost-Berlin, wo er als Kind aufgewachsen war, bevor die Mauer fiel. Schließlich driftete er dann doch in das Medium des deutschen Schlagers an, als er sich mit all seinen Musikern auf ein Podium mitten in das Publikum hinein begab. Er sang die Refrains von Schlagern wie „Marmor Stein und Eisen bricht“ oder „Ein Bett in Kornfeld“, bis er dann doch Helene Fischer in diesen Medley einbaute. Atemlos ging es durch die Nacht, und trotz all meiner Abneigungen gegen deutsche Schlager konnte ich nicht verhehlen, dass die Aneinanderreihung nicht schlecht gemacht war.
Da wir über kein Auto verfügten, gestaltete sich die Rückfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln relativ holprig. Die Fahrt bis zum Behindertenwohnheim, wohin ich den Schwager begleitete, klappte noch wie am Schnürchen, aber auf dem Rückweg vom Wohnheim zu uns nach Hause wirkte sich der ausgedünnte Busfahrplan aus. Gegen Mitternacht fuhren die Busse nur noch alle 30 Minuten, und nachdem uns auf dem Weg zum Wohnheim soeben zwei Busse entgegengekommen waren, verbrachte ich die Zeit des Wartens, indem ich ein Stück zu Fuß lief. Die helle Scheibe des Vollmondes verschwamm, und wenn man von spärlich verkehrenden Autos absah, war die Stille gegen Mitternacht perfekt. Nachdem ich geduldig die Wartezeit totgeschlagen hatte, näherte sich endlich ein Bus. Doch seine Endhaltestelle lag eine Haltestelle vor derjenigen Haltestelle, wo ich gewöhnlich von zu Hause aus ein- und ausstieg. So konnte ich dann nach Mitternacht ein weiteres Stück durch die Dunkelheit spazieren gehen, bevor ich zu Hause zurück kehrte.

Tagebuch November 2019

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1. November 2019
Was anfangen an solch einem verregneten Tag ? Der Dauerregen vermieste uns so sehr den Tag, dass wir nicht einmal Lust verspürten, unseren gewohnten Gang an Allerheiligen zum Friedhof zu absolvieren. Anstatt dessen regte sich nachmittags eine ganz andere Lust, nämlich auf Kuchen. Dazu bestätigte uns das Internet, dass das Café Alexandra im Nachbarort an diesem Feiertag geöffnet war. Im Café Kuchen essen, eine sinnvolle und höchst ausfüllende Aktivität, wozu ich meinen Schwager aus dem Behindertenwohnheim mitnahm. So manch andere hatten dieselben Gedankengänge, denn das Café Alexandra war gut besucht, aber nicht rappelvoll. Unter dem silbrigen Spiegel und der Attrappe eines Kamins machten wir es uns gemütlich. Die blanke dunkelbraune Tischplatte schimmerte matt, die Kombination von Alt und Neu hatte Stil, draußen plätscherte leise der Regen, an der Kuchentheke wählten wir zwei Stücke Schwarzwälder Kirsch-Torte, und wir sogen die familiäre Atmosphäre auf, bei der jüngere und ältere Generationen beim Kuchenessen zusammen saßen. Mein Schwager konnte seine Freude nicht verbergen, da das Behindertenwohnheim Sonntags oder an Feiertagen grundsätzlich keinen Kuchen anbot. Manchmal wurden Plätzchen zum Nachmittagskaffee gereicht - aber nur in einer begrenzten Menge, so dass sich nicht jeder soviel nehmen konnte, wie er wollte. Bei Kaffee und Kuchen entspannten wir uns, und wir waren froh, für eine Weile dem Regenwetter und den vier Wänden im unserem Haus entkommen zu sein.
2. November 2019
Fährrechte gehörten im Mittelalter zu den wohl gehüteten Stadtrechten. Noch bevor der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden 1243 der Stadt Bonn die vollständigen Stadtrechte verlieh, hatten sich bereits zwei Jahrhunderte vorher die Fährrechte etabliert, als der römisch-deutsche Kaiser Otto I. dem damaligen Erzbischof Bruno diese Rechte zugestand. Im Laufe des Mittelalters entwickelte sich dieses Recht in Form des sogenannten „Fährgerechtsamen“ dergestalt, dass 20 Fährleuten zwischen Köln und Bonn dieses Recht zur Erhebung von Gebühren für die Übersetzung von Personen, Gütern oder Fahrzeugen mit einer Fähre über den Rhein innehatten. Dieses gewerbliche Recht zum Betrieb der Fähre vererbten dann die Familien innerhalb ihrer Generationen weiter. Diese Fährrechte überlebten sogar über die geschichtlichen Epochen hinweg. Die Geschichte der Rheinnixe, die zwischen dem Stadtteil Beuel und dem Rheinufer an der Universitätsbibliothek verkehrt, läßt sich nicht lückenlos über alle geschichtlichen Epochen verfolgen, aber über ein paar Eckdaten. Mittelalterliche Dokumente nennen vier Stellen, wo seiner Zeit im Stadtgebiet Fähren über den Rhein verkehrten. Die „Rheinnixe“ ist seit 1931 im Familienbetrieb, wenngleich mit gewissen zeitlichen Unterbrechungen. Dabei unterliegt der Betrieb der Fähre weiterhin dem mittelalterlichen Recht des „Fährgerechtsamen“, dass dieses Recht nur an die Nachkommen vererbt werden kann. Zuletzt war dies im Jahr 2016 der Fall, als das Ehepaar mit dem sehr rheinisch klingenden Namen Schmitz nach 50-jährigem Fährbetrieb die Fährrechte an ihre Kinder übergeben hatte. Zurzeit verkehrt die Fähre nicht, aber im nächsten Frühjahr soll der Fährbetrieb fortgesetzt werden.
3. November 2019
Die Geschichte der heutigen Tages ist schnell und im Grunde genommen ereignislos erzählt. Zu Beginn des Tages hatte ich noch die Hoffnung, es zu der Aktion „Bonn leuchtet“ zu schaffen, doch daraus wurde im Endeffekt nichts. Zu vieles war zu erledigen, der Sonntag füllte sich mit der Abarbeitung von mehr oder weniger unaufschiebbaren Dingen. Nach dem Frühstück suchten wir Zeugnisse, die wir am nächsten Tag für einen eventuellen Schulwechsel unserer Tochter benötigten. Nach der Suche, die nicht ganz erfolgreich war, zerlegte ich den Schlafzimmerschrank im Haus des verstorbenen Schwiegervaters. Dieser hatte den Elektrikern, die Wände aufgestemmt hatten und fleißig Kabel verlegt hatten, mitten im Weg gestanden. Von einem Tag auf den anderen war es im Schlafzimmer notwendig geworden, das mit allerlei Hausrat voll gestellte Zimmer räumen zu müssen. Den Kleiderschrank im Schlafzimmer hatte meine Frau nicht mehr geschafft, so dass die Elektriker diesen mehr oder weniger notdürftig in die Mitte des Zimmers platziert hatten, um irgendwie arbeiten zu können. Die Zubereitung des Mittagessen dauerte indes – meine Frau hatte Wildschweingulasch gekocht, der zwei Stunden garen musste. Die Zwischenzeit nutzte ich zum Spülen, außerdem machte ich Fotos von einzelnen Stücken unseres überquellenden Hausrats, um diese in Ebay-Kleinanzeigen zu stellen. Nach dem Mittagessen befasste ich mich mit dem zweiten Rollator des verstorbenen Schwiegervaters, den ein Käufer am nächsten Tag abholen wollte. Zu uns herüber gebracht, säuberte ich ihn an allen Ecken und Enden, was eine relativ aufwändige Aktion war, da er im Haus des verstorbenen Schwiegervaters nach diversen Abrissarbeiten vollkommen voll gestaubt war. Danach entwickelte sich zu einer unerwartet aufwändigen Aktion, dass wir die letzten drei Realschulzeugnisse unserer Tochter finden mussten. Wir hatten uns selbst das Leben schwer gemacht, indem wir die Zeugnisse in zwei unterschiedliche Ordner abgeheftet hatten. Das letzte Zeugnis, das sich zuletzt in einer gelben Mappe befunden hatte, wurde zum Problem, da die gelbe Mappe wie vom Boden verschluckt war. Danach schaute ich in Ebay-Kleinanzeigen, wo ich die Reaktionen auf die veröffentlichten Anzeigen kontrollierte und drei weitere Anzeigen aufgab. Die Zeit strich so schnell vorbei, dass wir es nicht nach Bonn zu der Stadterleuchtungsaktion schafften. Ohne irgendwelche Anflüge von Begeisterung, Emotionen oder Höhepunkte war der Tag vorbei geflogen.
4. November 2019
Die Ereignisse überschlugen sich so sehr, dass wir der Fülle von Terminen, Ereignissen und Erledigungen noch steigern konnten und einen Schulwechsel unserer Tochter im Visier hatten. Die Schulleiterin unserer Realschule, eine sehr freundliche und regsame Zeitgenossin, hatte ihre Mithilfe angeboten, die in Frage kommenden Schulen zu kontaktieren. Daraufhin hatte sich die Realschule in Bonn-Beuel gemeldet, dass sie unsere Tochter aufnehmen könne. Um unsere Tochter vorzustellen, hatten wir mit dem Schulleiter einen Termin vereinbart. Er hatte Verständnis für die Situation des Mobbings, der Ausgrenzung und der Sticheleien bei unserer Tochter, und er zeigte sich bereit, unsere Tochter in seine Realschule aufnehmen zu wollen. Mehrfach gebrauchte er den Begriff des „Reset“ gegenüber unserer Tochter, die sich reichlich still verhielt. Einen Neubeginn wagen, neu bei Null anfangen. Wahrscheinlich konnte unsere Tochter all die Eindrücke in seinem Büro, das überaus chaotisch und an alle Ecken mit Akten vollgestopft war, nicht verarbeiten, denn sie war sehr schweigsam. Auch der erste Eindruck in den Fluren des Sekretariates und der Blick ins Lehrerzimmer war bei weitem nicht so geordnet und sortiert wie in der jetzigen Realschule. Das störte uns wenig, da uns in unserem Haus – allerdings aus anderen Gründen – ebenso jede Menge Chaos umgab. Genauso passte dieser Stil zum Kinderzimmer unserer Tochter, wo vielerlei Dingen einfach mal so mitten im Zimmer herum flogen. Der Schulleiter, der schwergewichtig und überaus beleibt war, aber mit seinem Anzug korrekt gekleidet war, war überaus nett und wir hofften, dass der nette zwischenmenschliche Eindruck in der noch zu bestimmenden Klasse unserer Tochter sich fortsetzen würde.
5. November 2019
Das war das erste Mal in unserem Leben, dass wir die Beratung durch einen Rechtsanwalt in Anspruch genommen hatten. Ansonsten waren wir auch ohne Rechtsschutzversicherung mit allerlei juristischen Fallstricken klar gekommen. Trotz unseres juristischen Halbwissens hatten wir es mit Rechtsanwälten aufgenommen, wir hatten ihnen die Stirn bieten können und hatten für uns tragbare Kompromisse herausgearbeitet. Doch dieser Fall war einige Nummern zu groß für uns. Die Erbauseinandersetzung, der sperrige und unbequeme Ergänzungsbetreuer, Heuschrecken, die sich auf den noch auszuzahlenden Erbanteil stürzen wollten, dazu Lücken im Gesetz, die mir jedweden juristischen Durchblick abhandenkommen ließen. In diesem Haifischbecken, wo gleich mehrere Beteiligte auf den noch auszuzahlenden Erbteil schielten, brauchten wir Unterstützung, um gegen all diese Haifische die nächsten Schritte zu planen. So hatte ich im Internet einen Spezialisten für Betreuungsangelegenheiten und Erbrecht ausfindig gemacht, und so war der Beratungstermin mit einem Rechtsanwalt zustande gekommen. Bei der Beratung stutzten wir über das mittlere vierstellige Honorar, das er aufgrund des Gegenstandswertes berechnet hatte. Ob wir dieses Honorar auch zu zahlen bereit waren, überlegten wir nur kurz, da wir sicher waren, dass ganz andere Größenordnungen auf uns zukommen würden, wenn uns diese Haifische im weiteren Verlauf der Erbauseinandersetzung über den Tisch ziehen würden. Vielleicht war es auch nur ein Nullsummenspiel, das die Forderungen des einen Rechtsanwaltes auf den anderen Rechtsanwalt verschob. Wir konnten uns aber nun sicher sein, auf der guten und nicht auf der bösen Seite zu stehen. All dies gab uns ein Gefühl der Sicherheit, die Erbauseinandersetzung durch zu stehen, dabei fremden Akteuren nicht schutzlos ausgeliefert zu sein und diese so zu gestalten, wie wir es haben wollten.
6. November 2019
Gemeinsam mit meinem Schwager erlebten wir einen wunderschönen Abend mit Ben Zucker. Trotz der widrigen Umstände, dass unser VW Golf nicht ansprang, gelang es uns mithilfe eines Bekannten, der den Zündvorgang mithilfe eines Fremdstartkabels ermöglichte, pünktlich zum Konzert in der Kölner Lanxess-Arena zu sein. Ben Zucker hatte ich in die Schlagerecke einsortiert, da er mit Helene Fischer gemeinsam Konzerte gegeben hatte. Gleich das erste Stück, das Ben Zucker sang, hatte ganz und gar nichts mit deutschen Schlagern zu tun. Das Gitarrenspiel, das zwei Sologitarristen und ein Bassist erzeugte, wogte scharf hin und her. Mit seiner einhämmernden Stimme war dies reine Rockmusik, die bebte. Überhaupt tummelten sich viele Musiker auf der Bühne, die neben dem Schlagzeuger auch von einer weiteren Sängerin und einem Sänger belebt wurde. Im Verlauf des Konzertes schlug Ben Zucker auch weichere Töne an, die stets von seiner harten und rauchenden Stimme übertönt wurde. Seine Stücke bewegten sich aber niemals in Gesangsrichtungen, die mit Helene Fischer verband. Helene Fischer war es gewesen, womit sich der Name von Ben Zucker verband, als ich diesen zum ersten Mal gehört hatte. Mit Helene Fischer hatte er gemeinsame Konzerte gegeben, was ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dazu war der Stil der beiden viel zu gegensätzlich. Ben Zucker verwandelte sich vom harten Rock in samtweiche Balladen, wovon das Publikum vieles auswendig kannte und mitsang. Mir gefiel alles, was er sang, wenngleich ich nichts davon kannte, und seinen Gesang prägte diese derbe, rauchige Stimme, die Köln so richtig abrocken ließ und einen geilen Abend bescherte. So hatten es seine Worte jedenfalls nach dem ersten Stück versprochen. In seinen Stücken erinnerte er an seine Mutter, die einiges mit ihm als Kind mitgemacht haben musste. In einem anderen Stück trat seine Schwester gemeinsam mit ihm auf. Wohnsilos in Form von Hochhäusern flackerten auf der Großleinwand auf, als er sein Berlin besang. Das waren Eindrücke von Ost-Berlin, wo er als Kind aufgewachsen war, bevor die Mauer fiel. Schließlich driftete er dann doch in das Medium des deutschen Schlagers an, als er sich mit all seinen Musikern auf ein Podium mitten in das Publikum hinein begab. Er sang die Refrains von Schlagern wie „Marmor Stein und Eisen bricht“ oder „Ein Bett in Kornfeld“, bis er dann doch Helene Fischer in diesen Medley einbaute. Atemlos ging es durch die Nacht, und trotz all meiner Abneigungen gegen deutsche Schlager konnte ich nicht verhehlen, dass die Aneinanderreihung nicht schlecht gemacht war. Nach einem Auftritt von etwas mehr als zwei Stunden waren wir beide begeistert.
7. November 2019
Wie schonungslos die Verantwortlichen mit historischer Bausubstanz und historischem Erbe in unserem Ort umgehen, dass kann man derzeit in unserem Ortskern verfolgen. Wie an so manchen anderen Stellen in unserem Ort, herrscht alleine das kapitalistische Diktat, dass sich bauliche Planungen am Kalkül der Wirtschaftlichkeit zu orientieren haben. Diesem Kalkül sind etliche Gebäude in unserem Ort zum Opfer gefallen, indem sie abgerissen werden anstelle dass die historische Bausubstanz erhalten wird. Die rechte Gebäudefront des einst stolzen Gebäudes steht noch, darunter türmen sich Schuttberge von abgerissenen Wänden und Mauerziegeln. An die Ruine des Abrisses grenzt direkt ein Neubau im Einheitsstil ohne jegliche Ornamente und ohne jegliche Elemente der Verzierung. Die Hinterlassenschaften tun weh, die ein Bagger und die Abrissbirne in einem stattlichen Gebäude aus der Kaiserzeit verwüstet haben. Das altehrwürdige Gemäuer mit der Jahreszahl 1914 über dem Eingang hatte damals als Kloster für die barmherzigen Schwestern von der heiligen Elisabeth als Nähstube, Altenheim und Kindergarten gedient. Seit 1996 betreibt dort die Caritas ein Wohnheim für Menschen mit Behinderung, auch Haus Hildegard genannt. Mit den baulichen Anforderungen an Aufzüge, rollstuhlgerechte Zimmer und behindertengerechte Bäder waren die Verantwortlichen machtlos gegen das Kostenkalkül. Der Aufwand, den Umbau in dem vorhandenen Baukörper zu realisieren und den stolzen Bau aus der Kaiserzeit zu retten, wäre in astronomische Größenordnungen gestiegen.
8. November 2019
Am eigenen Leib haben wir erfahren, aus welchen unsinnigen Ecken der Staat seine Vorschriften heraus zückt und dem Bürger aufzwingt. Der Staat demonstriert seine Macht, indem ein Widerspruch zwecklos ist und der Bürger sich mit diesem bürokratischen Monstrum des Staates abzufinden hat. Wer eine Erbauseinandersetzung führt, der muss den Wert der Immobilie durch ein Gutachten belegen. Genau diesen Fall hatten mit dem Amtsgericht abzuarbeiten. Aber dies darf nicht irgendein Gutachten sein, sondern der Gutachter muss öffentlich bestellt und vor der Industrie- und Handelskammer vereidigt sein. Alle anderen Gutachter, die dasselbe Know-how haben und welche ein Wertgutachten über eine Immobilie nach genau derselben Methodik erstellen, haben aus Sicht des Amtsgerichtes keine Ahnung. Deren Gutachten wird in die Tonne gekloppt und keines einzigen Blickes gewürdigt. Für gleich mehrere Gutachten, welche das Amtsgericht in die Tonne gekloppt hatte, hatten wir eine nicht unerhebliche Summe in Euros ausgegeben, bis wir endlich den gewünschten öffentlich bestellten und vereidigten Gutachter beauftragt hatten. Aber es sind nicht nur solche Fälle, die den Bürger zweifeln lassen an der Sinnhaftigkeit des Rechtsstaates. In den Behörden hängen die Aktenschränke voll mit Gesetzen, Verordnungen, Gerichtsentscheidungen, Erlassen, Richtlinien, Handlungsanweisungen, Ausführungsbestimmungen und vieles mehr, was gerne gegen den Bürger gewendet wird, um ihm Leistungen des Staates zu verwehren anstatt dass er an der Rolle des Staates, für das Gemeinwohl seiner Bürger zu sorgen, partizipiert. Weitere Erfahrungen haben wir zu den OGS-Beiträgen mit dem Jugendamt gesammelt, wo aufgrund von widersprüchlichen Vorschriften die letzten Euros heraus gequetscht werden. Gerade im Bereich des öffentlichen Rechtes leidet unser Rechtsstaat an Glaubwürdigkeit, weil der Staat glatt einhundert Jahre zurückfällt in die Zeit des Kaiserreiches, indem der Bürger als Bittsteller behandelt wird und misstrauisch beäugt wird, weil er als potenzieller Betrüger eingestuft wird. Diese Krise des Rechtsstaates hat nicht nur das öffentliche Recht, sondern auch andere Rechtsbereiche erfasst. Krankenkassen, die essentielle Leistungen ablehnen, Abmahnungen, auf denen ganze Geschäftsmodelle aufbauen, Abzocke über das Internet, wogegen man mit Rechtsmitteln wehrlos ist, Kündigungen im Mietrecht, weil der Gesetzgeber unvorstellbare Freiräume für den Eigenbedarf zugesteht, Kleingedrucktes, deren Fülle kein Mensch begreifen kann, dessen Folgen aber fatal sein können. In diesem Umfeld greift nun das Justizministerium zu einem ganz platten Instrument. Eine Werbekampagne soll das Image unseres Rechtsstaates wieder aufpeppen. „Wir sind Rechtsstaat“, dies beschwören die Plakate, dass unser Rechtsstaat diskussionsfähig ist und Antworten bereithält. Eine Diskussionsfähigkeit, die es vor Ort in Baubehörden, Sozialämtern, Versorgungsämtern oder Amtsgerichten sicherlich nie geben wird, weil alles von oben durch Gesetze, Verordnungen, Gerichtsentscheidungen geregelt ist. Obschon die Justiz als Institution in unserer Demokratie berechtigterweise fest verankert ist, driftet diese Kampagne an den Fakten vorbei. Man könnte die Kampagne auch so interpretieren, dass der Staat erkannt hat, dass der Sinn und der Inhalt unseres Rechtsstaates abhanden gekommen sind. Durch Propaganda soll nun das Volk in die Richtung gelenkt werden, dass es anderswo nichts besseres gibt als denjenigen Rechtsstaat, wie wir ihn in der Bundesrepublik Deutschland haben.
9. November 2019
Nichts ist beständiger als der Wandel. Diese Weisheit, die mal dem griechischen Philosophen Heraklit, mal dem Engländer Charles Darwin zugeschrieben wird, beschreibt ganz treffend das Kommen und Gehen in den Geschäftslokalen in der Fußgängerzone, die Aufstieg und Niedergang dokumentieren. Schnelllebig fließen die sich ändernden Kundenwünsche dahin, die mit ihren Einkaufsgewohnheiten Aufstieg und Niedergang besiegeln. Der Niedergang hat in diesem Jahr ein ganz prominentes Opfer erwischt. Mehr als einhundert Jahre lang verkaufte die Spielwaren-Kette Puppenkönig in ihrem über drei Etagen verteilten Geschäft Spielwaren. Mit dem Puppenkönig sind unsere Kinder groß geworden. Nach dem Namen der Spielwaren-Kette waren es häufig Puppen, die wir für unsere Töchter gekauft hatten, aber auch Spiele, Holzspielzeug, Bilderbücher oder Legos. Ausgiebig hatten wir in der Vorweihnachtszeit hatten wir uns ausgiebig die Eisenbahn im Schaufenster angeschaut. Eine Institution wird von der Bildfläche verschwinden, die unser Familienleben maßgeblich geprägt hat.
10. November 2019
Der Sonntag, ein Tag des Papierkriegs, der Bürokratie und der Formulare. Wir hatten vor uns hergeschoben, dass mit dem Bundesteilhabegesetz die Zahlungsmodalitäten für alle Leistungen zum Jahreswechsel am 1.1.2020 umgestellt werden, wenn Behinderten in Wohnheimen untergebracht sind. Dazu mussten wir in diesem Jahr die nötigen Anträge stellen. Dieser Fall der Zahlungsumstellung war bei uns ganz besonders gelagert, da der Schwager in das Haus des verstorbenen Schwiegervaters umziehen sollte. Mit dem Umzug war gleichzeitig der Komplex der Erbauseinandersetzung zu lösen, wobei die Vermögenslage nach der Erbauseinandersetzung unklar war. Formulare waren auszufüllen an die Rentenversicherung mit der geänderten Zahlung an den Schwager, ebenso beantragten wir existenzsichernde Leistungen, deren Bewilligung wegen des vorhandenen Vermögens sehr wahrscheinlich abgelehnt würde. Eine Ablehnung erwarteten wir genauso bei der Weiterzahlung von Wohngeld. Im Verlauf des Sonntags nahm der Papierkrieg kein Ende, als wir unterschiedliche Aktenordner wegen IBANs, Rentenversicherungsnummern, Wohngeldbescheiden oder der vorhandenen Kennzeichen im Schwerbehindertenausweis wälzen mussten. Des weiteren beantragten wir bei der Krankenkasse die Umstellung der Zahlung des Pflegegeldes auf das Girokonto des Schwagers. Sehr viele Anlagen mussten wir dem Antrag auf Befreiung von der Zuzahlung von Medikamenten hinzufügen, wozu die Krankenkasse die aktuellen Einkommensnachweise benötigte. Den Wohnheimplatz im Behindertenwohnheim zum Jahresende zu kündigen, das schafften wir nicht. Wir hatten einen Entwurf begonnen, der in den sehr späten Abendstunden noch unvollständig war. Vervollständigt und sauber formuliert, verschickten wir die Kündigung erst am Folgetag über unseren E-Mail-Account.
11. November 2019
Wie sich die Dinge anders entwickeln können. Den anvisierten Schulwechsel unserer Tochter werden wir nicht durchführen. Als sie sich in ihrer Schulklasse verabschieden wollte, bedauerten dies mehrere Mitschüler. Sie bedauerten dies so sehr, dass drei Mitschüler sie nach dem Unterricht bei uns zu Hause aufsuchten und sie überredeten, auf der Schule zu bleiben. Im Gespräch mit den Mitschülern wurde offensichtlich, dass ihnen der Leidensdruck unserer Tochter nicht bekannt war, wie sehr sie darunter litt. Die beiden Mitschüler nannten zwei andere Mitschülerin, die die Hauptaggressoren des Mobbings waren. Das eine Mädchen war uns bekannt, den Namen des anderen Mädchens hatte unsere Tochter fallweise genannt. Die drei Mitschüler boten ihre Hilfe an, sie beim Abwehren aller Anfeindungen, Pöbeleien und Ausgrenzungen aus ihrer Klasse zu helfen. Unsere Tochter wird auf ihrer Realschule bleiben, und wir hoffen, dass unsere Tochter mit dieser Unterstützung besser mit all diesen Vorfällen klarkommt, wenn einzelne Mitschüler große Teile ihrer Klasse gegen sie aufhetzen.
12. November 2019
Ein Kollege in unserem Team äußerte sich, dass er es als Mangel in unserem Unternehmen empfinden würde, dass unser Unternehmen gute und fähige Mitarbeiter lieber loswerden möchte als diese behalten möchte. Das ist jedenfalls die Wahrnehmung des Kollegen bereits vor und erst Recht nach Überschreiten des 50. Lebensjahres. Ständig wurde umorganisiert, dabei bekam er diese Frage gestellt. Nach Erreichen des 55. Lebensjahres folgte dieselbe Frageprozedur zu Vorruhestand oder auch Altersteilzeit. Möglicherweise waren die Frageprozeduren intensiver, da er nicht in der Zentrale, sondern am Außenstandort Hamburg arbeitete. Und andererseits gab es eine Reihe von Kollegen, die die Angebote von Vorruhestand und Altersteilzeit dankend angenommen haben. Mit mir führt mein Chef genau dieselben Gespräche, wobei er ausdrücklich erwähnt, dass er mich nicht in die Richtung drängen will. Es gäbe Personalabbauziele, das wollte er nicht verschweigen, was nachfolgend zu einem erhöhten Arbeitsdruck führen würde. Zwei Jahre noch, das hatte ich mir nach diesem Gespräch zum Ziel gesetzt. Dann sind 40 Jahre vorbei, und dies würde sich zudem auf das Ruhegehalt auswirken, da danach der Höchstversorgungssatz erreicht ist. Es sah so aus, als sei mein Chef einsichtig, wenngleich der weiter ansteigende Arbeitsdruck eine Ernst zu nehmende Hürde darstellt. Bis lang habe ich neue Themen, neue Horizonte, eine Arbeitskonzentration auf wichtige Themenfelder und proaktive Arbeitsgestaltung geschätzt, so dass sich alle Problemfelder und schwierig zu bewältigende Themen in Wohlwollen aufgelöst haben. Ob dies künftig so einfach möglich sein wird, erscheint dann allerdings ein Stückchen fraglicher.
13. November 2019
Eine Skulptur, ein Blumenpavillon, ein Pissoir und das Beethovenjahr 2020. Was für eine Verwandlung des Remigiusplatzes ! Der rückwärtigen Seite dieses Platzes mitten in der Fußgängerzone in der Nähe des Kaufhof zugeneigt, mag sich ein solch großer Heiliger des Christentums an dieser Stelle regelrecht verirren. Dieser Platz des Heiligen Remigius, der in der Spätantike, um das Jahr 500, maßgeblich zur Verbreitung des Christentums beigetragen hatte, indem er im französischen Reims den germanischen König Chlodwig zum Christentum bekehrt hatte und getauft hatte. Gerade nach diesen großen heiligen Vorbildern wurde so manche Kirche geweiht, darunter die Bonner Remigiuskirche, Schaut man auf die Skulptur, den Blumenpavillon, das Pissoir und den neuen Glasklotz des Kioskes, wagt man kaum daran zu denken, dass die Sphäre eines geschichtsträchtigen Ortes diesen Platz umgibt. Mehr als eintausend Jahre stand die Remigiuskirche genau auf diesem Platz, im Jahr 796 wurde sie erstmals schriftlich erwähnt, 1800 schlug der Blitz ein, 1806 wurde die schmale Kirche abgerissen, weil die Schäden zu groß waren, danach wurde die Minoritenkirche jenseits des Marktplatzes in die Remigiuskirche umbenannt. Es sind aber nicht nur die Taufen des Heiligen Remigius, der in Reims mehr als dreitausend germanische Heiden getauft haben soll, die die Bedeutung des Platzes hervor heben. Das Beethovenjahr 2020 ist ganz nahe, und Ludwig van Beethoven verleiht der Bedeutung dieses wenig ansehnlichen Platzes einen zusätzlichen Schub. Er gehört nämlich auch zu den Getauften, die 1770 genau in dieser abgerissenen Kirche das Sakrament der Taufe empfangen haben, und sein Taufbecken kann man sogar heute in der anderen Remigiuskirche hinter dem Marktplatz leibhaftig anfassen. Und welcher Nachweis ist handfester als Papier ? Das Kirchenbuch der Pfarre St. Remigius, welches das Stadtarchiv gut behütet, ist dokumentenecht. Genau am 17. Dezember 1770 hat das Taufregister in Schriftform verewigt, dass der Pfarrer – wahrscheinlich war es Peter Isbach - Ludovicus van Beethoven, Sohn von Johannes van Beethoven und Helena Keverichs, getauft hat. Und so versuchen die Initiatoren des Beethovenjahres 2020, den Geist des vor 250 Jahren geborenen großen Komponisten an diesem Platz aufleben zu lassen.
14. November 2019
Es scheint so, als ginge in diesem Jahr der Karnevalsauftakt am 11.11. noch flüchtiger, noch unbemerkter und noch unauffälliger an uns vorbei als in den vergangenen Jahren. Die Augenblicke schmelzen so schnell dahin, weil sich viel zu viel in einer viel zu kurzen Zeitspanne zusammen drängelt. Im Grunde genommen sind wir froh, wenn wir zwischendurch Zeit zum Luftholen haben. Die Zeit rast, und übergeordnete Ereignisse springen über Ereignisse wie den Auftakt der Karnevalssession, was nie im Zentrum unseres Interesses gestanden hat, schnell hinweg. Derzeit fällt es schwer, wichtige Momente auszukosten. Die weniger wichtigen Momente wie der Karnevalsauftakt unterschreiten die Wahrnehmungsschwelle und werden überlagert. Wenn ich denn verkleidete Narren am 11.11. gesehen habe, dann nicht einmal als Randerscheinung. Der Gang der Dinge wälzt im Moment die Randstücke der Lebensqualität platt.
15. November 2019
So viele Verwandlungen und Anpassungen an historische Gegebenheiten der Reichsadler mitgemacht hat, so hätte ihn glatt Ovid bei der Abfassung seiner Metamorphosen vorausahnen können. Noch heute thront er als Bundesadler über dem Bundestag, aber bereits in der Antike hatten die römischen Kaiser sich auf Sarkophagen verewigt, indem sie den Adler als Symbol ihrer herrschaftlichen Befehlsgewalt in ihren Händen hielten. Schließlich hatten die römisch-deutschen Kaiser im Mittelalter das Sinnbild des Reichsadlers aufgegriffen, um die Idee eines europäischen Reiches als Nachfolgeimperium des römischen Reiches umzusetzen. Insbesondere in der Kaiserzeit vollzog der Reichsadler gleich mehrere Verwandlungen. Er ziert nicht nur protzige Heldendenkmäler aus der Kaiserzeit, sondern auch öffentliche Gebäude. Dort hatte sich der Reichsadler verwandelt, indem das Kaiserreich repräsentierte. Nach der Reichsgründung 1871 wurde die Verwaltung über das Gebiet des deutschen Reiches vereinheitlicht. So war zuvor die Gerichtsbarkeit in den ehemaligen Kleinstaaten des Kaiserreichs unterschiedlich, wobei in der ehemaligen Rheinprovinz sogenannte Friedensgerichte für die Rechtsprechung zuständig waren. Diese wurden 1879 abgeschafft und an ihrer Stelle Amtsgerichte eingerichtet. Wie bei so manchen anderen öffentlichen Gebäuden, erhielt der Reichsadler seine Funktion. Über dem Eingang des Amtsgerichtes in Rheinbach beschwört der Reichsadler den Geist des deutschen Kaisers, der seine im Kaiserreich geltenden Gesetze einst durchgesetzt haben wollte.
16. November 2019
Nachdem wir im letzten Jahr zwei Beerdigungen in unserer direkten Familie hinter uns gebracht hatten, mache ich nunmehr einen mehr oder weniger großen Bogen um Beerdigungsunternehmen. Der Tod wird aus unserer Bewusstseinssphäre ausgeklammert, und dennoch bringt dieses Schaufenster eines Bestattungsinstitutes in Rheinbach tiefere Einsichten. Engel kenne ich im wesentlichen aus barocken Darstellungen, neben Altären in Kirchen oder auf üppigen Deckenmalereien in Kirchen. Das ist allerdings nicht alles, denn Engel hat es ungefähr seid der Existenz des Christentums gegeben. In dem Schaufenster habe ich gelernt, dass sich Engel aus dem griechischen Wort „angelos“ ableitet und mit „Bote“ zu übersetzen ist. Engel übernehmen somit Botentätigkeiten, indem sie Gott zur Seite stehen und das Übermitteln von Botschaften ausführen. Da sie Gott zur Seite stehen, verkörpern sie ausschließlich positive Eigenschaften: Verstand, Weisheit, Wissen, Schönheit oder Macht. Im 6. Jahrhundert entwarf der christliche Denker Dionysos Areopagita ein Ordnungssystem für Engel, in dem folgende Rangfolge von Engel standen: Cherubim, Seraphim, Throne, Herrschaften, Mächte, Gewalten, Fürstentümer, Erzengel, Engel. Engel stellt man sich gerne vor als blond gelockte Wesen mit Flügeln, dessen Formen im Barock einen ausschweifenden Charakter angenommen haben. Dem Anlass der Beerdigung gemäß, zeigen sich im Schaufenster des Beerdigungsinstitutes Grabengel, die die Toten auf ihrem letzten Weg begleiten.
17. November 2019
Der heutige Volkstrauertag, ein Tag, der im Grunde genommen viel zu unbedeutend außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung steht. Unbemerkt, werden hier und da ein paar Kränze an Kriegsgräberstätten niedergelegt, die weder Aufmerksamkeit erregen noch dass die Öffentlichkeit großartig davon Notiz nimmt. Der Tag wird verdrängt, weil die Assoziationen absolut negativ sind. Die Motivation dieses Gedenktages ist zu andersartig, dass festliche Gefühle aufkommen könnten. Nicht vergleichbar mit den christlichen Festen oder großen Jubiläen, liegt das Denkmal aus der Kaiserzeit mit seiner Gedenkkapelle an die Gefallenen der beiden Weltkriege abseits jeglicher Verkehrsströme in unserem Ort. Schweigend dürften vereinzelte Gestalten an diesem Ort verharrt haben, vielleicht hat auch der Bürgermeister ein paar mahnende oder aufrührende Worte gefunden. Ein Ort, dem es nicht gelingt, auf die real existierende Brisanz zweier vergangener Weltkriege hinzuweisen, an die Schrecken des Bombenkrieges, an den Völkermord an das jüdische Volk oder an die Schlachtfelder an der Westfront, wo im Ersten Weltkrieg das Zeitalter der Massenvernichtungswaffen angebrochen war. Dier nötige Würde und die nötige Demut ist diesem Tag abhanden gekommen.
18. November 2019
Das noch ausstehende Gutachten eines öffentlich bestellten Gutachters und der fehlende Euro-Betrag für die Erbauseinandersetzung haben uns veranlasst, die Arbeiten auf der Baustelle im Haus des verstorbenen Schwiegervaters ruhen zu lassen. Gearbeitet haben zuletzt die Elektriker, die das Haus gut verkabelt haben, viele Kabelkanäle ausgestemmt haben und einigen Bauschutt hinterlassen und entsorgt haben. Die Heizungs- und Sanitärfirma haben wir gebeten, sich Zeit zu lassen, die übrigen Arbeiten müssen nach hinten verschoben werden. Ohne Eurobetrag für den auszuzahlenden Erbteil fehlt die Grundlage für das Hypothekendarlehen, dessen Bewilligung vom Prinzip her unkritisch ist. Ohne Geld können die Baufirmen nicht bezahlt werden, und wir hatten bereits versucht, so viel zusammen zu kratzen wie möglich, dass zumindest die Elektriker ihre Arbeiten fortsetzen können. Einstweilen hängen die Kabel, die Installation hat Hand und Fuß angenommen, und im Keller haben wir nun wirklich richtig helles scheinendes Licht.
19. November 2019
Ein Telefonat mit einem Eurobetrag, die mich in einen Schockzustand versetzte. 300.000 Euro nannte der nicht öffentlich bestellte Gutachter, den wir storniert hatten und der die Gutachtenerstellung abgebrochen hatte. Mit minimalem Aufwand hatte er das Wertgutachten zu Ende gerechnet und hatte mir telefonisch diesen Eurobetrag mitgeteilt. Ein paar Notizen hatte ich mir für diesen Schnelldurchlauf der Berechnung gemacht: gute Lage, bewohnbar, einfacher Zustand, Bodenpreis 360 Euro pro Quadratmeter. Aber es stand ja noch das richtige Gutachten der öffentlich bestellten Gutachterin aus. Da hofften wir, dass die Größenordnung einiges niedriger liegen würde, obschon der stornierte Gutachter mögliche Abweichungen wegen unterschiedlicher Bewertungsansätze auf 15% bezifferte. Während des Telefonats hatte ich die Notizen auf einem Schmierzettel schnell daher gekraxelt. Welche Folgen dieser sehr hohe Eurobetrag haben würde, damit hatten wir uns noch nicht auseinandergesetzt.
20. November 2019
Europa als kompliziertes und schwierig handhabbares Konstrukt. Der öffentliche Personennahverkehr baut neue Schranken auf, obschon die Grenzen durchlässig sind und jedermann ohne Zollkontrollen überall in die zum Schengener Abkommen gehörenden EU-Staaten reisen kann, wie er gerade lustig ist. Da seit eh und je Bahnverbindungen bestanden haben, kann man vom Aachener Hauptbahnhof in die Züge zu den Nachbarstaaten der Niederlande und nach Belgien einsteigen. Während sich in Deutschland die Tarifsysteme des öffentlichen Personennahverkehrs angeglichen haben und Fahrkarten aus einem Fahrkartenautomaten gezogen werden können, ist dies in die Niederlande und nach Belgien anders. Da ist nichts harmonisiert worden, so dass jedes Land seinen eigenen Fahrkartenautomaten hat, Deutschland für die deutsche Bahn, Belgien für die SNCB, und an dem niederländischen Automaten hatte ich das Erlebnis, dass dieser seine eigenen Tücken hat. Barzahlung ist dort nicht mehr möglich. Entweder muss man eine Chipkarte für den öffentlichen Personennahverkehr erwerben – eine sogenannte OV-Kaart. Oder man kann nur noch mit Karte bezahlen. Bis der Automat meine Kreditkarte erkannte, dauerte es eine Weile. Doch dann hielt ich meine Fahrkarte als „dagretour“ in der Hand.
21. November 2019
Elternsprechtage führen ja zu so mancherlei Aha-Erlebnissen. Unsere Tochter erzählt wenig von der Schule, sie verkriecht sich hinter Arbeitsmappen, Büchern und Heften. Hausaufgaben hat sie selten auf. Die gestrigen Begegnungen haben mich zumindest in der Richtung aufgeklärt, dass der letztere Punkt so nicht stimmt. In Deutsch und Englisch sind Hausaufgaben die Regel, so dass unsere Tochter in einigen Fällen ihre Hausaufgaben schlichtweg nicht gemacht hat. Wie in den letzten Jahren habe ich festgestellt, dass solche Gespräche mit Lehrern und Lehrerinnen positive Wendungen bringen können. Sie klären nicht nur auf über die Leistungen, sondern sie bringen die Eltern auf einen Stand, was gerade im Unterricht durchgenommen wird, was zu lernen ist und wann Klassenarbeiten geschrieben werden. So wie in den vergangenen Jahren, gibt es bei unserer Tochter Luft nach oben.
22. November 2019
In diesen Wochen hieß es, sich in Geduld zu üben und mehr Zeit einzuplanen. Baustellen lassen sich im Zug der Zeit nicht vermeiden, so dass kollektives Durchhaltevermögen gefragt ist. Mehr als einen zähen Monat lang wurde gebaut zwischen Uckendorf und Troisdorf-Spich. In so vielen Abschnitten wurde die Fahrbahn abgetragen und neu geteert, dass die Arbeiten sich über mehr als einen Monat erstreckten. In die Richtung von Troisdorf wälzte sich nun die Autoschlange durch unseren Ort, was den morgendlichen und abendlichen Berufsverkehr zusätzlich verstopfte. Während das Chaos in den Herbstferien, als die Arbeiten begonnen hatten, noch halbwegs überschaubar war, erforderte der November Geduld. Bisweilen dauerte es morgens mit dem Bus eine halbe Stunde bis in den Nachbarort, bevor die Straße in Richtung Troisdorf abbiegt. Die Fahrzeit ins Büro stieg dann schnell auf die doppelte Zeit von anderthalb Stunden Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Geduld war gefragt und starke Nerven, und der Verkehrsstau hatte so manche Zeitplanung durcheinander gebracht.
23. November 2019
Im Grunde genommen sind all diese Weihnachtsmärkte ganz einfach gestrickt. In unserem Ort ging es am Samstag eine Woche vor dem ersten Advent mit einem Event los, das sich Weihnachtsbaumerleuchten nannte. Echte Weihnachtsvorfreude und Weihnachtsstimmung kam auf, als ein Gesangsverein und eine Musikkapelle fleißig Weihnachtslieder anstimmte. Dies gelang ihnen offensichtlich so gut, dass vor lauter Menschengewimmel kaum noch ein Durchkommen war. Stände mit Basteleien, Freßbuden, Bierbuden, Glühwein. Unterwegs mit dem Schwager, wollten wir einen Glühwein trinken, was trotz des einfachen Schemas hoch kompliziert war, da die Stromversorgung nicht kompatibel war. Zu viele Stände hingen an der Stromversorgung, so dass es an einem Stand keinen Glühwein gab, weil der Strom ausgefallen war. Eine andere Bude mit Strom bleib übrig, wo die Warteschlange dementsprechend lang war. Zusätzlich mussten wir Bons kaufen, da man nicht mit Bargeld bezahlen konnte. Der Glühwein war mit Hindernissen verbunden – und er schmeckte dennoch. Zwischen ganz viel Zuhörern von Weihnachtsliedern ließen wir uns den Glühwein im überdachten Zelt schmecken.
24. November 2019
Derzeit kommt es uns so vor, als sei der Untergang in all unserem Chaos nicht zu verhindern. Zu viel Hausrat steht aus dem Haus des verstorbenen Schwiegervaters in unserem Haus herum. Bis wir alle Zimmer leer geräumt hatten, erschlugen uns die Mengen, die wir mit nach uns zu Hause genommen hatten. Zu langsam und zu punktuell sind die Schritte, um all den Hausrat wieder an den Mann oder an die Frau zu bringen. Ebay, Ebay-Kleinanzeigen oder Facebook, auf diese Art und Weise bekommen wir nur Einzelstücke wieder los. Immerhin nehmen die Stellen auf dem Boden zu, dass wir den Boden wieder betreten können. Kleine Umzugskisten haben wir besorgt, um all die persönlichen Dinge, die nichts zum Entsorgen sind, zu verstauen. Es geht nur in kleinen Schritten voran. Unter all den Deko-Sachen eignet sich so manches – vor allem Tassen – als Wichtelgeschenke für die Weihnachtsfeier der Behinderten. Eingepackt, wird meine Frau sie in einem Karton verstauen. In rund drei Wochen werden wir dann wieder eine winzige Menge aus der überquellenden Masse des herum stehenden Hausrats losgeworden sein.
25. November 2019
Die Übung war nicht ganz trivial, wozu mich unsere Tochter mit ihrem Plakat in Geschichte brachte. Gemeinsam mit drei anderen Mitschülern musste sie in dem Plakat Fragen zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung beantworten. Sehr vieles hatte sie bereits niedergeschrieben, es fehlten aber noch ein paar Sätze dazu, was die Aufklärung damit zu tun hat. In ihrem Plakat hatten die vier bereits ausgeführt, dass alle Menschen gleich geschaffen sind und dass „der Schöpfer“ ihnen bestimmte unveräußerliche Rechte verliehen hat, zu denen in der Unabhängigkeitserklärung von 1776 das Leben, die Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Und die Aufklärung ? Instinktiv hatte ich John Locke mit diesen unveräußerlichen Rechten in Verbindung gebracht, und im zweiten Band zur Geschichte der Philosophie von Richard David Precht las ich nach. Locke setzte auf den Vertragstheorien auf, die sich in der Aufklärung seit Hobbes entwickelt hatten. Locke beschrieb ein Vertragskonstrukt, in dem er es als den Sinn und Zweck des Staates betrachtete, seinen Bürgern zu ermöglichen, frei und unbeschadet die Wahrheit suchen zu können und sich in ihrer Persönlichkeit entsprechend zu verwirklichen. So schließen Bürger und Staat einen Vertrag mit wechselseitigem Nutzen. Sie statten den Staat mit der Macht aus, für Ordnung zu sorgen und damit die Freiheit jedes einzelnen zu wahren. Soweit die Gedanken des John Locke, die er in seinem Werk „Treatise on Government“ 1689 niedergeschrieben hatte. Inwieweit ein Teil dieser Gedanken Eingang in das Referat gefunden haben, das entzieht sich meiner Kenntnisnahme.
26. November 2019
Ganz schön brutal, das dachte ich mir, als ich im Behandlungsraum des Zahnarztes die beiden Röntgenaufnahmen betrachtete, auf denen man die Verschraubungen für die beiden Implantate erkennen konnte. Herkömmlichen Dübeln, wie man sie im Baumarkt erwerben konnte, ähnelten sie sehr. Brutal aussehend und gleichzeitig ein Wunderwerk der Zahnmedizin: meine Gefühlswelten schwankten zwischen technischer Perfektion, Versatzstücken in der Knochensubstanz und was alles noch auf mich zukommen würde. Der nächste Termin würde nochmals ein Hammer-Termin werden mit einer Behandlungsdauer von zwei Stunden, aber ohne operative Eingriffe. Bereits heute schaute ich nach vorne. Zurzeit kaute ich auf einer Art von Provisorium, das keiner Belastung standhielt. Dieses würde beim nächsten Termin durch ein anderes Provisorium abgelöst werden, bis Weihnachten würde mir der Zahnarzt den perfekten Zahnersatz auf meinem Oberkiefer einsetzen. Danach würde ich dann wieder so richtig zubeißen können.
27. November 2019
Noch ein Referat unserer Tochter, das bewies, wie sehr mich Irrtümer und Unwissenheit umgaben. In Biologie hatte ihre Gruppe ein vom Prinzip her schwieriges Thema zu bearbeiten, wozu sich in gängigen Suchanfragen im Internet wenig bis gar nichts fand. In dem Referat ging es um Wasserpflanzen, allerdings um welche, die im Meer wuchsen. Da sich die Recherche im Internet schwierig gestaltete, suchte ich die Stadtbücherei auf. Dabei war ich nicht überrascht, dass ich kein einziges Buch zu diesem Spezialthema fand. Ich fand allerdings einen dicken Bildband über Meerestiere, worin ein paar Abschnitte auch Pflanzen behandelten. Dann fand ich ein Buch über Algen – und eines über Korallen. Nach meinem Verständnis waren Korallen Wasserpflanzen, die im Meer wuchsen, was grundlegend falsch war. Korallen waren Gesteinsformationen, die sich unter Wasser heraus gebildet hatten. Diese waren wiederum von Nesseltieren geformt worden, die im Meer lebten, Kalk ausschieden und so die Riffe bildeten. Es war nicht auszuschließen, dass auf dem einen oder anderen Korallenriff aus Wasserpflanzen anhafteten, während das eigentliche Korallenriff aus Kalkstein bestand. Das aus der Stadtbücherei ausgeliehene Buch war somit für das Referat überhaupt nicht zu gebrauchen, so dass ich es am nächsten Tag wieder zurück gab.
28. November 2019
Der Arm der Kölner Erzbischöfe war im Mittelalter lang, der Einfluss war groß. 1248 bestätigte der Erzbischof Konrad von Hochstaden den „cives de Arewilre“ – den Bürgern von Ahrweiler – die erteilten Stadtrechte und Freiheiten, außerdem gestatteten sie den Bau der Stadtmauer, womit 1255 begonnen wurde. Was den um dieselbe Zeit begonnenen Kirchenbau betrifft, so weit reichte der Arm der Kölner Erzbischöfe dann doch wieder nicht. Noch vor der Jahrtausendwende erstreckte sich der Einflussbereich der Äbte in Prüm bis an die Ahr, so erwähnte das Prümer Urbar aus dem Jahr 893 in ihrem Güterverzeichnis eine Eigenkirche an der Ahr. Mehr als drei Jahrhunderte später, im Jahr 1204, verbrieften die Äbte im Prüm ihre Rechte an der Pfarrei „parochia Arewilre“. Dass diese ihre Hände im Spiel hatten, war nicht weiter schlimm, da Erzbischöfe und Äbte miteinander versöhnt waren, ganz im Gegensatz zu so manchen Grafen, Herzögen oder Fürsten. Schaut man auf den 1258 begonnenen Bau der Ahrweiler Pfarrkirche St. Laurentius, so nennt das Chartular der Abtei Prüm denjenigen Abt, der die Ahrweiler Kirche nach ihrer Fertigstellung geweiht hat. Im goldenen Einband, „liber aureus“ genannt, steht in der Auflistung der Prümer Abtsnamen der Abt „Joffredus“. Diese Kirchenweihe, womit der Prümer Abt dem Ahrweiler Pfarrer die Kirche übergibt, ist als Wandmalerei, die in einer hohen Anzahl um 1600 entstanden sind, auf der Nordseite dargestellt. ABBAS JOFFRIDUS SACRAS FACIT ARVVILER EDES, mit diesen Worten bezeugt die Inschrift die Übergabe des Kirchenbaus mit der Jahreszahl 1269 und mit dem Namen des Prümer Abtes „Joffredus“. In der Übergabe kann man gut die gotische Architektur des Hallenbaus erkennen, so wie die Kirche heute weitgehend aussieht. Selbst heute reicht der Arm der Kölner Erzbischöfe nicht bis Ahrweiler. Seit 1824 gehört die Pfarrkirche St. Laurentius zum Bistum Trier.
29. November 2019
Aufmerksamkeitsökonomie, davon reden Herfried und Marina Münkler, die Autoren des Buches „Abschied vom Aufstieg“, das ich derzeit lese, ganz viel. Wie die Endung „Ökonomie“ vermuten läßt, steckt eine betriebswirtschaftliche Problematik dahinter. In den Zeiten von Medien und Informationsgesellschaft ist der Konsument der Engpassfaktor, der nur eine begrenzte Menge an Informationen verarbeiten kann. Die beiden Autoren wenden dies auf Einschaltquoten im Fernsehen an, dass der fernsehende Konsument nur ein bestimmtes Programm einschalten kann. Darüber hinaus hat im Alltag längst ein Wettrennen um unsere Aufmerksamkeit begonnen. Spaziert man durch die Straßen unserer Stadt, ist unsere Aufmerksamkeit begehrt. Reize von außen überfluten unsere Wahrnehmung, die ungeschützt nicht weiß, wie sie sich abschotten soll. Ganz krass ist dies am heutigen Black Friday. Könnte man diesen Black Friday personifizieren, würde ich mich von dieser Person quer durch die Fußgängerzone verfolgt fühlen. Bezogen auf eine Person, würde dies den Tatbestand des Stalking erfüllen. Aber während Stalking ein Straftatbestand ist, der die strafrechtliche Aufklärung durch die Staatsanwaltschaft nach sich zieht, sieht die Sache beim Black Friday anders aus. Der Handel und die Geschäftsleute dürfen werben, selbst wenn alle Ecken und alle Schaufenster von den Rabattschlachten zugeschmissen werden. Als Verbraucher kann ich mich da nur verkriechen und abwenden und nicht mitmachen, weil mich all die Sonderangebote nicht interessieren. Und um all diese unnützen Informationen heraus zu filtern, die keinen Mehrwert bringen, dafür muss ich dann doch meine Aufmerksamkeit aufwenden.
30. November 2019
Am Ende des Tages sollte ich an diesem etwas unsortierten Tag nicht die richtigen Dinge erledigt haben. Dabei war meine Frau den ganz Nachmittag bis in den Abend hinein abwesend, weil sie auf dem Weihnachtsmarkt im Nachbarort am Stand des Fördervereins der Behinderten mithalf. Jahr für Jahr melden sich immer weniger Helfer, so dass der Vorsitzende des Fördervereins einen Hilferuf gestartet hatte. Daraufhin meldete sich meine Frau, worauf sie für einen Zeitraum von sechs Stunden eingeteilt wurde. Vormittags war ich längere Zeit mit dem Säubern unseres Autos beschäftigt. Unser Auto, das häufig als Baustellen-Auto genutzt wird, war zuletzt stark verschmutzt worden, als wir Bauschutt im Kofferraum zur RSAG transportiert hatten. An der Tankstelle in unserem Nachbarort hatte ich mich eines Staubsaugers bedient, um all den Dreck, Staub und Schmutz abzusaugen. Der Kofferraum und der Fahrgastraum sehen danach wieder ansehnlicher aus. Nachmittags hing ich den Lichtspiegel aus dem Haus des verstorbenen Schwiegervaters in unserem Badezimmer auf, allerdings ein Stück zu hoch, was später meine Frau rügte. Als es noch hell war, erntete ich Möhren und Sellerie in unseren Hochbeeten. Bei dieser Gelegenheit stellte ich ein Wandelröschen und zwei Oleander in unsere Garage, da der Wetterbericht Frost gemeldet hatte. Dann ließ ich mich auf dem Weihnachtsmarkt im Nachbarort bei meiner Frau blicken. Meine Frau spülte fleißig Glühweintassen, mit dem Schwager aß ich auf dem Weihnachtsmarkt Reibekuchen, anschließend trank er einen Glühwein und ich einen Kaffee. Deutlich nach zwanzig Uhr waren wir zu Hause zurück, wobei wir in der Frittenbude für meine Frau eine Portion Fritten mitnahmen – bei der Frittenbude auf dem Weihnachtsmarkt war zuvor die Fritteuse kaputt gewesen. Zu Hause stellte meine Frau dann fest, dass ich die dringenden Dinge gar nicht erledigt hatte. Ich hätte Archivboxen bei Toom besorgen sollen, damit wir all den herum stehenden Hausrat hätten wegräumen können. Das hatten wir morgens so besprochen, ich hatte es aber nicht mit der höchsten Priorität versehen.

auf dem Rotweinwanderweg von Dernau nach Ahrweiler

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Wie oft waren wir diese Strecke gewandert ? Als unsere kleine Tochter noch nicht geboren war, absolvierten wir regelmäßig den Rotweinwanderweg, insbesondere, wenn Freunde uns besuchten. Nach der Geburt veränderten sich die Vorlieben für das Wandern. Es war der Abschnitt des Rotweinwanderwegs von Ahrweiler nach Dernau, der uns besonders zu begeistern vermochte. Noch im Kinderwagen sitzend, schoben wir diesen mit Freunden fleißig vor uns hin, als unsere Tochter gerade ein Jahr alt war. Danach musste ich bis zum Jahr 2012 zurück zählen, dass wir das letzte Mal dieselbe Strecke mit einem anderen befreundeten Ehepaar und deren Töchtern gewandert waren. Nun, sieben Jahre später, zog es mich erneut an die Ahr, diesmal ganz alleine auf weiter Flur. In dem sich zu seinem Ende neigenden Herbst waren sämtliche Reben in den Weinbergen abgepflückt, und bei dieser Wanderung hatte sich der Ausstiegsbahnhof der Ahrtalbahn geändert, denn ich wanderte in umgekehrter Richtung von Dernau nach Ahrweiler.
Nachdem mich die roten Waggons der Ahrtalbahn ausgespuckt hatten, schlich ich durch den Dernauer Ortskern, der in der morgendlichen Stille so ausgestorben war, dass ich nur wenigen Menschenseelen begegnete. Der Dernauer Esel, eine Hinterlassenschaft der Amerikaner aus der Zeit der Alliierten Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg, wies den Weg, ebenso die Dorfkirche mit ihrem massiven Bruchsteingemäuer, welches sich älter heraus geputzt hatte als es in Wirklichkeit war. Obschon 1147 erstmals Urkunden eine Kirche in Dernau nennen, geschah der Neubau des Kirchturms mit dem Bruchsteingemäuer erst in den 1920er Jahren. Die schmale Teerstraße musste ich weiter den Ort hinauf kraxeln, um zum Ausgangspunkt der Wanderung zu gelangen, dem Symbol der roten Rebe, die den Rotweinwanderweg kennzeichnete. Etwas mehr als zehn Kilometer eines Teilstücks lagen vor mir, die erwandert werden wollten.
Außerhalb der Weinlese, regte sich naturgemäß nicht allzu viel in den Weinbergen. Weinbauern, wenn sie überhaupt anzutreffen waren, übten sich eher eines prüfenden Blickes als dass sie sich an den Weinstöcken zu schaffen machten. Der gut asphaltierte und gut beschilderte Wanderweg schlängelte sich durch Weinlagen, die durch Schilder der einzelnen Weinbauern abgesteckt waren. Auf Bänken konnte man sich ausruhen, wenn die Müdigkeit allzu sehr erschöpfte. An Übersichtstafeln konnte sich der Weinbauinteressierte schlau machen, welche Lagen mit welchen Rebsorten zu welchen Domänen gehörten. Steintreppen kletterten Steilhänge hinauf, deren Hanglagen bisweilen so steil waren, dass deren Bewirtschaftung eine Herausforderung war. Nicht ganz so steil ging es nun auf dem Rotweinwanderweg bergab, der sich im Tal nach einer Haarnadelkurve scharf drehte. Ruinen haben mich stets fasziniert, davon haben sich Klosterruinen deutlich weniger verbreitet als Burgruinen. Und mit denjenigen Klosterruinen von Limburg in der Pfalz oder Villers-la-ville in Belgien, an deren grandios stehen gebliebene Klostermauern ich mich bis heute intensiv erinnere, kann die Klosterruine von Marienthal bei weitem nicht konkurrieren. Diese Klosterruine, wo ich nun vorbei tappste, umriss gerade ein Karree, das keine hundert Meter entfernt lag von Bundesstraße B267. Die alterhrwürdigen, im Chor abgerundeten Klostermauern dokumentierten die Überreste, welche die Säkularisation im Jahr 1802 übrig gelassen hatte. 1137 war das Kloster Marienthal als Augustinerkloster gegründet worden, seit 1925 diente es in seinem Anbau als Sitz der staatlichen Weinbaudomäne.
Impressionen auf dem Rotweinwanderweg: Dernau (oben links), Klosterruine Marienthal (Mitte), Ahrweiler (unten rechts), dazwischen jede Menge Weinberge
Der weitere Verlauf des nunmehr unbefestigten und matschigen Rotweinwanderwegs irritierte mich, da dieser parallel zu der von Autos umrauschten Bundesstraße B267 verlief. Das änderte sich aber schlagartig, indem der Weg mit einer mächtigen Steigung das Tal verließ. Abwechselnd übergehend in einen Belag aus Asphalt und Beton, hörte die Steigung in Wendungen, Kurven und Kehren nicht auf, wobei der gewaltige Felsvorsprung der „bunten Kuh“ einen festen Bezugspunkt hoch über dem Ahrtal bildete. Diese Felspartien mit einem wahrhaft wilden Flussverlauf der Ahr hatten so manche Lyriker und Romantiker, Dichter und Denker in ihren Bann gezogen. Diese lose Vereinigung von Dichtern und Denkern, mit politischen Beweggründen, um ein geeinigtes Deutsches Reich herzustellen, war ausgeschwärmt mit ihren Motiven der Leidenschaft an den Rhein. Viele, so Simrock, Kinkel oder auch der Bonner Professor Ernst Moritz Arndt, wussten sich auf ihren Wanderungen an die Ahr zu begeistern: „Dieses Felsentor zwischen Mergenthal und Walporzheim schließt die erhabene Ahr zu, und mit Walporzheim und dem weiter und breiter geöffneten Blick über Ahrweiler hin öffnet sich die schöne Ahr.“ In diese Worte fasste Arndt die Schönheit des Ahrtals, die an diesem Punkt besonders spektakulär war.
Auf der Höhe angekommen, musterte ich die Aussichtsplattform über der „bunten Kuh“ über einen Seitenweg: ein wahrhaft spektakulärer Blick über die sich windenden Schleifen der Ahr in das tief abstürzende Tal. Zurück zum Rotweinwanderweg genoss ich die Abgeschiedenheit des Wanderweges in dieser Jahreszeit. Das war nicht immer so, zumindest nicht bei schönem Wetter in der Zeit der Weinlese, wenn der Wirtschaftsweg zu den beiden Ausflugslokalen hoffnungslos mit Autos zugeparkt war. Während das Ahrtal auf der rechten Seite sich wieder in das Blickfeld zurück schob, erfreute ich mich indes daran, dass ich der einzige Mensch auf weiter Flur war. Ein wenig später trudelte mir ein älteres Ehepaar mit ihren Nordic-Walking-Stöcken entgegen, deren Gesichtsausdruck nach dem Anstieg etwas angestrengt und verzerrt war. In meiner Richtung führte der Weg indes bergab. Rechterhand baute sich das Ahrtal-Panorama auf mit dem Kloster Kalvarienberg, der Autobahnbrücke der Autobahn A61 sowie den Berggipfeln der Landskron und des Neuenahrer Berges. Linkerhand kennzeichneten Schilder die Rebsorten des Patenschaftsweinberges der Dagernova Weinmanfaktur, geradeaus senkte sich der Rotweinwanderweg schnörkellos in das Ahrtal hinab.
Bevor ich Ahrweiler erreichte, zog der Weg zwischen in Herbsttönen gezeichnetem Laub eine lange Schleife ins Tal. Die Römervilla erhob sich am Wegesrand, sehr unromantisch begleiteten die breiten Fahrspuren der Umgehungsstraße den Wanderweg. Ich schritt am Bahnhof vorbei, und auf dem Marktplatz von Ahrweiler studierte ich voller Interesse die Fresken aus dem 15. Jahrhundert in der Pfarrkirche St. Laurentius.

Boppard - auf der Suche nach Übersichtlichkeit

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Raus aus der Komplexität der Materie, dass alles mit allem zusammenhängt. Die schwere Geburt des Denkens, wie schwierig, wie widersprüchlich und wie überladen die Dinge sind. Mit dem menschlichen Verstand sind die Dinge schwierig fassbar, das gilt vor allem für Stadtlandschaften. Städte sind wahre Konglomerate, die Sinneseindrücke überlagern sich. Reize überfluten unsere Wahrnehmungen, überall ist ständig viel zu viel in viel zu großen Dimensionen in viel zu mannigfaltigen Ausprägungen. kanalisieren sich nicht, anstatt dessen werden die Reize überflutet. Die Dinge sind so schnelllebig und schnell, dass man von der Dynamik überrannt wird. Raus aus der Stadt, dieses Bedürfnis verspürte ich, hinein in die übersichtlichen Strukturen einer Kleinstadt, wo einem die Dinge vertraut sind, obschon man die Stadt überhaupt nicht kennt. Wo die Dinge passen und die aus einem Guß geformte Kleinstadt in einer vollendeten Harmonie zusammensteht.
Um dieses Idealbild vorzufinden, wählte ich eine Kleinstadt, in der ich zuvor noch nie gewesen war: Boppard am Rhein. Meine Recherchen im Internet ermutigten mich, dass diese Stadt mit ihren 15.000 Einwohnern diesem Idealbild möglichst nahe kommen könnte, zumal die Touristenströme in der Winterzeit versiegt waren. Ganz unbekannt war mir Boppard allerdings nicht, denn verschiedene Bahnfahrten durch das Mittelrheintal hatten an Boppard vorbei geführt, ohne dass ich dort jemals einen Zwischenstopp am Bahnhof eingelegt hätte.
Bahnhofausgang (oben links), Marktplatz mit St. Severus (oben Mitte), Deckenmalerei in St. Severus (oben rechts), Rheinpromenade (unten links), Stadtsiegel (unten Mitte), Spruch zwischen Fachwerkgebälk (unten rechts)
Wieso dies nicht nachholen ? Dies tat ich nun an diesem grauen Dezembertag. Der Tag sollte sich einregnen, wobei sich anfangs einige Schneeflocken in den Regen hinein mischten. Der Schönheit der Kleinstadt tat dies keinen Abbruch. Auf der schurgeraden Straße, die in den Stadtkern führte, hockte ich mich zunächst in einem Café nieder, um mich bei Dauerregen bei einer heißen Tasse Kaffee aufzuwärmen.
Wie sehr sich die Stadtbilder und die Stadtgeschichten ähnelten. Ob Andernach, Remagen oder Boppard: rund zwei Jahrhunderte hatten die Römer in ihrem Lager „Bodobrica“ über den Wellen des Rheins gelagert, bis sie germanischen Volksstämmen weichen mussten. Kirchen des frühen Christentums wurden aus oder auf römischen Ruinen erbaut. Der Handel florierte über die Wasserader des Rheins, im Mittelalter wurden die Städte reich. Eindrucksvolle Stadtsiegel besiegelten die Stadtrechte, die kleinen Kirchen der Spätantike gewannen im romanischen Baustil an Größe. Häuser aus Fachwerk verzierten die reiche Stadtgeschichte, und im Verbund von Fachwerk, beschaulichen Plätzen, einem Ensemble von Stadtmauern, überaus schönen Kirchen und einer Rheinpromenade zum Flanieren waren die Strukturen dieser Kleinstädte einfach und überschaubar.
Schlicht und überaus sehenswert: die Karmeliterkirche
Auf dem Marktplatz war ein Fehlurteil oder ein falscher Schluss undenkbar. Nichts hing mit allem zusammen, der Platz hatte genau das bieten, was man an einem solchen zentralen Ort vermutete. Der ganze Stolz der Stadt scharte sich um die romanische Kirche St. Severus, auf dem Rechteck des lang gestreckten Platzes hatten sich nicht nur Kneipen und Weinstuben niedergelassen, sondern auch kleine Geschäfte und eine Bank. Zwischen den seicht abfallenden Gassen sah man den Rhein plätschern, und in der Kirche St. Severus vereinigte sich die römische mit der mittelalterlichen Geschichte. Die Römer beerdigten ihre Toten nicht, wie wir es heute kennen, auf Friedhöfen, die von der Öffentlichkeit durch Mauern oder Bäume abgeschirmt waren. Die Römer beerdigten vielmehr ihre Toten außerhalb des Römerlagers für jedermann sichtbar entlang der Römerstraßen. Römische Grabsteine, die verteilt über das Stadtgebiet ausgegraben worden waren, hatte man in die Innenwände vor dem Westportal eingemauert. Das älteste christliche Zeugnis, ein Grabstein aus der Übergangszeit vom 5. zum 6. Jahrhundert, ließ ein Fehlurteil nicht zu. Die Namen der Eltern eines verstorbenen Jungen belegten, dass der Vater eine germanische und die Mutter eine galloromanische Abstammung hatte.
Nachdem ich mir all die Facetten und all den Reichtum der Kirche St. Severus mit ihrer großen Fensterrosette angesehen hatte, die bereits an gotische Kathedralen erinnerte, schritt ich hin und her, auf und ab, kreuz und quer durch den Stadtkern. Zwischen den wechselnden Orten konnte man nie die Orientierung verlieren. Die Örtlichkeiten waren nicht miteinander verstrickt und vernetzt, so dass ich an fest definierten Punkten immer wieder herauskam. Raus aus der Komplexität der Materie, wechselte ich die Standorte, ich bummelte die Rheinpromenade hin und her, die nunmehr in ein Geflecht aus Nieselregen eingehüllt war. Vom Zollhaus aus durchmaß ich die Überreste der mittelalterlichen Stadtmauer, ich passierte das Stadtviertel der Balz, das sich mit seinen Sprüchen inmitten von Häuserwänden und Fachwerk heimatbetont gab. Schlicht, elegant und schnörkellos war das Gefüge von Gassen, und an der Rheinpromenade fehlte mir schlichtweg die Zeit, um von einem höheren Standpunkt die Dinge zu überfliegen. Es war aber auch die winterliche Jahreszeit, die mich daran hinderte, mit der Seilbahn den Gebirgsrücken hinauf zu fahren, von wo aus der Blick auf die Schleife des Rheins wunderbar sein musste. Die Seilbahn machte Winterferien, und so verpasste ich es, dass mein Denken einen höheren Standpunkt einnahm von einer Aussichtsplattform auf das überschaubare Stadtgebiet von Boppard an der auslaufenden Schleife des Rheins.
Zollhaus (oben links), Fachwerkhäuser (oben Mitte), Rheinpromenade (oben rechts),
Reste der Stadtmauer (unten links), Karmeliterkirche (unten Mitte), Grabmal in der Wand (unten rechts)
In dieser auslaufenden Schleife, wo die Uferpromenade menschenleer blieb, weil der Regen auf Stühle und Tische plätscherte, die in der sommerlichen Jahreszeit Tagesausflügler bevölkerten, erhob sich die kleine und markante Gestalt der Karmeliterkirche. Trotz des beachtlichen Alters – die Karmeliterkirche war im 12. Jahrhundert gebaut worden – fristete die Kirche ein Dasein im Schatten des gewaltigen Baukörpers der St. Severus-Kirche. Ihr Inneres war überaus sehenswert. Der Seitenaltar waren in dem pompösen Stil des Barock gefertigt worden, aber darüber hinaus dominierte der weitaus schlichtere romanische Baustil. Die Wände waren in einem weißen schlichten Verputz gehalten. Grabplatten von Rittern und Adligen fügten sich in die Wände ein, im Chor hingen Totenschilde derselben Ritter und Adligen aus dem tiefsten Mittelalter. Hoch nach oben erhoben sich hingegen die gotischen Fenster, die die Kirche vom Chor zum Kirchenschiff umgaben.
Der Regen plätscherte leise weiter, mein Kopf war frei, das Knäuel meiner Gedanken hatte sich entflochten. Den Rückweg zum Bahnhof nahm ich auf kurzem Weg. Die Überreste des Römerlagers hatte ich verfehlt, anstatt dessen waren die Höhepunkte der Stadtgeschichte zwischen den Bruchsteinplatten unter der Bahnunterführung eingelassen. Nachgebildet war das Stadtsiegel der mittelalterlichen Stadt „Bobardia“, römische Grabsteine oder das Wappen der Trierer Kurfürsten. Ein anschaulicher Überflug über die Stadtgeschichte begleitete das letzte Stück bis zum Bahnhof, bis der Regionalexpress mit dem SÜWEX-Logo einfuhr.

Spaziergang durch die Zündorfer Groov

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Alte Rheinarme, Kleinode des Naturschutzes ? Da nichts los war am Nachmittag des Ersten Weihnachtsfeiertages und wir uns die Beine vertreten wollten, wählten wir die Zündorfer Groov, damit uns reichlich Natur umgab. In unserer Gegend musste am suchen nach aufgegebenen Flussläufen, die keinerlei Funktion mehr besaßen für die Schifffahrt. In unserem Ort gab es einen solchen alten Rheinarm, ebenso im Nachbarort. An der Kölner Peripherie, im Stadtteil Zündorf, gab es einen weiteren alten Rheinarm im Naturschutzgebiet der Zündorfer Groov.
Da die näheren Parkbuchten an der Zündorfer Hauptstraße allesamt belegt waren, mussten wir auf den großen Parkplatz neben dem Hallenbad ausweichen. Dies versprach uns einen etwas längeren Spaziergang zum Rhein, auf der Landzunge zwischen dem alten Rheinarm, zum Ortskern von Zündorf und zum Hallenbad zurück.
Nachdem der Himmel zwischen hoch hängenden Wolkenpaketen aufgerissen war, hangelten wir uns den Spazierweg entlang, der das Hallenbad rechterhand liegen ließ. Die Striche der Weihnachtsbeleuchtung markierten die Umrisse des Hallenbades, während sich linkerhand eine Kleingärtneranlage in die sich öffnenden Felder hinein gestreut hatte. Nach vorne steuerten wir auf ungeordnete Reihen von Pappeln zu, die den Flusslauf des Rheins begleiteten. Nach wenigen Gehminuten spazierten wir an dem alten Rheinarm vorbei, der die Gestalt des Naturschutzgebietes bestimmte, das in dieser Form von 1974 bis 1978 angelegt wurde.
„Groov“ kam ursprünglich aus dem Gallischen und bedeutete einst „Sandbank“ oder „Kies“. Sandbänke und Aufspülungen, Inseln oder Halbinseln hatte der Rhein mit seinen wilden Flussläufen im Laufe von Jahrhunderten geschaffen, bis er Mitte des 19. Jahrhunderts begradigt wurde und für die Binnenschifffahrt nutzbar gemacht wurde. Bis dahin hatte sich der Rhein sein eigenes Bett gesucht, er hatte es verlagert und gestaltet, so dass die Sorge um Hochwasser, Unterspülungen und Abbruch der Ufer das Alltagsleben der Anwohner bestimmte. In der Starre des Winters stand der auslaufende Rheinarm der „Groov“ an dieser Stelle still. Gruppen von Weiden besiedelten mit ihrem kahlen Geäst die Uferböschung. Totholz ragte in das stehende Wasser hinein, braun und abgestorben waren Büschel von Schilf in sich zusammen gesackt und die Natur gab keinen Mucks mehr von sich.
alter Rheinarm der Groov (oben links und unten links), am Rhein (oben rechts und darunter links), Ortskern Zündorf (Mitte),
Fisch-Skulptur am Hallenbad (unten rechts)
Ein kurzes Stück dahinter, warnte ein Schild vor dem steil abfallenden Ufer des Rheins. Wellen umspülten den Sand am Ufer, wir schauten auf das gegenüberliegende Rheinufer mit dem Kölner Stadtteil Weiß, und wir bogen nach rechts ab auf die Landzunge zwischen Rhein und Groov. Pappeln, deren Baumspitzen merkwürdig zurecht gestutzt waren, begleiteten den Fußweg. Bald rückten die Häuserpartien am gegenüberliegenden Ufer der Groov in unser Blickfeld, die zum Ortskern von Zündorf gehörten. Dieser Ortskern, der sich gemütlich an der Groov ausbreitete, wurde wiederum von einem spitzen und einem kleineren Kirchturm überragt. Am Ersten Weihnachtsfeiertag suchten wir nach einer Einkehrmöglichkeit, um uns bei einer Tasse Kaffee aufwärmen zu können. Die meisten Lokale waren feiertagsmäßig geschlossen, nur wenige waren in ihrem Inneren hell erleuchtet. Diese Lokalitäten, ein Steakhaus und einem anderes exklusives Restaurant, deren Hauptgerichte zwanzig Euro und aufwärts kosteten, scheuten wir zu betreten, so dass wir auf die exklusive Tasse Kaffee verzichten mussten.
Ohne den Hafen und den Wehrturm, die Zündorf einst Reichtum gebracht hatten, in unseren Spaziergang einzubeziehen, verließen wir den Ortskern. Zum Herzogtum Berg gehörend, hatten die Zündorfer bis zur Versandung der Groov Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Lage im bergisch-kurkölnischen Grenzgebiet genutzt, Zolleinnahmen für den Warentransport auf dem Land an dem Kölner Stapelrecht vorbei für sich zu beanspruchen. Die Waren waren im Hafen umgeladen worden, der Wehrturm hatte die Zahlstelle für die Zölle beherbergt.
Als wir unser Auto erreichten, überschattete die frühe Dunkelheit des Winters den Parkplatz am Hallenbad. Dämmriges Licht hatte den schmalen Fußweg ausgeleuchtet, und die Betonskulptur des Fisches am Hallenbad lastete neben den grellen Lichtkegeln der Straßenlaternen.

Tagebuch Dezember 2019

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1. Dezember 2019
Der Sonntag schritt voran, wir hatten zu Mittag gegessen, und um den Tag nicht nur in den eigenen vier Wänden zu verbringen, beschlossen wir, den Bonner Weihnachtsmarkt zu besuchen. So fuhren wir los mit Schwager und Tochter. Zu viert war der Start auf dem Münsterplatz etwas holprig, da es voll war. Das Gedrängele war groß und die Warteschlange war lang, um in den Käthe-Wohlfahrt-Laden zu kommen. Dasselbe Gedrängele setzte sich fort, als ich nach einem Plan gefragt wurde. Diesen Plan, den ich in Form eines spontanen Bummelns und Schauens entworfen hatte, versperrte dann dieses Gedrängele, weil bei unserem Weg quer über den Münsterplatz die Sicht auf die Stände des Weihnachtsmarktes versperrt war. Die Absicht zum Bummeln wich einer Nervosität. Vertane Zeit, das dachten wir, denn die zu Hauf vorhandene Arbeit blieb zu Hause liegen. Obschon sich das Gedrängele an den Ständen im Abschnitt der Fußgängerzone vor Karstadt lichtete, gestaltete sich unser Bummel nicht einfacher. Der Schwager war auf Glühweintrinken und Krakauer fixiert. Gegenüber von Karstadt gab es einen Glühweinstand, er wollte aber nicht im Stehen seinen Glühwein trinken, sondern sich hinsetzen. Das erschwerte unseren nicht vorhandenen Plan, auf welchen Wegen wir wohin bummeln wollten, erheblich. So bummelten wir vorbei an Freßständen, wovon ein Stand, der frittierte Kartoffelscheiben anbot, besonders lecker aussah. Der Bottlerplatz gegenüber C&A sah dann mit seinem Menschengedrängele nicht ganz so katastrophal aus. Einige Handwerksstände waren umringt von Besuchern, aber an vielen anderen Ständen war die Sicht frei. An dem Stand mit Pralinen überlegte unsere Tochter sehr lange, sie schaute, war interessiert, wollte sich von mir beraten lassen, sie war unschlüssig, bis sie dann doch keine Pralinen wollte. Moment für Moment, hatte sich unsere Grundstimmung sich ins Positive verwandelt. Einmal umkurvten wir die Handwerksstände auf dem Bottlerplatz, dann wurstelten wir uns durch den dichteren Menschenstrom zum Friedensplatz hindurch. Dort erweckte ein Stand mit unterschiedlichsten Aufschriften von Vornamen und einem einheitlichen Katzenmotiv, die auf Tassen hinein graviert waren, unsere Aufmerksamkeit. Wir kauften keine Tasse, aber mit einem Schlag löste sich das Problem des Glühweintrinkens. An dem Glühweinstand auf dem Friedensplatz sah der Schwager es nicht mehr als erforderlich an, den Glühwein im Sitzen zu trinken, sondern er begnügte sich mit einem Stehplatz. Derweil trank ich einen Kaffee, während Tochter und Ehefrau nichts tranken. Anstatt dessen aßen sie ein paar Stände weiter eine Bratwurst. Am anderen Ende des Friedensplatzes gab es an einer Imbissbude Krakauer zu essen, und so konnten wir die Wünsche des Schwagers – Glühwein und Krakauer – vollends zufriedenstellen. Was hektisch begonnen hatte, war längst in Harmonie übergegangen. Noch einmal bummelten wir an den zum Münster zugewandten Ständen des Weihnachtsmarktes vorbei, dabei musste ich einen Abstecher in die Seitengasse zur Commerzbank machen, da Ebbe in meiner Geldbörse herrschte. Der Gang zum Geldautomaten war kurz, und danach konnte ich meinen Hunger stillen, da ich noch nichts gegessen hatte. Ich aß abseits des Weihnachtsmarktes, bei Pomm Fritz, wo man Fritten essen konnte, die so ungefähr aus frischen Kartoffeln gemacht waren wie in den Niederlanden. Dort ließ ich es mir schmecken – und der Rest der Familie stibitzte sich so manche Fritte von den beiden großen Portionen mit Mayonnaise und mit Ketchup.
2. Dezember 2019
Mit dem Überschreiten der Ü60-Altersgrenze rücken die Einschläge näher. Einschläge, die es im zwischenmenschlichen Umfeld sicherlich auch vor dieser Altersgrenze gegeben hat, aber man nimmt sie deutlicher wahr. Neuestes Beispiel ist ein Facebook-Freund, mit dem ich mich einmal im Jahr getroffen habe, eher häufiger als seltener als dieses eine Mal. Im Januar hatte ich ihn das letzte Mal getroffen, da stand eine Augen-OP an. Eigentlich war er weitsichtig, aber mit einem Mal hatte sich die Sehschwäche umgekehrt. Die OP wurde durchgeführt, und im Juni wollte ich mich wieder treffen. Er antwortete diffus, dass mit den Augen etwas nicht stimmen würde, so dass er sich nicht treffen könne. Ich befürchtete schlimmes, als er einige Monate später in Facebook postete, man würde eine Weile lang nichts mehr von ihm hören. So kam dann kein Lebenszeichen über Facebook, persönliche Nachrichten blieben unbeantwortet. Erst jetzt, Anfang Dezember, erfuhren seine Facebook-Freunde, was los gewesen war. Das Sehvermögen hatte sich so rapide verschlechtert, dass es gegen Null gegangen war. Die Ursache dafür waren allerdings nicht die Augen selbst, sondern die Ärzte diagnostizierten einen Gehirntumor. Dieser war gutartig, er konnte entfernt werden, und mein Facebook-Freund fand sich mitten im Leben zurück und konnte wieder normal sehen. Als ich dies las, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Die Krankheitsentwicklung war plötzlich gewesen, in weniger als einem Jahr traten die Symptome hervor und verschlechterten sich kontinuierlich. Und vor der Entfernung des Gehirntumors mochte es eine Frage auf Leben und Tod gewesen sein, ob mein Facebook-Freund jemals aus der Narkose wieder aufwachen würde und wenn ja, wie. Seine Erfahrung muss grausam gewesen sein, wie sein Leben an einem seidenen Faden hängt.
3. Dezember 2019
Wie ein Bahndamm in Köln-Ehrenfeld die Erinnerung an den Nationalsozialismus beschwört. Der Widerstand gegen die Nationalsozialisten gestaltete sich schwierig, weil Gedanken und Gespräche bis in die Familien hinein kontrolliert wurden - so sollten etwa Kinder ihre Eltern und Verwandte und Eltern ihre Kinder und Verwandte denunzieren. Mithin war Kritik an Hitler und den Nationalsozialisten, an ihren Ideologien, ihrem Handeln oder ihren Plänen nicht nur in der Öffentlichkeit lebensgefährlich. Nachdem der Bombenkrieg einen Großteil der Städte des Rheinlandes zerstört hatte, formierte sich ab 1943 Widerstand. Jugendliche rotteten sich in den Kriegsruinen zusammen, die Hitlerjugend lehnten sie mit ihrer gleich geschalteten Ideologie ab. Die losen Bewegungen im Rheinland, die naturverbunden waren, die gerne mit der Gitarre unterwegs waren und in ihren Liedern gegen die Nationalsozialisten stichelten, fassten sich als Edelweißpiraten zusammen. Die Jugendlichen verteilten Flugblätter, sie schmierte Parolen gegen die Nationalsozialisten auf Häuserwände und Eisenbahnwaggons. Einer von ihnen, der damals 16-jährige Bartholomäus Schink, stieß im Spätsommer 1944 zu einer Gruppe um den geflohenen KZ-Häftling Hans Steinbrink. Die Gruppe sammelte im zerbombten Köln Waffen und Sprengstoff, um einen – wie auch gearteten „Endkampf“ – gestalten zu können. Bei Auseinandersetzungen mit der Gestapo schießen sie schließlich auf örtliche NS-Führer und Polizisten. Drei von ihnen, darunter Bartholomäus Schink, wurden festgenommen. Genau an dieser Stelle, unter diesem Bahndamm in Köln-Ehrenfeld, wo die Bahnlinie von Köln nach Aachen verläuft, wurden die drei Edelweißpiraten ohne Gerichtsverfahren am 10. November 1944 in Köln öffentlich gehängt. Diese Erhängung durch die Nationalsozialisten fasst die Wandmalerei in dem Zitat zusammen „Edelweißpiraten haben sie sich genannt, wo diese Blume war, da war Widerstand.“ Übersetzt in viele europäische Sprachen, rauschen über die Betondecken die Züge hinweg.
4. Dezember 2019
In der Vorweihnachtszeit läßt es sich leider nicht vermeiden, dass man an allen Ecken mit Weihnachtsliedern berieselt wird, oftmals auf eine unpassende Art und Weise, wo sie im falschen Moment am falschen Ort das falsche Hintergrundambiente abgeben. So geschehen am Kölner Alten Markt im Café, wo der Blick aus dem Fenster auf den Weihnachtsmarkt in all seiner Harmonie nach draußen stach. Die Hintergrundmusik, die ansonsten eine Mainstreammischung aus Rock und Pop spielte, von Michael Jackson bis Madonna, dudelte nun mit Bruce Springsteen vor sich hin. Nun, zuerst verhält es sich so, dass ich trotz seiner unstrittigen Größe und Beliebtheit überhaupt nichts mit Bruce Springsteen anfangen kann. Die starke Inbrunst und die Ausdrucksfähigkeit seiner Stimme, die zweifelsohne besteht, läuft vollkommen meinen Geschmäckern zuwider. Falls möglich zappe ich zu Hause auf dem Radio zu einem anderen Sender, wenn ich Bruce Springsteen höre. Und nun sang Bruce Springsteen – passend und unpassend zugleich – in der Vorweihnachtszeit mit dem Weihnachtmarkt auf dem Alten Markt im Hintergrund ein Weihnachtslied. Aus voller Kehle schmetterte er dahin „Santa Clause is coming into Town“. Das war abscheulich, wie sich die weihnachtlichen Klänge aus seiner Stimme, die er voll aufgedreht hatte, aufdrängten. Den Klängen aus den Lausprechern, die etwas lauter waren als Zimmerlautstärke, suchte ich zu entfliehen, doch es gelang mir nicht. Ich befürchtete schlimmes, was die Gemütlichkeit des Cafés betraf, doch bei dem nachfolgenden Musikstück kam die Entwarnung. Es war ein Blues, dessen Stück ich nicht kannte. Definitiv war es kein verkapptes Weihnachtslied, denn weder kam ein Santa Clause, noch Christmas oder ein Tannenbaum vor. Der Blues ächzte und krächzte mit seiner schleppenden Stimme vor sich hin, und so war die Harmonie zurück gekehrt.
5. Dezember 2019
Eine weitere Negativ-Nachricht bei unserem Umbauvorhaben im Haus des verstorbenen Schwiegervaters, die uns allerdings nicht umhauen sollte. Wir waren davon ausgegangen, dass das Behindertenwohnheim, wo der Schwager wohnt, das Haus des verstorbenen Schwiegervaters anmietet, um dort betreutes Wohnen umzusetzen. Mit der Wohnheimleiterin hatte meine Frau dazu einen Termin, doch das Wohnheim sieht nun keinen Bedarf mehr. Es sind allerdings Zusammenhänge in die Begründung eingeflossen, die obskur klingen und darauf beruhen, was man im Ort so umher erzählt. Klatsch und Tratsch haben somit ein gewisses Gewicht an der Entscheidungsfindung gehabt. Ausschlaggebend war eine Situation, als der Schwager krank war und sich in demjenigen Behindertenwohnheim aufhielt, wo meine Frau gerade arbeitete (also nicht das Wohnheim, wo der Schwager wohnt). Meine Frau erzählte, dass der Schwager bei Krankheit zum Haus Hildegard gehen muss, weil in seinem Wohnheim tagsüber keine Betreuer anwesend sind. Dort geht er aber nie hin und dem Haus Hildegard ist es auch egal, wo er sich aufhält. Meine Frau erzählte weiter, dass Arztbesuche und Krankheiten allgemein ein Problem seien. So hätte es Fälle gegeben, dass ihr zugesichert worden sei, dass das Wohnheim mit dem Schwager zum Arzt gehen würde. An dem betreffenden Tag fand dann aber eine Teambesprechung statt, so dass er erst einen Tag später zum Arzt kam, weil meine Frau an diesem Tag arbeiten musste. Diese und andere Unzufriedenheiten habe man sich im Ort herum erzählt, welche dann bei dem Gespräch meiner Frau mit der Wohnheimleiterin und einer weiteren Mitarbeiterin heraus gekramt wurden. Die Betreuung des Schwagers sei unzureichend, das würde man sich im Ort erzählen. Das hatte zwar nichts mit der Argumentation zu tun, dass es keine Bewohner gibt, die für dieses betreute Wohnen in Frage kommen. Es wurde aber in aller Breite mit meiner Frau diskutiert. Die beiden Damen gaben dann meiner Frau andere Ansprechpartner aus anderen Trägern, die betreutes Wohnen anbieten. Von diesen Ansprechpartnern haben wir noch keine Rückantwort.
6. Dezember 2019
Soeben haben wir einen mitreißenden Abend in der Realschule erlebt. In der dortigen Aula hat der Theaterverein Rheidt sein diesjähriges Stück „Der Trödelkönig“ aufgeführt. Uns ein Theaterstück des Theatervereins anzuschauen, diese Idee hatten wir, nachdem der Theaterverein sein Interesse bekundet hatte, Gegenstände aus dem Haus des verstorbenen Schwiegervaters für die Bühnenkulisse zu verwenden. Daraus wurde zwar nichts, aber das Theaterstück glänzte vor hervorragenden Akteuren auf der Bühne. Dabei war der Hauptdarsteller kurios: eine mehr als 2.000 Jahre lang konservierte Mumie spielte die Hauptrolle. Allzu viel soll nicht verraten werden, aber über das Eigenleben der Mumie entwickelte sich eine Komik, bei der ich mich bisweilen gekrümmt habe vor Lachen, wobei die Gesangseinlagen exzellent waren. Das erste Mal haben wir eine Aufführung des Rheidter Theatervereins besucht, und es war bestimmt nicht das letzte Mal.
7. Dezember 2019
Irgendwie hatte der Einfall etwas besonderes für sich, Bekleidung aus dem Haus des verstorbenen Schwiegervaters an den Mann – oder besser – die Frau zu bringen. Von der bereits 1996 verstorbenen Schwiegermutter waren mehrere Kleidungsstücke dabei, die besonders verschnörkelt oder verziert waren, die Rüschen trugen oder auch selbst genäht waren. Meine Frau ordnete diese Kleidungsstücke dem Modestil des „Vintage“ zu, und so suchten wir fleißig im Internet nach Mode-Vintage-Läden. Diese gab es beinahe nicht in unserer Stadt oder in Bonn, aber in einer größeren Anzahl in Köln. Diese kontaktierten wir über Facebook, wobei die Vintage-Boutique „Zeitschätze“ in der Kölner Südstadt Interesse zeigte. Ich solle vorbei kommen, und die Vintage-Anziehsachen einfach mal zeigen. Dies tat ich dann, wobei die Parkplatzsuche in der Südstadt in der Nähe des Ubierrings eine Herausforderung war. Bestimmt fünf Minuten musste ich zu Fuß laufen, doch der Fußweg lohnte sich. Es war ein wirklich hübscher Laden, der auf Alt getrimmt war und wo sich ständig Kunden umschauten. Die Atmosphäre war locker und gelöst, und die Inhaberin musterte genau die einzelnen Kleidungsstücke und nahm elf Vintage-Anziehsachen entgegen. Auf Kommission, was bedeutete, dass sie diese Stücke bis nach Karneval im nächsten Jahr in ihr Angebot nahm. Sie schätzte Verkaufspreise ein, die wir beim Verkauf erhalten würden. Nach Karneval sollten wir uns wieder melden. Es war ein interessanter Exkurs in die Welt der Vintage-Mode.
8. Dezember 2019
An welchen Orten mich ein gewisser Teil meines Lebens umgetrieben hat. Vier Jahre lang hatte es mich regelmäßig in dieses Gebäude am Rande der Kölner Südstadt verschlagen. Das war im Zeitraum von 1997 bis 2001, als dieser breite und ausladende Bau die Fachhochschule Köln beherbergte. In diesen Räumlichkeiten, wovon mir vor allem der breite und ehrwürdige Treppenaufgang im Eingangsbereich in Erinnerung geblieben ist, war wiederum die Fernuniversität Hagen untergebracht, wo ich in kleinen Lerngruppen meine Kurse absolvierte, die dann in Klausuren mündeten. Neben Familie und Beruf war das Fernstudium hammerhart, ab und an habe ich die Klausuren erst im zweiten Anlauf geschafft. Die Erinnerung ist aber durchweg positiv. Die Dozenten, die ihre Tätigkeit ebenso nebenberuflich ausübten, hatten stets ein hohes Fachwissen und konnten die abstrakte bis trockene betriebswirtschaftliche Materie gut erklären. Bis heute gilt ihnen meine Bewunderung, wie sie Bewertungswahlrechte in der Steuerbilanz, die Lagrange-Methode, die Portefeuille-Theorie nach Markowitz, die Gutenberg-Produktionsfunktion oder statistische Rergressionsanalysen vermitteln konnten. Die Dozenten waren genauso hoch motiviert wie die anderen studentischen Mitstreiter, zu denen sich einzelne Kontakte bis heute erhalten haben. Nach 2001 wurde das Studienzentrum der Fernuniversität Hagen von Köln nach Leverkusen verlegt. 2006 hatte ich schließlich das Fernstudium abgeschlossen, als ich den akademischen Titel eines Diplom-Kaufmanns geschafft hatte.
9. Dezember 2019
Wie der Apfel sich auf der Jugendstilfassade zu einem tragfähigen Symbol entwickelt. Diese Kombination ist gar nicht so selten: gerade die Fassaden von Kaufhäusern und anderen großen Ladenlokalen tragen in Fußgängerzonen, wie hier auf der Kölner Schildergasse, den Jugendstil. Säulen, Blätterwerk von Pflanzen oder auch Tierdarstellungen umfassen den Jugendstil, der um die 1900er-Jahrhundertwende seine Blütezeit erlebte. Konzerne – wie hier Apple – suchen ebenso eine Symbolkraft ihrer Produkte, weil die Kundschaft stärker Symbolen zuneigt ist als einem Produktportfolio aus abstrakten Typenbezeichnungen. So ist bei Apple der Apfel selbstsprechend und mit seinem heraus geschnittenen Kreisanteil sogar unverwechselbar. Der Apfel und der Jugendstil sind zu einer Einheit geworden. Zu den floralen Mustern im Giebelbereich gesellt sich der Apfel des Weltkonzerns. Im Inneren des Geschäftslokals dreht sich nach seiner Bestimmung alles um iPhones und iPads. Was für ein riesengroßes Warenangebot aus dem Hause Apple dort präsentiert wird, sprengt jede Vorstellungskraft.
10. Dezember 2019
In diesen Tagen hieß es: Daumen drücken. Das hatten wir groß auf unserem Terminkalender notiert, der sich in diesen Tagen der Vorweihnachtszeit voll gekritzelt ist vor lauter Terminen. Damit wir diesen Weg weisenden Termin nicht vergessen in den Tagen voller Betriebsamkeit, die vor lauter Terminen untergehen. Es galt, Daumen zu drücken für die mündliche Prüfung unserer Tochter, welche ihr Medizinstudium abschloss. Es war die allerletzte Prüfung, bei der die Studenten eine Krankheitsdiagnose lebender Patienten erstellen mussten. Wie der Rest des Studiums, klappte diese letzten Prüfung in Form der Krankheitsdiagnose bestens. Mit Bravour hat sie bestanden. Herzlichen Glückwunsch zum akademischen Grad einer Ärztin !
11. Dezember 2019
Locker und ungezwungen, wie eigentlich in all den Jahren zuvor, haben wir uns mit unseren Arbeitskollegen auf dem Bonner Weihnachtsmarkt versammelt. Die Resonanz hätte größer sein können, aber unser Abteilungsleiter und die vier Teamleiter glänzten mit ihrer kompletten Anwesenheit. Das gab dem Treffen eine Geschlossenheit und auch Gemütlichkeit, so dass wir mit etwa zwölf Kollegen gut zusammen standen. Der Glühwein floß, und so mancher von uns musste abstinent bleiben, weil er oder sie mit dem Auto nach Hause zurück fahren mussten. Zuletzt diskutierten wir lebhaft, alle horchten, und wir beschworen vergangene Zeiten, die wir durchlebt hatten. Welche Kollegen unsere Weggefährten gewesen waren, Namen kursierten, und ein gestandenes Resümee durchlebte alle Zeiten: in unserer Firma laufen sich alle früher oder später wieder über den Weg. Ein Resümee war allerdings neu und gleichzeitig trivial. Es gibt einen jahreszeitlichen Verlauf, dass zu Jahresbeginn gejammert wird, weil viel zu wenig Geld budgetiert worden ist, so dass das operative Geschäft droht zu erlahmen. In der Weihnachtszeit werden die Mitarbeiter dann in höchsten Tönen gelobt, was auch wichtig ist, da viele Mitarbeiter, die direkt mit Kunden zu tun haben, einen wirklich harten Job ausüben. Das ist dann aber auch so, dass die Mitarbeiter ihren Job so gut gemacht haben, dass die gesteckten Ziele in vielen Jahren erreicht werden. Jammer und Lob im Jahresverlauf: das Fazit ist, dass es richtig ist, das Geschäft über das Geld zu steuern. Offenbar muss man gegen eine gewisse Trägheit ansteuern. Die Mitarbeiter können, wenn sie motiviert sind, einen guten Job machen. Die Kunst, sie zu motivieren und Wert zu schätzen, scheitert in der Regel nicht am Geldmangel.
12. Dezember 2019
Es gibt Städte und Orte, die solch eine Dynamik entfalten, dass man sie mit einem Mal nicht mehr wieder erkennt. Beispiel Troisdorf: noch im Januar dieses Jahres war ich mit dem Auto in diese Stadt gefahren. Vom Parkhaus am Bahnhof war ich zu Fuß unterwegs in die Fußgängerzone, der Rohbau eines mehrgeschossigen Baus stemmte sich in die Höhe. Der Fußweg längs der Baustelle war versperrt, so dass man die Straßenseite wechseln musste. Firmenwagen, deren Arbeiter auf der Baustelle tätig waren, vergrößerten das Baustellenchaos. Nun war alles fertig und sah wie geleckt aus. Schmutz und Dreck waren verschwunden, die direkte Nähe zum Bahnhof scheint ein idealer Standort für Hotelketten zu sein. Die Anbindung mit Eisenbahn zu den Städten Köln und Bonn ist ideal, und so werden Übernachtungen rege nachgefragt werden. Ein Konglomerat von Dienstleistungsbetrieben schart sich um die Gleise und um den Bahnsteig, wenn im wilden Tempo weiß-rot gestreifte ICEs vorbei rasen. An einem Bankschalter kann man sich mit flüssigem Bargeld versorgen, wenn man sich im Fitness-Studio fit hält oder dem Hobby des Tanzens in einer Tanzschule nachgeht. Bahnreisende können sich an einem Kiosk mit Zeitungen eindecken, und nach einer Fitnesseinheit oder nach einer absolvierten Tanzstunde kann man in einer Pizzeria gesellig beisammen sein. Die Konglomerate des Konsums wachsen zu urbanen Zentren zusammen. Alles ist ständig in Bewegung und ringt nach Veränderung. Der Verbraucher bestimmt mit seinen Konsumgewohnheiten das Gesicht der Stadt.
13. Dezember 2019
Eine Zeit vor dem Kölner Dom ? Wer heutzutage den himmelwärts strebenden Kirchenraum dieser gotischen Kathedrale betritt, der vermag sich kaum vorzustellen, dass es einen Vorgängerbau gegeben hat. Ein genaueres Bild davon, wie diese Vorgängerkirche ausgesehen haben könnte, gibt ein Fußbodenmosaik. Wenige Jahre nach der Fertigstellung des Kölner Doms im Jahr 1880 wurden Fußbodenmosaike im Chorbereich verlegt, welche die bedeutendsten Kölner Erzbischöfe darstellen. Eines dieser Mosaike stellt den Erzbischof Hildebold dar, dessen Hände diesen romanischen Kirchenbau halten. Als wäre die Last nicht schwer genug, stützen zwei Mönchsgestalten die Kirche. Die Umrandung der Darstellung trägt die Aufschrift: „Herr Hildebold. Erzbischof von Köln, Erzkaplan Karls des Großen, regierte die Kirche von Köln vom Jahre 785 bis zum Jahre 819. Er begann den Alten Dom.“ In der Tat war es dieser Erzbischof Hildebold, der diesen großartigen Kirchenbau, von dem null und gar nichts erhalten ist, veranlasste. Die Idee zu diesem Kirchenbau mag er von dem karolingischen Zentralbau des Aachener Doms mitgebracht haben, denn Karl der Große hatte ihn als Gelehrten in seine Kaiserpfalz berufen. Um 800 beauftragte ihn Karl der Große, für den Sitz des Erzbischofs in Köln eine neue Bischofskirche zu bauen. Die Fundamente für diese fulminante Kirche wurden allerdings erst 818, einige Jahre nach dem Tod Hildebolds gelegt. Diese Kirche muss vor 857 fertiggestellt worden sein, denn die Annalen des Klosters Fulda erwähnen, dass der „Alte Dom“ durch einen Blitzschlag getroffen worden war, wobei drei Menschen getötet wurden. Mit 97,50 Meter war die Länge imposant und umfasste rund zwei Drittel der Grundfläche des heutigen Kölner Doms. Grabungen unter dem Kölner Dom belegten im Jahr 1948 die Existenz einer früheren Kirche um 800. Viereinhalb Jahrhunderte wurde die Kirche als Gotteshaus genutzt, sie erlebte sogar die Überführung der Gebeine der Heiligen Drei Könige im Jahr 1164. Das Meisterwerk der Goldschmiedekunst, der Dreikönigsschrein, stand etwa nach 1200 im „Alten Dom“. Mit der Grundsteinlegung des „neuen“ Kölner Doms musste der „Alte Dom“ weichen. Er wurde abgebrannt, und die stehen gebliebenen Kirchenmauern wurden abgebrochen. Wie der stolze romanische Kirchenbau einst ausgesehen haben kann, dies hält das Mosaik des einstigen Erzbischofs in seiner Hand.
14. Dezember 2019
Das Chaos nimmt in unserem Haus weiter seinen Lauf, nachdem wir uns entschieden haben, aus Gründen des Bundesteilhabegesetzes sowie aus Kostengründen ab dem 1. Januar nächsten Jahres den Schwager vorübergehend bei uns aufzunehmen. Die Grundsituation könnte sich klären, nachdem uns gestern die öffentlich bestellte Gutachterin das Wertgutachten des Hauses des verstorbenen Schwiegervaters zugesandt hat. Die Planungssicherheit sollte nun gegeben sein, wenn der Wert der Immobilie bekannt ist. Allerdings ändert dies nichts an der Tatsache, dass wir das Gästezimmer für unseren Schwager herrichten müssen. Auch dort steht reichlich Krempel herum, wobei die Katzen sich allerdings freuen, dass die Türe zum Gästezimmer gerne offen steht und ein Plätzchen zum Einkuscheln im Bett bereit hält. Der Zeitdruck bis zum Jahresende ist groß. Das Bett mit unserer Tochter muss getauscht werden, die Sachen müssen aus dem Behindertenwohnheim ausgeräumt werden, ein Kleiderschrank fehlt für die Anziehsachen des Schwagers. Es sind wieder einmal viel zu viele Dinge gleichzeitig abzuarbeiten, und das kurz vor Weihnachten. In diesem Umfeld gestaltet es sich selbst schwierig, einen Weihnachtsbaum aufzustellen.
15. Dezember 2019
Ein Novum, das bezeichnend war für die Zeitnot in diesem Jahr. Im Büro hatte ich mit meiner Frau und meiner Mutter telefoniert, dazu wollte ich noch eine Sache fertig erledigen für meinen Chef. Die Regionalbahn um 17.07 Uhr hatte ich am Bonner Hauptbahnhof verpasst. Und um pünktlich um 18 Uhr am verabredeten Treffpunkt in Köln zu erscheinen, musste ich den Intercity um 17.22 Uhr nehmen. Mit der nächsten Regionalbahn wäre ich erst nach 18 Uhr in Köln gewesen. Demgegenüber hatte mir in den vergangenen Jahren ein ausreichendes Zeitkontingent zur Verfügung gestanden, einmal durch den Dom zu laufen und eine Kleinigkeit zu essen. Das war in diesem Jahr nicht so, und nachdem ich am Hauptbahnhof hastig eine Portion Fritten in mich hinein gestopft hatte, traf ich den früheren Arbeitskollegen um 18 Uhr an der Kreuzblume vor dem Dom. Unser alljährlicher Gang über den Weihnachtsmarkt am Alten Markt bot ausreichend Gelegenheit, uns auszutauschen. Es überwogen Gesprächsthemen, dass ihm der Freundeskreis seiner Lebensgefährtin bisweilen zu exklusiv und auch zu abgehoben war. Dazu kam eine gewisse Last durch die anhängende Familie seiner Lebensgefährtin, eine Last, die von der Tochter plus Enkeltochter seiner Lebensgefährtin ausging. Wegen schlechter schulischer Leistungen sowie aufmüpfigen Verhaltens in der Pubertät war die Enkeltocher, 14 Jahre, zum Problem geworden. Bereits einmal hatte die Enkeltocher der in Berlin lebenden Familie die Privatschule gewechselt, und nun wollten die Eltern die Tochter auf eine andere Privatschule hinaus werfen. Dagegen intervenierte die Lebensgefährtin, aber auch der bei Osnabrück wohnende leibliche Vater. Nachdem die Enkeltochter eine zeitlang bei ihrem leiblichen Vater wohnte und auch dort zur Schule ging, holte die Mutter sie wieder zurück mit dem Ergebnis, dass sie nun auf Mallorca eine internationale Schule besucht. Die Familie der Tochter der Lebensgefährtin hatte jede Bodenhaftung verloren, ihr Mann besaß eine Leiharbeiterfirma und sie schwammen in Geld. Ein Ferienhaus am Gardasee hatten sie bereits gebaut. Nach Verkauf dieses Ferienhauses kauften sie sich ein anderes Ferienhaus auf Mallorca, wo die Enkeltocher dann die Schule besuchte. Widersinnig war dabei, dass der Vater Flugangst hatte. Um nach Mallorca zu gelangen, fuhr er mit dem Auto bis Marseille und dann mit der Fähre nach Mallorca. Der Reichtum der Lebensgefährtin meines früheren Arbeitskollegen, die früh Witwe geworden war, resultierte aus Immobilienbesitz in Form von mehreren Mietshäusern. Eine Dreiergemeinschaft besaß die Mietshäuser, von denen zwei sich von ihren Immobilien trennen wollten. Die Lebensgefährtin wollte diese Anteile kaufen, doch ein Immobilienmakler hatte sich eingeschaltet, so dass die Verkaufspreise in die Höhe schossen. Mit diesem zu hohen Verkaufspreis kam kein Hypothekendarlehen mit einer Bank zustande, so dass die Lebensgefährtin ihren Immobilienbesitz verkaufen musste. Aber was mit dem Verkaufserlös machen ? Sie kaufte sich nun eine Ferienimmobilie an der niederländischen Nordseeküste, wobei ich schmunzelte über ihre Probleme mit der niederländischen Sprache. Das Verkaufsprospekt war auf Deutsch, aber die ganze Kaufabwicklung geschah auf Niederländisch. So hatten sie eine E-Mail erhalten, bis wann sie den Kaufpreis auf welches Konto zu zahlen hatten. Eine zeitlang später waren sie zur Abwicklung des Kaufs nach Middelburg gefahren. Weil sie die E-Mail auf Niederländisch nicht verstanden hatten, hatten sie den Kaufpreis auch nicht gezahlt, was wiederum Voraussetzung für den Kauf der Ferienwohnung war. Unerledigter Dinge mussten sie dann von Middelburg nach Hause zurück fahren. Mangels Niederländischkenntnissen war die Verständigung zudem in Middelburg schwierig. Als die Lebensgefährtin ihre Mietshäuser noch besaß, hatten sie – genauso wie wir – mit einem öffentlich bestellten Gutachter für Immobilien zu tun. Dabei ging es um einen Rechtsstreit, weil eine Mieterin sich benachteiligt fühlte, da die Wohnflächenberechnung falsch sei. Da die Flächenberechnungen gerichtsfest sein mussten, wurde ein öffentlich bestellter Gutachter benötigt. Schnell verdientes Geld, in seinem zweiten Leben würde er sich zum öffentlich bestellten Gutachter umschulen lassen, das meinte mein Freund. Die digitale Messung der Wohnfläche hätte die Zeit eines Mausklicks gedauert, dann noch ein bißchen Rechnerei – und dafür hatte der öffentlich bestellte Gutachter 600 Euro pro Wohneinheit in Rechnung gestellt. Zum Freundeskreis der Lebensgefährtin gehörten so manche Artgenossen mit einem dicken Portemonnaie, darunter wohnte einer in Vancouver/Kanada. Einen mehrwöchigen Besuch hatten sie im nächsten Jahr eingeplant, wobei mein Gegenüber durchaus Lust verspürte, Vancouver kennen zu lernen. Allerdings ging es im unmittelbaren Anschluss nach Mallorca zu anderen Freunden, was dann wiederum absolute Unlustgefühle erzeugte. Er mochte die Freunde nicht, die dichte Aufeinanderfolge von längeren Reisen und Mallorca zählte nicht unbedingt zu seinen Lieblingsinseln. In einem Punkt hatte er den Snobismus des Freundeskreises adaptiert: er hatte einen Golfkurs absolviert. Er wurde auch angesprochen, ob er für 3.000 Euro im Jahr Mitglied werden wollte. Dies lehnte er dankend ab, da man auch ohne Mitgliedschaft auf dem Golfplatz bei Düsseldorf Golf spielen konnte. In Düsseldorf wiederum hatte sich die andere Tochter der Lebensgefährtin eine Eigentumswohnung gekauft. Die Tochter, eine überzeugte Singlefrau, spielte kein Golf, aber es war der helle Wahnsinn, was der Immobilienmarkt in Düsseldorf so hergab. Fette 300.000 Euro hatte sie für 50 Quadratmeter bezahlt, und das nicht einmal bei bester Stadtlage in der Innenstadt. Die eigene Tochter, 32, war keine solch überzeugte Singlefrau. Langsam bekam sie Torschußpanik, was die Suche nach ihrem Traummann betraf. Sie trauerte einem Traummann nach, mit dem sie im letzten Jahr den Tannenbaum geschmückt hatte, der aber keinerlei Absichten hegte und dies mehrfach bekundet hatte. Seine Ex-Frau, die seit 6-7 Jahren wieder verheiratet war, war übrigens nach Schleiden in der Eifel gezogen. Ihr Mann arbeitete in der Eifel, und so hatten sie die städtischen Strukturen von Mönchengladbach mit ganz viel Landschaft in der Eifel getauscht, wo man dementsprechende Fahrwege zum Einkaufen benötigte, aber mit jede Menge beschaulicher Landschaft in direkter Nähe. Was trieb den Freund sonst so um ? Er fotografierte Wassertürme, wegen der Nähe in der Umgebung von Mönchengladbach. Er war sogar in Wegberg gelandet, dabei hatte er allerdings ein kleineres Konfliktpotenzial mit seiner Lebensgefährtin. Da die Strecke nur 20 Kilometer betrug, wollte er diese mit dem Fahrrad gefahren sein. Der Lebensgefährtin war die Fahrt durch das Stadtgebiet zu gefährlich, so dass sie die Fahrräder auf dem Auto bis Rheindahlen mitgenommen haben wollte. Das lehnte er wiederum ab, so dass er alleine fuhr. Geplant hatte er eine Fahrradtour auf alten Bahntrassen, durch das Bergische Land und durch das Hohe Venn. Achja, wir sprachen auch über unsere schlechten Zähne. Während ich in Kürze die teleskopierende Brücke eingesetzt bekommen würde, hatte er vor etlichen Jahren acht Zähne gezogen bekommen, und dies unter Vollnarkose. Die Behandlung war gut verlaufen, dort hatte er nun Implantate. Ebenso wie bei mir war sein Rechnungsbetrag fünfstellig – dieser lag bei 12.000 Euro. Diesen Betrag hätte er eigentlich bar vorauszahlen sollen, was ihn eine gewisse Mühe kostete, den Zahnarzt davon zu überzeugen, dass er erst die Rechnung bei der Krankenkasse einreichen müsse.
16. Dezember 2019
Eine ganze Terminserie von Zahnarztterminen beanspruchte mich in den letzten Zügen des Kalenderjahres. Der Termin am 3. Dezember war schon heftig, als fünf Zähne abgeschliffen worden waren. Bis Weihnachten sollte ich die sogenannte teleskopierende Brücke erhalten, womit alle meine fehlenden Zähne am Oberkiefer überbrückt werden sollten. Noch trug ich die Provisorien auf den fünf abgeschliffenen Zähnen. Zwei Implantate würden in die teleskopierende Brücke einbezogen werden, so dass die Brücke auf insgesamt sieben Zähnen befestigt wird. Ein Wunderwerk der Zahntechnik sollte es werden, das hoffentlich bis an mein Lebensende halten wird.
17. Dezember 2019
Wie in anderen Situationen, war der Anruf des Bruders kurz und knapp. Die Stresssituation drang in seinem Telefonat durch, dass die Mutter im Krankenhaus lag und dass er alle wichtigen Personen zu informieren hatte. Dabei musste ich die Krankheitsdiagnose eines Oberschenkelhalsbruches einordnen, ein Sturz, ein Bruch und wie man im Krankenhaus vorzugehen dachte. Das Telefonat mit unserer Tochter und die Suche in Google stellten dann die begrifflichen Irritationen klar: dass der Hals von den Verletzungen betroffen war, ließ schlimmes befürchten, doch was man normalerweise unter „Hals“ verstand, war damit nicht gemeint, da vielmehr der Oberschenkelhals zur Hüfte gehörte, die folglich Gegenstand des Bruchs war. Das war aber immer noch schlimm genug, da die Heilung einen operativen Eingriff erforderte, wovon nicht nur wegen der Betäubung Gefahr ausging. Zudem würde in der Ü80-Altersklasse die Heilung langsam verlaufen mit einem dementsprechend längeren Krankenhausaufenthalt. Da sich der Vorfall kurz vor dem Weihnachtsfest ereignet hatte, war ein Verbleib über das Weihnachtsfest wahrscheinlich.
18. Dezember 2019
Auf was für Merkwürdigkeiten wir gestoßen sind, als wir einen Abnehmer für drei Pelze gesucht haben, von denen ein bis zwei der 1996 verstorbenen Schwiegermutter gehört hatten. Wir hatten die Kleinanzeigen aufgeschlagen in einem derjenigen Wochenblätter, von denen unser Briefkasten zuhauf überflutet wird. Selten bis gar nicht lesen wir die Berichte über die Belanglosigkeiten des Lokalgeschehens, diesmal schauten wir in die Kleinanzeigen hinein. Gleich mehrfach interessierten sich Händler für allerlei Trödel und insbesondere Pelze. Also riefen wir an, wobei ausnahmslos Handy- und keine Festnetznummer angegeben waren. Der erste Händler, mit dem wir telefonierten, kam aus Bochum. Pelze ja, dafür interessiere er sich grundsätzlich, aber für drei Pelze von Bochum in unsere Gegend zu fahren, das sei irreal und unrentabel. Die zweite Dame, die wir erreichten, kam nicht weit weg von Bochum, nämlich aus Oberhausen. Das Echo war dasselbe wie aus Bochum. Zu weit weg, für die Ausbeute von nur drei Pelzen lohnte sich die Anfahrt nicht. Wie kam es denn, dass Händler aus dem Ruhrgebiet in unser Anzeigenblatt gerutscht waren ? Setzten sie auf eine breite Streuung, dass in Haushaltsauflösungen, egal wie weit entfernt sie lagen, große Schätze schlummerten ? Beim dritten Händler mit dem sehr deutsch klingenden Namen Manfred Schmidt hatten wir schließlich Erfolg. Er kam zwar aus Krefeld, war aber häufig im Großraum Köln-Bonn unterwegs. Er kooperierte sogar mit der ZDF-Sendung Bares für Rares, er war Schmuckexperte und arbeitete mit Susanne Steiger zusammen, dessen Schmuckladen ich in Bornheim entdeckt hatte. Wegen des Schmuckes, den wir ihm nur in kleinen Mengen anbieten konnten, suchte er uns am nächsten Tag auf. Die Pelze waren dabei ein Mitnehmprodukt, von denen er zwei mitnahm. Die Ausbeute von 210 Euro war nicht schlecht, aber einen großen Berg von Anziehsachen wälzten wir weiterhin vor uns her.
19. Dezember 2019
Noch fünf Tage bis Heiligabend, und die Wocheneinkäufe gestalteten sich bei real im HUMA-Einkaufszentrum in St. Augustin äußerst entspannt. Am frühen Vormittag war wenig los, in Ruhe füllte sich unser Einkaufswagen, niemand drängelte sich zwischen den Regalreihen. Last-Minute-Einkäufe im schlimmsten Menschengewühl wollten wir auf wenige Resteinkäufe beschränken. Da wir zugunsten der früheren Uhrzeit auf das Frühstück zu Hause verzichtet hatten, holten wir dies im HUMA-Einkaufszentrum nach. Wir entschieden uns, ein Stückchen wie in Frankreich zu frühstücken. Die EPI-Boulangerie-Patisserie warb damit, dass sie Baguette nach der echten französischen Rezeptur backte. Aber wir probierten kein Baguette, wir studierten Leckereien mit wohl klingenden französischen Namen wie Eclairs, Chouquette oder Brioche an der Auslage. Wir wählten eine „tarte flambée“, die man zwar mit „Flammkuchen“ übersetzen konnte, die aber ganz anders aussah und schmeckte, wenn wir denn einmal Flammkuchen gegessen hatten. Die „tarte flambée“ war aus Blätterteig gemacht, die Rundform war viel kleiner als ein Flammkuchen und bedeckt mit einer dicken Füllung aus Speckwürfeln, die sehr herzhaft schmeckte. Bis uns die „tarte flambée“ serviert wurde, dauerte es ein wenig, weil diese im Backofen nochmals aufgewärmt wurde. Die Atmosphäre, sich ein bißchen wie in Frankreich fühlen zu können, floss locker und lässig dahin. Eine Insel der Ruhe inmitten des allzu hektischen Treibens vor Weihnachten.
20. Dezember 2019
Es fühlte sich so an, als hätten sich die Wogen des Mobbings etwas beruhigt. Die Schule neigte sich den Weihnachtsferien zu, und da ich Urlaub hatte, fuhr ich unsere Tochter zur Schule. Obschon das Aufstehen bei unserer Tochter zäh war, beeinträchtigten weder Kopfschmerzen noch Bauchweh seit mehreren Wochen unsere Tochter. Ob sie mit Freude zur Schule ging, das wussten wir nicht. Aber im Hintergrund ahnten wir, dass in der Vorweihnachtszeit ein Stückchen Frieden zu ihren Mitschülern eingekehrt war. Sie nahm Teil an der Kommunikation in ihrer Klasse, was nicht immer so war. Am letzten Tag vor den Weihnachtsferien wurde gewichtelt, und schon Wochen vorher drängte sie, auf dem Bonner Weihnachtsmarkt oder sonstwo ein Wichtelgeschenk zu besorgen. Vor einer Woche war es dann soweit, als wir mit unserer großen Tochter aus Freiburg den Bonner Weihnachtsmarkt besuchten. Nachdem sie auf dem Weihnachtsmarkt nichts schenkbares gefunden hatte, kaufte sie beim Kaufhof einen Markierstift und einen Bleistift. Schön eingepackt, ging es nun mit dem Wichtelgeschenk und einem Ein-Liter-Kakao-Tetrapak in die Schule. Der Abschied von der Tochter war eine gewisse Zeremonie. Aus dem Auto wollte sich nicht an dem Rondell, sondern auf dem Parkplatz neben dem Kindergarten heraus gelassen werden. Und dies nicht direkt vor dem Schultor, sondern eher auf der Mitte des Parkplatzes. Ich zündete den Motor aus und umarmte sie, wir wechselten weiche und warme Worte vor dem Schulunterricht. Leise vor sich her tappsend, schritt sie zum Schulhof. Nach der Schule, als sie nach Hause kam, war alles in bester Ordnung. In den ersten beiden Unterrichtsstunden hatten sie einen Film über Huckleberry Finn geschaut. Das Wichtelgeschenk, das sie zurück erhalten hatte, waren Deostifte. Ein Wichtelgeschenk, über welches der Schenker offensichtlich nachgedacht hatte.
21. Dezember 2019
Als Mann hatte ich Horror vor dieser Situation und in den vergangenen Jahren war ich daran vorbei gekommen, weil ich mit meiner Frau zusammen den Weihnachtsbaum ausgesucht hatte. Nun, in diesem Jahr, war die Zeit ohnehin knapp vor Weihnachten, weil das Chaos herum stehenden Hausrats groß war und viel zu viel aufzuräumen war. So beschloss meine Frau, dass ich in diesem Jahr alleine den Weihnachtsbaum auszusuchen hatte, und dies ziemlich knapp vor Weihnachten, als die Auswahl von passablen, Weihnachtsbaum-tauglichen Weihnachtsbäumen nicht gerade viel versprechend war. Ich drohte, in eine Falle der Unmöglichkeit zu laufen: zu groß, zu klein, zu dünn, zu dick, zu licht, krumm gewachsen, schiefe Spitze oder was auch immer, unser Wunsch-Weihnachtsbaum mit den Ideal-Maßen würde nie und nimmer zu kriegen sein. So bewegte ich mich dann auf dem Weihnachtsbaum-Gelände ganz weit nach hinten, wo dann doch ein Weihnachtsbaum in gewisser Hinsicht den Ideal-Maßen entsprach – zumindest nach meinem Empfinden. Die freundlichen Jungs mit der Motorsäge fuhren dann flugs mit ihrem Quad zu den hinteren Weihnachtsbaumreihen am anderen Ende des kahl gesägten Wäldchens, vorne am Eingang netzten sie ein und sagten die Frei-Haus-Lieferung am Folgetag zu. Gut gelaunt und im Glauben, vieles richtig gemacht zu haben, erhielt ich sogleich zu Hause einen Dämpfer. Voller Überzeugung zeigte ich meiner Frau Fotos auf dem Smartphone, Fotos unseres Weihnachtsbaums mit einem Loch in der Mitte. Oben war der Weihnachtsbaum schön dicht, unten genauso, aber in die Mitte schob sich eine Lücke ohne Tannengrün. Das gefiel meiner Frau überhaupt nicht, und wie schlimm oder weniger schlimm der Weihnachtsbaum tatsächlich aussehen würde, das würde uns erst dann so richtig ins Auge springen, nachdem er in unserem Wintergarten aufgestellt sein würde.
22. Dezember 2019
Inmitten der Herausforderung, unseren Wintergarten so herzurichten, dass wir dort unseren Weihnachtsbaum aufstellen konnten, kostete ich die kleine Auszeit aus, in unsere Nachbarstadt zum Briefkasten der Stadtverwaltung zu fahren. Die Antwortkarte, um den Stadtwerken den Zählerstand der Wasseruhr mitzuteilen, war wieder aufgetaucht. Den ganzen Tag waren wir mit Räumen, Spülen und Saubermachen beschäftigt. Und der Berg von Hausrat aus dem Haus des verstorbenen Schwiegervaters schwand nur allmählich. Hier ein unansehnlicher Tonkrug zum Wegwerfen, dort ein paar Streichholzschachteln, die sich zu den übrigen Schachteln gesellen konnten. Hier ein Messbecher, dessen Schrift so abgewetzt war, dass man sie nur noch schemenhaft entziffern konnte, dort ein paar Deckel, zu denen die Plastikdosen fehlten. Viel zu viel blieb auf den angestammten Plätzen stehen. Am späten Nachmittag war ich froh, mich für ein paar Schritte nach draußen bewegen zu können. Vom Parkplatz zum Briefkasten der Stadtverwaltung, dann die Suche nach einem Briefkasten der Deutschen Post, da ein Brief seinen Weg zur Behindertenwerkstatt finden sollte. Ein kurzer Fußweg durch den plätschernden Regen über den Marktplatz, auf dem eine große Abrißlücke klaffte. Der Regen plätscherte durch die klare Luft. Trotz der uninspirierenden Umgebung des monotonen Platzes setzten sich längere Ketten von Gedanken in Gang. Zeit zum Innehalten hatte ich allerdings nicht, zumal der Platz keinerlei Orte zum Verweilen bot. Vom Briefkasten schritt ich zurück an dem Lokal „Gertrudenhof“, wo ich in das großzügige, aber weitgehend entleerte Innere schauen konnte. Der Regen tröpfelte in mein Gesicht, benetzte die Brille. Tropfen verzerrten den Blick auf Schautafeln, worauf Gemeinschaften wie der VdK oder der Junggesellenverein informierten. Die paar Minuten Abwechslung von der Geschäftigkeit zu Hause gingen viel zu schnell vorbei.
23. Dezember 2019
Hatte sich grundlegend in ihrem Kopf etwas verändert ? So schlecht der Fortschritt in den Weihnachtsvorbereitungen war, um so umwälzender war der Vorschlag, der in den vergangenen Jahren undenkbar gewesen wäre. Um viertel vor sieben kam der Zug unserer Tochter am Bonner Hauptbahnhof an, und meine Frau schlug vor, gemeinsam unsere Tochter abzuholen und im Anschluss über den Weihnachtsmarkt zu bummeln. Diesem Vorschlag, alle Aufräumerei links liegen zu lassen und uns angenehmeren Dingen zuzuwenden, konnte niemand widerstehen. Voller Panik stellte unsere kleine Tochter bei der Annahme des Vorschlags fest, dass der gemeinsame Bummel durch die Innenstadt sogar zwingend notwendig war, weil sie noch gar nicht alle Geschenke beisammen hatte. So waren wir nach der Ankunft des Intercitys froh, dass wir alle zusammen gefunden hatten, wobei unsere kleinere Tochter den Gang über den Weihnachtsmarkt mit ihrer Suche nach fehlenden Weihnachtsgeschenken im wesentlichen festlegte. Bei TKMaxx ließen wir sie alleine, damit niemand das Geschenk bemerkte. Während sie bei Thalia mit meiner Frau Ausschau hielt, schlurfte der Rest zum chinesischen Restaurant am Marktplatz. Allen Weihnachtsstress schob ich bei gebratenem Reis mit Huhn beiseite, das ich mit Messer und Gabel aß, während die übrige Familie sehr geschickt dabei war, mit Stäbchen zu essen. Wir waren so spät zu Hause, etwa gegen halb 10, dass das Weihnachtsfest ganz weit entfernt schien.
24. Dezember 2019
Es war ein hartes Stück Arbeit, bis wir den Weihnachtsbaum im Wintergarten stehen hatten und die Bescherung statt finden konnte. So spät wie in diesem Jahr, es war so gegen halb acht Uhr abends, als wir essen konnten und die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum lagen, waren wir noch nie zeitlich unterwegs. Nach Wochen der Gelassenheit und ohne Zeitdruck, dass die Bescherung nahe rückte, war nun alles auf einmal zu erledigen. Erst vor dem Mittagessen eröffnete mir meine Frau, dass das Wohnzimmer mit all dem herum stehenden Hausrat einmal auszuräumen sei, dass der Fußboden frei sein solle, um mit dem Staubsauger in einer Komplettaktion gesaugt werden solle. Dieses Chaos von Hausrat beförderte ich in den Flur, wo wir dann Teil für Teil, Stück für Stück, in kleinerem Umfang aussortierten und wegwarfen, in größeren Teilen in Kisten verstauten und danach ab in den Untiefen unseres Kellers. Bis wir danach gegessen hatten, war es bereits einiges nach 15 Uhr, wobei wir uns zwischendurch darüber stritten, dass eine Katzentoilette aus dem Wintergarten in den Keller gehörte. Im Wintergarten hatten wir nunmehr dieselbe Aktion vor uns wie im Wohnzimmer, wobei wir uns zum einen größeren Teil mit Stapeln von Papierkram befassen mussten. Dies zog sich wiederum genauso zäh in die Länge. Einen kleinen Teil entsorgten wir, die größeren Teile wanderten im Endeffekt in den Keller. In der Summenbetrachtung krankte vieles daran, dass es schwierig war, Abnehmer für unseren überflüssigen Hausrat aus dem Haus des verstorbenen Schwiegervaters zu finden. Als alles leer war und wir unseren Weihnachtsbaum aufstellen, sah dieser nicht so schlimm aus wie befürchtet, da wir die lichte Seite mit dem Loch zur Wand hin positionierten. Beim Schmücken des Weihnachtsbaums halfen unsere Töchter fleißig mit, während sich unser Sohn um die Batteriebeleuchtung kümmerte. So nahm die anstehende Bescherung doch eine harmonische und positive Wendung, so dass das Werk des aufgestellten Weihnachtsbaums, der Geschenke im Wintergarten und der gekochten Hackfleischsoße am Heiligabend dann doch vollbracht war. Es war aber ein hartes Stück Arbeit mit einem Marathon des Aufräumens und Wegräumens, was wir allzu lang vor uns hergeschoben hatten.
25. Dezember 2019
Beim Frühstücken am Ersten Weihnachtsfeiertag hieß es: tief durchatmen. Die Anstrengung am Heiligabend war groß gewesen. Ein großer Kraftakt, den aufgetürmten Hausrat in Wohnzimmer und Wintergarten beiseite zu räumen, Ordnung und Übersichtlichkeit wieder herzustellen und unter dem Weihnachtsbaum uns gegenseitig zu beschenken. Dass wir im Wohnzimmer wieder dorthin treten und gehen konnten, wohin wir wollten, erschien nach Monaten der totalen Unordnung wie ein Wunder. Regungslos saß ich nunmehr am Frühstückstisch, ich suchte jede Bewegung zu vermeiden und bei einer heißen Tasse Kaffee wieder klaren Kopf zu bekommen. Die Veränderungen waren geradezu revolutionär, und wir waren erleichtert, in einer viel langsameren Taktung die beiden Weihnachtsfeiertage vor uns zu haben.
26. Dezember 2019
Solch ein Pech hatten wir am Weihnachtsfest noch nie gehabt, dass jemand aus unserer Familie über Weihnachten im Krankenhaus gelegen hatte. So wurde der Besuch beim Bruder mit seiner Familie zur Durchgangsstation, auf der wir einige Tassen Kaffee und Mineralwasser tranken. Bei der aufgetischten Kuchenauswahl von Coppenrath & Wiese war ich der einzige, der davon aß. Unser Sohn und Tochter studierten ihre Manga-Comics, während unsere große Tochter ihre sich auf dem Wohnzimmerboden ausbreitende Katze liebevoll streichelte. In der Atmosphäre der sterilen weißen Wände lief der Besuch im Krankenhaus dementsprechend unromantisch ab. Nüchtern nahmen wir die Fakten zur Kenntnis: mit einer Eisenplatte war der Bruch stabilisiert worden, mittlerweile war der selbstständige Gang zur Toilette wieder möglich, rund zehn bis vierzehn Tage würde der Krankenhausaufenthalt dauern, und nach der Entlassung sei eine REHA empfehlenswert. Die Wiedersehensfreude mit unserer Familie war stark gewöhnungsbedürftig. In den unpersönlichen Abläufen des Krankenhausbetriebs stockte die zwischenmenschliche Kommunikation, wenngleich sie noch am selben Tag ihr Bruder und ihre Schwester besucht hatten. Sie klagte über das Essen im Krankenhaus, und darüber hinaus ließ sie demütig die Ursachen ihres Krankenhausaufenthaltes über sich ergehen. Allzu lange dauerte unser Krankenhausbesuch nicht. Im Gegensatz zu unseren „normalen“ Besuchen kamen wir diesmal nicht über die Phase der gegenseitigen Tuchfühlung hinweg, der ansonsten ein herzlicheres und innigeres Wiedersehen folgte.
27. Dezember 2019
Besuch der Ausstellung „California Dreams“ in der Bundeskunsthalle. In chronologischer Reihenfolge und mit vielen anschaulichen Exponaten erzählt die Ausstellung von der Besiedlung der amerikanischen Pazifikküste, dem atemberaubenden Wachstum von San Franciscos durch den Gold Rush im 19. Jahrhundert bis zu den zeitgenössischen Bewegungen der 1968er-Flower-Power-Kultur oder des Silicon Valley. Das Bild, welches das Christentum im Namen der Kolonisierung abgegeben hat, ist in der Ausstellung nicht gerade rühmlich. Ab 1776, nachdem der Franziskaner-Pater Junipero Serra die Mission „San Francisco de Asis“ gegründet hatte, konnten die spanischen Kolonialherren an der amerikanischen Westküste Fuß fassen. Diese Mission, die im wesentlichen eine militärstrategische Bedeutung hatte, zeigt ein Gemälde, das die Malerin Oriana Weatherbee Day von 1877 bis 1884 gemalt hatte. Das geschäftige Treiben sieht nur auf den ersten Blick idyllisch aus. Die Missionare hatten es mit eingeborenen und indigenen Volksstämmen zu tun, die Indianern nicht unähnlich waren. Die Mission fungierte als eine Art von Umerziehungslager. Baracken waren der Missionsstation angegliedert, das Gelände war eingezäunt. Die indigenen Jäger, Sammler und Fischer wurden zu Gemeinschaften zusammengefasst und interniert. Missionare predigten das Christentum, und im Namen des Christentums war Zwangsarbeit auf den Feldern der Mission abzuleisten. Der Schein auf dem Gemälde trügt. Es war kein harmonisches Nebeneinander unterschiedlicher Kulturen, sondern eine Garnison von Soldaten befand sich in direkter Nachbarschaft. Fluchtversuche wurden drastisch bestraft. Diesen Wink gibt der Galgen, der einem beiläufigen Normalzustand angenommen hat, so dass Soldaten über solche Geschehnisse hinweg plaudern. 1833 endeten diese Institutionen der Unterdrückung, nachdem viele Missionen säkularisiert, also aufgelöst wurden. „California Dreams“, eine lohnenswerte Ausstellung, die noch bis 12. Januar 2020 zu besichtigen ist.
28. Dezember 2019
Im Umfeld all unserer Umbau- und Finanzierungsaktivitäten, mit all unserem Ärger mit dem Amtsgericht und dem Ergänzungsbetreuer, im Umfeld all unserer Aufräumaktivitäten, bei denen das Weihnachtsfest eine viel kurze Insel der Ruhe gewesen ist, in diesem Umfeld folgt nun die nächste größere Aktion. Umzug des Schwagers aus dem Behindertenwohnheim in das Gästezimmer unseres Hauses, bevor er nach Fertigstellung in das Haus des verstorbenen Schwiegervaters umziehen soll. Was in seinem Zimmer im Behindertenwohnheim steht, müssen wir nun in unser Haus transportieren. Wegen des Sessels, der lang und sperrig ist, hilft ein Freund. Wir fahren zurück zu uns nach Hause, beide Fahrzeuge vollbeladen mit dem Sessel, Kartons, Regalen und Koffern. Am nächsten Tag räume ich mit unserer Tochter den Kleiderschrank aus, der Unmassen an Anziehsachen enthält – darunter alleine 16 Jacken (!!!) und soviel Unterwäsche, die kein Mensch braucht. Es sind aber auch noch Puzzlespiele, Bücher oder Kartons mit Gläsern zu transportieren. Kurzum, soviel, dass wir in unserem Haus erneut überschwemmt werden mit Massen von Hausrat, was wir wiederum verstauen müssen oder auch zu einem kleineren Teil entsorgen werden. Glücklicherweise wird dieser Zustand nur vorübergehend andauern, es ist aber noch unbekannt, wie lange.
29. Dezember 2019
Wieso das Kölner Lebensgefühl Bodenständigkeit vermittelt. Arbeiter haben das Stadtleben geprägt, das zeigt sich in Ehrenfeld. In der Epoche der Industrialisierung schossen die Fabriken wie Pilze aus dem Boden, weit verzweigte Gleisanlagen von Eisenbahnen führten in Werkshallen hinein. Das Innenleben einer Glasfabrik in den alten Werkshallen zeigt zum Beispiel die Unterführung unter dem Bahnhof Köln-Ehrenfeld auf einer Fotografie. Daneben schwört der Musiker Rolly Brings auf sein Kölner Lebensgefühl: „IHREFELD, DU RUSSJEPUTZTE MADAMM, AHL MÄDCHE WAT ES AAN DIR NOR DRAAN ? DU RÜCHS NOH BIER UN AUSPUFF, NOH FRITTE UN KEBAB: IHREFELD, DU HÄS MI HERZ JESCHNAPP.“ Im Umfeld dieser morbiden, dunklen und aufgewühlten Bahnunterführung eine treffende Charakterisierung.
30. Dezember 2019
Die Wellen des Chaos schwellen in unserem Haus wieder an. Was der Schwager aus dem Behindertenwohnheim – insbesondere aus dem Kleiderschrank – mitgebracht hat, ist reichlich bis überreichlich. Es sind nicht nur die Jacken, die er in einer solchen Anzahl besitzt, dass er sie nie und nimmer tragen kann. Unter T-Shirts, Pullovern und Sweat-Shirts sind jede Menge dabei, die wir ihn nie haben tragen gesehen. Seine Antwort auf unsere Frage, wo und mit wem er sie gekauft habe, war: mit den Betreuern und im Urlaub. Der Kauf von Bekleidung ist anscheinend sehr unkoordiniert abgelaufen. Es scheint niemals aussortiert worden zu sein, welche Bekleidung verschlissen ist oder nicht mehr passt. Obschon jede Menge tragbare Bekleidung vorhanden war, ist einfach dazugekauft worden, und dies in einer viel zu großen Menge. Dazu hatte auch der Schwiegervater beigetragen, der fleißig über das Internet Anziehsachen bei Walbusch bestellt hatte. Kein Hemd war gebügelt, nichts war ordentlich gefaltet, obschon der Schwager geäußert hatte, dass man mit ihm gebügelt hätte. Beim Sichten der Unterwäsche fuhr der Schrecken in unsere Glieder, als wir vollkommen verdreckte Unterhosen mit gewissen braunen Streifen entdeckten. Das Chaos türmte sich zwar wieder auf, die Situation war aber im Vergleich zum verstorbenen Schwiegervater anders. Die meisten Anziehsachen konnten wir in Kleiderschränke verstauen, der übrige Hausrat war bereits in Umzugskisten verstaut oder würde noch verstaut werden. Irgendwann würde all dies in das umgebaute Haus transportiert werden. Wir mussten uns nicht dauerhaft den Kopf darüber zerbrechen, den Hausrat einer sinnvollen Verwendung zuzuführen. Das verlieh der Sache dann doch wieder eine Perspektive.
31. Dezember 2019
Am letzten Tag des Jahres hieß es Abschied zu nehmen vom Behindertenwohnheim. Das Ausräumen des Zimmers lief mehr nach einer Routine ab, die letzten Wolldecken, Biergläser, Handtücher in unser Auto zu verstauen. Ein Freund half uns, den bis zum letzten Moment benötigten Fernseher mit dem dazugehörigen Schrank mitzunehmen. Unsere eigenen Assoziationen mit dem Behindertenwohnheim waren nicht unbedingt positiv, der Abgang hätte schöner ausfallen können, als die Leiterin es ablehnte, uns Bewohner für das betreute Wohnen im umzubauenden Haus des Schwiegervaters zur Verfügung zu stellen. Alles in allem, ein bürokratischer Apparat, bei denen sich die Behinderten in ihre Abläufe fügen mussten, was nicht immer dem Wohl der Behinderten dient. Wir waren froh, diesen unseligen Ort zu verlassen. Das Treppenhaus hinab schreitend, betrachtete ich dennoch die positive Energie der Händeabdrücke, die belegten, was die Hände von Behinderten alles zu schaffen vermöchten.

Tagebuch Januar 2020

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1. Januar 2020
Jahr für Jahr hatte ich mich darin geübt, positiv in das neue Jahr hinein zu gehen. Voller Erwartungen hatte ich dem neuen Jahr entgegen gesehen. Ich hatte an die schönen Dinge gedacht, die wir im neuen Jahr erleben würden. Ich hatte diese Vision von Glück, Gesundheit, ganz viel Harmonie und was man sich sonst für das neue Jahr wünscht. Doch in diesem Jahr musste ich mich selbst dabei ertappen, dass der Pessimismus überwog. Das war weniger das private Umfeld, sondern die weltpolitische Lage. Glück und Gesundheit würden irgend wie eintreten, das Umbauvorhaben würde irgend wann den Gang seiner Dinge nehmen. Was mich zum Jahreswechsel prägte, waren allzu viele Interviews mit und Vorträge von Herfried Münkler, einem brillanten Politologen, der im Dunstkreis von Angela Merkel als Berater fungierte. Er redete vom Zerfall der Weltordnung, vom Ende des amerikanischen Zeitalters, vom Frieden innerhalb Europas, während die südöstliche Peripherie Europas die wahren Krisen- und Kriegsgebiete umfassten. Feinstaubdiskussion hin, Feinstaubdiskussion her, kurz nach Mitternacht trat ich nach draußen und schaute auf all die Böllerei, die mich in der Schönheit ihrer Energiepotenziale faszinierte. Bei uns war es das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass wir keinerlei Silvesterraketen gekauft hatten. Nicht wegen der Feinstaubdiskussion, sondern weil wir so viel zu bewältigen hatten, dass das Silvesterfeuerwerk in seiner Priorität beim Einkaufen ganz nach unten gerutscht war. Was nach Mitternacht draußen krachte und böllerte, jagte dann all den Pessimismus der weltpolitischen Lage hinweg, wie sehr islamische Terroristen die Welt aus ihren Angeln heben wollten. All die Krisenherde vom Nahen Osten bis hin zum Iran und Irak verpufften. Größenwahnsinnige wie Racip Tapip Erdogan gingen in dem Geböllere unter, die leisen russischen Anflüge einer Weltenherrschaft erstickten. Der größte Narr der Welt, Donald Trump, verzettelte sich in all seinen Twitter-Botschaften. Die NATO, die die Weltenkugel im Kreuzfeuer von Böllern und Raketen von oben betrachtete, hielt still. Still und schweigsam waren ohnehin die Europäer, die so lange wie nie in ihrer jüngeren Vergangenheit in Frieden lebten und ausgelassen, Feinstaubdiskussion hin, Feinstaubdiskussion her, die Silvesternacht feiern konnten.
2. Januar 2020
Die Kritiken waren schlecht, und Freunde hatten uns wegen der schlechten Kritiken in der Presse und in den digitalen Medien davon abgeraten, uns den neuen Star Wars-Film im Kino anzuschauen. Wir taten es dennoch. So fuhren wir am Neujahrsnachmittag mit Sohn, Tochter und Schwager ins Siegburger Kino und als der Kinobildschirm das Intro mit der allseits bekannten Star Wars-Melodie einspielte, stiegen alle früheren Episoden und alle Darsteller der Star Wars-Familie in das Bewusstsein wieder hoch. Was für grandiose Kulissen ! Wüstenlandschaften, Steppe oder der Dschungel mit den darin herum schwirrenden Raumschiffen zogen uns sofort in unseren Bann, der Kampf von Jedi-Rittern gegen die dunkle Seite der Macht konnte wieder beginnen. Und zu unserer eigenen Überraschung erschien Prinzessin Leia nach ihrem Tod wieder auf der Bildflächen. Sorgsam wurde in dieser Episode IX ihr Tod inszeniert – und damit begann der Aufstieg von Luke Skywalker und seine Ernennung zum General. Die schlechten Kritiken konnte ich in keinster Weise nachvollziehen, denn die Dramaturgie war neu, ungewöhnlich und überraschend im Kampf gegen die dunkle Seite der Macht, die allen voran Palpatine verkörperte. Dabei erschauderte ich, wie ein menschliches Genie es vollbringen konnte, einen Weltenzerstörer als Waffe zu bauen. Ein überdimensionaler Feuerstrahl wurde auf die Welt geschleudert, er sog sich in die Weltenkugel hinein, bis sie ein einziger Feuerball war und in sich verglühte. Ein Horrorszenario, das ganz viele Kämpfer aus dem ganzen Universum mobilisierte. Die Konstellation, um Palpatine in einer Gemeinschaftsaktion zu vernichten, beeindruckte mich. Gut und Böse musste sich miteinander vereinigen, was im Endeffekt nicht gelang, aber der Versuch der Vereinigung eliminierte dann doch den Bösewicht und den die Weltzerstörung planenden Palpatine. Der neu ernannte General Skywalker hatte eine Strategie, die aufgegangen war. Der Star Wars-Film „Der Aufstieg Skywalkers“ überzeugte mich, weil die Machart und die Story genauso spannend war wie die vorherigen Star Wars-Filme.
3. Januar 2020
„Gruss aus Köln-Ehrenfeld“: die Malerei auf dem Bahndamm in Köln-Ehrenfeld mutet nostalgisch an, die Nachbildung einer auf die Wand gemalte Postkarte, die das alte Aussehen vor in der Zwischenkriegszeit heraus kehrt. Eine authentische Kombination von Alt und Neu: Fabriken aus Ziegelsteinen, von denen manche abgerissen sind, sind im Nachgang geprägt von Verkehr und Mobilität. Die Bebauung ist dicht in Innenstadtnähe, der Verkehr ist dicht und versucht sich zu entzerren über die Straßenbahn, Eisenbahn und öffentliche Verkehrsmittel. Ehrenfeld ist keinesfalls identitätslos, weil sich so manche alte Industriestrukturen erhalten haben. Ehrenfeld ist ein ständiges aufgewühltes multikulturelles Etwas, das so vieles miteinander vereinigt. Der Autoverkehr fließt, die Vergangenheit bewahrt sich. Ein Schmelztiegel vieler multikultureller Identitäten.
4. Januar 2020
Schaut man auf die Vorfahren der Kölner zurück, dann stößt man früher oder später – zwangsläufig und unvermeidlich – auf die Römer. Die Hauptstadt Niedergermaniens, Claudia Colonia Ara Agrippenensum, kurz CCAA genannt, besaß ihren Hafen am Rhein im heutigen Martinsviertel, das erst rund ein Jahrtausend später aufgeschüttet wurde. Zur Römerzeit war dem Hafen, der in einem Nebenarm des Rheins beheimatet war, eine Insel vorgelagert. Auf dieser Insel standen römische Lagerhäuser, und da genauso wie heute Diebe sich zu bereichern suchten, bewachten römische Soldaten die Lagerhäuser. Dies belegen Ausgrabungen von Archäologen, und genauso belegen römische Geschichtsschreiber wie Tacitus, dass die germanischen Volksstämme diesseits und jenseits des Rheins gerne eine blonde Haarpracht voller Locken trugen. So musste es eine logische Konsequenz der Geschichte sein, dass schwarz gelockte, gut aussehende römische Legionäre, die die Lagerhäuser bewachten, von blond gelockten Mädchen der germanischen Ubiern umschwärmt wurden. Dabei kam es zu dem, was man in Köln ein „Fisternöllsche“ nennt, also ein intimes Stelldichein. Diesen strammen Jungen oder dieses stramme Mädchen, welches bei dem Stelldichein heraus kam, haben Völkerkundler für sich entdeckt und ihm ein Denkmal gesetzt. Deren intensiven Recherchen zur Entstehung des Stammbaums der Kölner Ur-Ahnen haben ergeben, dass mit dieser Geburt der Stammbaum der Familie Schmitz in der römischen Kolonie CCAA begründet wurde. Beweise hierfür haben Grabungen unterhalb von Groß Sankt Martin geliefert, wo Archäologen Mauerreste von römischen Lagerhäusern gefunden haben. Da bewiesen ist, dass das Kölner Adelsgeschlecht „Schmitz“ von den Römern abstammt, hat man dieser Dynastie als festem Bestandteil der Kölner Stadtgeschichte ein stolz in die Höhe ragendes Denkmal gestiftet. Die Schmitz-Säule im Martinsviertel der Kölner Altstadt mißt 4,50 Meter, und im Beisammensein mit anderen Kölner Ur-Originalen stehen die Figuren von Tünnes un Schääl in direkter Nachbarschaft. Im Jahr der Errichtung, 1969, hatte an genau demselben Tag Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betreten, das steht auf dem Sockel der Säule. Angeblich sollen auch in paar römische Steine der Lagergebäude in der Säule verbaut worden sein.
5. Januar 2020
Nein, sie wollten uns nicht hinein lassen. Der botanische Garten war in der tiefsten Winterszeit Sonntags Nachmittags geschlossen. Vom verschlossenen Nebeneingang an der Clemens-Augst-Straße hatte zunächst der geknickte Pfeil auf einem Hinweisschild auf den geöffneten Haupteingang am Zugang des Poppelsdorfer Schlosses verwiesen. Doch dieser Haupteingang am Ende der Poppelsdorfer Allee, der durch einen flachen Anbau mit einem Café hindurch führte, endete dann ebenso urplötzlich. Der Zugang zu dem Café war zwar geöffnet, aber nicht der Durchgang zum botanischen Garten. Mitten in der Winterszeit hatten wir ohnehin nichts Spektakuläres im botanischen Garten erwartet. Wenige blühende Wintersträucher, dann noch das Gewächshaus, die übrige Vegetation hätte sowieso im Winterschlaf vor sich her vegetiert. Ersatzweise wurde meine Neugierde durch das mineralogische Museum im Poppelsdorfer Schloss geweckt. Das Museum war klein, übersichtlich und überaus sehenswert. Gesteinsformen jeglicher Art waren dort zu sehen, wundervolle Kristalle, Edelsteine und Silikate, Gesteinsformen von Vulkanismus in Eifel und Siebengebirge, Erze jeglicher Art, ein Berg von Golderzen, aus denen am Ende 3 Gramm Gold gewonnen wurde. Die Vitrinen zählten auf, bei welchen seltenen Erden, die in selbstverständlichen Produkten wie Handys oder Katalysatoren enthalten waren, das Missverhältnis ähnlich frappierend war. Ich stutzte, als ich die Werte von Diamanten zusammenzählte, die zu D-Mark-Zeiten in sechsstelligen Beträgen gezahlt worden waren. Gewonnen wurden Diamanten wie so viele andere Metalle aus Erzen, wovon der größte in Südafrika geförderte Diamant ausgestellt war. Diesen Rohdiamanten hatte das englische Königshaus aufgekauft und daraus Diamanten für die britische Königskrone anfertigen lassen. Nicht die Königskrone, aber sieben Nachbildungen von Diamanten, die Teil der Krone geworden waren, konnten wir im mineralogischen Museum bestaunen.
6. Januar 2020
Nach dem Besuch des mineralogischen Museums suchten wir auf der Clemens-August-Straße in Poppelsdorf nach einem Café und wir wurden auch fündig. In direkter Nachbarschaft, nannte sich das Café stolz "Schloss-Café". Dem Sonntag-nachmittäglichen Bedürfnis nach einem Kaffee und einem leckeren Stück Kuchen entsprechend, war das Café sehr gut besucht, so dass wir nur mit Mühe zwei Plätze für uns fanden. Die Gespräche am Nachbartisch befassten sich mit der bedrohlichen weltpolitischen Lage. Der Tenor klang so, als seien die Schüsse auf den habsburgischen Thronfolger in Sarajewo gefallen und als wollten alle diesen einen Krieg. Einmal hinein stechen in das große Pulverfass im Nahen Osten, der große Krieg zwischen den Nationen, der alle Feindseligkeiten bereinigen würde, und solle wieder Frieden herrschen. Alle würden von dem großen Krieg profitieren, so der Konsens. Die Türken sollten die Kurden liquidieren, Syrien solle zur Hegemonialmacht werden, Russland solle seine Satellitenstaaten stützen. Der Iran solle mit seinen Raketen Israel angreifen. Der IS solle wiedererstarken und den Irak besetzen. Ein großes Gemetzel zwischen den Staaten, und Israel solle auf dasjenige Staatsgebiet zurecht gestutzt werden, was die arabischen Staaten nicht erobern würden. Staaten wie der Irak lebten seit nunmehr rund dreißig Jahren im Dauerkrieg – und dies solle ruhig so bleiben. Nur ein großer Krieg, wie etwa der Dreißigjährige Krieg in Europa, könne diesen Dauerzustand des Krieges beenden.
7. Januar 2020
Zu Beginn des Jahres, nachdem der Vormonat im letzten Jahr ein Monat voller Ereignisse war, legen nun die handelnden Ansprechpartner mit allerlei Papierkram los. Unser Ergänzungsbetreuer hat sich gemeldet, was den Stand der Dinge zur Erbauseinandersetzung betrifft. Parallel dazu hatten wir im Dezember einen Termin mit unserem Rechtsanwalt, dem wir ein Nachlassverzeichnis zukommen lassen wollten. Außerdem können wir der Sparda-Bank den Antrag auf das Hypothekendarlehen mit jede Masse Papier und Anlagen zukommen lassen. Dabei haben wir uns allerdings selbst das Leben schwer gemacht. Die Postbank hatte nämlich meine Frau angerufen, ob wir Beratungsbedarf hätten. Meine Frau hatte zugesagt und prompt einen Beratungstermin erhalten, um sich gezielt für ein Hypothekendarlehen als Alternativangebot beraten zu lassen. Es war so, wie es oft bei Banken ist, dass nämlich die Informationen gezielt so gefiltert und ausgeblendet werden, wie die Bank sie gerade braucht. Mit den Zahlungsreihen über mehrere Jahrzehnte und der Komplexität der Materie ist irgendeine Lesart immer möglich, dass das Angebot der einen Bank günstiger ist als dasjenige der anderen Bank. Die Postbank hatte für sich beansprucht, dass ihr Zinssatz günstiger sei als derjenige der Sparda Bank, weil die Zinsen in der Zwischenzeit wieder leicht gestiegen seien. Somit sei das Angebot der Postbank das bessere. Diese Information besaßen wir nicht. Bei der Durchsicht des Angebotes der Postbank stellte sich die Sachlage allerdings anders dar. Wir entdeckten monatliche Gebühren von 150 Euro, wodurch die monatliche Belastung ziemlich genau um diesen Betrag höher lag als bei der Sparda Bank. Dabei mussten wir bei der Postbank allerdings drei Positionen der Finanzierung zusammenzählen, wovon zwei Positionen die KfW beisteuerte. Bei der Sparda Bank stand die Gesamtbelastung hingegen in einem Betrag. Verwirrend waren die Informationen zum Zinssatz. Der Darlehensantrag nannte einen Zinssatz von 1% für ein Vorausdarlehen, im Internet standen allerdings 0,9% für ein Hypothekendarlehen. Der Zinssatz der Postbank lag genau dazwischen, nämlich bei 0,95%. Aber egal, ob 0,05% Differenz beim Zinssatz, die monatlichen Belastungen veränderten sich hierdurch lediglich um 15 €. Demzufolge lag der Effektivzinssatz bei der Postbank deutlich schlechter, nämlich bei 1,96%, während er bei der Sparda Bank bei 1,5% lag. Rasch legte ich das Angebot, das meine Frau von ihrem Beratungstermin mitgebracht hatte, beiseite. Im Endeffekt empfand ich die Beratung als reine Zeitverschwendung.
8. Januar 2020
Wie bei bestimmten Dingen, waren wir auf dem letzten Drücker unterwegs. So gerade hatten wir die Kurve gekriegt, für unsere Tochter einen Praktikumsplatz zu arrangieren. Monatelang hatte die Suche gestockt, sie war hin- und herzirkuliert zwischen uns und unserer Tochter, ohne dass die Suche vorangekommen war, obschon sie wusste, wo sie ein Praktikum machen wollte. Genauer genommen, nannten sich die drei Tage Ende Januar Berufsfelderkundungstage mit dem Kürzel BFE, wofür im September eine Potenzialanalyse durchgeführt worden war. Diese kryptischen Buchstaben hatten wir nun mit Leben ausgefüllt, als die Nachfrage im Kindergarten, welches der Wunsch unserer Tochter war, vergeblich war. Erfahrungsgemäß war die Nachfrage nach Praktikumsplätzen dort groß, und wir waren effektiv zu spät. Danach hatten meine Frau mit unserer Tochter im Behindertenwohnheim nachgefragt – mit Erfolg. Einen Tag musste sie noch hospitieren – das passte genau zu dem Montag als letztem Ferientag. Den Tag darauf unterschrieb der Wohnheimleiter das Rückmeldeformular, das in der Realschule abzugeben war. An diesem Tag war bereits der Abgabetermin für das Rückmeldeformular, der so gerade noch eingehalten werden konnte. Ansonsten verfügte die Realschule über ein Kontingent an Praktikumsplätzen. Dabei wäre es allerdings fraglich gewesen, ob dieser Praktikumsplatz den Wünschen unserer Tochter entsprochen hätte.
9. Januar 2020
Ich hasse diese Form von Papierkrieg und Bürokratie, dass die eine Hand nicht weiß, was die andere macht. Bürokraten sind so verhaftet in ihrem Silodenken, dass sie über ihren Bereich nicht hinaus denken wollen und so engstirnig sind, dass sie in ihrer eigenen Tätigkeit gefangen sind. So hatten wir dem Landschaftsverband Ende November 2019 gemeldet, dass der Schwager zum Jahresende im Behindertenwohnheim auszieht und im neuen Jahr vorübergehend bei uns wohnt. Gestern hat uns nun ein Schreiben des Landschaftsverbandes mit Datum vom 4. Dezember 2019 erreicht, das mehr als einen Monat gebraucht hat, bis es zu uns gelangt ist, in dem wir darauf hingewiesen werden, Leistungen nach dem Bundesteilhabegesetz beim Sozialamt zu beantragen. Beantragen sollen wir Leistungen zur Grundsicherung, da das Behindertenwohnheim Pflegeleistungen erbringt, die mit dem Landschaftsverband abgerechnet werden. Anscheinend ist die Information, dass wir den Wohnheimplatz des Schwagers gekündigt haben, innerhalb des Landschaftsverbandes nicht weiter kommuniziert worden, so dass die Urheber des Schreibens keine Kenntnis davon erlangt haben. Wir haben nunmehr unser Schreiben von Ende November kopiert und nochmals dem Landschaftsverband zukommen lassen. Zur Entschuldigung müssen wir allerdings auch anmerken, dass die Umstellungen nach dem Bundesteilhabegesetz zum 1. Januar 2020 gravierend sind, so dass die mit Abrechnungen und Verrechnungen befassten Kollegen beim Landschaftsverband jede Masse zu tun haben. Nicht viel anders laufen die Dinge im Behindertenwohnheim. Trotz der Kündigung zum Jahresende 2019 erhalten wir fleißig Unterlagen, die den Wohnheimplatz des Schwagers betreffen. So das dicke Paket eines Mietvertrags, der seine Gültigkeit im neuen Jahr hat. Im Behindertenwohnheim scheint man also auch nicht miteinander zu reden …
10. Januar 2020
Die alternde Gestalt eines John Cale, der auf einem Plakat vermittelt, dass der Alterungsprozess nicht mehr aufzuhalten ist. Die Umgebung der Plakatflächen ist genauso aufgekratzt wie die Musik von John Cale: manche Stücke sind mehr Klangsequenzen als Musik, keine wirkliche Melodie, ungewöhnliche Klangexperimente, bei denen sich Klangwelten aneinander reiben und Dissonanzen erzeugen. Auf unansehnlichen und aufgekratzten Bussteigen warten die Fahrgäste, auf Bussteigen, die nicht gerade ein Aushängeschild des öffentlichen Personennahverkehrs sind. Über Lionel Riche, der ebenso in die Jahre gekommen ist, aber noch mit jugendlich frischen Gesichtszügen, wirkt John Cale wie ein steinernes Denkmal, ergraut, erstarrt, unumstößlich. Ich zolle ihm seine Hochachtung, dass er mit seinen 77 Jahren noch auf Tournee geht. Ob sein Name groß ist, habe ich mich nie mit seiner Musik befasst, dessen unkonventionelle Klangwelten ein paar gute Stücke hervor gebracht haben, während der größte Teil seines Werkes dem Stil gängiger Musikrichtungen widerspricht. Nichts kann ihn dann auch in seinem Umfeld aufwerten, dazu sind die Rückwände der barackenähnlichen Gebäude an den Bussteigen zu schmuddelig. Nackter Beton zeigt sein häßliches Gesicht, die Kritzeleien an den Wänden sind ohne Sinnzusammenhänge, die Ankündigung eines altehrwürdigen Musikers auf Plakaten hätte besseres verdient.
11. Januar 2020
Der Freitag Abend hatte bis tief in die Nacht gedauert, denn mein Schwager war anstelle meiner Frau in die Karnevalssitzung in unserem Ort gegangen. Voller Begeisterung, wegen der fetzigen Büttenreden, der deftigen Witze, der schönen Gesangsvorstellungen und mitreißender Tänze, holte ich ihn ab, und das war weit nach Mitternacht gegen 1 Uhr. Da ich mir im Anschluss noch eine Flasche Wein genehmigte, schlief ich mitten in der Nacht auf der Couch in unserem Wohnzimmer ein und tat mich am darauf folgenden Morgen dementsprechend schwer mit dem Aufstehen. Erst gegen zehn Uhr frühstückten wir, so dass sich all unsere Tätigkeiten, Besorgungen, Erledigungen weit nach hinten schoben. Erst um die Mittagszeit fuhren wir wegen unserer Wocheneinkäufe nach real, wobei Tochter und Schwager mitkommen wollten. So kauften wir nicht nur ein, sondern wir aßen auch bei unserem bewährten vietnamesischen Imbiss, wo es uns stets sehr lecker schmeckte. Bei unseren Wocheneinkäufen hatten sich die Interessen unserer Tochter inzwischen dergestalt verschoben, dass sie in der Meyerschen Buchhandlung nach Mangas schauen wollte. Dass sie längere Zeit zwischen der großen Comic-Auswahl herum stöberte, war für mich sehr angenehm, da ich gleichsam gerne in der Bücherauswahl herum stöberte, mir Bücher aus den Regale heraus nahm, darin herum las und einen gewissen Überblick studierte, was für eine Bücherauswahl es für die mich interessierenden zeitgeschichtlichen Themen gab. Unser Abstecher in die Meyersche Buchhandlung hätte noch einiges länger dauern können, doch wir mussten wieder nach Hause zurück, um uns dort um unser Haus und unseren Haushalt zu kümmern.
12. Januar 2020
Wie sehr sich die Problematiken doch ähnelten, wenngleich bei uns die Masse an Hausrat, die wir unterzubringen hatten, ungleich größer sein dürfte. Mein Bruder war mit seiner Familie raus der Wohnung und umgezogen zu unserer Mutter, die sich mit ihrem Krankenbett wiederum eingerichtet hatte im Wohnzimmer. Vieles war in der Garage und auch im Keller verstaut worden, so dass im Wohnzimmer, Erdgeschoss, Küche und Flur alles tip-top und bestens und ordentlich aussah. Wir waren zum Geburtstag meiner Mutter, die letzten Donnerstag aus dem Krankenhaus entlassen worden war und davor, am Dienstag, ihren 84. Geburtstag gehabt hatte. Mein Bruder beschrieb den in verschiedenen Ecken verstauten Hausrat aus seiner Sicht. Jede Menge stand in der Garage herum, so dass kein Auto dort mehr Platz fand. Wobei aber umgekehrt das eine mit den anderen nichts zu tun hatte. Sein Auto musste ohnehin vor der Garage stehen, weil es sich um einen SUV handelte. Der SUV war so breit, dass die Breite des Garagentors nicht mehr darauf ausgelegt war. Mein Bruder hatte den Dachboden inspiziert und alte Bücher, Spiegel-Zeitschriften und Vinyl-Schallplatten entdeckt, die mir gehörten. Im alten Werkzeugkeller unseres verstorbenen Vaters war das Chaos riesig, was unser Vater angesammelt hatte. Mein Bruder meinte, dass es ihm schwerfalle nachzuhalten, den Hausrat weiter wiederzuverwerten, wenn er einmal im Haus stünde, was wir aus eigener Erfahrung kannten. Meine Frau meinte im nachhinein, dass mein Bruder kreidebleich aussah. Das mochte daran liegen, dass er - genauso wie wir – ebenso stark gestresst war. Im Haus waren ebenso die Handwerker tätig. Parkettboden war neu verlegt worden, das Badezimmer im Obergeschoss wurde komplett neu gemacht. Es war genauso wie im Haus des verstorbenen Schwiegervaters, dass der Boden sehr tief ausgestemmt wurde, da viele Leitungen im Boden lagen. Wir redeten über die Handwerker in unserem Hause, wobei wir festhielten, dass die Elektroinstallation neu gemacht worden war inklusive einer neuen Verteilung. Als wir über die Vinyl-Schallplatten auf dem Dachboden redeten, blieb es nicht aus, dass wir auf unsere musikalischen Vorlieben zu sprechen kamen. Das Saxon-Konzert in Düsseldorf war wegen Krankheit des Sängers verschoben worden. Iron Maiden spielte in diesem Jahr bei einem Open-Air-Konzert im Rhein-Energie-Stadion, doch da wollte mein Bruder nicht hin, weil man wegen der weiten Entfernung zur Bühne viel zu wenig sieht. Ich erzählte über das Ben Zucker-Konzert in der Kölner Lanxess-Arena, wo ich mit meinem Schwager genau die gegenteilige Erfahrung gemacht hatte. Die schlechten Plätze mit einer schlechten Sicht waren gesperrt, anstatt dessen bekamen wir super-schöne Plätze in der zwanzigsten oder dreißigsten Reihe direkt vor der Bühne. Wir stellten fest, dass unsere eigenen Kinder ihre eigenen Vorlieben für ihre Lieblingsmusik hatten. Bruder, Schwägerin und dessen Tochter waren auf dem Konzert von Mark Forster gewesen, darüber hinaus war das, was sie gerne hörte, vollkommen entrückt von unseren Musikgeschmäckern. Es fiel der Name „Billy Eilish“, woraufhin unsere Tochter aufhorchte und nickte. Diesen Namen, den ich bereits im Autoradio in EinsLive gehört hatte, hatte ich mir merken können, weil er ganz ähnlich klang wie „Billy Idol“, der mir bestens ein Begriff war. Unsere Nichte wäre gerne in ein Billy Eilish-Konzert gegangen, doch dies war völlig indiskutabel. Eine Karte kostete mehr als 200 Euro. Nach rund zwei Stunden Aufenthalt verließen wir meinen Bruder und meine Mutter samt familiären Anhang. Meine Mutter würde ihre Physiotherapie-Stunden erhalten, nachdem das Krankenhaus eine REHA abgelehnt hatte. Zum Krankenhaus merkte mein Bruder noch an, dass er fast nur ausländische Arzte angetroffen habe. Eine absurde Situation, wenn Ärztenachwuchs in Deutschland über den sehr strengen Numerus Clausus knapp gehalten würde. Zunächst froh und dann ernüchtert war mein Bruder, als ein Arzt namens Esser ihm als Ansprechpartner genannt worden war. Er hatte allerdings nicht genau hingehört, denn der Arzt hieß nicht „Esser“, sondern „Esra“ und stammte aus irgendeinem anderen Teil unserer Erde wie so viele andere Ärzte. Nach Hause zurück gekommen, schoben wir abends all den Papierkram von uns, den wir in großem Umfang abzuarbeiten hatten. Die Zeit drängte, den unterschriebenen Darlehensvertrag an die Sparda Bank zu schicken. Unserem eigenen Rechtsanwalt hatten wir ein paar Tage vorher wegen des Notarvertrages zur Erbauseinandersetzung angeschrieben, außerdem hatten wir Erbschaftssteuerkontrollmitteilungen bei der Raiffeisenbank nochmals angefordert. Des weiteren war ein längeres Schreiben in der Mache, in dem wir uns über die unzureichende Pflege und Betreuung des Schwagers im Behindertenwohnheim beschweren wollten.
13. Januar 2020
Es war die Rückkehr von einer unerwarteten Stippvisite in Freiburg. Dabei war etwas schief gelaufen bei der Abschlussfeier unserer Tochter, als sie in der Freiburger Universität ihr Abschlusszeugnis überreicht bekam. Zu dieser Abschlussfeier wollte sie ihren Freund mitnehmen, während sie uns darüber nur am Rande erzählt hatte. Es war etwas schief gelaufen, weil der Schichtdienst ihres Freundes so fiel, dass er nicht dabei sein konnte, und ein Tausch seiner Schicht war nicht möglich. Zuerst fragte unsere Tochter uns, ob wir für die Abschlussfeier am Freitag um 16 Uhr dabei sein wollten, dabei signalisierte unser Sohn Interesse. So bekamen wir am Donnerstag spontan organisiert, dass unser Sohn über das Mitfahrportal BlaBla am Freitag eine Mitfahrgelegenheit nach Freiburg hatte. So nahm er an der Abschlussfeier in Freiburg teil, und am Wochenende schaute er sich gemeinsam mit unserer Tochter Freiburg an. Am Montag ging es dann mit dem Eurocity zurück von Freiburg nach Bonn. Um 18.44 Uhr fuhr der Zug pünktlich am Bonner Hauptbahnhof ein.
14. Januar 2020
Als ich die Tafel in der Teeküche unseres Großraumbüros näher betrachtete, war ich sogleich entsetzt, als ich den allerersten Kasten las. „Ohne mein Smartphone kann ich nicht arbeiten“, diese Aussage traf ganz und gar nicht auf mich zu. Smartphones sind zwar wahre Wunderwerke der Technik. Außer zum Telefonieren oder zum Schreiben von SMSn nutze ich sie gelegentlich, um ins Internet zu gelangen. Genial sind Smartphones, um Youtube-Videos entweder auf dem Fernseher zu schauen oder, wenn ich Musik über Youtube höre, diese über den Kopfhörer zu hören. Ansonsten muss ich mich mit meinem Smartphone zurechtfinden, dass all die Funktionalitäten so wollen, wie ich es will. Der Einfachheit halb behaupte ich, dass ich gerade 10% des technischen Schnickschnacks meines Smartphone benutze. Der Rest ist mir fremd, zu umständlich, um mich damit zurecht zu finden. Oder ich bin in meinem Alter schlichtweg zu dumm dazu. Den ganzen Büroalltag über mein Smartphone abzuwickeln, das liegt daher außerhalb meines Vorstellungsvermögens. Nur mit dem Smartphone arbeiten ? Ohne Laptop ? Alles unterwegs ? Von überall aus ? Unterwegs ja, flexibel ja, aber ohne Smartphone bitte. Was ich an Apps habe, geht gegen Null. Mit den Jahren bin ich skeptisch gegenüber der Technik geworden. Ein bißchen analog muss sein. Es kann nicht sein, dass man alles über Bord wirft und mit seinem ganzen menschlichen Wesen auf eine andere technische Plattform überschwenkt.
15. Januar 2020
Wie wahr doch dieser Spruch ist. Entschleunigen, den Stecker ziehen oder die Seele baumeln lassen, so würde ich es formulieren. Einfach offline gehen, dazu fordert das Schild vor dem Kreuzgang der Münsterkirche auf. Der mittelalterliche Kreuzgang als Ruhepunkt in unserem viel zu schnelllebigen, ruhelosen und viel zu geschäftigen Alltag. Gezielt setze ich im Büroalltag solche Ruhepunkte, um vom entfremdeten Charakter der Arbeit mit all seiner Umtriebigkeit wieder zurück zu mir selber zu finden. Es muss nicht der Kreuzgang sein, oft sind es Cafés, wo bei einer Tasse Kaffee die anders geartete Umgebung lockert und entspannt. Die Gedanken lernen, von Themen loszulassen und sich frei zu entwickeln. Geist und Verstand sammeln sich, schöpfen neue Kraft und sind bereit, wieder eingeschaltet zu werden. Bereit für neue Taten. Aus Offline wird dann wieder Online.
16. Januar 2020
Berge von Post aus dem Briefkasten hatten sich heute auf unserem Tisch in der Essecke angesammelt. Das meiste waren Kontoauszüge von der Bank, es war aber auch ein wegweisendes Dokument dabei, dass sogleich als Postzustellungsauftrag im Briefkasten gelandet war. Die Post war von Landschaftsverband, der eine (relativ gesehen niedrige) Summe einforderte für die Unterbringung des Schwagers im Behindertenwohnheim bis zum Jahresende. Heftig stieß uns allerdings auf, dass er im Notarvertrag über die Erbauseinandersetzung eine Pfändungserklärung im Grundbuch hinterlegt haben wollte. Entscheidende Dinge hatten sich ebenso außerhalb des Posteingangs getan. Die Bank hatte die Erbschaftssteuerkontrollmitteilung ausgehändigt, die wir für die Erbauseinandersetzung benötigten, bei den weiteren Banken sollten diese obsolet sein, da der Gesetzgeber diese nur ab Beträgen oberhalb 5.000 Euro als erforderlich betrachtet. Dann hatte meine Frau einen Anruf mit der Sparda Bank wegen des Hypothekendarlehens geführt. In der nächsten Woche werden die Hypothekenzinsen ansteigen, und wenn wir die Anträge noch in dieser Woche unterschreiben, werden die niedrigeren Zinssätze zugrunde gelegt. Es kommt Bewegung in die Sache. Am späten Nachmittag hatte meine Frau einen Anruf von der Lebenshilfe erhalten, die sie auf eine potenzielle Vermietung des Hauses des verstorbenen Schwiegervaters angesprochen hatte. Mit der Dame von der Lebenshilfe hatte sie einen Termin für eine Hausbesichtigung gemacht. Der nächste Knackpunkt dürfte sein, die Zustimmung des Ergänzungsbetreuers für den Notarvertrag in der Form, wie wir ihn wünschen, zu erlangen.
17. Januar 2020
Was für ein Kraftakt. Das Zahlenwerk in einem stinknormalen Bescheid unserer Stadtverwaltung zu ändern, gleicht einem Versuch, einen Öltanker um 180 Grad zu wenden und eine andere Richtung zu geben. Ein Koloss muss bewegt werden, der schwerfällige Staatsapparat muss in die gewünschte Richtung gebracht werden, das komplexe Räderwerk der Gesetzgebung muss in Gang gesetzt werden. So wie bei vielen anderen Dienstleistungen der Stadtverwaltung, werden die Dinge von höchster Ebene geregelt. Kaum etwas hat sie selbst zu entscheiden, wenn sie lediglich ausführendes Organ der Belange des Staates ist, der die Dinge bis in allen Kleinkram hinein vorschreibt. Der Bürgerwille hatte sich geregt, als die ungerechte Besteuerung bei der Grundsteuer vor dem Bundesverfassungsgericht eingeklagt wurde. Die Einheitswerte der Immobilien waren von Anno-dazumal, mithin veraltet, wodurch die Bewertungsgrundlagen komplett schief lagen. Der Bürger wollte Gerechtigkeit, was das Bundesverfassungsgericht bestätigte. Die Maschinerie der Gesetzgebung muss nun in Gang gesetzt werden, da der Gesetzgeber das Gesetz zur Erhebung der Grundsteuer ändern muss. Alleine dies ist bereits eine Wahnsinns-Prozedur. Der zuständige Ausschuss muss einen geänderten Gesetzesvorschlag erarbeiten, und dem geänderten Gesetzeswerk müssen Bundestag und Bundesrat zustimmen. Dafür benötigt das neue Gesetz Mehrheiten. Um die Handlungsfähigkeit der Kommunen sicherzustellen, tut sich die Demokratie mit dieser Schwerfälligkeit keinen Gefallen. Es kommt aber noch dicker. Die Grundsteuer soll ausgeweitet werden auf baureife Grundstücke. Dieser Tatbestand ist neu und greift in die Eigentumsrechte des Grundgesetzes ein. Dazu musste mit einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages das Grundgesetz geändert werden. Dies ist nun geschehen, und der kompletten Neuregelung der Grundsteuer steht nun nichts mehr im Wege. Als wir den Grundsteuerbescheid für dieses Jahr erhielten, hatten wir mit allen möglichen Szenarien gerechnet, vor allem mit einer Erhöhung der Grundsteuer. Aber nichts von alledem. Der Steuerbetrag der Grundsteuer hatte sich nicht geändert, weil der Gesetzgeber vor der Komplexität der Materie kapituliert hatte. Sämtliche Immobilien in unserer Republik neu zu bewerten und darüber hinaus baureife Grundstücke zu erfassen, das wird eine wahre Herkules-Aufgabe sein, womit sich ganz viele Beschäftigte in Ministerien und anderswo befassen werden. Wahrscheinlich werden dadurch auch große Scharen von Beratern reich werden. Ein in sich erstarrtes System muss aufgerissen werden und sich flexibel, an den Marktpreisen, orientieren. Da klingt es logisch, dass der Gesetzgeber eine Frist in sein Gesetz eingebaut hat. In diesem Jahr tut sich nichts, so dass alles beim alten bleibt. Erst 2022 soll diese Herkules-Aufgabe gestemmt worden sein und Bescheide der Grundsteuer ergehen, in die realistische Marktpreise für Immobilien und keine veralteten Mondpreise einfließen.
18. Januar 2020
In etwas mehr als 14 Tagen hatte sich Besuch angekündigt, der in keinem totalen Chaos statt finden sollte. Einmal jährlich führt die Krankenkasse Pflegeberatungen durch, was in unserem Fall das Pflegegeld für den Schwager betrifft. Jemand von der Krankenkasse wird uns dann zu Hause aufsuchen und ein solches Gespräch durchführen. So war denn ein großer Hausputz angesagt, so dass wir uns bemühten, alle Ecken wieder fein sauber zu bekommen. Stockwerk für Stockwerk und Zimmer für Zimmer beackerten wir, und mit dem Wischaufsatz für den Vorwerk-Staubsauger, womit ich überhaupt nicht klarkomme, bearbeitete meine Frau die Böden. Ich kümmerte mich derweil um die Badezimmer und suchte alles so sauber zu wischen, dass die Bäder wieder in einem vorzeigbaren Zustand waren.
19. Januar 2020
Was wir uns ansehen wollten, war gar nicht zu sehen, weil ich auf eine weitere Recherche verzichtet hatte. Mein Schwager hatte von der Lindenstraße im Haus der Geschichte gesprochen, und so waren wir Sonntags Nachmittags auf und davon in das Haus der Geschichte. Die Lindenstraße war dort nur zu sehen in der Dauerausstellung in Form von kurz eingeblendeten Szenen beliebter Fernsehserien, die Mitte der 1970er Jahre begannen. Das Flashlight verflog unversehens, während der Schwager sich erdrückt fühlte von all den Exponaten und Dokumenten der deutschen Nachkriegsgeschichte, so dass er nichts damit anzufangen wusste. Bevor wir Kaffee und Kuchen im Museumscafé verspeisten, schleppte ich ihn noch mit in die Sonderausstellung „very british“. Im Schnelldurchlauf bugsierten wir uns durch die interessante Ausstellung, an dessen Ende ich dann doch inne hielt. Zunächst ging es um die Beatles, und dann um die Rolling Stones. Nicht alle Stücke der Rolling Stones vermochten mich zu begeistern, aber eine größere Auswahl. Begeistern konnte mich ebenso die ausgestellte Gitarre, die wohl nicht von den Stones stammte, aber von ihnen signiert war. Für ein Open-Air-Konzert hatten sie einen Piloten engagiert, der Filmaufnahmen aus der Luft machte. Anstelle eines Honorars hatten die Stones vorgeschlagen, ihm eine Gitarre zu signieren, was der Pilot dankend angenommen hatte.
20. Januar 2020
Unversehens und unverhofft waren wir in der LVR-Landesklinik am Kaiser-Karl-Ring gelandet. Die Größe des Geländes war nicht ganz so groß wie an der Uni-Klinik, aber groß genug, dass ich mich zu Fuß verlaufen konnte. Genau den Bach entlang musste ich spazieren, zum Haus 12, mit Blick auf Rasen des Fußballstadions des Bonner SC, wo mich der Rest der Familie erwartete. Geschlagene drei Stunden mussten wir auf die Ärztin warten, was den Rahmen jeglichen Zeitmanagements sprengte. Uns die Zeit totzuschlagen im Wartebereich hinter der Eingangstüre, wurde dadurch erschwert, dass bald ein autistisch veranlagter Jugendlicher vom Rettungswagen eingeliefert wurde. Während die drei Sanitäter verschwanden, fiel das Wort „Autist“. Anfangs zog ich meinen Richard David Precht mit seinem dritten Band der Geschichte der Philosophie aus meinem Rucksack und war froh, dass sich ein ungeahnter Freiraum zum Lesen öffnete. Doch als ich die letzten dreißig Seiten zu Ende gelesen hatte, ahnte ich, dass ein sich endlos dehnender Zeitraum vor uns lag. Außer Richard David Precht hatte ich nur noch bereits ausgelesenen Tippeltouren entlang der Ahr im Gepäck, wozu ich keine Lust verspürte, diese nochmals zu lesen. Die merkwürdigen Geräusche des Autisten, dessen Begleitperson – war es sein Vater ? – unbeteiligt und regungslos am Tisch saß, hatten längst unsere Aufmerksamkeit erregt. Der Autist, ein molliger Jugendlicher, noch nicht ganz 18 Jahre alt, vergrub seinen Kopf in seinem Kapuzenshirt und hatte seinen Schädel auf seine Arme auf der Tischplatte gestützt. In dieser Stellung brabbelte er merkwürdige Laute aus sich heraus. Harte, stoßweise geformte Töne ergaben keine Wörter. Abends diskutierten wir, dass er uns im Grunde genommen Leid getan hatte. Er stapfte mit den Füßen, stand auf und ging den Eingangsbereich auf und ab. Später wurde er, am Tisch sitzend, lauter. Er brüllte Wörter vor sich hin, die wir nicht verstanden und möglicherweise einer osteuropäischen Sprache zuzuordnen waren. Ob sie einen Sinn ergaben, entzog sich somit unserer Kenntnis. Er schrie den Wartebereich zusammen, und auch dabei regte sich die Begleitperson nicht und ließ alles über sich ergehen. Anschließend biß er sich in seine Hand, die am Zeigefinger dick angeschwollen war. Er zog sein Kapuzenshirt hoch und entblößte dabei seinen Oberkörper. Er biß in das Kapuzenshirt hinein und zog es wieder herunter. Uns war ein Rätsel, wie seine Familie tagaus, tagein mit ihm zusammen leben konnte. Und er tat uns unendlich Leid.
21. Januar 2020
In diesem Winter ist man froh, wenn wenigstens ein Hauch von Winter über die Natur gestrichen ist. An Schnee wagt niemand zu denken, und knackig kalte Nächte sind ebenso ausgeblieben. An Frühlingstemperaturen im Januar werde ich mich nie gewöhnen können, und Frühlingsgefühle werden bei mir erst in den Monaten des Frühjahrs aufkommen, das ist frühestens ab März. So wandelt sich schlagartig meine Stimmungslage, dass der Winter es dennoch geschafft hat, ein wenig sein Gesicht zu zeigen. In der Nacht hatte es gefroren, und die Autos waren mit einer dicken Schicht von Reif bedeckt. In der frostklaren Luft war der Atem leichter. Bei den zur Jahreszeit passenden Temperaturen kamen Körper und Geist in Schwung. Obschon kein Schnee lag, prickelten bei der Fahrt im Zug die Elemente des Winters vor sich hin. Rauhreif, der neben Autos die Natur eingehüllt hatte, zeigte mit seinen Eiskristallen die Facetten des Winters. So weiß wie die Natur in der Gestalt des Rauhreifes aussah, brauchte ich nur noch wenig Fantasie, um mir eine Winterlandschaft voller Schnee vorzustellen.
22. Januar 2020
Aachen, die erste von den Nationalsozialisten befreite deutsche Großstadt. Genau neun Tage dauerte die Eroberung durch die Alliierten Truppen, die in der Schlacht um Aachen am 12. Oktober 1944 begann und am 21. Oktober 1944 endete. Nachdem die Alliierten am 12. September 1944 die deutsche Grenze überschritten hatten, hatten sie strategische Vorarbeit geleistet, indem die Truppen Stellungen rund um Aachen erobert hatten und die Stadt eingekreist hatten. Nach der Umzingelung unterbreiteten sie am 10. Oktober 1944 ein Kapitulationsangebot, welches der deutsche Kommandant von Aachen, Gerhard Wilck, allerdings ablehnte. Der Forderung des Führers, bis zum letzten Mann zu kämpfen, konnte er sich aber nicht widersetzen. Obschon die militärische Lage vollkommen aussichtslos war, durfte dem Gemetzel des Krieges kein vorzeitiges Ende bereitet werden. In diesen neun Tagen der Schlacht wurde die Stadt ausgiebig bombardiert, in Häuserkämpfen wurden Nester von Widerstandkämpfern durchkämmt, bis am 19. Oktober 1944 die Allierten Soldaten in einem Sturmangriff bis zur deutschen Kommandozentrale am Fuße des Lousbergs vordrangen. Wie der Sohn des amerikanischen Kommandanten, Lieutenant Corley, bei einem Besuch der Stadt Aachen mehr als 50 Jahre später erzählte, bedurfte es einer Flasche Whisky, damit der Aachener Stadtkommandant, Gerhard Wilck, am 21. Oktober 1944, die Weisung zur Kapitulation unterschrieb. Die beiden setzten sich bei einer Flasche Whisky zusammen, doch zunächst lehnte der deutsche Befehlshaber ab. Erst beim dritten Glas Whisky wurde Gerhard Wilck gefügig, er stimmte zu und unterschrieb. Dabei lobte er den wirklich ausgezeichneten Whisky seines amerikanischen Gegenübers.
23. Januar 2020
Besuch im Aachener Museum Charlemagne. Dort dreht sich nicht nur alles um Karl den Großen, sondern auch um seine Nachfolgeherrscher. Mit Beinamen, worüber man bisweilen schmunzelt, hat die Nachwelt seine Kinder, Enkelkinder und deren Kinder geschmückt, die zu Königen und Kaisern gekrönt worden sind. Der Wunsch Karls des Großen, sein großeuropäisches Reich in seiner Einheit zu erhalten und an seinen Sohn Ludwig zu vererben, wurde drei Jahre nach seinem Tod obsolet. Das Museum zeigt die Reproduktionen zweier Buchmalereien, die Originale entstanden in den Jahren 831 und 842 im Kloster Fulda und in Rom. Sein Sohn Ludwig auf der einen Buchmalerei, an den er sein Reich vererbte, trug den Beinamen „der Fromme“. Den Machtkampf mit seinen Kindern wiederum hielt er nicht stand, so dass das großeuropäische Reich 817 zwischen den Enkeln Karls des Großen, Lothar I., Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen aufgeteilt wurde. Lothar I. ist die zweite Buchmalerei im Museum. Mit den Beinamen der beiden anderen Herrscher ist es dann wieder so eine Sache. „Kahl“ hat nichts mit der Frisur oder dem Haarausfall von Karl dem „Kahlen“ zu tun, sondern mit dem Besitzstand, der „kahl“ im Sinne von „landlos“ oder „besitzlos“ war. Dementsprechend wurde er bei der Reichsaufteilung weniger berücksichtigt. „Deutsch“ wurde sein Bruder Ludwig erst viele Jahrhunderte später. Im 18. Jahrhundert waren es die bayrischen Könige, die sich darauf besannen, dass Ludwig wesentliche Eroberungen gelang. Ludwig wurde deutsch, weil diese Eroberungen die Kerngebiete des deutschen Staatsgebietes betrafen. Die Beinamen von Herrschern trieben bisweilen erstaunliche Blüten. Herrscher waren dick, so Karl der „Dicke“, sie waren zänkisch, so Heinrich der „Zänker“, oder sie betraten als Kind den Thron, so Ludwig das „Kind“. Die Herrscher haben gestammelt oder sie waren blind, so dass die Beinamen „der Stammler“ oder „der Blinde“ entstanden. Einstweilen ist die Reproduktion des sehr alten Originals aus dem Jahr 831 von Ludwig dem „Frommen“ in dem Aachener Museum zu sehen.
24. Januar 2020
Elftausendvierhundertfünfundvierzig Euro – ein außergewöhnlich hoher Betrag, der mit dieser Überweisung bewegt wurde. Schon das Ausfüllen der Überweisung flößte Ehrfurcht ein. War in der Ziffernfolge der IBAN kein Übertragungsfehler drin ? War die Ziffernfolge und der Rechnungsbetrag so sauber geschrieben, dass alles klar und deutlich lesbar war ? Was wäre, wenn der Rechnungsbetrag beim Empfänger doch nicht ankäme ? All die Fragen gingen beim Bewegen des Kugelschreibers durch den Kopf, es war kein Routinevorgang, der in aller Schnelle abgehakt wurde. Hatte ich jemals für solch einen hohen Betrag eine Kontobewegung getätigt ? Selbst der Kaufbetrag unseres Gebrauchtwagens vor drei Jahren war vier- und nicht fünfstellig gewesen. Zu überweisen war die Rechnung für meinen Zahnarzt, der mir mit der teleskopierenden Brücke weitergeholfen hatte, wieder normal zubeißen zu können und so gut wie alles wieder essen zu können. Teurer und kostbarer Zahnersatz, der sich auf elftausendvierhundertfünfundvierzig Euro belief. Voller Respekt händigte ich die Überweisung am Schalter meiner Hausbank aus, ich erwartete skeptische und prüfende Blicke der Bankmitarbeiterin, obschon das Geld auf dem Konto war. Als sie den Ausweis geprüft und die Überweisung entgegengenommen hatte, versicherte sie mir, dass alles gut und in Ordnung war. Beruhigt würde ich abwarten, bis ich die Belastung in dieser enormen Größenordnung in Online-Banking sehen würde.
25. Januar 2020
Besuch bei unserer Tochter in Freiburg – diesmal Fahrt mit der Bahn. Auf der Hinfahrt hatte der ICE vierzig Minuten Verspätung, die Rückfahrt war pünktlich. Ein lohnenswertes Experiment, denn die Fahrt vom Bahnhof Siegburg war mit zwei Stunden fünfzig Minuten deutlich kürzer als mit dem Auto, selbst wenn man die Anfahrt zum Bahnhof Siegburg dazu zählt. Nicht selbst – und das in der Dunkelheit – am Steuer über die Autobahnen A61 und A5 sitzen zu müssen, war mehr als erholsam. Wie bei anderen Aufenthalten, hatte uns der Charme dieser Stadt in ihren Bann gezogen. Nachdem wir einen Koffer mit Geschirr bei unserer Tochter abgelegt hatten, marschierte unsere Gruppe durch die Bahnunterführung am Hauptbahnhof und am Colombi-Schlössle vorbei geradewegs in die Innenstadt. Unser Ziel war zunächst der Wochenmarkt, wo ich eine Flasche Grauburgunder und den original Schwarzwälder Schinken kaufte. Als wir hungrig wurden, diskutierten wir über die Auswahl des Restaurants. Inder oder Brauhaus, das war die Frage, und die Mehrheit entschied sich für das Brauhaus. Da mit der Bahn unterwegs, konnte ich das Brauhausbier probieren, dabei begeisterte mich das Red Ale-Bier aus der Karte der Craft-Biere. Das Essen war sehr lecker, und wir aßen einen Bratwurstteller, Wiener Schnitzel, Medaillons, Knöpfle und Maultaschensuppe. Der Brauhauskeller war allerdings rappelvoll, so dass es dementsprechend laut war, was auch am Fußball-Bundesligaspiel des SC Freiburg lag. Fußballfans des Gegners SC Paderborn bevölkerten die Nachbartische mit ihren blauen Trikots, und der Anpfiff des Bundesligaspiels lag noch zu weit weg, dass es ruhiger und besinnlicher würde in dieser ansonsten schönen Lokalität. Nachdem wir das Lokal verließen und der Hunger gestillt war, stürzten sich die Damen in die Modeläden. Etwas Geduld war gefragt beim Bummel bei Orsay, bis die passenden Pullover gefunden waren. Im gegenüber liegenden Geschäft hätten mein Schwager und ich Rucksäcke gut gebrauchen können, da unsere eigenen Rucksäcke verschlissen waren, doch wir verzichteten auf eine weitere Inaugenscheinnahme der im Preis reduzierten Rucksäcke. Bei Kaufhof schauten wir nach Bettwäsche, danach stöberten wir längere Zeit in der Buchhandlung Rombach auf der Bertholdstraße, wo die Verkäuferin bei unserer kleinen Tochter genau hinschaute. Sie hatte sich ein paar Manga-Comics von Attack on Titan ausgesucht, doch die Literatur war erst ab 16 freigegeben, so dass die Verkäuferin den Verkauf an unsere 14-jährige Tochter verweigerte. In Anschluss wussten wir nicht genau, wie wir unseren Bummel fortsetzen sollten, und da wir zufälligerweise an einem Café Schmidt vorbeikamen, dass ich wegen seiner Schwarzwälder Kirsch-Torte in dem Buch „111 Orte in Freiburg, die man gesehen haben muss“ entdeckt hatte, legten wir dort eine weitere Pause ein. Wir tranken Kaffee, Kakao und Mineralwasser, und unsere kleine Tochter und ich waren die einzigen, die ein Stück Kuchen aßen. Dabei war die zufällige Auswahl des Cafés nicht einmal so glücklich, weil mein Schwager Probleme mit dem engen gebogenen Treppenaufgang hatte. Mit meiner Frau war er bereits ein Jahr zuvor in dem Café gewesen und hatte kein sonderliches Interesse für das Café bekundet. Nicht ganz ziellos, hin und her, kreuz und quer, trotteten wir anschließend durch die Innenstadt. Es ging durch Seitenstraßen, die mich stets reizten und all die Mühe und all den Aufwand zeigten, wie die Freiburger ihre im November 1944 fast komplett zerstörte Innenstadt mit viel Liebe zum Detail wieder aufgebaut hatten. Trotz des Misserfolges in der Buchhandlung Rombach zog es unsere kleine Tochter in die nächste Buchhandlung, das war Thalia auf der Kaiser-Joseph-Straße. Ich nutzte dieses neue Ziel, um in zeitgeschichtlicher Literatur herum zu schmökern. Das Buch „Wendezeit“ von Kristina Spohr, das ich derzeit las, war exzellent geschrieben. Es befasste sich aber nur mit dem Zeitraum von 1989 bis 1992, während es die Gegenwartsepoche danach ausließ. Ich schmökerte herum in dem letzten dicken Wälzer von Heinrich August Winkler „Die Werte des Westens“, doch die Inhalte waren einigermaßen deckungsgleich zu dem Buch „Achterbahn“ von Ian Kershaw, das ich regelrecht verschlungen hatte. Weder ich noch unsere Tochter wurden fündig, und so schoben wir uns in den Karstadt hinein, wo wir abermals nach Bettwäsche umschauten. Wir fanden Bettwäsche für unsere große Tochter, die auch stark reduziert war im Preis. Weitere Einkäufe folgten im Untergeschoss bei REWE, wo ich die Ruhephase dazu nutzte, um auf meinem Smartphone die Stände in der Fußball-Bundesliga zu studieren. Ich staunte nicht schlecht, dass der Tabellenletzte Paderborn 2:0 in Freiburg führte, das war sicherlich eine Überraschung. Erst spät, sehr spät, fiel mir auf, dass das Chaos von Baustellen verschwunden war, als wir uns auf dem Weg zurück zur WG unserer Tochter befanden. Und noch überraschter war ich, dass in diesem Jahr, im Jahr 2020, das große Stadtjubiläum von Freiburg stattfand. Die Ankündigung dieses Großevents, der Verleihung der Marktrechte durch den Zähringerherzog Konrad vor 900 Jahren, war in unserem Freiburgurlaub vor zwei Jahren nicht zu übersehen. Das Baustellenchaos von damals war katastrophal gewesen, überall war die Straße aufgerissen, und nun war die Innenstadt wie geleckt, die Bauzäune waren komplett verschwunden. Für das Jubiläum war alles schön und sauber heraus geputzt, und im Gegensatz zu Bonn mit seinem Beethovenjahr, wo Pylone und klotzige Schautafeln das Stadtbild verunstalteten, war mir die weniger aufdringliche Form der Werbung sehr passabel. Am Rotteckring, wo die Schaufenster der Volkshochschule mit Plakaten zum Stadtjubiläum zugehangen waren, schritten wir über eine Parallelstraße zur Bundesstraße zur WG-Wohnung unserer Tochter zurück. Die vier Stockwerke des Mietshauses hoch gekrochen, konnten wir uns der Einkaufstüten entledigen und diejenigen Sachen umpacken, die wir auf der Rückfahrt mitnehmen wollten. Am Freiburger Hauptbahnhof mussten wir eine gewisse Wartezeit in Kauf nehmen, weil wir überpünktlich am Bahnhof waren. Auf der Rückfahrt störten die nach dem 2:0 Auswärtssieg bestgelaunten Fußballfans des SC Paderborn nicht, weil sie weit genug weg im Nachbarwaggon saßen. Sie stießen Siegeshymnen hinaus und waren damit beschäftigt, einen ganzen Kasten Bier leer zu trinken. Ohne Stress auf der Autobahn rauschte die Bahnfahrt im Hochgeschwindigkeitstempo über die Dunkelheit hinweg nach Hause zum Bahnhof Siegburg.
26. Januar 2020
Wie die Überschätzung der eigenen militärischen Stärke die Zähringerstadt Freiburg mehr als 450 Jahre lang an das Herrschaftshaus Habsburg übergab. Verbündet mit den Herzögen aus Neuenburg am Rhein, Basel und Bern planten die Freiburger die Eroberung von Endingen am Kaiserstuhl, doch die Belagerung platzte bereits. Habsburgische Truppen kamen zur Entsetzung zur Hilfe und schlugen vernichtend das Gemengelage aus Neuenburgern, Baselern, Bernern und Freiburger Soldaten. Daraufhin wollten die Habsburger mehr, nämlich die Eroberung Freiburgs. Dies misslang freilich, weil die Festungsmauern zu stark waren und ausreichend Soldaten zur Verteidigung vorhanden waren. Die Habsburger verpassten den Freiburgern allerdings einen Denkzettel, der die Geschicke der Stadt entscheidend in andere Hände legen sollte. In einem Vertrag, der 1368 mit den Habsburger Herzögen Albrecht III. und Leopold III. geschlossen wurde, verlor Freiburg seinen Status als freie Reichsstadt und musste sich mit Herzögen aus dem Herrschaftshaus Habsburg verbünden. Das Herrschaftshaus Habsburg hatte seinen Machtbereich bereits über weite Teile Süddeutschlands, Bayerns, Österreichs, Mährens, Böhmens bis nach Osteuropa hinein ausgedehnt. In den 450 Jahren habsburgischer Herrschaft lag Freiburg weit genug entfernt von österreichischen Kerngebiet der Habsburger, so dass an der Peripherie gewisse Freiheiten erhalten blieben. Die Stadtrechte galten fort, die Stadtherren durften ihre Privilegien behalten, der habsburgische Reichsverweser erlaubte eine eigenständige Verwaltung. Man konnte das Verhältnis zwischen Freiburgern und Habsburgern geradezu als harmonisch bezeichnen, was auch für die aus dem Herrscherhaus der Habsburger gekrönten römisch-deutschen Kaiser galt. Mit den Markt- und Zolleinnahmen war der wirtschaftliche Aufschwung enorm, und als Außenposten gegenüber Frankreich hatte Freiburg eine hohe strategische Bedeutung. Bereits bevor 1530 das Kaufhaus am Marktplatz gegenüber der Münsterkirche vollendet wurde, statteten mehrere römisch-deutsche Kaiser aus der Habsburgerdynastie der Stadt Freiburg Besuche ab. In der Erbfolge der Habsburger waren dies Kaiser Maximilian I., sein Sohn Philipp der Schöne – der im Alter von 27 Jahren verstarb und nicht die Kaiserkrone erhielt - sowie dessen Söhne, die römischen-deutschen Kaiser Karl V. und Ferdinand I. All die Skulpturen diese vier Habsburger Könige und Kaiser thronen unter einem Baldachin an der Fassade des Kaufhauses auf dem Freiburger Marktplatz. Erst 1805 endete übrigens die Herrschaft der Habsburger in Freiburg, als Napoleon in vielen Gebieten Europas die Herrschaftsansprüche neu definierte. In den Napoleonischen Koalitionskriegen blieb Freiburg zunächst österreichisch, bis die Stadt samt der Ortenau an das Herzogtum Baden übergeben wurde.
27. Januar 2020
Wie sehr die Technik in immer weitere Bereiche des Alltags vordringt, wie sehr man zwangsläufig darauf angewiesen ist und wie sehr manche Menschen damit überfordert sind. Der Fall wird des öfteren eintreten, dass sich während des Bummels durch die Innenstadt das menschliche Bedürfnis regt, zur Toilette gehen zu müssen. Dann wehren sich Cafés und Restaurants dagegen, dass Passanten ohne jeglichen Verzehr die Toilette benutzen. Manche Cafés und Restaurants verlangen in solchen Fällen eine Gebühr für die Toilettenbenutzung, doch die Bäckereikette Merzenich hat gegenüber dem Bonner Hauptbahnhof einen anderen Weg beschritten. An einem Automaten kann man sich für 50 Cent einen Coupon ausgeben lassen, der als Wertgutschein beim Kauf angerechnet wird. Soweit, so gut und so weit auch eine sinnvolle Idee. Dies stellte allerdings gestern einen älteren Herren vor massive Probleme, der nichts in der Bäckerei kaufen wollte, aber dringend die Toilette aufsuchen musste. Er hatte eine 50 Cent-Münze in der Hand und schritt damit direkt zur Toilettentür in der Annahme, man müsse irgendwo in den Kasten vor die Toilettentüre dieses 50 Cent-Stück einwerfen. Dieser Kasten war aber ein Gerät zum Einscannen, wohin man den Code des Verzehrgutscheins halten musste. Den Automaten, welcher den Verzehrgutschein ausgab, hatte der ältere Herr nicht bemerkt. Entsprechend seinem dringenden Bedürfnis des Toilettengangs hätte er wahrscheinlich auch keine Geduld gehabt, die Anweisungen, wie vorzugehen sei, über dem Automaten durchzulesen. Seine Verzweiflung stieg, als er an dem Gerät zum Einscannen keinen Einwurfschlitz für seine 50 Cent-Münze fand. Hände ringend flüchtete er zur Bedientheke, wo die Verkäuferin angesichts der Warteschlange unter Dauerstress stand. „Wann hilft mir endlich jemand weiter“ rief er solange quer durch den Verkaufsraum der Bäckerei, bis die Verkäuferin ein Einsehen hatte und die wartenden Kunden stehen ließ. Es war eine Angelegenheit von vielleicht zehn oder zwanzig Sekunden, den Coupon am Automaten ziehen und den älteren Herren aus seiner verzweifelten Lage zu befreien. Nun konnte er sich auf der Toilette erleichtern. Seine Harnblase musste ganz schrecklich gedrückt haben.
28. Januar 2020
Ein kleiner Exkurs in die griechische Mythologie vor dem Schloss Augustusburg in Brühl. Herrscher wie der Kölner Kurfürst Clemens August erhoben mit ihren prunkvollen Schlossbauten gerne den Anspruch, dass ihr Herrschaftsanspruch eingebunden war in Mythen, die sich bis in die Antike zurück verfolgen ließen. Die Mythen versinnbildlichen Charaktere, die bis in die Gegenwart fortwirken. So begrüßt den Besucher auf der rechten Seite des Eingangstores zum Brühler Schloss die Gestalt des Herkules, den die Römer aus dem ursprünglichen Herakles der griechischen Mythologie als Herkules in ihre Götterwelten adaptiert haben. Herakles, Sohn des Gottes Zeus, entwickelte bereits als Kind übersinnliche Kräfte und entschied, als Soldat erwachsen geworden, mit seinen Heldentaten Kriege. Sein Bekanntheitsgrad war groß, und vollends eifersüchtig wurde seine Mutter Hera, als ihm der König der Theber, Kreon, seine Tochter Megara als Ehefrau versprach. Als er diese geheiratet und drei Söhne hatte, verfiel er infolge eines Zaubers seiner Mutter dem Wahnsinn. Als er in einem Anfall von Wahnsinn seine Ehefrau und seine Kinder getötet hatte, fragte er wegen seiner schrecklichen Tat das Orakel von Delphi um Rat. Das Orakel wies ihm den Weg, seine Morde zu sühnen, indem er zwölf Jahre lang die Aufgaben, die ihm sein Cousin, der König Eurysthes, stellte, mit seinen Heldentaten zu bewältigen hatte. Er bewaffnete sich mit einer Keule, die er selbst geschnitzt hatte, und hält diese auf der Skulptur vor dem Brühler Schloss mit beiden Händen fest. Exzellent und ohne Fehl und Tadel, arbeitete er mit der Keule sowie mit Pfeil und Bogen, die er von Apollon erhalten hatte, seine Aufgaben ab. Am Fuße der Skulptur am Brühler Schloss sitzt Herakles auf mehreren Schlangenköpfen, deren Gesamtzahl einst neun betragen hatte. Diese gehören zu der Schlange Hydra, die die fürchterliche Eigenschaft hatte, dass jedesmal ein Kopf nachwuchs, wenn einer der neun Köpfe enthauptet worden war. Bei dieser Heldentat, die neun Köpfe zu entfernen, hatte ihm sein Neffe geholfen, indem er ein Feuer entfacht hatte und mit Pechfackeln die Wunden ausgebrannt hatte. Als Charakter steht Herakles für seine Heldentaten, die in unserer heutigen Zeit genauso gesucht werden wie in der Antike.
29. Januar 2020
Für was Bauzäune gut sind, so in der Brühler Fußgängerzone. Außer seiner reinen Funktion als Bauzaun läßt sich noch ein weiter gehender Zweck mit einem inneren Sinn generieren. Vor der Großbaustelle des Rathausneubaus klären Informationstafeln über die Geschichte, den Wirtschaftsstandort oder Persönlichkeiten des Brühler Stadtlebens auf. Klar, an dem Bauherren des Schlosses, dem Kurfürsten Clemens August, kommt man nicht vorbei, aber auch wenig bekannte Persönlichkeiten erwecken das Interesse. Seit der 1900er-Jahrhundertwende blühten neue Stilformen in der Malerei auf, so der Expressionismus als Antithese zum Impressionismus. Weg von Harmonie und Natur, hin zu einem wilden und plakativen Farbspektrum, das die Formen in der Dynamik der Industrialisierung und des technischen Fortschritts überzeichnete. Die Künstlerszene des rheinischen Expressionismus war vielfältig, denen sich die Brühler Künstler Max Ernst und Will Küpper anschlossen. Während Max Ernst, dem in Brühl ein ganzes Museum gewidmet ist, einen hohen Bekanntheitsgrad erlangte, blieb Will Küpper weitgehend unbekannt. Beide kannten sich persönlich sehr gut, sie wohnten zeitweise in demselben Mietshaus in Brühl und sie erhielten ihren Malunterricht von demselben Zeichenlehrer. Nachdem Will Küpper 1918 mit schweren Verwundungen von der Westfront zurückkehrte, spielte die Zerrissenheit des Krieges in seiner Malerei eine gewisse Rolle. In manchen Gemälden verarbeitete er den Ersten Weltkrieg in einer ähnlichen Form wie Otto Dix. Auf dem Bauzaun vor der Baustelle des Brühler Rathausneubaus erinnert nun eine Hinweistafel an eben diesen Maler Will Küpper. Der Nachdruck seiner Grafik auf dem Bauzaun beeindruckt mich. Die innere Zerrissenheit kommt diesmal in einer Industrieanlage zum Ausdruck. Auf dem Villerücken bei Brühl hatte in den 1920er-Jahren der Braunkohletagebau seine Anfänge genommen, der die Elektrifizierung des Rheinlandes in die Wege leitete. Das Braunkohlekraftwerk hat auf der Grafik etwas Bedrohliches. Rauchwolken aus hohen Fabrikschornsteinen hüllen den Himmel ein. Eine Grafik mit einem Aufbegehren gegen Emissionen aus Fabrikschornsteinen, was der Zeit des Aufbegehrens gegen den Braunkohletagebau weit voraus war.
30. Januar 2020
In unseren unsicheren Zeiten, in denen die Welt aus den Fugen zu geraten scheint, stehe ich solchen Kriegsgedenkstätten voller Ehrfurcht gegenüber. Die Geschichte hat gelehrt, dass es stabile Konstruktionen von Friedenswerken gab, die einhundert Jahre oder länger einen Flächenbrand von Kriegen verhinderten. Diese einhundert Jahre einer Friedensperiode hielten auf europäischem Boden, abgesehen von bilateralen Kriegen zwischen zwei Nationen, nach dem Westfälischen Frieden 1648 oder dem Wiener Kongreß 1815. Die Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs sterben immer mehr hinweg, Zeitzeugen des Ersten Weltkrieges dürften nicht mehr unter den Lebenden gehören. Der Nahe Osten ist ein einziges Pulverfass, und die innereuropäischen Kriege haben sich an Rand, in die Ukraine, verschoben. Die Angstkurven steigen, wenn fremde Mächte daran drehen und schrauben, die Welt aus den Angeln zu heben. Die Gesellschaft reagiert nervös, indem jeder einzelne zuerst an sich selbst denkt. Hoffentlich schrecken solche Kriegsgedenkstätten so sehr ab, dass der Friedenszustand bis in alle Ewigkeit anhält.
31. Januar 2010
Ärger und Verzweiflung bei den Wocheneinkäufen bei Netto. Da vieles bei Netto im Angebot war und da es 7-fach-Punkte auf die Kundenkarte gab, hatte meine Frau die Idee, die Wocheneinkäufe bei Netto zu beginnen und im Anschluss die REWE-Einkäufe zu erledigen. Allein zog ich Freitags gegen 17 Uhr nach Netto los und fühlte mich sogleich überfordert, weil ich selten bei Netto einkaufte und nicht wusste, was wo zu finden war. Viele Angebote waren ausverkauft, darunter Lauch, Zwiebeln, Gurken und Backfisch in der XXL-Packung. Nach den Tortellini von Hilcona suchte ich mich dumm und dusselig, bis mich der Netto-Mitarbeiter zum dem Aktionsregal führte, wo die Tortellini ausverkauft waren. Denselben Misserfolg des Suchens erlebte ich bei den Knorr-Fix-Fertigpackungen. Die Auswahl im Sonderangebot war groß, doch das Knorr Fix für Ratatouille, das wir benötigten, war in der großen Angebotsauswahl einfach nicht vorhanden. Für den Milkana-Schmelzkäse klapperte ich sämtliche Wandkühlregale mit Käse ab, ohne fündig zu werden. Später fand ich den Milkana-Schmelzkäse zwischen der Milch und den Eiern. Beim Abarbeiten des Einkaufszettels standen mir die Haare zu Berge. Unter denjenigen Einkäufen, die ihren Weg in den Einkaufswagen gefunden hatten, war die Herausforderung zu bewältigen, für mindestens 25 Euro einzukaufen, da ab diesem Einkaufswert die Siebenfachpunkte gezählt wurden. Um diesen Wert zu erreichen, kaufte ich eine Flasche Wein dazu und fünf Tüten Chips – die diesmal vorrätig waren und auch im Angebot waren. An der Kasse passte wenigstens die Mathematik: auf 25,48 Euro zählten sich die Einkäufe zusammen. Als ich mit meinen unvollständigen Einkäufen zu Hause ankam, nahm meine Frau es mir sehr übel, dass ich mich beim Sonderangebot vom Iglo-Spinat hatte durcheinander bringen lassen. Auf ihrem Einkaufszettel hatte meine Frau dick und fett unterstrichen, dass zwei Packungen für zwei Euro im Sonderangebot waren. Ich hatte aber nur eine Packung Spinat gekauft, was dann wiederum teurer war als wenn ich eine Packung Iglo-Rahmspinat zum Normalpreis gekauft hätte. Das nächste Mal würde ich nur noch zusammen mit meiner Frau bei Netto einkaufen, das schwor ich mir bei diesen verpatzten Wocheneinkäufen.

Tagebuch März 2020

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1. März 2020
Bevor wir den Michaelsberg mit seinem Kloster hinauf krabbeln wollten, begaben wir uns in die Siegburger Innenstadt, um Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen. Um die Nachmittagszeit gegen 16 Uhr war das Café Fassbender am Marktplatz so gut besucht, dass in dem großzügigen Innenraum die Auswahl der freien Plätze sehr beschränkt war. Die Kuchenauswahl hätte auch ein wenig größer sein können, doch am Ende der etwas verschachtelten Raumteile wartete dann ein freier Vierertisch auf uns. Das Café beeindruckte mit seinen Landschaftsfotografien, die das Typische der Region um die Sieg eingefangen hatten. Sie gaben ziemlich genau diejenigen Eindrücke von der Landschaft wieder, wie ich sie selbst empfunden hatte. Die Siegaue als grüner Korridor inmitten dicht bebauter Stadtgebiete. Die Gegensätze zwischen ganz viel Grün und der dichten Bebauung, die dem Ballungsraum Köln/Bonn folgte, waren weich, weil ganz viel Harmonie in den Fotos überwog. Dabei verband sich die Siegaue mit dem Rhein, indem die Ausblicke vom Drachenfels auf den Rhein und auf Bonn gezeigt wurden. Aus meiner vollen Seele sprach ein Foto, das all die Harmonie der sanft daher fließenden Sieg mit hoch aufgerissenen Hochspannungsmasten zeigte. Das Café, ein schöner Ort zum Verweilen.
2. März 2020
Siegburg, die Kreisstadt als Konglomerat und amorphes Gebilde. Den Stadtkern, den wir auf dem Marktplatz noch als wohl strukturiert und gut sortiert wahrgenommen hatten, zerstreute sich alsbald auf dem Michaelsberg, nachdem wir diesen erklommen hatten. Von dem Klosterberg aus, wo der Kölner Erzbischof Anno II. 1066 die weithin sichtbare Siegburger Abtei gegründet hatte, gewährten einige exponierte Stellen Ausblicke. Wir schauten auf die Siegaue, die Kreisstadt Siegburg und den Übergang von der Kölner Bucht in das Bergische Hügelland. Dabei war der Ausblick auf die Kreisstadt Siegburg grundverschieden. Die historische Stadt, die im Jahr 1069 von Heinrich IV. das Markt-, Münz und Zollrecht erhalten hatte, rückte im Umfeld seiner Bebauung in den Hintergrund. Zwar stach der Kirchturm der 1169 gebauten Servatiuskirche markant heraus, doch der Rest der Stadt verschwand in einer amorphen Masse von Verwaltungs-, Büro- und Fabrikgebäuden. Die Häusermasse verschwamm, am Stadtrand hatten sich Industriegebiete festgesetzt, deren Konturen so kahl waren wie die Bäume zur Winterszeit. Der grüne Streifen der Siegaue versteckte sich. Dieser wohl geformte Streifen, der dem Flussverlauf der Sieg folgte, zerrann genauso unklar in der dichten Besiedlung des Ballungsraums. Von oben aus betrachtet, war es schwer, die inneren Reize der Kreisstadt Siegburg zu ergründen.
3. März 2020
Es ist erstaunlich, wie schnell der Pegel auf dem Rhein wieder angestiegen ist. Kaum vier Wochen sind vergangen, als die Siegaue und die Wiesen am Rhein satt überschwemmt waren. Um von Hochwasser zu reden, davon sind wir in diesen Tagen noch weit entfernt. Aber auf dem Radweg vor der Friedrich-Ebert-Brücke ist der gestiegene Wasserstand klar und deutlich zu sehen. All der viele Regen des sehr nassen Monats Februar hat sich in die Flüsse und Nebenflüsse des Rheins ergossen. Noch ein paar Zentimeter sind es, bis der Radweg an dieser Stelle überschwemmt sein wird. Dann wird so mancher Fahrradfahrer an dieser Stelle Umwege fahren müssen. Die Natur wird allerdings diesen unaufhörlichen Regen gut gebrauchen können. Nach der Trockenheit und der Dürre des letzten Sommers werden sich die ausgetrockneten Böden hoffentlich gut erholen.
4. März 2020
Es ist nicht so, wie Mönchengladbach es vermuten läßt. Aus den gemeinsamen Wortstämmen, die Mönchengladbach und Bergisch Gladbach vereinigt, hatte sich 1863 Bergisch Gladbach mit der Hinzufügung der Vorsilbe „Bergisch“ heraus gelöst, als Mönchengladbach im Zentrum der niederrheinischen Textilindustrie immer mehr an Bedeutung gewann. Aus „Gladbach“ war „Bergisch Gladbach“ geworden, um nicht mit „Mönchengladbach“ verwechselt zu werden. Aber im Gegensatz zu Mönchengladbach war der Gladbach eine Mogelpackung. In Mönchengladbach floß er am Fuße des Abteiberges, in Bergisch Gladbach war er hingegen nicht existent. Die Stadt Bergisch Gladbach wurde zwar 1271 erstmals als Gladebag urkundlich erwähnt, die Erwähnung beruht aber nicht auf einem gleichnamigen Bach. Die Orte verstreuten sich im Herzogtum Berg. Odenthal war Herrschaft, Porz war Amt, Bensberg war Freiheit, und die übrigen Wohnplätze – wie Gladebag – scharten sich dazwischen. Ein Bach bestimmte allerdings maßgeblich die Stadtgeschichte von Bergisch Gladbach, das war die Strunde. An die fünfzig Mühlen trieb dieser bedeutende Bach an und prägte damit die Industriegeschichte. Das Strundertal rund um Bergisch Gladbach war eine einzige riesige Werkstatt, dessen Schwerpunkt die Papierindustrie war. Mit dem Aufkommen von Zeitungen war Papier nachgefragt, und die Papierfabriken wuchsen so sehr, dass sie bis heute im Stadtbild dominiert. So die Papierfabrik „An der Gohrsmühle“. Große Anteile sind verblieben und nicht in Niedriglohnländer ausgelagert worden. Die Strunde fließt hinter dem Werksgelände dahin, der Gladbach fließt rund einhundert Kilometer westwärts. Bergisch Gladbach im Zeichen der Papierindustrie.
5. März 2020
Die evangelische Kirche und die Menschenrechte. Beim Rundgang durch Bergisch Gladbach habe ich registriert, dass es seit 2018 vor der evangelischen Gnadenkirche einen Pfad der Menschenrechte gibt. Stolz erhebt sich im Hintergrund die barocke, gelb gestrichene Fassade der Gnadenkirche, während Tafeln auf der Zufahrt die Menschenrechte zusammenfassen. Brauchen wir dies, auf die innerhalb unserer Demokratie eigentlich selbstverständlichen Menschenrechte hinzuweisen ? Dass die Menschenrechte auf unserem Globus gang und gäbe sind, davon kann keine Rede sein. Schaut man etwa auf Erdogan, so sperren sich herrschende Autokraten gegen die Menschenrechte und glauben daran, dass ihre totalitären Systeme besser sind als jede Demokratie. In Bergisch Gladbach vor der Gnadenkirche fest verankert, werden weltweit gewisse Glaubenskriege um die Demokratie ausgefochten. In Bergisch Gladbach vor der Gnadenkirche habe ich zudem festgestellt, dass die Menschenrechtskonvention jede Masse zum Lesen ist. 1948 war sie von den Vereinten Nationen verabschiedet worden, und in großen Teilen hat sie Eingang in unser Grundgesetz gefunden. Sie besteht aus dreißig Artikeln, angefangen bei der Menschenwürde und der Idee der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit der französischen Revolution. Verfolgung und das Recht auf Asyl kommen in der Menschenrechtserklärung vor, ebenso das Recht auf Bildung, aber noch sehr vieles mehr, was zum Teil zwischen den Zeilen steht. Vor der Zufahrt zur Gnadenkirche mag dies alles selbstverständlich klingen, während Intellektuelle über den Zerfall Westlicher Werte diskutieren.
6. März 2020
111 Orte in Nordfrankreich, die man gesehen haben muss – ein Buch, das mich sehr intensiv an Orte und Landschaften in Nordfrankreich erinnert, die ich vor mehr als dreißig Jahren gesehen habe. Eindrücke, die haften geblieben sind. Eindrücke, die in den inneren Schichten des Bewusstseins konserviert worden sind und die sich nicht so ganz einfach auslöschen lassen, weil sie eine Langzeitwirkung entfaltet haben. Bei einigen Orten in Nordfrankreich kommen unmittelbar Erinnerungen hoch, die zum Teil identisch sind zu denjenigen Orten, die in dem Buch von Georg Renöckel vorkommen. Die Kathedrale von Amiens, die Chambre de Commerce in Lille, der Mont Cassel oder die Altstadt von St. Omer: der Anteil der 111 Orte, die ich selbst kennen gelernt habe, ist ziemlich klein, aber höchst authentisch. Selbst dreißig Jahre später nach den erlebten Orten und Landschaften in Nordfrankreich resümiere ich, dass sie ein wesentlicher Teil von mir selbst geworden sind. Immer wieder werden sich die Schlachtfelder und die Soldatenfriedhöfe aus dem Ersten Weltkrieg einprägen. In Cafés und Bistrots hatte ich die Einheimischen stets so kennengelernt, dass sie den Deutschen niemals ablehnend gegenüberstanden und für jedes Gespräch offen waren. Franzosen waren zwar stolz auf ihre eigene Sprache, aber sie waren stets gastfreundlich, wenn ich mir Mühe gab, ihre Sprache zu sprechen. Gerade in Nordfrankreich, hatte ich die Symbiose zwischen dem Deutschen und dem Französischen stets als perfekt empfunden. Die Orte in dem Buch geben Anstöße, weil sie ein Querdenken aus einer Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven implizieren. Das Denken hebt ab in neue Dimensionen, weil die Wesensbestandteile zu unterschiedlich sind zu dem, was man hierzulande kennt. Die Inspiration ist perfekt. Die 111 Orte in Nordfrankreich werfen zwar dunkle Schatten auf die Kriegsjahre von 1914 bis 1918, aber darüber hinaus sind sie zum Verlieben.
7. März 2020
Nach Monaten der winterlichen Ruhe und nach Monaten bürokratischen Stillstands sind wir heute im Haus des verstorbenen Schwiegervaters aktiv geworden. Die Fensterbaufirma hat sich bei uns gemeldet, dass die für uns bestellten Fenster zu lange auf dem Firmengelände herum stehen. Der Platz wird nun anderweitig benötigt, und wir haben bestätigt, dass die Fenster bei uns eingebaut werden können. Das bedeutet, dass die Fenster frei sein müssen, damit dort gearbeitet werden kann. Teppiche, die auf dem Bodden herum lagen, haben wir entsorgt. Haufen von weggestemmtem Fliesenkleber lagen vor dem Fenstern in der Küche. Andere Haufen, die die Elektriker aus den Wänden ausgestemmt hatten, breiteten sich vor den Fenstern im Obergeschoss aus. All diese kleinen Schutt-Haufen entsorgten wir in eine Speisbütt in unser Auto, die wir von zu Hause mitgenommen hatten, dazu kam Schutt von Fliesen, Teppiche, abgehängte Gardinen, Holzreste, kaputte Elektrogeräte, entfernte Steckdosen, die abgerissene Elektroinstallation und vieles mehr. Bei der RSAG in Troisdorf wurden wir dann all diese Abfälle los. Als wir zurückkehrten, waren noch die Gardinenleisten über den Fenstern abzuschrauben, was einigermaßen aufwändig war, weil die Schrauben sehr fest in der Decke saßen. Den Schutt in den Badezimmern hatte ich übersehen, und bevor ich nach Hause zurückkehren wollte, fiel mir all der ganze Müll und Sperrmüll auf der Terrasse auf. Dieser versperrte auf der Terrasse die Fenster in der Küche und der Essecke. Um die Uhrzeit war mir die Menge an Müll und Sperrmüll, die hätte weggeräumt werden müssen, zu hoch. Ich zog es vor, nach Hause zu fahren, zu Abend zu essen und den Abend ausklingen zu lassen.
8. März 2020
Zum Engelshof in Köln-Porz-Westhofen, dorthin waren wir mit Freunden zusammen gefahren, um Konrad Beikircher zu sehen. Bestimmt sieben bis acht Jahre waren es her, dass wir Konrad Beikircher in Gymnasium in Lülsdorf live erlebt hatten. Ich schätzte den Kabarettisten sehr, der aus Südtirol ins Rheinland emigriert war, wegen seiner scharfsinnigen Charakterisierungen des Rheinlandes, seiner geschichtlichen und soziologischen Kenntnisse, wegen seines Humors und was er vielsagend zwischen den Zeilen zum besten gab. Die Location in dem alten Gutshof mitten in dem Kölner Vorortstadtteil war klasse, übersichtlich und familiär. Von dem ersten Teil, in dem es um Katholiken und Protestanten im Rheinland ging, war unsere Freundin nicht ganz begeistert. Eine Reformation hatte im Rheinland nie stattgefunden, und dementsprechend abfällig äußerte er sich über die Protestanten. Davon war unsere Freundin überhaupt nicht begeistert, weil sie evangelisch war. Nach der Pause traf Beikircher dann auch ihren Humor. Er plauderte über seine Zeit, als er im Siegburger Gefängnis als Psychologe tätig war. Diese Zeit, aber auch andere Zeiten, offenbarten Tiefenbohrungen in die Seele des Rheinländers. Er zitierte Redensarten, Witze, beschrieb den Humor des Rheinländers, hinterfragte den Sinngehalt von Karnevalsliedern. Er beschrieb den Rheinländer als scharfsinnig, intelligent und gleichzeitig absurd. Er lacht gerne über alles, und je unsinniger der Unsinn ist, um so mehr kann er darüber lachen. Das ist das Absurde, das sich nicht mehr als Witz begreifen läßt, weil es einer Betrachtung durch den Verstand nicht mehr stand hält. Als Beispiel nannte der den Text des Karnevalsliedes „In Afrika ist Muttertag“, was es als Tag so in Afrika nicht geben wird. Es war wieder bemerkenswert, wie er die Charakterisierungen zwischen den Zeilen traf. Es war ein schöner Nachmittag mit Konrad Beikircher.
9. März 2020
Ein paar Schleifen über den Ergänzungsbetreuer sind noch zu drehen, aber insgesamt rückt das Ziel der Erbauseinandersetzung näher. In den Eckpunkten sind wir uns einig, und was fehlt, ist die Überarbeitung des Notarvertrags. Im Gegensatz zum früheren Konfrontationskurs schlägt der Ergänzungsbetreuer nunmehr versöhnliche Töne ein. Abends haben wir ein Antwortschreiben formuliert. Mit der Beauftragung weiterer Firmen werden wir warten, bis die Hypothek im Grundbuch eingetragen ist. Derweil herrscht im Haus des verstorbenen Schwiegervaters ein totales Baustellenfeeling. Die Fensterbauer haben mit ihren Arbeiten begonnen. Die einzubauenden Fenster stehen in den Räumen. In den Badezimmern und in der Seitenwand des Obergeschosses sind die neuen Fenster eingebaut. Die Arbeiter, Polen oder Russen, die fast kein Deutsch und nur Polnisch/Russisch sprechen, haben ordentlich Bauschutt produziert. Für zweiflügelige Türen, die auf den Balkon und auf die Terrasse führen sollen, haben sie den vergrößerten Durchgang heraus gestemmt. Um den Bauschutt zu entsorgen, wollen wir uns selbst um einen Bauschuttcontainer kümmern. Dabei müssen wir uns genauso um die Anschaffung einer vernünftigen Schubkarre kümmern, da wir für solche Zwecke nichts Brauchbares besitzen. Während der Durchgang für die Fenster an der einen Seite vergrößert wurde, haben die Arbeiter die Öffnung für die heraus genommene Türe an der anderen Seite zugemauert. Vorübergehend wird das Haus an dieser Stelle offen sein. Hoffentlich für möglichst kurze Zeit, aber für Einbrecher wird nicht allzu viel zu holen sein. Hammer, Fäustel, Stemmeisen, höherwertige Werkzeuge sind im Keller deponiert, wohin die Kellertüre abgeschlossen ist. Bis gegen Mitternacht haben wir über ein Antwortschreiben an unseren Ergänzungsbetreuer philosophiert. Über mehreren Gläsern Rotwein und Sekt ist es schließlich fertig geworden.
10. März 2020
Die Geschichte der Pizza, die diese Pizzeria erzählt, stimmt so nicht ganz. Angeblich ist die Pizza 140 Jahre alt, doch wen wundert es, dass es die Römer mit ihrem Erfindungsreichtum waren, die einen Teig gebacken haben, der der Pizza täuschend ähnlich gewesen sein muss ? Die Römer backten einen flachen Teig auf auf heissen Steinen in oder am Feuer, den sie mit Olivenöl und anderen Zutaten würzten. Die Pizza war ein Arme-Leute-Essen, die mit der Einführung der Tomate um 1520 saftiger wurde. 1830 war es dann soweit, dass die erste Pizzeria der Welt eröffnete. Richtig ist an der Geschichte der Pizza, welche die Pizzeria erzählt, dass Neapel eine Art von Hotspot war. Die italienische Stadt, wo 1830 die erste Pizzeria eröffnete, war Neapel. 1889, zwanzig Jahre nach der Bildung des italienischen Nationalstaates, kam es in Neapel zu einem Ereignis, das die Geschichte der Pizza maßgeblich prägte. Und zwar machte der italienische König Umberto I. mit seiner Frau Margherita eine Besuchstour durch die großen Städte Italiens, darunter Neapel. Dort sahen sie überall auf den Straßen Leute stehen, die die neapolitanische Pizza aßen. Neugierig geworden, orderten sie von Raffaele Esposito, dem Besitzer der Pizzeria Pietro il Pizzaiolo, drei Pizze. Die einfache Variante mit Tomaten, Mozzarella und Basilikum belegt, die in ihren Farben rot, weiß und grün der italienischen Landesflagge ähnelte, fand besonderen Anklang bei Königin Margherita. Die ‘Pizza Margherita’ als italienisches Nationalgericht war erfunden worden.
11. März 2020
Corona – die allgegenwärtige Bedrohung. Noch fühle ich mich einigermaßen frei, aber das Gefühl, isoliert zu werden und in den Fängen einer Quarantäne ausharren zu müssen, beklemmt. Die Szenarien aus Italien stimmen pessimistisch, dass das Alltagsleben zum Stillstand kommen könnte. Bei uns sieht noch sehr vieles normal aus. Wir können uns frei bewegen. Sieht man von wenigen Ausnahmen ab, sind die Supermarktregale voll. Busse und Bahnen fahren, der Schulunterricht findet statt. Nachdem die Notfallpläne ausgepackt worden sind und der Bundesgesundheitsminister Tag für Tag im Brennpunkt steht, steigt die Nervosität. Meine Frau spricht von Falschinformationen, wenn nicht stundengenau die Anzahl der Infektionsfälle veraltet ist. Von einer Exponentialfunktion hat unser Sohn gesprochen, was rein mathematisch korrekt ist. Wenige Menschen sieht man mit Mundschutz in der Stadt, und ich selbst werde regelmäßig ertappt, dass ich mir nicht die Hände wasche, wenn ich vom Büro nach Hause zurückkehre. Meine Frau beschrieb mir das Szenario einer Home Office-Arbeitswelt, wie sie bei Bayer praktiziert wird. Aneinander angrenzende Büros sollten isoliert sein, so dass nur in jedem zweiten Bürotrakt gearbeitet werden sollte, während die leeren Bürotrakte Home Office machen sollten. Als Fußballinteressierter beklemmen mich Bundesligaspiele vor leeren Rängen, so gestern beim Rheinischen Derby Mönchengladbach gegen Köln. Gestern geschah der Super-GAU beim Fußball: bei einem Spieler des 1. FC Nürnberg bestätigte sich in der 2. Fußballbundesliga der Corona-Verdacht. Der Spielplan in der 2. Fußballbundesliga wird dadurch komplett über den Haufen geworfen. In unserer Firma gibt es zwei Corona-Erkrankte, aber es wird normal weiter gearbeitet. Karten für Großveranstaltungen haben wir keine. Das Theaterstück im Contra-Kreis am 3. April wird hoffentlich statt finden, genauso, denke ich, die Fernsehproduktion mit Oliver Geissen am 14. Mai genauso. Noch sieht vieles sehr normal aus, aber wie lange noch ?
12. März 2020
Tageszeitung im Café der Bäckerei lesen, wann komme ich sonst dazu ? Die Zeit, um Tageszeitung zu lesen, fehlt hinten und vorne. Über das politische Tagesgeschehen informieren wir uns über die Nachrichten, das Lokalgeschehen schauen wir in der Aktuellen Stunde. Und wenn ich Zeitung lese, dass ist es die Wochenausgabe der FAZ. Und die bekomme ich auch nur mit ihren wichtigsten Artikeln gelesen. Der Tischnachbar neben mir hatte gerade den General-Anzeiger zugeklappt. Seine Tasse Kaffee hatte er ausgetrunken, seine schwarzumrandete Brille zurecht gezückt, und es sah so aus, dass er seinen angestammten Platz verlassen wollte. Ich spürte die Gelegenheit, dass er den zugeklappten General-Anzeiger zu mir rüberschieben konnte, bevor ihn sich jemand anders krallen konnte. Meine Blicke grapschten sich auf das Titelbild und die Schlagzeilen, um die Zeitungsinhalte in mich aufzusaugen. Die Gelegenheit war selten, mir vielleicht eine Viertelstunde Zeit zu nehmen für wichtige Beiträge und wichtige Inhalte, die ich neben irgendwelchen Informationen aus dem Fernsehen ganz anders verarbeiten konnte. Womöglich hatte mein Tischnachbar meinen krallenden Blick bemerkt, als er die Übergabe der Zeitung mit den Worten kommentierte „ich habe alle Buchstaben drin gelassen“. Ein Schmunzeln und ein angedeutetes Lächeln hing in seinem Gesicht, als in der Lücke zwischen den beiden Stehtischen vorbei schritt. Tageszeitung im Café der Bäckerei lesen, ein höchst sinnvolle Nutzung kleiner Zeitkontingente.
13. März 2020
Die Geschichte ist traurig, was im Sog des Corona-Virus alles gecancelled werden muss. Nicht nur Schulunterricht, Konzerte, Fußballbundesligaspiele fallen dem Virus zum Opfer, auch Beethoven muss abgesagt werden. Zum Beethoven-Jubiläumsjahr 2020, dem 250. Geburtstag Beethovens, hatten sich die Veranstalter einiges einfallen lassen und organisiert. So wurde ein 50 Jahre altes Binnenschiff zu einem Musikfrachter umgebaut, dessen Schiffshorn die Melodie der fünften Sinfonie ins Horn bläst. „Beethoven-Frachter“ haben die Veranstalter dieses Schiff genannt, das unterhalb der Beethovenhalle angelegt hat, würdig des großen Komponisten, dessen Musik eine Revolution bedeutete. Nun hat das Corona-Virus sein Unwesen getrieben, der Musikfrachter sollte rheinaufwärts bis nach Wien fahren (obschon Wien nicht am Rhein liegt) und an zwölf Stationen entlang des Rheins und der Donau anlegen. Als Vorsichtsmaßnahmen zur Kontaktvermeidung ist nun das breit gefächerte Programm von Veranstaltungen abgesagt worden. Das ist immens traurig, dass die Weiterfahrt nun gestoppt worden ist. Der Musikfrachter wartet nun auf sein ungewisses Schicksal und dass Zeiten der Planbarkeit und Normalisierung wieder einkehren.
14. März 2020
Nachdem wir unsere große Tochter am Hauptbahnhof im Empfang genommen hatten, verlief unser Bummel bei TKMaxx in ruhigen und geordneten Bahnen. Von Corona war ungefähr nichts zu spüren, die Fußgängerzone war quasi normal belebt, am späten Nachmittag drängten die Passanten in die Geschäfte und Warenhäuser. Wir schauten nach Hausrat, die unsere Tochter für ihren anstehenden Umzug von Freiburg nach Staufen benötigte, Kleiderbügel, Auflaufform, Schälbrett, Sektgläser für meine Frau. Der Bummel war ausgiebig, wir schauten für mich nach einer Jacke, wir stöberten zwischen den Handtaschen. Wir hatten die Idee, im Anschluss eine Kleinigkeit zu essen, doch unseren beiden Töchtern war nicht danach zumute. Ich war dafür, doch meine Frau wimmelte ab. Wir müssten halt zu Hause Gemüse putzen und was alles dazu gehört, kochen und dann alles wegspülen. Ein normaler Aufwand für ein normales Abendessen. Was ich allerdings befürchtet hatte, trat zu Hause prompt ein. Die Vorbereitungen uferten aus. Wie ich das Gemüse kleinschnitt, war nicht präzise genug. Die Vorbereitungen dauerten länger, als mir lieb war. Um 18.45 Uhr waren wir zurück gekehrt, es gab Fleischkäse im Backofen, dazu einen Gemüseauflauf mit Kartoffeln, Erbsen, Möhren, Paprika, für unseren Sohn gab es Gehacktessoße – die übrig geblieben war – mit Maultaschen. Erst um 20.30 Uhr war das Abendessen fertig – und in unserer viel zu kleinen Küche herrschten chaotische Zustände. So manche Reaktion war übernervös – am Samstag des Wochenendbesuches unserer Tochter aus Freiburg. Die Reibereien waren eigentlich schade, da insbesondere der Gemüseauflauf, als Kombination eines eigenen Rezeptes mit Maggi Fix, wirklich lecker gelungen war.
15. März 2020
Nichts als Coronavirus, der aufgewühlte und nervöse Zustand von Politikern, Zuständigen und Verantwortlichen beherrscht das Tagesgeschehen. Die Nervosität ist steigerbar, und die Medien berichten in der Vielfalt der europäischen Staaten immer neue, unangenehme Szenarien. Ein solch nervöses Agieren habe ich äußerst selten erlebt – vielleicht vor dem Golf-Krieg 1991 oder dem Terroranschlag auf das World Trade Center 2001. Man fragt sich, was in der nächsten Woche noch gehen wird. Was bis gestern noch vollkommen normal war, könnte sich einem Zielzustand nähern, nur noch als Einzelperson für die allernotwendigsten Dinge und zum Arbeiten aus dem Haus zu dürfen. Hilft das ? Fast nie war ein Thema so dominant, und ich muss zugestehen, dass ich mit zunehmendem Alter pessimistischer geworden bin. Weil wir es nicht besser wissen, haben wir den Medizinern das Feld überlassen, die alle Maßnahmen auf die Langsamkeit der Ausdehnung fixiert haben. So wie die Schule gegenüber ihren Schülern oder die Fußballbundesliga gegenüber ihren Zuschauern, sollten wir eine Auszeit nehmen. Uns in Langsamkeit üben, entschleunigen, so wie wir die Ausdehnung des Coronavirus entschleunigen wollen. Entschleunigen ja, aber unter solchen Rahmenbedingungen einer Isolationshaft ? Noch haben wir faktisch diese Isolationshaft nicht.
16. März 2020
Die letzten Wochen waren zu nass und zu regnerisch, in den nächsten Wochen werden die Planungen mit Corona Probleme aufwerfen. Daher war ich heute glücklich, wenigstens die Andeutung einer Rennradtour auf die Reihe zu bekommen. Über den Oberkasseler Berg keuchte und stöhnte ich sogleich, weil ich über die Winterszeit nahezu nicht auf dem Rennrad gesessen hatte. Meine Kondition pfiff aus dem letzten Loch bei dem Anstieg von 10% in das Siebengebirge. Oben angekommen, bergab durch Vinxel und nach Stieldorf, das Pleistal entlang bis Niederpleis, durch die Hangelarer Heide und durch die Siegaue, entwickelte sich auf der 25 Kilometer langen Strecke ein exzellentes Radfahrerlebnis, das mich in einen komplett anderen Aggregatzustand beförderte. Körper, Geist und Seele waren im Frühjahr angekommen. Am Ende des Tages war der Durst so stark, als wäre ich eine drei- bis viermal so lange Strecke gefahren. Und die Fassbrause, wovon ich mehrere Flaschen verschlang, schmeckte um so leckerer.
17. März 2020
Als der Arbeitgeber unsere ganze Abteilung ins Home Office schickte, war ich gar nicht so begeistert darüber. Trotz des großen Hauses, mangelte es zu Hause an Platz. Den Schwager hatten wir zu uns geholt, auf einen Fünf-Personen-Haushalt waren wir angewachsen, und an vielen Ecken stapelten sich die Umzugskartons, in manchen Räumen bis hoch an die Decke, da der Umbau des Hauses des verstorbenen Schwiegervaters sich in die Länge zog. Platz für das Arbeiten im Home Office bot eigentlich nur die Essecke im Wohnzimmer – die mir viel zu belebt war. An dieser Stelle im Wohnzimmer knubbelten sich vielerlei Aktivitäten, nicht nur das gemeinsame Essen, auch die Zubereitung, der Fernseher lief pausenlos. Der Rest der Familie quasselte dort gerne über die Belange des Alltags, meine Frau erledigte dort ihren Schriftkram. Um halbwegs ungestört zu sein, suchte ich, im Wintergarten ein Eckchen für mein Laptop frei zu machen. Papierkram stapelte sich auf dem Tisch im Wintergarten, Betriebsratssitzungen, Stellenausschreibungen, Kostenzusammenstellungen, Visitenkarten, vergangene Arzttermine, Schreiben von Versicherungen, Kassenbelege, Visitenkarten. Ich schaufelte das Eckchen frei, stapelte den Bürokram aufeinander, ein Fleckchen von vielleicht einer Armlänge. Unsere Tochter half mir mit ihrem Mousepad aus.
18. März 2020
Zum Friseur gehen, solange der Friseursalon noch geöffnet ist. In diesen hysterischen Tagen weiß niemand, was Morgen ist. Bis das Leben vollends still steht und die Freiheiten so sehr eingeschränkt sind, weil die Seuche alles platt macht. Ich diskutierte mit der Friseuse über Sinnhaftes, Widersinniges und Absurdes im Umfeld von Korona. Die ersten Friseurgeschäfte waren bereits geschlossen, und es war wohl eine Frage der Zeit, wann mein Friseur sein Geschäft schließen würde. Gehörte das Haareschneiden zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Wahrscheinlich nicht, und weil die Schließung wohl nicht aufzuhalten war, schätzte ich mich glücklich, mit meinen wüsten, viel zu langen Haaren den Termin ergattert zu haben. Das war allerdings überhaupt nicht schwierig, weil gleich fünf Kunden wegen Corona ihren Termin abgesagt hatten. Sinnhaftes, Widersinniges, Absurdes: die Strategie war sicherlich richtig, die menschlichen Kontakte in der Öffentlichkeit zu reduzieren. Es gab aber Widersprüche. So hatten zwar die IKEA-Filialen geschlossen, gleichzeitig lief aber im Radio Werbung für IKEA. Es gab die eine oder andere Schließung öffentlicher Einrichtungen, die nichts bringen würde in bezug auf die Verbreitung von Corona. So die Schließung öffentlicher Bibliotheken, da die Ausleihe und Rückgabe über Automaten geschieht. Zudem stehen die Bücherregale so weit auseinander, dass man sich nicht in die Quere kommt. Zuletzt war die Friseuse in der Apotheke, wo ein Pärchen mit Mundschutz eintrat. In der Apotheke nahmen die beiden den Mundschutz ab, steckten ihn in die Hosentaschen und schnäuzten sich anschließend. Wir stellten fest, dass die anstehende Erstkommunion bitter war, weil sie ausfiel. Die Familienfeiern waren abgesagt, und es gab auch keine Perspektive, wann die Erstkommunion nachgeholt würde. Als ich mit dem Fahrrad nach Hause zurück fuhr, kam ich an der Frittenbude hinter der Kirche vorbei. Dort suchte ein Schild ihren Kunden zu vermitteln, dass nicht mehr als zwei Personen eintreten sollten. Später fuhr ich nach Toom, um eine Bauschubkarre und Rindenmulch einzukaufen. Sehr belebt war es im Baumarkt. Zwei Meter Abstand sollten die Kunden an der Kasse wahren. Ein Stück hinter der Kasse war das möglich, aber dahinter, auf dem Quergang zu den Abteilungen des Baumarkts hingegen nicht. Dort standen die Kunden dicht an dicht, die Warteschlange knubbelte sich in der Unübersichtlichkeit. Ein idealer Ort für Corona, sozusagen. An der Kasse bezahlte ich meine Einkäufe, bevor es in den nächsten Tagen zu spät sein könnte.
19. März 2020
Die Schließung der Behindertenwerkstatt kam logischerweise und vernünftigerweise. Am späten Vormittag rief die Werkstatt an, dass man sie schließen würde. Gleich brächte der Bus meinen Schwager nach Hause. Logischerweise und vernünftigerweise, da man Behinderte zu den Risikogruppen zählen musste. Wenn auch nur ein Behinderter infiziert worden wäre, dann wäre die Gefahr der Ansteckung gegeben und das Risiko sogleich höher. So ist es sinnvoll, dass die Behinderten entweder zu Hause bei ihren Familien sind oder in den Behindertenwohnheimen. Das letztere wird allerdings organisatorische Probleme mit sich bringen. Zumindest in demjenigen Wohnheim, wo mein Schwager untergebracht war. Dort war nämlich eine Betreuung über die Tagesstunden während der Werktage nicht vorgesehen. Diese wurde von einem anderen Wohnheim der Caritas in unserem Ort wahrgenommen, welches ältere Behinderte nach deren Rentengewährung betreute. Tagsüber muss nun Personal aufgestockt werden, um die Betreuung zu gewährleisten. Doch dies betrifft nicht uns, wie das Behindertenwohnheim all seine Abläufe geregelt bekommt, weil wir uns selbst um den Schwager kümmern.
20. März 2020
Was meine Frau alles unternommen haben wollte. Den ganzen März hat sie Urlaub. Das war Resturlaub, weil sich der geplante Urlaub immer wieder verschoben hatte. Freunde, vielerlei Freunde besuchen, das hatte sie sich vorgenommen. Ganz oben auf der Besuchsliste standen Freunde aus Hamburg, das Hotel war gebucht, die Bahnfahrkarte über das Internet ebenso. Mit Freunden wollte sie sich in Düsseldorf getroffen haben, mit anderen Freunden in Saarbrücken. Der Kalender hatte sich gut mit Terminen gefüllt. Lange Zeit hatte meine Frau gehofft, dass die Treffen zustande kämen. Doch in der letzten Woche kam alles Schlag auf Schlag. Wie sehr in einer Sofortaktion Treffen, Geselligkeit und soziale Kontakte herunter gefahren wurden, das verblüffte uns alle. Dem Handlungsnotstand musste sich meine Frau beugen. Die Termine wurden abgeblasen. Es steht in den Sternen, wann die Treffen nachgeholt werden.
21. März 2020
Es ist gewöhnungsbedürftig. Der normale Gang zum Bäcker wird zum Hindernislauf. Ein großes Schild vor der Eingangstüre gemahnt, zuerst in die Bäckerei hinein zu schauen und dann durch zu zählen. Anscheinend hat das Augenmaß unserer Bäckerei heraus gefunden, dass genau zwei Kunden in den Verkaufsraum hinein passen, damit der Mindestsicherheitsabstand gewährleistet ist. In Zeiten von Corona müssen die Kunden dazu erst einmal sensibilisiert werden. Mindestabstand von 1,50 Meter und Anzahl der Personen. Mich an diese Gegebenheiten anzupassen, damit tat sich die Macht meiner Gewohnheiten schwer. So unübersehbar das Schild vor den Eingang platziert war, um so schwieriger war der Verkaufsraum einsehbar. Da ich die zwei bereits vorhandenen Kunden nicht durch gezählt hatte, stürmte ich in die Bäckerei hinein vor die Verkaufstheke. Schroff wies mich die Verkäuferin ab, ich solle wieder hinaus gehen, als sei ich eine unerwünschte Person. Erst in diesem Moment bemerkte ich, dass wir bereits zu dritt nebeneinander standen. In der Hoffnung, dass ich keinen größeren Schaden angerichtet hatte, begab ich mich wieder hinaus. In gewöhnungsbedürftigen Zeiten müssen so einige Verhaltensweisen überdacht werden.
22. März 2020
Diesmal war es nicht wie bei der Neujahrsansprache unserer Bundeskanzlerin, dass ich weghörte. Ich fühlte mich nicht gelangweilt, als sie nach der Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten die neuen, verschärften Maßnahmen verkündete. Ja, den Politikern vertraue ich, dass sie die richtigen Entscheidungen und Maßnahmen treffen. Was bleibt auch anderes übrig ? Niemand will Verhältnisse wie in Italien, die Wachstumsraten sind bedrohlich, die Infektionen wie in dem Pflegeheim in Würzburg waren schrecklich, und dennoch halten die Verantwortlichen den Glauben aufrecht, dass die Mediziner die Situation im Griff haben. Dass es einmal so etwas wie Ausgangsbeschränkungen geben würde, wer hätte das für möglich gehalten ? Wir alle sind schockiert und fühlen uns wie in einem Gefängnis eingesperrt, obschon wir zum Einkaufen und wenigen anderen Aktivitäten an die frische Luft dürfen. Der Appell des Staatsoberhauptes von ganz oben verhallte nicht ungehört. Der Appell richtete sich an eine Nation und ein Volk, das virtuell ganz eng zusammen gestanden haben dürfte. Krisenzeiten erfordern Maßnahmen ganz anderer Tragweite.
23. März 2020
Corona-Zeiten – Zeit für Gartenarbeit. Im Home Office läßt sich die Zeit ganz anders organisieren. Private und dienstliche Aktivitäten vermengen sich, sie lassen sich über den Tagesablauf strecken. Und bezogen auf die Zeitpunkte, wann was erledigt wird, lassen sich die Dinge auch optimieren. So die Gartenarbeit. Gestern am Spätnachmittag, nach dem Home Office, war es mir im Garten zu kalt. Der kalte Wind pfiff um die Ohren, die Finger waren klamm, dem Pullover gelang es nicht, gegen die erstarrende Kälte zu wärmen. Heute haben wir nun unsere Aktivitäten im Garten in den frühen Nachmittag verlagert. Das Hochbeet in der Sechsergruppe haben wir hergerichtet, die Erde heraus geholt, es befüllt mit Kleingehäckseltem, die Erde wieder zurück aufgeschichtet, Kopfsalat haben wir gepflanzt. Einige Hochbeete haben wir noch vor uns, und Stück für Stück, Tag für Tag, wollen wir die übrigen herrichten voller Kopfsalat, Kohlrabi, Tomaten und was sonst noch lecker aus dem eigenen Garten schmeckt.
24. März 2020
Überall Stillstand, allenthalben Tristesse. Wer hätte in diesen Tagen Lust aufs Reisen ? Die Reisebüros haben sich ohnehin dem Zwang des Ausnahmezustandes anschließen müssen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen sind alle Geschäfte dicht, verriegelt und für Kunden verschlossen, so manche Geschäftsinhaber werden früher oder später vor dem Ruin stehen. Wo in anderen Jahren zu dieser Zeit fleißig Reisen nach Mallorca, auf die Kanarischen Inseln oder an die Strände des Mittelmeers gebucht werden, hat sich das Reisebüro ein Stück Galgenhumor bewahrt. „Bleiben Sie gesund und später wieder reiselustig“, mit diesen Worten haben sich die Geschäftsinhaber noch nicht vollständig aufgegeben. Es gibt ein Leben nach Corona. Diesen Zustand des Nicht-mehr-Eingesperrt-Seins und der Normalität sehnen wir alle herbei.
25. März 2020
Nun sind wir außer unserem Home Office nicht nur zu Hause von Corona betroffen. Unsere Tochter hat in Freiburg das Corona-Virus erwischt – indirekt. Seit kurzem ist sie zu ihrem Freund gezogen, außerdem hatte sie die Zusage eines Lehrstuhls an der Freiburger Universitätsklinik für ihre Doktor-Arbeit. Ihr Freund, der an einer Autobahnraststätte arbeitet, hat nun Kurzarbeit. Und am Lehrstuhl für pädiatrische Genetik, wo sie ihre Doktor-Arbeit schreiben wollte, hat das Corona-Virus zugeschlagen. Eine Leiterin und mehrere Mitarbeiter sind infiziert, so dass sie in häusliche Quarantäne geschickt worden sind. Unsere Tochter muss nun warten, bis all die Mitarbeiter wieder gesund sind, damit jemand sie für ihre Doktor-Arbeit betreuen kann. Im Moment heißt es warten, abwarten und in Lauerstellung liegen.
26. März 2020
Dauernd in Bewegung ohne Pausen – am frühen Abend war ich wie gelähmt, mich irgend wie noch weiter zu bewegen. Home Office zu Hause: heute haben sich die Arbeit und die Aktivitäten zu Hause so sehr vermischt, dass ich ständig zu tun hatte. Das hörte nicht auf, Ich kam nicht zur Ruhe, eine Tätigkeit ging übergangslos in die nächste über. Die Dinge unmittelbar nacheinander abzuarbeiten, strengte an. Arbeit, Einkäufe, Mithelfen, Garten, Abendessen, Zusatzarbeiten. Vor dem Mittagessen kehrte meine Frau von der Einkäufen zurück, die wir es im Flur nicht schafften wegzuräumen. Nach dem Mittagessen fehlte die Zeit zum Kaffeetrinken, so dass ich im direkten Anschluss spülte, um pünktlich um 14 Uhr in der Telefonkonferenz zu sein. Bis 16 Uhr machte ich Home Office, und dann richteten wir ein Hochbeet im Garten her. Erde ausschaufeln, wieder befüllen mit Kleingehäckseltem, etwas Kompost, Blumenerde und der ausgeschaufelten Erde. Danach schauten wir bei Netto nach Blumenerde und erledigten nebenher ein paar Einkäufe. Danach sägten wir im Haus des verstorbenen Schwiegervaters ein Stück Hecke ab. Im Garten häuften sich die abgesägten Heckenteile an. Als wir nach Hause zurückkehrten, war es schon reichlich spät, die ganzen Einkäufe standen noch im Flur herum, meine Frau bereitete das Abendessen vor. Währenddessen begab ich mich in den Garten, um Äste, Geäst, Gestrüpp kleinzuschneiden. Weil ich ständig in Bewegung war und weil Home Office und die Arbeiten zu Hause sich zusammen häuften, musste ich mir nach dem Abendessen eine Auszeit nehmen. Die Tagesschau schauen und dabei eine Flasche Fassbrause trinken. Das war die erste wirkliche Pause an diesem Tag. Ich war platt und mühte mich ab, die nachfolgenden Tätigkeiten zu erledigen. Spülen, Katzentoilette sauber machen, all die Einkäufe wegräumen – und so weiter.
27. März 2020
Geht man derzeit durch die Supermärkte, so mag man nur bedingt glauben, was die Politiker hierzulande predigen. Unsere Versorgung sei sicher, so heißt es allenthalben, darum brauchen wir uns überhaupt nicht zu sorgen. Dass das Klopapier in den Regalen fehlt, darüber lachen wir mittlerweile. Wieso ein solcher Mythos gerade um das Klopapier entbrannt ist, dafür gibt es vom Prinzip her keine logische Erklärung. Die Logistik funktioniere reibungslos, trotz der Widrigkeiten von Grenzen und der allgemeinen Widrigkeiten von LKW-Fahrern. Sorge macht dann schon, dass es außer beim Klopapier weitere Lieferengpässe in Supermärkten gibt. Hefe ist nirgendwo zu haben, es ist schwer, an Mehl heran zu kommen. Speiseöl ist ausverkauft, Salz ebenso, die Nudeln gehen zur Neige. Das ist eine Abwärtsspirale von Hamsterkäufen. Selbst sind wir längst zu Hamsterkäufern geworden, weil wir befürchten, man könne an Mehl, Speiseöl, Salz oder Nudeln nicht mehr herankommen. Ist unsere Versorgung wirklich sicher ? Uns bleibt nichts anderes übrig, als unseren Politikern einstweilen zu vertrauen.
28. März 2020
Etwas zynisch eröffnete Steffi Neu in ihrer WDR2-Show den Morgen. Im Autoradio, auf dem Weg zu den Getränke-Einkäufen bei REWE, fragte sie ihre Radiohörer, wie sie mit all den Einschränkungen von Corona ihr Wochenende verbringen wollten. Steffi Neu erzählte all die Unannehmlichkeiten von Corona vor sich hin, wie etwa Absagen eines runden Geburtstages oder den Besuch von Oma und Opa mit den Kindern, wenn sie ihnen nur von der Ferne aus zuwinken durften. Angereichert von all diesem Zynismus, arbeitete ich bei REWE die Getränke-Einkäufe ab, wobei verschiedene Weine aus dem Angebot herausgenommen wurden und für den halben Preis angeboten wurden. Ich kaufte Weine vom Bodensee, vom Kaiserstuhl und einen süffigen Rotwein aus Portugal, der am Abend, sozusagen als Antithese zu all den Corona-Einschränkungen, sehr lecker schmeckte. Die Lichtblicke des Tages leuchten dürftig, wenn alle schön zu Hause bleiben sollen, was unter anderem unsere Bundeskanzlerin als Handlungsvorgabe beschreibt. So verlaufen dann auch die Getränkeeinkäufe entlang eines Suchpfades, Abwechslungen aufzuspüren, die Erlebnisarmut anzureichern und selbst in den kleinsten Dingen Variationen zu entdecken. So kam mir auf der Rückfahrt die Idee, einen kurzen Abstecher auf der Panzerstraße zum Rhein zu machen. Am Rhein sah alles ganz normal aus. Die Natur war im Lauf des Frühlings aufgesprossen. Der Rhein floss gemächlich in seinem Flussbett. Ein paar Schiffe vermisste ich, denn der Schiffsverkehr war ansonsten lebhafter. In Wesseling hatte die petrochemische Industrie nicht aufgehört zu produzieren, denn die Dampfwolken entwichen begierig aus den Kühltürmen. Der Shut-down hatte sich in diesem Umkreis nicht durchgesetzt. Die Wirtschaftskreisläufe funktionierten noch, bis zur Vollständigkeit war das Alltagsleben nicht heruntergefahren worden. Andere taten es mir gleich: sie spazierten alleine am Rheinufer vorbei, atmeten den Hauch der Natur ein und suchten dem totalen Shut-down zu entkommen. Als unser Auto sich auf den Rückweg nach Hause machte, sandte das Autoradio abermals Botschaften aus. Es galt eine Promienten zu erraten, die in einer totalen ländlichen Verlassenheit im Bergischen Land bei Overath lebte. Von Corona würde sich fast nichts merken. Sie sei viel in der Natur unterwegs, vor allem mit ihren Hunden. An den ausgiebigen Spaziergängen mit den Hunden würde Corona sie nicht hindern, sie arbeitete viel am Schreibtisch zu Hause. Ab und zu kaufte sie ihre tägliche Bedarfe, und darüber hinaus verbrachte sie auch ohne Corona viel Zeit in Haus und Garten mit ihrem Ehemann. Was machte da den Unterschied ? Das war eine ungewöhnliche und neue Perspektive, die mich überraschte.
29. März 2020
Die Suche nach einem Stück Normalität am Sonntagnachmittag. Für die Dauer eines Spaziergangs wollten wir uns aus unserem Gefängnis zu Hause heraus wagen. Ein Spaziergang auf der Insel Grafenwerth in Bad Honnef, der über die tägliche Fahrt zum Bäcker und den wiederkehrenden Einkäufen hinaus ging. Der Nordostwind fegte ruppig ins Gesicht, in den spärlichen Regentropfen glaubte ich die eine oder andere Schneeflocke zu erkennen, und meinem Schal verdankte ich, dass ich in der Hals- und Bauchgegend nicht fror. Trotz der widrigen äußeren Bedingungen war so mancher Spaziergänger unterwegs. Die Insel mit ihrer parkähnlichen Gestaltung wirkte durchaus belebt, dabei nahmen die Spaziergänger schön Abstand voneinander. Der Biergarten war nicht wegen Corona geschlossen, sondern versperrt durch Bagger und einen Bauzaun. Auf der 1912 erbauten Brücke zur Insel hielt ich an, um den Aalschokker ins Visier zu nehmen, in dessen Hintergrund sich der Drachenfels mit dem Siebengebirge zu einer malerischen Kulisse aufbaute. Ganz schön viel Fleiß, Liebe und Arbeit mussten investiert werden, bis das Fischereiboot, das 1917 vom Stapel gelassen wurde, 1989 sich der Öffentlichkeit wieder präsentieren konnte. Da der Aal nachts aktiv ist, musste der Aalschokker abends in seine Fangposition gebracht werden. Von einem anderen Schiff musste er geschleppt werden, da er keinen eigenen Motor besaß. Über Nacht wurde der Fisch gefangen. Dabei wurde alles gefangen, was ins Netz ging, außer Aal waren es Zander, Barsch oder Karpfen. In guten Nächten füllten sich 80 Körbe, das waren rund vier Tonnen Fisch. Die Segel herunter gelassen, verharrte der Aalschokker bei dem schneidenden Wind in einer Art von Schockstarre. In 1960er-Jahren kam der Fischfang im Rhein mit all den Abwässern aus der Industrie zum Erliegen, und der Aalschokker hatte ausgedient. Als wir unseren Spaziergang beendeten, hatten wir ein Stück Normalität wieder gewonnen.
30. März 2020
Ist es Verzweiflung, Galgenhumor oder eine verrückte Marketingstrategie ? In Zeiten von Corona brechen die Umsätze weg, die Gastronomie ringt um jeden Kunden. Und da ist jedes Werbemittel Recht, um die paar wenigen Kunden anzuziehen. Wegen Corona darf die „Burgermeisterei“ an der Insel Grafenwerth in Bad Honnef nur noch Speisen zum Mitnehmen anbieten. Jetzt muss die Biermarke Corona herhalten, um die Anziehungskraft auf die Kunden zu erhöhen. Aber wird das Branding „Corona“ von den Kunden angenommen oder stößt dieses sogar ab ? Neben Burgern oder Currywurst mit Fritten sind die Getränke zum Mitnehmen, darunter die Biermarke „Corona“ aus Mexiko, die dort die größten Marktanteile innehat. „Hier gibt’s Corona to go“, so sucht die „Burgermeisterei“ ihre Kunden anzulocken. Wer das Bier mag, soll gerne bei einer Pulle Corona seinen Burger genießen. Bei all den Ängsten, Horrorszenarien, Todeszahlen, Existenznöten und unabsehbaren wirtschaftlichen Folgen, die das Virus Corona verbreitet, würde mir allerdings der Appetit dabei vergehen.
31. März 2020
Letzter Märztag und knackiger Frost – wer hätte das für möglich gehalten ? Über den ganzen Winter hatten wir kein Winterwetter, und nun, nachdem längst der Frühling den Winter abgelöst hat, hat der Frost zugeschlagen. Bis an die minus 8 Grad war es in NRW, und bei uns waren es immerhin die minus zwei oder minus drei. Am Auto hieß es, Scheiben frei kratzen, bevor ich zum Bäcker fuhr. Über den ganzen Winter hatte ich mir sparen können, unser Auto über die Nacht in die Garage zu fahren. Das war in der letzten Nacht anders, nachdem es am Abend zuvor noch geregnet hatte. Danach war der Himmel aufgerissen, in der Nacht war es aufgeklart, am Morgen hatte eine dicke Schicht von Reif unser Auto überzogen. Der Frost war fatal für unsere im Baumarkt gekauften Tomaten. Mit den Lobelien hatten wir sie in ein Gewächshaus getan, das mit einer Plastikfolie abgedeckt war. Diesen Frost hatten die Lobelien und die Tomaten nicht überstanden, sie waren erfroren. Was meine Frau neu bekommen konnte, musste sie heute im Baumarkt neu besorgen.

Tagebuch Februar 2020

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1. Februar 2020
Was die Behinderten so veranstalten und auf welche Art und Weise. Sie feiern Karneval, und viele helfende Hände sorgen für ein gutes Gelingen. Es waren gleich mehrere Behindertenwohnheime, die beisammen waren. Selbstverständlich auch Behinderte, die nicht in Wohnheimen lebten. Sogar aus Königswinter-Ittenbach waren extra Behinderte angereist, um an dieser Karnevalsveranstaltung teilzunehmen. Behinderte bildeten den Elferrat, und es ging los mit dem Karnevalsprinzen aus Lülsdorf, der alle begrüßte. Dem folgten herzliche und warme Begrüßungsworte des Bürgermeisters, dem allerdings ein Lapsus passierte. Die Sitzungspräsidentin redete er mit „Anja“ an, sie hieß aber gar nicht „Anja“, sondern „Andrea“. Wohlwollend verziehen alle, und nach dem karnevalistischen Auftakt folgte eine Zäsur, damit sich alle an dem Büffet mit Salaten und Kuchen bedienen konnten. Damit dies nicht ungeordnet geschah, indem alle mit einem Mal losrannten, war jeder Tisch mit einem Schildchen gekennzeichnet. Auf unserem Tisch stand das Schildchen einer Seiltänzerin, und wie der Zufall es wollte, durften wir uns als erster Tisch auf das Büffet stürzen. Bis alle Tische an der Reihe waren, dauerte es eine geraume Zeit, so dass die Zäsur ohne Karnevalsrhythmen ausgiebig lange ausfiel. Und irgendwann hoben dann doch die Karnevalsrhythmen ab, als ich mich gerade auf der Toilette befand. Zwei Gesangsdarbietungen folgten, die ihr bestes gaben. Die zweiten Gesangsstücke kamen von einer Frauengruppe, die nicht direkt Karnevalslieder besangen, aber Musikstücke wie das Maus-Lied von der Sendung mit der Maus, was bestens zu dem karnevalistischen Rahmen passte. Die Karnevalsfeier schloss eine Tanzgruppe aus Mondorf ab, worin drei Tanzformationen aus drei unterschiedlichen Altersstufen tanzten. Obschon alle drei Gruppen infolge der Erkältungswelle bis auf die Hälfte dezimiert waren, klappten die Tänze bestens. Alle waren hellauf begeistert, und nach rund drei Stunden Karnevalsveranstaltung gingen oder fuhren alle zufrieden nach Hause.
2. Februar 2020
Den Abend bei einem leckeren Glas Wein ausklingen lassen. Es ist ein besonderer Wein, den ich von unserem letzten Besuch unserer Tochter in Freiburg mitgebracht habe. Auf dem Wochenmarkt auf dem Münsterplatz habe ich den Wein gekauft, von einem Weingut rund dreißig Kilometer nördlich von Freiburg. Stets schmecken die Standard-Weinsorten am besten. Bei den Weinen aus Baden ist es der Weißburgunder, ein süffiger Weißwein, der golden in unserem Wohnzimmerchaos schimmert. Vor dem Fernseher habe ich es mir gemütlich gemacht. Samstags abends steht Danny Lowinski auf dem Programm. Eine brilliante Annette Frier in ihrer Paraderolle in der Traumstadt Köln. Schlagfertig, bodenständig und genial dreht sie als Rechtsanwältin die Fälle in ihre Richtung und gewinnt überraschend so manchen Gerichtsprozess. Wie so häufig, ein Abend vor dem Fernseher, aber diesmal ganz anders.
3. Februar 2020
In diesen Tagen kreist die Erkältungswelle in unserer Familie. Irgendwie haben wir uns gegenseitig angesteckt, und dies im Zuge der allgemeinen Verunsicherungswellen des Coronavirus, dessen Infektionsfälle Tag für Tag in Deutschland steigen, allerdings noch in einer sehr übersichtlichen Größenordnung. Beunruhigen brauchen wir uns deswegen nicht, aber dennoch machen wir uns unsere Gedanken, dass das Coronavirus – wir sind bereits erkältet – in unserem Hause grassieren würde. Eingefangen hatte sich die Erkältung möglicherweise unsere Tochter während ihres Praktikums im Behindertenwohnheim, wo es eine Reihe von Erkältungsfällen gab. Danach war unser Sohn an der Reihe. Mein Schwager war bereits etwas länger erkältet, er nahm ACC Akut und seine Husterei wurde trotzdem immer schlimmer. Zusätzlich nahm er Sinupret ein, dazu spritzten wir ihm Nasenspray. Zu Sinupret kamen nun Tonsipret-Dragees für unsere Tochter dazu, dessen Verpackung täuschend ähnlich aussah zum Sinupret. Den Fehlgriff tätigte ich allerdings nicht wegen des gleichen Designs der Verpackung, sondern wegen der Art und Weise, wie die Medikamente einzunehmen waren. Die Sinupret-Tabletten waren zusammen mit einem Glas Mineralwasser einzunehmen, während die Tonsipret-Dragees zum Lutschen waren. Ich stellte hingegen unserer Tochter ein Glas Mineralwasser hin, so wie ich es beim Schwager handhabte.
4. Februar 2020
Eine beeindruckende Fotografie im Café Extrablatt in Krefeld. Ein Ausbruch der Leidenschaft, mitten im Stadtleben von Paris. „Le baiser de l’hôtel de ville“, so nennt sich die Fotografie des Künstlers Robert Doisneau, die kurz nach der 1900er-Jahrhundertwende entstanden ist. Ein Schnappschuss voller Spontanität, wie sich die beiden küssen. Das Paar nimmt nur noch sich selbst wahr, die Umgebung wird ausgeblendet, die umher rauschenden Menschen sind egal. Für das Paar wird der Augenblick in diesen Momenten angehalten.
5. Februar 2020
Straßenbahnfahrten hängen bisweilen zwischen Langeweile und Verdruß, zwischen Unbeteiligtheit und fahrplanmäßiger Routine, zwischen innerem Gedrängele und äußerer Ereignislosigkeit. So ungefähr verlief die Straßenbahnfahrt von der Krefelder Rheinstraße zur Burg Linn, wo ich mir das archäologische und das Krefelder Textilmuseum anschauen wollte. Nach dem Hauptbahnhof fuhr die Straßenbahnlinie 44 durch Allerweltsstraßen, die wenig Aufregendes boten und wo die Industrie- und Geschäftsbebauung die Wohnviertel verdrängt hatte. Fabrikflächen verschanzten sich hinter hohen Mauern, Lagerflächen weiteten sich auf ihrem Areal aus. Breite Ausfallstraßen zerschnitten die Bebauung, riesige Verkaufsräume von Fliesen, Haustüren und individuellen Küchenplanungen überlagerten die dahinter versteckten Reihenhaussiedlungen. Kein direkt schöner Anblick, das dachte ich mir, und gleichzeitig stellte ich mir die Frage, wo denn die schönen, ruhigen und angenehmen Wohngebiete der Krefelder lägen. Ein wenig wurde meine Fragestellung im Stadtteil Linn beantwortet, wo ich ausstieg, um mir die beiden Museen anzuschauen. In direkter Nachbarschaft zu der mittelalterlichen Burg, war Linn ein wirklich hübscher Stadtteil. Fein herausgeputzt, präsentierten sich viele Häuser im Ortskern mit ihrem rostbraunen Ziegelmauerwerk, wie man es häufiger am Niederrhein vorfindet. Mittendrin, am Andreasplatz, gelangte ich schließlich zum Deutschen Textilmuseum. Ich hatte mir mehr davon versprochen, weil ich Krefeld als eine gewisse Pulsader der deutschen Textilindustrie verortet hatte. Das mochte zwar stimmen, auch wenn nach Abwanderung dieses Industriezweigs in Niedriglohnländer die Relikte von verlassenen Fabrikbauten jede Menge aus der Vergangenheit zu erzählen hatten. Das Erlebnis der Textilindustrie wurde sogleich dadurch geschmälert, weil Fotografieren verboten war. Die Sonderausstellung im Erdgeschoss war durchaus interessant, weil sie die Methoden des Färbens von Textilien mit der chemischen Industrie verband. Kohle und Teer waren Färbsubstanzen, dazu Anilin oder … Das erklärte, wieso entlang der Rheinschiene die Konzentration von Chemiefabriken größer war als anderswo. Aber all die Farbspektren, die Regale voller Apothekengläser oder die Verformelungen von chemischen Substanzen durfte ich nicht fotografieren, dadurch verloren die Exponate ihren Reiz. Während das Erdgeschoss noch interessant aufbereitet war, verlor sich das Obergeschoss in einer Monotonie, die mich zumindest als Mann nicht interessierte. Das war eine einzige Modenschau von Kleidern, die um die 1900er-Jahrhundertwende begann und in den 1950er Jahren aufhörte. Zwei Stockwerke umfasste die vollständige Ausstellung – das war zu wenig für ein Stück Geschichte der Stadt Krefeld, die über bestimmt drei Jahrhunderte die Stadt geprägt hatte. Im Erdgeschoss ließ ich mich noch von den Eindrücken eines chemischen Labors faszinieren, das ein wenig an längst vergangene Zeiten aus dem Chemieunterricht in der Schule erinnerte. Über Glasgefäße, Kolben und Reagenzgläsern war alles vernetzt miteinander. Das erinnerte mich an die Anspannung vor einem Versuch, wie ich es in meiner Schulzeit erlebt hatte. Andere Spannungszustände, wie ich sie in dem Museum erwartet hatte, fehlten allerdings. Über das Aussehen der alten Textilfabriken, über die Maschinen, über die Produktionsverfahren und über die Arbeitsbedingungen hatte das Deutsche Textilmuseum überhaupt nichts erzählt.
6. Februar 2020
Den ersten Tag im neuen Jahr mit dem Rennrad ins Büro – und dies gleich bei Hochwasser. Bislang hatte ich mich in diesem Jahr von den äußeren Bedingungen abschrecken lassen, dass Rennrad anstelle öffentlicher Verkehrsmittel zu benutzen. Es war zu kalt, zu nass und vor allem dunkel. In der Dunkelheit spüre ich, dass mit zunehmendem Alter die Unsicherheit auf dem Rennrad zugenommen hat. Nun, im Februar, ist es deutlich länger hell – und das Hochwasser, welches die Fahrradfahrt begleitet, ist plötzlich gekommen. In den letzten Tagen war während der Busfahrt über die Kennedybrücke nichts bis gar nichts von dem Hochwasser zu sehen. Und nun ist das Wasser auf dem Rhein mächtig angeschwollen. Die Sieg hat vor ihrer Mündung große Teile der Felder überschwemmt, und auch der Rhein macht es der Sieg nach, indem der Fluss sein Bett bis an den Damm ausgedehnt hat. Baumreihen umspült das Wasser, Möwen kreisen, es ist ein gewisses Naturschauspiel.
7. Februar 2020
Wie das Gedankengut einer Revolution bis in die Gegenwart überlebt hat. Sieht man vom Fall der Berliner Mauer 1989 ab, ist in Deutschland nie ein Volksaufstand entstanden, der eine Revolution ausgelöst hat. Die Herrscher haben ihre Macht behauptet und sind nie gestürzt worden. Das Volk hat sich ohnmächtig in seine eigenen vier Wände zurückgezogen und ist von den repressiven Kräften des Staates mundtot gemacht worden. Die Demokratie ist heute mit der Meinungsfreiheit etwas anders, wobei die einzige Revolution in Deutschland im November 1918 den Pfad zur Weimarer Republik bereitet hat. Rosa Luxemburg war auf diesem Pfad abwegig, obschon sie mit ihrem Vorbild für eine Revolution bis heute nachwirkt. In unserer heutigen Demokratie sammeln sich Unzufriedene, die mit Politik nichts zu tun haben wollen und zu den linken und rechten Rändern des Parteienspektrums abwandern. Sie wollen die Ordnung und die Errungenschaften der Demokratie beiseite schaffen wollen und von Neuem anfangen. So vielleicht die Diktatur des Proletariats, dass das arbeitende Volk mit wenigen Parteifunktionären die klassenlose Gesellschaft bildet. Doch diese Revolution im Sinne von Marx und Engels ist längst in der Geschichte gescheitert.
8. Februar 2020
Als der Kunden vor mir an der Käsetheke von real jede Menge leckere Käsesorten einkaufte, die nicht aufhören wollten, wurde mit bewusst, dass ein Stück Käsekultur in mir etwas verloren gegangen war. Wie gerne hatte ich doch Appenzeller, alten Holländer, Ziegenkäse oder Alta Badia aus Südtirol gegessen, alles Käsesorten mit einem intensiven Geschmack, natürlich auch Blauschimmelkäse aus unterschiedlichsten Regionen Europas. Mit dem schlechten Zustand meiner Zähne hatte sich eine Barriere aufgebaut. Die provisorische Prothese, die ich trug, drohte abzubrechen, wenn ich Brötchen mit Käse aß. Oder ich musste sie ausziehen, wodurch das Kauen umständlich wurde. Diese Zustände sind nunmehr vorbei. Ich hoffe, dass ich diese Hemmschwelle beim Anblick von soviel leckerem Käse ablegen kann. Das Genießerherz kann in mir wieder aufleben. Käse kann ich wieder genießen, und das sollte ich auch tun.
9. Februar 2020
In Erwartung des aufziehenden Orkantiefs Sabine waren wir alle wie gelähmt. Für den Nachmittag hätten ein paar Unternehmungen auf dem Plan gestanden, doch der Wind, der mit jeder Stunde stärker wurde, mahnte uns zur Vorsicht. Im Garten und auf der Terrasse beim verstorbenen Schwiegervater hatten wir die Dinge sortiert und diejenigen Dinge weggestellt, die hätten weggeweht werden können. So beobachteten wir den aufziehenden Sturm in unserem Garten. Die eine oder andere Windböe wehte den einen oder anderen Gegenstand durch unseren Garten, der Wind begann zu heulen, doch ansonsten blieb es in unserem Garten ruhig. Wir blieben in unseren vier Wänden, schlossen die Türen abends gut ab und warteten in der abendlichen Dunkelheit die Dinge ab. In der zweiten Nachthälfte sollte der Orkan seinen Höhepunkt erreichen.
10. Februar 2020
Zwei umgestürzte Mülltonnen, ein umgestürztes Blumenkübel im Hauszugangsbereich, darüber hinaus sah es aus, als seien wir mit dem Orkantief Sabine glimpflich davon gekommen. Als ich mit dem Schwager an der Bushaltestelle stand, sah die Abfolge der Busse vollkommen normal aus. Die Busse waren pünktlich, wenngleich sehr leer, da der Schulunterricht ausfiel. Der Bus, der die Behinderten zur Behindertenwerkstatt fuhr, war ebenso pünktlich. Da ein Schnellbus aus Bonn einfuhr, schloss ich, dass die Linienbusse in der anderen Richtung genauso regelmäßig verkehrten. Da unser Chef alle Termine telefonisch einstellte, stand mein Entschluss bereits fest, dass ich von zu Hause arbeiten wollte. So trottete ich zurück zu unserem Haus, wo alles unauffällig war – bis auf die beiden Mülltonnen und das eine Blumenkübel. Sabine mochte anderswo gewütet haben – uns hatte es sorgfältig ausgespart. Es war also alles in Ordnung und die Arbeit im Home Office konnte beginnen.
11. Februar 2020
Schockzustand und Schockstarre im benachbarten Mehrfamilienhaus. Ein Ehepaar – wenig älter als wir – war vor rund sieben bis acht Jahren mit ihrer Tochter in die großzügige Dachgeschoss-Maisonettewohnung eingezogen. Den Ehemann – etwas füllig, beleibt, aber nicht unbedingt fett – sahen wir regelmäßig im Hofbereich, wenn er zu seinem Auto ging oder auch vor dem Mehrfamilienhaus. Er war stets nett und freundlich, er grüßte und wir redeten mit ihm über Belanglosigkeiten im Rahmen des üblichen Small Talk. Genauso freundlich unterhielten wir uns mit seiner Frau, die Rentnerin war und bei der Sparkasse gearbeitet hatte. In der Vorweihnachtszeit hatte sein Leiden begonnen. Er hatte Schmerzen in der Seitengegend und war aber erst nach Weihnachten zum Arzt, weil über Weihnachten bis Anfang des neuen Jahres die Hausärzte geschlossen hatten. Im neuen Jahr schickte ihn der Hausarzt sogleich ins Krankenhaus, wo ein Tumor an der Leber diagnostiziert wurde. Dieser war so bösartig, dass er bereits gestreut hatte. Mit Bestrahlung versuchten die Mediziner noch, seinen Tod so weit wie möglich nach hinten hinaus zu schieben. Doch es hatte nicht allzu viel geholfen. Anfang Februar war unser Nachbar verstorben, der nur wenig älter war als wir.
12. Februar 2020
Die Preise für Strom werden sich erhöhen – und sie können wieder loslegen. Vor etwas mehr als zwei Jahren war dies eine Katstrophe, wie oft wir angerufen wurden, ob wir den Stromanbieter wechseln wollten. Das war Belästigung der übelsten Art, wenn der Anrufer sich wand und drehte und im telefonischen Gesprächsverlauf erst relativ spät zu erkennen gab, dass es um diesen Anbieterwechsel ging. Nun drohen neue Anrufwellen. Wie plump diese Anrufe sein können, hat sich in diesen Tagen gezeigt. Der Anrufer fragte nach unserer Anschrift, und als Erbengemeinschaft haben wir zwei potenzielle Häuser zur Auswahl. Wir nannten die beiden Anschriften – die er aber nicht Gegenstand seines Anrufs waren. Die Hausanschrift, worüber er reden wollte, gehörte zu unserem Haus, von wo wir längst umgezogen waren. Und das war zwölf Jahre her. Das fand unser Anrufer gar nicht tragisch. Verkauf sollte gleich Verkauf sein, egal welche Immobilie. Ohne Strom geht gar nichts. Ob wir in den Keller gehen könnten und unsere Zählernummer mitteilen könnten. Wir lehnten dankend ab und fürchten weitere Anrufwellen, zu denen uns die Handhabe fehlen wird, um diese abzustellen.
13. Februar 2020
Neuss, eine Stadt bei der ich nicht das Gefühl haben werde, dass ich beim ersten Mal bereits alles gesehen habe. Gerne herrscht ja dieser touristische Blickwinkel vor: die Sehenswürdigkeiten abklappern. Gesehen ist dann gleich abgehakt, und der Entdeckungsdrang damit abgeschlossen. Jeder weitere Besuch bringt dann keine neuen Erkenntnisse, weil die Dinge statisch sind, weil sie nicht neu definiert werden können. Die Ergründung hat bereits statt gefunden, und bei einer nochmaligen Betrachtung stellt sich Langeweile ein, weil der touristische Blickwinkel erschöpft ist. Beim heutigen Besuch von Neuss wird das nicht so sein. Das ist vielleicht gerade die Mischung aus Geschichte, historischer Bausubstanz, Wiederaufbau in der Nachkriegszeit und Modernität. Neuss ist nicht wie geleckt und gemalt. Neuss hat viele, ganz viele Stilbrüche und Überreste seiner reichen Vergangenheit bewahrt. Ecken und Winkel mit schönen, erhaltenen Hausfassaden, die sich mit all der Modernität der Nachbarbebauung überlagern, muss man suchen. Eine banale Fußgängerzone mit Einzelhandelsgeschäften und Warenhäusern wechselt ab mit Ruhepolen wie dem Markt, der trotz mancher Neubaufassaden in sich geschlossen und homogen wirkt. Widersprüche vereinigen sich – wie etwa das Kölsche Brauhaus Früh in direkter Nachbarschaft zur Stadt Düsseldorf mit seinem Alt-Bier-Monopol. Der Hafen verkörpert Reichtum und Handelsbeziehungen, die im Laufe von Jahrhunderten gewachsen sind, angereichert von Lagerhäusern, Mühlen, Produktionsanlagen und Verladekränen. Neuss – eine Stadt, in der es stets etwas Neues zu entdecken geben wird.
14. Februar 2020
Wie die Bürokratie meine Frau von einem Ort zum nächsten Ort verfrachtet hatte. In ihren Zuständigkeiten verhaftet, sind die Domänen der Beschäftigten der Stadtverwaltung fest abgesteckt. Obschon die Bürgerbüros unterschiedliche Tätigkeiten miteinander vermischen, bleibt ein großer Rest, bei dem sie nicht machen können, wie der Kunde es gerne hätte. Sie erstellen Bescheinigungen jedweder Art – Personalausweise, Meldebescheinigungen, Pässe – mit Dokumente von Standesämtern außerhalb ihres Bereiches haben sie hingegen nichts zu tun. Für unsere Tochter in Freiburg benötigten wir eine beglaubigte Kopie der Geburtsurkunde. Eine Geburtsurkunde hatte meine Frau zur Stadtverwaltung in unserem Ort mitgenommen, aber irgendetwas zu kopieren und zu beglaubigen, das lehnte der Mitarbeiter ab. Die Begründung war so monoton, als habe man diesen Satz den Mitarbeitern der Stadtverwaltung in die Wiege gelegt: sie sind nicht zuständig. Zuständig sei vielmehr dasjenige Standesamt in derjenigen Stadt, wo unsere Tochter geboren war. Und das war Troisdorf, also musste meine Frau zum Troisdorfer Rathaus. Die Parkplatzsuche war nicht ganz einfach, dabei entging meine Frau beim Rückweg vom Rathaus zum Auto nur knapp einem „Knöllchen“ wegen Falschparkens. Das Troisdorfer Standesamt hatte alle standesamtlichen Daten verfügbar, womit sich das Formular der Geburtsurkunde am Rechner füllte. Ein Ausdruck, die Unterschrift war bereits auf dem Bildschirm vorgefertigt. Das Aufrufen der Daten, die Erstellung und der Ausdruck des Dokuments, das dauerte nicht einmal fünf Minuten. Ein vollkommen unkomplizierter Vorgang. Wir lernten, dass entweder die IT-Anwendungen grottenschlecht sein müssen, dass die Daten des Troisdorfer Standesamtes in unserem Ort nicht verfügbar sind oder dass es irgendwelche Befindlichkeiten gibt, dass die ortsansässigen Standesämter ihre Zuständigkeiten nicht abgeben wollen. Der Bürger wird jedenfalls aus scheinbar unnötigen Beweggründen durch die Gegend geschickt.
15. Februar 2020
Die Reaktion auf unsere auf den letzten Drücker getätigten Einkäufe hätte vernichtender kaum sein können. Um sich als Manga für die abendliche Karnevalssitzung verkleiden zu können, fehlten unserer Tochter Kleidungsstücke wie eine weiße Bluse, weiße Hose, schwarze Springerstiefel, eine Perrücke und vor allem ein Schal in einer Farbe, die im Farbspektrum eines tiefen, vollmundigen Rotweins lag. Mit Bravour schafften wir all unsere Einkäufe, und gegen halb 12 waren wir pünktlich aus der Bonner Innenstadt zurück, um das Mittagessen zu kochen. Dabei benötigten wir die längste Zeit auf die Farbe des Schals, der fast gar nicht in dem benötigten Rotton zu haben war. An die fünf bis sechs Bekleidungsgeschäfte mussten wir abklappern, bis im Kaufhof schließlich die gewünschte Farbe des Schals im Angebot war. Wir fanden dort sogar die schwarzen „Wanderstiefel“, preisreduziert, bis auf unter dreißig Euro, einmal als Restposten reduziert und das zweite Mal, weil wir gleichzeitig Besitzer der neuen Kundenkarte wurden. Hochzufrieden mit dem Einkauf, machten wir uns nach dem Mittagessen an die Verkleidung unserer Tochter als Manga. Meine Frau schnitt die Perrücke ihrem Kopf zurecht, während unsere Tochter ein Foto der benötigten Manga-Frisur auf ihrem Smartphone zeigte. Indes fuhr ich zur Raiffeisenbank, um Geld für die spätnachmittägliche Karnevalssitzung abzuheben. Als ich zurückkehrte, war das Desaster perfekt. Schreie schallten durch das Treppenhaus, unsere Tochter rannte weg, die weiße Hose flog im Flur herum. Was wir gekauft hatten, hatte einen Makel. Was es war, war in dem erregten Disput mit unserer Tochter nicht auszumachen. Das wäre ohnehin nicht zielführend gewesen, weil sie mit einem Mal beschlossen hatte, nicht mitzufahren. Wir reagierten uns ab, indem wir ohne sie die spätnachmittägliche Karnevalssitzung des Garde-Corps in Köln-Porz-Zündorf besuchten. Die Sitzung war schön, einfallsreich und mit einem bunten Programm bespickt, so wie wir es von den Vorjahren kannten. Es war etwas schwierig, mich aus meiner Reservehaltung heraus zu locken. Doch spätestens Rednern wie Guido Cantz oder einer musikalischen Größe wie den Bläck Fööss gelang dies.
16. Februar 2020
Sinn und Baum – ein Wortpaar, das ganz selbstverständlich zueinander gehört. In unseren Zeiten der Klimadebatte machen Bäume selbsterklärend Sinn. Wir brauchen sie, um die Treibhausgase bändigen zu können, und davon möglichst viele, am besten Laubbäume in unerschöpflichen Waldgebieten. Sinn und Baum – das ergibt die Wortschöpfung des „Sinnbaums“, dessen Denkzusammenhänge allerdings nichts mit dem Klimawandel zu tun haben, sondern mit Fühlen und Sehen und den menschlichen Sinnesorganen. Im Park der Wasserburg Wissem in Troisdorf schärfen Künstler die Sinnesorgane des Menschen, indem sie in ihrem Erfahrungsfeld der Sinne fünfzehn Stationen künstlerisch gestaltet haben. Augen, Nase, Ohren, Berührungen durch die Haut und der Tastsinn werden an den Stationen sensibilisiert. Spaziert man im Schatten der Wasserburg an dem Wildpark mit dem eingezäunten Gehege der Rothirsche vorbei, so erhebt sich am Ende des Drahtzauns ein drei Meter hoher Baumstamm, der die Konzentration schärfen soll und zur Meditation einlädt. Das Innere des Baumes vermittelt Sinn und Inhalt, daher die Namensgebung „Sinnbaum“. Das Innere des Baumes ist ausgehöhlt und man kann sich hinein setzen. Die Umgebung kann man ausblenden, man ist für sich ganz alleine, eine geradezu klösterliche Abgeschiedenheit. Der Sinnbaum – ein Weg zur Selbstfindung.
17. Februar 2020
So sehr der Winter einen ärgert, weil das Wetterprogramm weder Frost, noch Kälte oder Schnee zu bieten hat, um so schöner sind seine Wetterphänomene. Regenschauer wühlen die Atmosphäre auf, auftreibender Wind zerfetzt das Gewölk, das sich sammelt, verdichtet und den Horizont verdunkelt. Die Stimmungslage wechselt unvermittelt in der Atmosphäre, wenn die Wolken aufbrechen und die Sonnenstrahlen schräg in das Geplätschere des Regens hinein scheinen. Der Regenbogen, den wir von unserem Großraumbüro aus beobachteten können, ist eine Wucht. Die Lichtwellen des Regenbogens spannen sich von der einen auf die andere Straßenseite. Das Ende des Regenbogens krallt sich an weiß erstrahlten Häuserblöcken, während die Regentropfen auf den Fensterscheiben der Büroräume tanzen. Einfach schön, diesem Naturschauspiel beiwohnen zu können.
18. Februar 2020
Der Spruch war klug, den wir in dem Café Bröhl in der Troisdorfer Fußgängerzone lasen. Ein kluger Geist von belesenen Denkern bei einer Tasse Kaffee, die die Gemüter inspirierte, das Denken in einen Fluss brachte, Gedanken einsammelte und Sprüche und Weisheiten bereithielt, um sich aus diesem gedanklichen Gebäude für Zwecke jedweder Art schlau zu machen. „Essen ist ein Bedürfnis, Genießen ist eine Kunst“, so lautete die Weisheit des französischen Adligen La Rochefoucauld, der im 17. Jahrhundert mit seinen Aphorismen und Reflexionen bekannt geworden war. Neben dem Kaffeetrinken dürfte in den Salons des 17. Jahrhunderts auch gut gegessen worden sein, und das nicht nur im damaligen Frankreich. Und im 17. Jahrhundert dürften so ungefähr die Beginne des Kaffeetrinkens liegen, weil zuerst in den niederländischen Kolonien die Kaffeepflanze in größerem Stil angebaut worden war. Dass La Rochefoucauld mit klugen Geistern und belesenen Denkern in Kaffeehäusern verkehrt hat, passt somit nicht ganz zusammen. In Salons hat sich anstatt dessen getroffen, und dies dürfte die ähnliche Wirkung einer Inspiration gehabt haben wie unser Besuch des Cafés Bröhl in Troisdorf. Zumindest mit diesem klugen Spruch von La Rochefoucauld.
19. Februar 2020
Eine etwas verkehrte Welt in der Behindertenwerkstatt. Dass der Karneval von Weiberfastnacht einen Tag vorgezogen wird, hätte ich nie zu denken gewagt. Die Jecken sind auf den Tag und auf die Uhrzeit gepolt, genau das ist mein Menschenbild der Karnevalisten. Punkt 11 Uhr 11 an Weiberfastnacht geht es los, der Weg zur Arbeit und den Vormittag inbegriffen. Ausnahmen, bereits am Vortag mit der Feierei zu beginnen, sind da unzulässig. Ganz anders sieht das die Behindertenwerkstatt. Ab 11 Uhr 11 am Mittwoch vor Weiberfastnacht steigt die Karnevalsfeier. Der Karnevalsprinz kommt, Karnevalslieder ertönen, und es wird gefeiert, gesungen, geschunkelt und gelacht. Alle sind in bester Feierstimmung – und an Weiberfastnacht kehren sich die Verhältnisse um. Die Feier am Vortag ist zu Ende, und nun wird wieder normal gearbeitet. Da es in der Behindertenwerkstatt auch ohne Alkohol hoch her geht, wird an Weiberfastnacht keine Katerstimmung einkehren.
20. Februar 2020
Karneval – Zeit für Chaoten. Wenige Chaoten, die sich wirkungsvoll in Szene setzen, überschreiten Grenzen des rheinischen Frohsinns und lassen die Sau raus. Mit gepflegtem rheinischen Brauchtum hat das nichts zu tun, wenn sie sich besaufen, herum pöbeln, randalieren, am nächsten Tag ihren Rausch ausschlafen und nicht mehr wissen, was sie angerichtet haben. In der Rudelbildung von Weiberfastnacht stieß mich dies ab, so dass ich mich vom Büro aus auf direktem Wege nach Hause begab. Bevor ich in die Straßenbahn eintrat, musste ich Angst haben vor diesen Randalierern. Sie terrorisierten und waren so ungezügelt, dass sich Straßenbahnen verspäteten. Diese Exzesse schufen ein negatives Gesamtbild, und das Treiben rund um die Wäscherprinzessin in Beuel ignorierte ich. Zu Hause schottete ich mich ab, wobei ich im Fernsehen gefiltert genau das rheinische Brauchtum auf dem Alter Markt in Köln oder sonstwo anschauen konnte, das einen in eine wirklich tolle Stimmung versetzt hätte. Die Chaoten konnte ich nicht ignorieren – und ich igelte mich ein.
21. Februar 2020
Welch ein geiles Fahrgefühl. Vor drei Jahren habe das SCOTT-Rennrad gebraucht gekauft – und es ist wie am Schnürchen gelaufen. Bis auf die Wintermonate bin ich damit regelmäßig ins Büro gefahren – das macht etwas mehr als 3.000 Kilometer pro Jahr. Oder 10.000 Kilometer in einem Dreijahreszeitraum, was eine ganze Menge ist. Da verschleißen so manche Teile, so dass ich das Rennrad einer Generalüberholung unterzogen habe. Nachdem ich das Rennrad abgegeben hatte, hatte mich das Fahrradgeschäft Hübel angerufen, mit dem ich beste Erfahrungen gemacht hatte, was Reparaturen, Zuverlässigkeit und Qualität betraf. Die 10.000 gefahrenen Kilometer hatten deutliche Spuren des Verschleißes hinterlassen. Nur noch wenige Teile waren nicht verschlissen, so dass viele Ersatzteile neu montiert werden mussten, Bremsen, Schaltung, Kette, Tretlager, Ritzel, Lenkerband und einiges mehr. Bei der heutigen Abholung kostete dies auch 370 Euro. Aber das Fahrgefühl ist genial, wie bei einem flammneuen Rennrad aus dem Fahrradgeschäft. Ein Fahrgefühl wie im Paradies. Ich freue mich auf die nächsten Wochen und Monate, in denen ich dieses intensive Fahrraderlebnis genießen kann.
22. Februar 2020
Nichts ist beständiger als der Wandel: dieses Zitat des griechischen Philosophen Heraklit, das rund zweitausendfünfhundert Jahre alt ist, sagt aus, dass unsere Welt einer permanenten Veränderung unterworfen ist. Dies gilt unter anderem für die Café- und Kneipenlandschaft. Kneipen und Cafés kommen und gehen, sie verschwinden von der Bildfläche und eröffnen neu, der Stil und das Innere passen sich dem Zeitgeist an. Beobachten kann man dies etwa in der Bonner Fußgängerzone, genauso in der Kölner Kneipenlandschaft, es gibt aber auch Ausnahmen. So ist alles im Zülpicher Viertel in Köln ständig im Fluss, es hat sich aber eine Konstante bewahrt: Gilberts Pinte. Regelmäßig hatte ich in dieser Kneipe verkehrt, als ich in den 1980er Jahren in Köln gewohnt hatte. Es war die Zeit eines unsteten Herumtreibens, einer ziellosen Suche in der Anonymität der Großstadt. Damals war ich neu und umgezogen nach Köln, die Suche nach menschlichen Kontakten war häufig vergeblich, viel war ich alleine unterwegs. Erst langsam ging ich auf Tuchfühlung mit der Stadt, und einen Teil der Menschenmassen, die die Großstadt an den Ringen ausspuckte, traf sich in den ausklingenden Abenden in Kneipen und Cafés, die rund um den Zülpicher Platz besonders vielfältig waren. Dort tauchte ich ein, oftmals in Gilberts Kneipe, dessen Fassade sich seit den 1980er Jahren nicht verändert hat. Es war gemütlich, gesellig, brachte Abwechslung in den steifen Büroalltag von Beamtenkollegen hinein. Im Rhythmus des Kneipendaseins schmeckte das Bier, wenngleich ich stets alleine in Gilberts Kneipe einkehrte und diese alleine wieder verließ. Nach all den Jahrzehnten überwiegen die positiven Assoziationen. Auch heute wäre Gilberts Kneipe bestimmt ein schöner Ort von Geselligkeit und Kneipenatmosphäre.
23. Februar 2020
So untätig wie unser Kater Jumbo, genauso untätig ließen wir den Karnevalssonntag über uns ergehen, den der Wetterbericht auf den Kopf zu stellen gedroht hatte. Da jede Masse Regen gemeldet war, verspürten wir bereits am Tag vorher eine Unlust, uns beim Karnevalszug am Karnevalssonntag patschnass regnen zu lassen. Dazu sollte es stürmisch werden, was den Ausschlag gab. Bis Mittags regnete es nicht bis gar nicht, aber der Sturm fegte mit seinen Windböen daher. Den Wecker hatte ich nicht gestellt, unsere Tochter mit ihrem langsamen Aufstehtempo gewähren lassen, gegen 12.11 Uhr, dem Startzeitpunkt des Karnevalszugs, waren wir überhaupt nicht startklar. Am Vormittag hatte ich einen Kinobesuch vorgeschlagen, doch wir konnten uns nicht einigen. Nun saßen wir in unserer Essecke, so träge wie unser Kater Jumbo auf dem Kratzbaum, wir lamentierten mit uns selbst, was wir mit dem im Karneval verloren gegangenen Nachmittag anfangen sollen. Auf den Sitzen in unserer Essecke klebend, suchte ich die Zeit an meinem Laptop mit der Erbauseinandersetzung totzuschlagen, indem ich fehlende Sätze eines Antwortschreibens an unseren Ergänzungsbetreuer formulierte. Meine Frau komplettierte ihren Entwurf, den wir dann per E-Mail an unseren Rechtsanwalt absendeten, damit er uns am Karnevalsdienstag antworten sollte. Es war bereits später als 14 Uhr, als sich unser Hungergefühl regte und wir die Soljanka aßen, die wir bereits am Vortag vorgekocht hatten. Noch bevor der Reis für die Soljanka fertig gekocht war, rief ich Freunde an, deren Steuererklärung ich monatelang bei uns liegen gelassen hatte. Da wir längere Zeit nicht miteinander telefoniert hatten, redete ich über dieses und jenes mit dem Ergebnis, dass die so lange liegen gebliebene Steuererklärung nicht so dringend war, dass sie an diesem nicht anderweitig verplanten Sonntag erledigt werden musste. Wir aßen die Soljanka, wir tranken Kaffee, wir aßen dazu die Berliner, die ich morgens aus der Bäckerei mitgebracht hatten, und wir lümmelten uns so untätig in unserer Essecke herum wie unser Kater Jumbo auf seinem Kratzbaum, der den Sturm im Garten an sich vorbei flitzen ließ. Es mangelte nicht unbedingt an Ideen, die Zeit auszufüllen, es fehlte aber an Einigkeit, was wir alternativ gemeinsam unternehmen könnten. Der Kinobesuch war bereits abgelehnt, einem Spaziergang in der Siegaue war kein Interesse beschieden, einen Besuch des Museums Alexander König wagte ich erst gar nicht vorzuschlagen, wo es eine Ausstellung über den Kosmos von Alexander von Humboldt zu sehen gab. Am Laptop stellte ich fest, dass der Auftritt von Konrad Beikircher im Bonner Pantheon ausverkauft war. Für eine spätere Veranstaltung am 8. März in Köln-Porz-Westhofen gab es aber noch Karten. Am späten Nachmittag tätigte ich einen Telefonanruf, den ich über Jahre vor mir hergeschoben hatte. Freunde an der Mosel waren quasi nicht verfügbar, weil sie mit der Pflege ihrer Schwester und ihrer Mutter beansprucht war. Der Kontakt lief ausschließlich über E-Mail, und das nur sehr spärlich. Zielführender war ein Telefonanruf. An der Beanspruchung durch die Pflege hatte sich nichts geändert. Die 92-jährige Mutter und ihre 64-jährige Schwester, die blind war und an Parkinson litt, hatten sie in ihr Haus aufgenommen. Da wir über mehrere Jahre nicht miteinander telefoniert hatten, war das Telefongespräch dementsprechend lang. Während wir telefoniert hatten, war es bereits dunkel geworden. Es war bereits so spät geworden, dass das zweite Abendspiel der Fußball-Bundesliga – Wolfsburg gegen Mainz – begonnen hatte.
24. Februar 2020
Wüste Spekulationen können angestellt werden, was die 398 Kilometer nach Mirecourt, die 309 Kilometer nach Metz und die 182 Kilometer nach Trier mit den Wäscheleinen zu tun haben. Am Rosenmontag hat sich der Karnevalstrubel vom Beueler Rathausvorplatz in die Innenstadt verlagert, und die Wäscheleinen sind die karnevalistischen Überbleibsel von Weiberfastnacht. Diese Überbleibsel führen allerdings nicht nach Mirecourt, Metz oder Trier. Es sind im Grunde genommen Dinge, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben, sondern nur auf dem Foto zufälligerweise nebeneinander stehen. Das eine ist ein Motiv aus dem rheinischen Karneval, das andere die Städtepartnerschaft mit Frankreich. Aber vielleicht übernehmen die Franzosen irgendwann die rheinischen Ausprägungen des Karnevals. Karneval in Lothringen in Mirecourt ? Es wird Karnevalsumzüge geben in Lothringen, Mirecourt oder drum herum. Aber sicherlich keine Wäscherprinzessin, die ihre Wäsche an einer Wäscheleine aufhängt, so wie wir es hierzulande kennen.
25. Februar 2020
Ein dreitägiger Lehrgang, der an Weiberfastnacht begonnen hatte. Neben ihrer Regeltätigkeit ist meine Frau für den Betriebsrat tätig, und um die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Betriebsratstätigkeiten zu vermitteln, hat meine Frau an einem Lehrgang in Köln-Sülz teilgenommen. Die Teilnehmer waren bundesweit kunterbunt zusammengewürfelt, und wie umfassend die Beteiligungs- und Informationsrechte greifen, darüber waren wir verblüfft. Es können sogar Geldstrafen verhängt werden, wenn der Betriebsrat übergangen wird. Protokolle müssen sauber und wahrheitsgemäß geführt werden; wird dies nicht gemacht, kann dies ebenso der Gesetzgeber bestrafen. Ein Teilnehmer war von einer Firma dabei, die gar keinen Betriebsrat besaß. Anscheinend wollte der Firmeninhaber seinen Beschäftigten etwas Gutes tun, indem er einen Betriebsrat einrichten wollte. Meine Frau munkelte, ob er sich dies gut überlegt hätte. Hätte er gewusst, wie weit die Beteiligungsrechte des Betriebsrats gehen, hätte er die Initiative wohl nicht selbst aktiv aufgegriffen.
26. Februar 2020
"Heiliges Köln, durch Gottes Gnade der römischen Kirche treue Tochter", diese Aufschrift steht auf einem Siegel aus dem Jahr 1106, das der römisch-deutsche König Heinrich IV. der Stadt Köln gewährte. Gleichzeitig erlaubte er der Stadt, die vorhandene römische Stadtmauer mit einem neuen Wall und einem neuen Stadtgraben zu weitern. Es war eine Epoche großer Bautätigkeit, denn bedeutende romanische Kirchenbauten wie St. Pantaleon, St. Andreas oder St. Maria im Kapitol waren im Bau oder fertiggestellt. Neu, wahnsinnige und zugleich kühne Architekturformen wie das Westwerk prägen die Kirchenneubauten. Als Vorbild für die Stadtummauerung diente Jerusalem mit seinen zwölf Stadttoren. Genau diese Stadtmauer ist auf dem Siegel aus dem Jahr 1106 abgebildet, während in dieser Zeit die Anzahl der Kirchen wuchs und wuchs. Wie das Heilige Köln ausgesehen haben könnte, das ist im Kölner Museum Wallraf mit den Anfängen der Ölmalerei zu sehen. Die ersten Gemälde in der neuen Maltechnik in Ölfarben, deren Gemälde quasi bis in alle Ewigkeit konserviert werden konnten, waren Ende des 14. Jahrhunderts in Flandern entstanden. Nachdem dieses know-how in das Rheinland exportiert wurde, blühten Ateliers auf, und als Schwerpunkt im Rheinland bildete sich Köln heraus. Eine Signatur nach dem Maler, der das Gemälde gemalt hatte, war damals noch nicht üblich, so dass sich die Ateliers nach den Motiven oder den Schwerpunkten der Malerei benannten. Meister der Passion: nach dieser einfachen Bezeichnung malte der Urheber im Jahr 1410 die älteste gemalte Darstellung von Köln. Man erkennt das Heilige Köln mit seiner Festung, die derjenigen auf dem Siegel aus dem Jahr 1106 nicht unähnlich ist. Nach der Legende war die Heilige Ursula auf dem Schiff am Rheinufer mit ihren elftausend Gefährtinnen angekommen, ihr Martyrium stand ihr bevor. Über dem Rheinufer erhebt sich das mittelalterliche Köln, umringt von der gewaltigen Stadtmauer, deren Zielsetzung es war, dass die selbstbewussten Bürger Köln Bewohner des himmlischen Jerusalem werden wollten. Innerhalb dieser quasi unbezwingbaren Stadtmauer steht die kleine Dimension der Gebäude in krassem Gegensatz zu der Mannigfaltigkeit der Kirchen. Diese überwiegen die Wohngebäude bei weitem, so dass man kaum in der Lage ist, die Anzahl der Kirchen durch zu zählen. Ist der Übergewicht an Kirchen überzeichnet ? Andere Kirchen sind jedenfalls detailgetreu und architektonisch genau gemalt, so St. Severin, Groß St. Martin oder der Chor des gotischen Domes. Die der Heiligen Ursula geweihte Kirche wird man hingegen auf diesem Gemälde nicht finden können. Es gibt zwar einen romanischen Vorgängerbau, das heute sichtbare Langhaus und der Kirchturm stammen allerdings aus der Epoche des Barock. Heilig ist die Stadt Köln aber auch durch die Ursulalegende geworden. Ihr Reliquienschrein ruht in eben dieser Kirche St. Ursula.
27. Februar 2020
Cafés kommen und gehen, die Cafélandschaft verändert sich ständig, und in der Vergangenheit gab es am Bonner Münsterplatz eine kleine Ausnahme. All die Selbstbedienungs-Bäckereien, die sozusagen wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, fand ich mit ihrem billigen Aussehen abweisend, weil dieses billige Erlebnis, einen Kaffee zu trinken, in sich widersprüchlich war. Bei der Billig-Bäckereikette Mr. Baker am Bonner Marktplatz war dies ganz anders, nicht was ihr Aussehen betraf, sondern wegen ihrer Lage und auch wegen ihrer multikulturellen und bodenständigen Kundschaft. Während ich Backwerk & Co ablehnend gegenüberstehe, genoss ich es, auf dem Münsterplatz sitzen zu können. Gesellschaft leisteten mir gerne Müllmänner, Fensterputzer oder andere Handwerker in ihren Overalls oder Blaumännern. Dazu passte das multikulturelle Sprachengemisch, das gerne ins Osteuropäische abglitt, wobei ich die sprachlichen Nationalitäten aus Russland, Polen oder Rumänien nie zuordnen konnte. Mr. Baker hat nun die Filiale auf dem Münsterplatz dicht gemacht, das ist jammerschade. Das weltmännische und offene Flair werde ich vermissen.
28. Februar 2020
Meinem Ärger versuchte ich mir Luft zu verschaffen, indem ich unsere Tochter persönlich in der Realschule krankmeldete. Sei hatte ihre Tage, und sie sperrte sich, in die Schule zu gehen. Im Sekretariat war die Schulsekretärin nicht anwesend, so dass die stellvertretende Schulleiterin die Krankmeldung entgegennahm. Auf einem länglichen Zettel notierte sie den Namen und die Klasse unserer Tochter, während die Schulleiterin an uns vorbei schritt zu einem auf einem Wandschrank aufgestellten Mikrofon. Nachdem sie von uns keinerlei Notiz genommen hatten, klangen ihre Worte, die sie in einem scheinbaren Niemandsland gegen die Wand sprach, um so entschlossener. Ich hörte die Stadt „Hanau“ heraus, wobei ich das Sekretariat verließ, um danach mit meinem Rennrad ins Büro zu fahren. Im Eingangsbereich lauschte ich der Ansprache der Schulleiterin, deren Worte das ganze Schulgebäude durch drangen. Sie betonte, wie sehr die Straftaten zu verabscheuen seien. Niemand dürfe wegen seiner Rasse verachtet, diskriminiert und verfolgt werden. Alle Menschen seien gleich geboren, in unserem Land gelte die Freiheit der Person und die Freiheit der Religion. Sie betonte, dass die Realschule eine Schule ohne Rassismus sei. Die nachdrücklichen Worte blieben auch in mir haften. Ich überlegte allerdings, inwieweit die Ansprache im Rahmen des alltäglichen Schulbetriebs angemessen war. Unstrittig war das Thema hochwichtig, es drohte aber zwischen den Unterrichtsräumen, den Fluren und Zwischentüren verloren zu gehen.
29. Februar 2020
Der Februar, ein nasser und viel zu milder Monat, der all seine Feuchtigkeit in den Sonnenuntergang hinein warf. Am Nachmittag, als ich mich im Garten zu schaffen gemacht hatte, hatte es gestürmt und geregnet. Der Regen hätte stärker sein können, für eine kurze Zeit klatschten die Regentropfen, dann tröpfelte es nur noch, so dass ich mich beim Abschneiden der winterlich verwelkten Gartenbewirtschaftung nicht beeinträchtigt fühlte. Dunkle Wolken senkten sich über den Himmel hinab, das Himmelsblau war zu zögerlich, um die Oberhand zu gewinnen. Das Finale am Ende des Tages war fulminant. Der Himmel war aufgerissen und legte all seine Schaffenskraft in den Sonnenuntergang. In der noch regenverhangenen Luft präsentierte dieser viele Facetten von Rottönen, von Feuerrot bis zu einem lodernden Gelb. Das schöne Ende eines ausgefüllten Tages.
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